Grundausbildung on tour beim Verband Österreichischer Volkshochschulen
Foto: Martina Haas
In meiner Tätigkeit als Fachreferentin für Sprachen, Integration und Grundbildung beim Volkshochschulverband Baden Württemberg bin ich immer wieder auf interessante Artikel gestoßen, die sich mit der Umsetzung von Angeboten der Basisbildung in Österreich beschäftigen. So entstand mein Wunsch, mich im direkten Gespräch mit Menschen auszutauschen, die sich mit der Bedeutung von Grundbildung auseinandersetzen, die Angebote zur Grundbildung entwickeln, die solche Angebote vor Ort umsetzen – und nicht zuletzt mit Menschen, die diese Angebote wahrnehmen. Bei meiner Kontaktaufnahme mit den örtlichen Bildungseinrichtungen stieß ich auf eine große Bereitschaft der Akteure vor Ort, mir solche Begegnungen zu ermöglichen bzw. sich auf solche Begegnungen einzulassen.
So nahm die Idee von einer Motorradtour in die Welt der Erwachsenenbildung Form an, einer Tour, die ihrerseits als das Ergebnis von Erwachsenenbildung betrachtet werden kann. Erst in fortgeschrittenem Lebensalter habe ich den Motorrad-Führerschein erworben, gewissermaßen ein nachgeholter Bildungsabschluss. Und so weiß ich, wie schwer es fällt, etwas zu lernen, was andere schon selbstverständlich beherrschen – aber auch wieviel Freude es macht, es dann schließlich auch zu können. Mein Blog „Grundbildung on tour“, der interessierte „follower“ über die Reise auf dem Laufenden halten sollte, stellt den Versuch dar, mithilfe dieses digitalen Kommunikationsmittels die Reise zu dokumentieren. Zwei Wochen (vom 8. bis 19. Juni 2015) standen nun zur Verfügung für Fachgespräche und die Hospitation in unterschiedlichen Kursen.
Besonderer Dank gilt all denen, die als Organisatorinnen der Begegnungen vor Ort und als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zur Verfügung standen. Und natürlich allen Kursleiterinnen und Kursleitern, die mir gestatteten, in ihren Kursen dabei zu sein. In der VHS Linz ermöglichte mir die Projektkoordinatorin für Grundbildung und Alphabetisierung, Frau Lingur, den Besuch der Kurse „Schriftsprache“, „Alphabetisierung in der Zweitsprache“ und „Alphabetisierung für Personen mit geringen Deutschkenntnissen“ sowie zweier „Brückenmodule Englisch“ für Personen, die den Pflichtschulabschluss nachholen möchten. Darüber hinaus wurde ich durch alle Abteilungen des „Wissensturms“ geführt. Die Leiterin des Instituts für Bildungsentwicklung Linz (B!LL), Frau Muckenhuber, empfing mich zu einem Fachgespräch über aktuelle Probleme der Grund- bzw. Basisbildung. In Wien erhielt ich die Gelegenheit, beim Verband Österreichischer Volkshochschulen mit Herrn Dr. Bisovsky über Entwicklungsperspektiven der Volkshochschulen und den Stellenwert der Basisbildung zu sprechen. Frau Klopf-Kellerer, Programm-Managerin und Fachkoordinatorin Basisbildung an der VHS Floridsdorf, Wien, hatte Hospitationen im „Intensivkurs Basisbildung“ mit einer Führung durch die Ausstellung „Unlearned Lessons – Women on the Rise“ in die Wege geleitet sowie im Kurs „Basisbildung – Vorbereitung für den Führerschein“. Auch an einer „Schreibwerkstatt“ konnte ich teilnehmen. Die Volkshochschulen in Kärnten schließlich eröffnete mir die Projektkoordinatorin Grundbildung, Frau Wolf, sodass ich in Villach den Kurs „Besser lesen, schreiben und rechnen“ und in Feldkirchen einen Kurs „Lesen und Schreiben“ besuchen konnte. Ein abschließender Erfahrungsaustausch mit Frau Wolf in Klagenfurt beendete meine „Grundbildung on tour“.
Grundbildung on tour –Mit Teilnehmenden des Kurses “Brückenmodul Englisch” von Frau Claudia Haider Linz
Foto: Martina Haas
Grundbildungskurse sollen die Teilnehmenden dabei unterstützen, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen. Zu denen gehört nicht selten das Ausfüllen eines Formulars. Wir wissen, dass der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung die Verwendung dieses „standardisierten Mittels zur Erhebung von Daten“ erfordert. Eine Person, die es nicht gewohnt ist, Informationen über sich auf diesem Weg weiterzugeben, muss sich jedoch zunächst einmal mit diesem unpersönlichen Kommunikationsverfahren vertraut machen. Dass man Name und Adresse eintragen muss, auch wenn das Schreiben von Buchstaben und Worten schwerfällt, leuchtet ein. Dass die beiden Quadrate, neben denen die Begriffe „männlich“ und „weiblich“ stehen, dazu dienen, durch Einsetzen eines Kreuzes anzugeben, welchem Geschlecht man angehört, erscheint schon keineswegs mehr selbstverständlich. Schließlich ist das durch das Eintragen des Namens schon geschehen. Wenn dann die Sprachbarriere noch hoch ist – „männlich“ von Mann, warum „weiblich“ nicht von Frau? – dann muss ein komplexer Lernvorgang ablaufen, bevor man souverän mit dem Medium Formular umgehen kann. Mit welcher Geduld und mit welchem didaktischen Geschick die Kursleiterin der Teilnehmerin nicht nur den technischen Umgang mit dem Formular beigebracht hat, sondern sie auch sensibilisiert hat für interkulturelle Verständigung, war beeindruckend. Und wie der Teilnehmerin bewusst wurde, dass der Name eines Menschen in seinem Herkunftsland das Geschlecht signalisiert, in einem anderen Land jedoch vielleicht nicht, zeigt, dass in dieser Kursstunde auch die Tür zu einem so anspruchsvollen Ziel wie der Persönlichkeitsbildung geöffnet wurde. – Und ich durfte bei dieser Gelegenheit den Selbstverständlichkeiten meines Lebens als etwas Fremdem begegnen, erfahren, wie abgehoben von den basalen Lebensverhältnissen die zivilisatorische Errungenschaft des Formulars ist.
An dieser Kursstunde lässt sich beispielhaft erkennen, was Grundbildung bedeutet. Es geht um die Schaffung von Möglichkeiten zur Partizipation. Diesem Ziel dient die Alphabetisierung, die Vermittlung von Kompetenzen zur Beherrschung von Alltagssituationen in einem komplexen gesellschaftlichen Umfeld sowie auch Angebote zur Integration von Migrantinnen und Migranten. Diese Bildungsarbeit muss sich in besonderem Maß auf die persönlichen Bedarfe der Teilnehmenden einstellen und die Menschen individuell bei ihrer Lernarbeit unterstützen und begleiten.
Überall konnte ich erleben, mit wie viel Empathie die Kursleitenden den Teilnehmenden begegnen, mit welcher Ausdauer, ja geradezu Hingabe am Erreichen von individuellen Zielen gearbeitet wird. Zum Teil werden für den besonderen Bedarf der Zielgruppe eigens entwickelte Kursmaterialien eingesetzt. Mithilfe des „Reisekoffers“ können in Wien Exkursionen zu markanten Zielen geplant und durchgeführt werden. Das „Orientierungsspiel“ vermittelt in den Kärntner Volkshochschulen Orientierung im Raum und in der Gesellschaft. Überzeugend die Konzeption, die unterschiedlichen Sachbereiche der Grundbildung in die Kurse zum Lesen, Schreiben und Rechnen zu integrieren.
Und immer wieder die „Initiative Erwachsenenbildung“. Sie stellt den Boden dar, auf dem die Pflanzen des Erfolgs jedes einzelnen Teilnehmenden in den Kursen gedeihen können. Sie sichert die Finanzierung der Bildungsangebote und gibt Rahmenrichtlinien für die Qualitätssicherung vor. Alle meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zeigten sich erfreut darüber und dankbar, dass die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung diese Grundlage für die Arbeit der Bildungsträger geschaffen haben. In Baden-Württemberg arbeiten wir daran,
eine vergleichbare Regelung herbeizuführen.
Mittlerweile bin ich wieder zu meinem Alltagsgeschäft zurückgekehrt – und ich bin froh darüber, dass ich damals am Rande einer Tagung in Kassel mit meiner Kollegin Frau Elisabeth Feigl-Bogenreiter, der Fachreferentin für Sprachen beim Verband Österreichischer Volkshochschulen, auf die etwas absonderliche Idee gekommen bin, eine Motorradtour in die österreichische Bildungslandschaft zu unternehmen. Frau Feigl-Bogenreiter hat mir die ersten Türen geöffnet, durch die ich die Welt der Basisbildung in Österreich betreten konnte. Am Ende stehen die Erinnerung an unerhört eindrucksvolle Begegnungen und mein Reise-Blog www.grundbildungontour.wordpress.com, der dazu beitragen soll, dass diese Erinnerung nicht allzu schnell verblasst. //
Kommentare