Medienkompetenz fördern – Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter

Weil im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts diese spezielle – aber umfassende – Thematik bisher noch nicht behandelt wurde, konzentrieren wir uns auf die Situation bei den Lehrenden. Diese Beschränkung ist auch inhaltlich gerechtfertigt, weil aus unserer Sicht die Medienkompetenzen der Lehrenden der entscheidende Faktor für eine didaktisch sinnvolle Nutzung digitaler Medien im Unterricht sind.

Wir beginnen diesen Beitrag daher mit einer Diskussion zum Begriff der Medienkompetenz, um die unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen, die es hier zu beachten gilt, darzulegen. Daran schließt sich ein kritischer Blick zum Status quo in Österreich an, wobei wir insbesondere Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung von Lehrpersonen in den Blick nehmen. Danach diskutieren wir Potenziale digitaler Medien zur Erhöhung der Lehr- und Lernqualität an drei aktuellen Beispielen. Das Schlusskapitel dieses Beitrags fasst unsere Einschätzungen zusammen und stellt denkbare politische Strategien und Maßnahmen sowohl zur Nutzung digitaler Medien als auch zur Kompetenzentwicklung zur Diskussion.

1. Medienkompetenz heißt heute vor allem digitale Kompetenz

In der modernen Wissensgesellschaft haben Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bereits einen bedeutenden Stellenwert eingenommen. So sind 28 Prozent des österreichischen Wirtschaftswachstums auf diese Technologien zurückzuführen und Prognosen gehen von einer weiteren Steigerung der Wertschöpfung durch diesen Bereich aus (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, 2012). Inzwischen durchdringt IKT alle gesellschaftlichen Bereiche und sind allgegenwärtig („ubiquitous“) geworden. Sie haben unseren Alltag sowohl im beruflichen (Arbeit) als auch im privaten (Freizeit) Bereich verändert. Digitale, interaktive Medien spielen auch für die Entwicklung der Zivilgesellschaft eine immer wichtigere Rolle (Baumgartner, Tarnai, Wolf & Ertl, 2014, S. 376 f.): Gesellschaftliche Teilhabe, und damit die Entwicklung und Festigung demokratischer Strukturen, erfolgt in zunehmendem Maß über digitale Medien. Sachgerechter und kritisch-reflektierter Umgang mit diesen Technologien wird daher folgerichtig als eine der acht Schlüsselkompetenzen für Lifelong Learning gesehen (Europäische Union [EU], 2006).

Eine Definition von Medienkompetenz ist nicht einfach, weil es eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen gilt: Es müssen inhaltliche Beschreibungen wie Medien, Computer, IKT mit Bildungskonzepten wie Fertigkeiten, Literarität (Literacy) und Kompetenz miteinander verknüpft werden.

Entsprechend der neueren EU-Diktion haben Ilomäki, Kantosalo und Lakkala (2011) den Begriff Digital Competence (digitale Kompetenz) in den Mittelpunkt gestellt, der sich zunehmend durchsetzt und einige wichtige Vorteile hat: Mit der allgemeinen Bezeichnung „digital“ werden Wortkombinationen mit Computer, Internet, IKT vermieden, die in ihrem Gegenstandsbezug die angestrebten Inhalte zu eng fassen.

Ähnliches gilt auch für den Kompetenzbegriff, der gegenüber Fertigkeiten (Skills) und der auf kulturelle Grundkenntnisse abzielenden Literarität breiter gefasst ist.

Der von der EU und auch von uns favorisierte Begriff der digitalen Kompetenz macht deutlich, dass der Inhalt von Medienkompetenz sich gewandelt hat und heute mit digitaler Kompetenz gleichgesetzt werden kann. Digital Competence stellt in der heutigen Wissensgesellschaft eine der Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen dar, geht allerdings über ein allgemeines Basiswissen, wie es durch Digital Literacy gefasst wird, weit hinaus. Eine darauf aufbauende sehr umfassende Definition findet sich bei Ferrari (2012). Sie basiert auf 15 untersuchten Kompetenzmodellen, die aus Schulcurricula, Implementierungsinitiativen, Zertifizierungsschemata und akademischen Publikationen entnommen wurden:

„Digital Competence is the set of knowledge, skills, attitudes (thus including abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT and digital media to perform tasks; solve problems; communicate; manage information; collaborate; create and share content; and build knowledge effectively, efficiently, appropriately, critically, creatively, autonomously, flexibly, ethically, reflectively for work, leisure, participation, learning, socialising, consuming, and empowerment“ (Ferrari: 2012, S. 3 f.).

Mit dieser umfassenden Definition werden nicht nur Kenntnisse (Knowledge = Medien-Kunde) und Fertigkeiten bei der Anwendung zum Zwecke der Problemlösung (Skills = Medien-Nutzung), der Kommunikation (Medien-Kommunikation) und des Informationsmanagements (Medien-Informatik) inkludiert, sondern auch generell eine gesellschaftskritische Haltung (Attitudes = Medien-Kritik) angesprochen.

In der deutschsprachigen geisteswissenschaftlichen Tradition wird jedoch selbst diese umfassende Begriffsbestimmung teilweise kritisch gesehen, weil – so wird argumentiert – der Begriff digitale Kompetenz einerseits analoge (Massen-)Medien wie Rundfunk, Fernsehen, Presse nicht einschließt und andererseits befürchtet wird, dass durch die starke Betonung der praktischen Fertigkeiten eine unkritische, unreflektierte (Aus-)Bildung nahegelegt wird. Damit – so die Kritik – werden nachhaltige pädagogische Nutzungskonzepte erschwert und ungewollte (negative) Sozialisationsaspekte und Erfahrungen mit Medien (z. B. Cybermobbing) zu wenig in den Blick genommen (Aufenanger:  2001).

Aus unserer Perspektive treffen diese Bedenken für den breit angelegten Vorschlag von Ferrari (2012) nicht zu. Die deutschsprachige geisteswissenschaftliche Diskussion zur Medienkompetenz ist immer noch stark geprägt von den seinerzeit grundlegenden Arbeiten von Baacke (z. B. 1996). Damals allerdings war der Medienbegriff noch weitgehend ohne die interaktive Variante gedacht, da die damaligen Medienpädagoginnen und -pädagogen noch nicht die Wende vom (passiven) Hören beziehungsweise Sehen zur interaktiven Nutzung (User, BenutzerIn und GestalterIn) komplett und durchgängig vorgenommen hatten. Obwohl sich schon in den 1990er-Jahren eine handlungsorientierte Konzeption von Medienpädagogik angedeutet hat (Baumgartner: 1993), wurde erst in den letzten Jahren mit Web 2.0 – dem sogenannten „MitmachWeb“ – die Wende von bloßer Rezeption zu aktiver Partizipation vollzogen. Damit wird aber die Dimension der Medien-Kritik nicht mehr bloß auf sprachliche oder schriftliche Äußerungen reduziert, sondern es gehören auch alternative Einsatz- und Anwendungsszenarien zur (konstruktiven) Kritik. Das umfasst sowohl den pädagogischen als auch organisatorisch-technischen Bereich (Medien-Didaktik beziehungsweise Medien- Gestaltung). Statt bei kassandrischen Rufen mit geringer praktischer Wirkung stehen zu bleiben, umfasst der Begriff der digitalen Kompetenz nach Ferrari (2012) auch die Entwicklung von Medienarrangements, die im Sinne kritisch-reflektierter Gestaltungsalternativen in ihren Effekten auch evaluiert und verbessert werden können.

Selbstverständlich dürfen bei der gesellschaftlichen Durchdringung digitaler Medien problematische Anwendungen nicht übersehen werden, weshalb in der Ferrari-Definition (2012) auch die ethische Reflexion enthalten ist. Für eine umfassende gesellschaftspolitische Sichtweise müssen die bisher erwähnten Dimensionen der Medienkompetenz noch mit Medien- Ethik und Medien-Erziehung ergänzt werden.

Als Resultat ergeben sich damit für Lehrende neun Dimensionen von digitaler Kompetenz, die in der nachfolgenden alphabetisch sortierten Liste zusammengestellt sind. Für die Entwicklung von Medienkompetenz sind sie entsprechend zu berücksichtigen und auszubilden.

Medien-Didaktik: Als Teilgebiet der allgemeinen Didaktik medienvermitteltes (interaktives) Lernen gestalten und in seinen positiven Effekten auf den Lernprozess pädagogisch sinnvoll nutzen und evaluieren können.

Medien-Erziehung: Einen aktiven, kritischen, bewussten, selektiven und produktiven Umgang mit Medien für Arbeit, Freizeit und staatsbürgerliche Teilhabe vermitteln können.

Medien-Ethik: Den sozial verantwortlichen Umgang mit Medien analysieren und moralisch einschätzen und dabei auch die eigenen medialen Handlungsstrategien kritisch hinterfragen und unter ethischen Gesichtspunkten gestalten können.

Medien-Gestaltung: Medienarrangements unter pädagogischen, sozialen, ästhetischen, technischen und finanziellen Rahmenbedingungen produzieren und gestalten können.

Medien-Informatik: Funktion und technische Wirkungsweisen des Internets, sowie der Digitalisierung von Text, Bild, Audio und Video verstehen und diese Kenntnisse für Arbeit, Freizeit und gesellschaftlicher Teilhabe produktiv gestalten und nutzen können.

Medien-Kommunikation: Strukturen und Bedingungen von interaktiven, digitalen Kommunikationsprozessen gestalten und sowohl in kritisch-reflektierter als auch sozial angebrachter Weise nutzen können.

Medien-Kritik: Eine gesellschaftskritische Haltung zur Entwicklung, Produktion und Nutzung von Medien einnehmen und sich über deren Inhalte sowie deren Rezeption positionieren können.

Medien-Kunde: Kenntnisse über Geschichte, Institutionen, Interessenlagen von Stakeholdern, Produktionsprozessen von Medien und insbesondere zu rechtlichen Rahmenbedingungen kritisch-reflektiert nutzen können.

Medien-Nutzung: Medien in allen Bereichen (Arbeit, Bildung, Freizeit, Unterhaltung, Information, Problemlösung) adäquat für den persönlichen Gebrauch auswählen und effektiv und sozial angebracht nutzen können.

2. Zur digitalen Medienkompetenz der Lehrenden

Nachdem wir im vorhergehenden Abschnitt neun Dimensionen von Medienkompetenz bei Lehrenden definiert haben, beleuchten wir in den folgenden zwei Abschnitten die aktuelle nationale Situation.

2.1. Fachdidaktische Medienkompetenz versus Mediennutzung

Obwohl digitale Medien die prägende Technologie unserer Zeit sind, bleibt der tatsächliche Einsatz im Unterricht hinter den Erwartungen zurück. Im internationalen Vergleich ist Österreich bei der Nutzung digitaler Medien in der Schule eher im Mittelfeld zu finden (European Commission, Education, Audiovisual & Culture Executive Agency [EACEA]: 2011, S. 3 – die Studie basiert auf Daten aus TIMSS 2007; vgl. auch European Commission, Directorate-General for Communications Networks, Content & Technology:  2013). Bei dem Vergleich der Nutzung von IKT durch Lehrende liegt Österreich 2011/2012 sogar an drittletzter Stelle EU-weit, nur Luxemburg und Polen weisen in der 8. Schulstufe (durchschnittliches Alter = 13,5 Jahre) eine noch geringere Nutzung auf. Nur 22 Prozent der befragten SchülerInnen in Österreich gaben bei der Befragung an, dass ihre Lehrpersonen IKT in mehr als 25 Prozent der Schulstunden nutzen. Der EU-Durchschnitt liegt bei 32 Prozent der SchülerInnen, die diese Nutzungsfrequenz der Lehrpersonen angeben.

Dieser relativ niedrige Nutzungsgrad ist allerdings nicht der mangelnden Ausstattung mit Geräten geschuldet. Bei der Verfügbarkeit von digitalen Medien im Unterricht der 8. Schulstufe nimmt Österreich im Spektrum der 27 EU-Länder mit 84 Prozent den guten 5. Rangplatz ein. Wir müssen also – trotz einer guten technischen Ausstattung – mangelnden Einsatz digitaler Medien im Unterricht konstatieren. Woran kann das liegen?

Eine mögliche Ursache für diesen Sachverhalt könnte eine mangelhafte fachdidaktische Medienkompetenz der Lehrenden sein. Darauf weist eine deutliche Diskrepanz im praktischen Umgang mit diesen Technologien hin: Obwohl über 90 Prozent – und damit fast alle Lehrkräfte – das Internet und digitale Medien zur eigenen Unterrichtsvorbereitung nutzen, ist der Prozentsatz ihrer Verwendung im Unterricht deutlich geringer (Ebel: 2013). Für das eigene persönliche Wissensmanagement werden diese Technologien also breit genutzt, sie werden aber weit weniger als fachdidaktische Werkzeuge für den Unterricht eingesetzt.

In diesem diskrepanten Verhalten zeigen sich unterschiedliche Dimensionen der von uns eingangs beschriebenen Medienkompetenz: Während in dem einen Bereich (persönliches Wissensmanagement) die professionelle Nutzung als technisches Instrument im Vordergrund steht, geht es beim Unterricht um einen didaktisch sinnvollen Einsatz, der sich nicht automatisch alleine durch die bloße Verwendung dieser Werkzeuge ergibt. Für eine medienpädagogisch relevante Anwendung ist eine didaktische Gestaltung der Unterrichtsszenarien notwendig. Der bloße Einsatz von Tablets oder Notebooks führt noch nicht dazu, dass der Unterricht auch einen didaktischen Mehrwert erfährt. Dazu müssen die interaktiven Funktionen digitaler Medien tatsächlich genutzt werden. Digitale Medien tragen somit bloß einen Aufforderungscharakter in sich, der traditionelle Lehrformen infrage stellt. Sie bewirken jedoch nicht automatisch Veränderungen, unterstützen solche aber (Eickelmann: 2010, S. 68).

Bezogen auf unsere Darstellung der verschiedenen Dimensionen der Medienkompetenz können wir daher sagen: Während die Dimensionen Medien-Nutzung unterstützt von Medien-Kunde und Medien-Kommunikation bei den Lehrenden angekommen sind, gibt es im Bereich der Medien-Didaktik und Medien-Gestaltung große Lücken. Oder schärfer formuliert: Die Nutzungskompetenz ist hoch, die pädagogisch-didaktische hingegen niedrig.

Die dargestellten empirischen Befunde zeigen, dass die relativ hohe persönliche Nutzung der IKT bei den Lehrenden nicht mit einer entsprechenden didaktischen Umsetzung im Unterricht einhergeht. Damit wird deutlich, dass es nicht genügt, eine entsprechende technische Infrastruktur zu entwickeln und die operative Nutzung der Technologien zu forcieren. Wenn nicht pädagogisch-(fach)didaktische Kompetenzen hinzukommen und mit diesen neuen Werkzeugen beziehungsweise Möglichkeiten verknüpft werden, dann bleiben positive Effekte für das Bildungssystem aus.

Die Daten zum Zusammenhang von Medienkompetenz und Alter können in zweierlei Hinsicht dargestellt werden; je nachdem, ob das Glas halb voll oder halb leer gesehen wird. Positiv ausgedrückt: Ältere Lehrpersonen schneiden mit ihren digitalen Kompetenzen gegenüber jüngeren Lehrkräften nicht schlechter ab. Negativ ausgedrückt: Junge Nachwuchslehrende weisen nicht automatisch eine höhere digitale Kompetenz auf als ihre älteren Berufskolleginnen und Berufskollegen.

Damit zeigt sich auch, dass ein Systemwandel nicht von selbst passiert und nicht bloß eine Generationenfrage ist. Wer glaubt, dass für einen digital kompetenten Unterricht nur etwas zugewartet werden muss, bis die ältere Lehrgeneration in Pension gegangen ist, ist im Irrtum. Ein kompetenterer Umgang mit digitalen Technologien führt nicht automatisch zu einer höheren Qualität des Unterrichts. Dazu braucht es gezielte Maßnahmen in Aus- und Weiterbildung, wo nicht nur die alltägliche Nutzung der Geräte vermittelt wird, sondern in besonderem Maß auf die pädagogisch-didaktischen Potenziale eingegangen wird.

2.1.1. Aus- und Weiterbildung digitaler Medienkompetenzen

Mit dem Beginn der Umsetzung der PädagogInnenbildung NEU ist die Ausbildung der Lehrenden im Umbruch. Aufgrund der Datenlage wird im Folgenden insbesondere auf die Situation an den Pädagogischen Hochschulen eingegangen. An den österreichischen Pädagogischen Hochschulen ist zurzeit die Ausbildung der Pflichtschullehrenden eingerichtet. Einige Pädagogische Hochschulen verwenden international gebräuchliche Programme zur Förderung der Kompetenzen in der Nutzung digitaler Medien im Unterricht. Andere Pädagogische Hochschulen versuchen, Medienkompetenz durch curricular verankerte Seminare zu vermitteln.

Eine Analyse diverser Curricula sowohl vor als auch zur PädagogInnenbildung NEU zeigt jedoch, dass die Empfehlungen der E-Learning-Strategiegruppe der Pädagogischen Hochschulen Österreichs (Bachinger et al.: 2013) nicht eingehalten wurden: Das betrifft sowohl den Umfang (8 bis 12 ECTS-Punkte) als auch die Forderung nach integrativer Verankerung in der Schulpraxis. Lediglich die Universität für Angewandte Kunst fordert von Studienbeginn an den Umgang mit IKT/Informatikinhalten auf jeder Stufe der Ausbildung ein (Futschek, Bieber, Lemmel-Seedorf & Jernej: 2014, S. 54, S. 68).

Ob daher die Inhalte der neuen Curricula den von uns zu Beginn des Artikels zusammengestellten Anforderungen entsprechen, ist schwer zu beurteilen. Einerseits variieren die eigens für Medienkompetenz ausgewiesenen Zeitgefäße (gemessen in ECTS-Punkten) sehr stark. Andererseits dürfen aber alleine aus den Lehrveranstaltungstiteln und den zugehörigen ECTS-Punkten von ausgewiesenen Fächern keine direkten Rückschlüsse gezogen werden, weil Medienkompetenz auch als ein Querschnittsgebiet gesehen werden muss, welches vielerorts zusätzlich berücksichtigt sein kann.

Auch wenn die Situation nicht einheitlich zu beurteilen ist und gerade beim neuen österreichischen Ausbildungskonzept für LehrerInnen, kurz PädagogInnenbildung NEU, noch viel in Bewegung ist, lässt sich doch zusammenfassend festhalten: Ob und in welcher Intensität sich angehende Lehrerinnen und Lehrer zurzeit mit neuen Technologien und deren effektivem und reflektiertem Einsatz im Unterricht auseinandersetzen, ist auf die Leidenschaft und das Durchsetzungsvermögen einzelner Lehrgangs- und LehrveranstaltungsleiterInnen an den jeweiligen regionalen Standorten zurückzuführen. Es gibt derzeit kein systematisches und flächendeckendes Aus- und Weiterbildungsangebot im Bereich der digitalen Medienkompetenz für Lehrkräfte.

2.2. Sozial verantwortlicher Umgang (Medienethik und -erziehung)

Seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) trat 2012 der Grundsatzerlass Medienerziehung in Kraft (BMUKK: 2012). Dieser Erlass ist für unsere Argumentation in diesem Beitrag von großer Bedeutung, weil er umfassende Medienerziehung vorsieht und eine kritisch reflektierende Begegnung und Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation einfordert. Damit ist auch der sozial verantwortliche Umgang mit digitalen Medien eingeschlossen.

Von den neun angeführten Dimensionen der Medienkompetenz haben wir zu den Bereichen Medien-Ethik und Medien-Erziehung bisher wenig gesagt. Die Medien-Ethik, d. h. der eigene sozial verantwortliche Umgang mit Medien, und die Medien-Erziehung, d. h. die Vermittlung eines sozial verantwortlichen Umgangs mit Medien, ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen wichtig, die ein günstiges Sozialverhalten erst erlernen müssen. Mögliche negative Konsequenzen eines unsozialen, z. B. aggressiven Verhaltens sind beispielsweise auch geringere Lernleistungen bei Schülerinnen und Schülern (Kowalski, Giumetti, Schroeder & Lattanner:  2014; Strohmeier, Gradinger, Schabmann & Spiel: 2012).

Aus diesem Grund wollen wir zwei Aspekte exemplarisch beleuchten, die relevant für Medien- Ethik und Medien-Erziehung sind und die hohe Relevanz für das österreichische Schulsystem haben. Zuerst wird das Phänomen Cybermobbing – negatives Sozialverhalten vermittelt über neue Medien – beschrieben, und danach werden neurowissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt, die mit der Nutzung neuer Medien zusammenhängen (z. B. digitale Demenz, Computer- und Internetsucht, Multitasking).

2.2.1. Risiko Cybermobbing: Definition, Datenlage und Maßnahmen

In Österreich gibt es eine relativ gute Datenlage zu Prävalenzraten von Cybermobbing unter Schülerinnen und Schülern. Generell lässt sich sagen, dass die Raten für Cyberviktimisierung in jenen Ländern höher sind, in denen auch die traditionellen Viktimisierungsraten hoch sind. Daraus lässt sich folgern, dass Cybermobbing als generelles Mobbingproblem in einem Land eingestuft werden muss, und weniger als eine bloße Konsequenz der Internet- und Mobiltelefonnutzung interpretiert werden darf.

Österreich liegt in einer Studie, die vom Europäischen Safer Internet Programm finanziert und 2010 durchgeführt wurde, hinsichtlich der (Cyber-)opfer-Raten über dem europäischen Durchschnitt (Livingstone, Haddon, Görzig & Ólafsson: 2011), und zwar im oberen Drittel aller befragten Länder: 28 Prozent der Kinder wurden im Zeitraum von 12 Monaten zumindest manchmal gemobbt (online und traditionell), 7 Prozent werden nur online gemobbt. Diese hohen Raten sind nicht überraschend, da Österreich auch in anderen ländervergleichenden Studien durch sehr hohen Mobbingraten aufgefallen ist (Craig & Harel: 2004; Currie et al.: 2012).

Eine Metaanalyse zeigt, welche Probleme Cyberopfer und CybertäterInnen haben (Kowalski, Giumetti, Schroeder & Lattanner: 2014). In der Studie werden Zusammenhänge von Cybermobbing, beziehungsweise Cyberviktimisierung mit verschiedenen Risiko- und Schutzfaktoren sowie möglichen Konsequenzen dargestellt. Kinder und Jugendliche, die vermehrt Erfahrungen als Cyberopfer machen, weisen höhere Werte in Depression, Angst, Einsamkeit, emotionalen Problemen, Stress und suizidalen Gedanken auf. Des Weiteren haben Jugendliche mit Cybermobbingerfahrungen einen niedrigeren Selbstwert und eine niedrigere Lebenszufriedenheit. Zudem haben Cyberopfer auch eher körperliche Symptome, zeigen Verhaltensprobleme und neigen eher zu Drogen- und Alkoholkonsum. Aber auch Kinder und Jugendliche, die vermehrt als Cybertäter/Innen agieren, weisen entsprechend höhere Werte in Depression, Angst, Einsamkeit und Drogenkonsum auf und haben – wie die Opfer – einen niedrigeren Selbstwert und weisen geringere Lebenszufriedenheit und Schulleistung auf. Die Forschung zu Cybermobbing postuliert eine multifaktorielle Verursachung: Das Risiko steigt mit entsprechend negativen Entwicklungskontexten in Familie, Schule, Gemeinde, aber auch bei Gleichaltrigen (Gradinger, Yanagida & Strohmeier: 2014).

Um gegen Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen vorzugehen, ist es notwendig, in einem ersten Schritt präventiv zu arbeiten (Primärprävention), um Anlassfälle zu verhindern und die damit verbundene Sekundär- und Tertiärprävention zu verringern. Generell können zwei Strategien für Schulen unterschieden werden: einerseits der Einsatz genereller Anti-Mobbing-Programme wie z. B. „WiSK“ (Strohmeier & Spiel: 2016)2 und „KiVa“ (Salmivalli & Poskiparta, 2012)3, andererseits der Einsatz spezifischer primärpräventiver Anti-Cybermobbing-Programme wie z. B. „Medienhelden“ (Schultze-Krumbholz, Zagorscak, Scheithauer & Siebenbrock, 2012) und „Surf-Fair“ (Pieschl & Porsch, 2012).

Eine aktuelle Metaanalyse zur Wirksamkeit von primärpräventiven Anti-Mobbing-Programmen hat gezeigt, dass solche Maßnahmen generell wirkungsvoll sind. Die Täterraten sind um 20 bis 23 Prozent und die Opferraten um 17 bis 20 Prozent zurückgegangen (Fox, Farrington & Ttofi, 2012; Ttofi & Farrington, 2011). Ähnliche Ergebnisse weisen auch österreichische Evaluationsstudien auf, die im Rahmen der nationalen Strategie „Gemeinsam gegen Gewalt“ (Spiel & Strohmeier, 2011) durchgeführt wurden (Gradinger, Yanagida & Strohmeier, 2014; Gradinger, Yanagida, Strohmeier & Spiel, 2014).

Internationale Forschungsnetzwerke weisen darauf hin, dass ein ganzheitlicher Ansatz notwendig ist: Es ist Aufgabe einer entsprechenden Medienerziehung, dass sowohl Kinder und Jugendliche, aber auch Lehrpersonen, Schulen, Eltern und die (Bildungs-)Politik in die entsprechenden Präventionsmaßnahmen einbezogen werden (EU Kids Online: 2014; Välimäki et al.: 2012). Inzwischen gibt es einige Länder, denen Gewaltprävention (darunter auch Mobbing mittels neuer Medien) ein nationales strategisches Anliegen ist. Österreich hatte mit der Nationalen Strategie zur Gewaltprävention (Spiel & Strohmeier: 2011) primär eine Vorreiterrolle inne. Diese nationale Strategie wurde jedoch seit 2014 kontinuierlich zurückgefahren, obwohl Österreich in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig unter den Top- Ten-Ländern mit den höchsten Mobbingraten unter Jugendlichen zu finden ist.

Laut einer europaweiten internationalen Vergleichsstudie zum Verhalten von Jugendlichen im Internet wäre es wünschenswert, folgende politische Maßnahmen auf nationaler Ebene zu setzen (EU Kids Online: 2014):

  • die Koordinierung aller Stakeholder und die Sicherstellung einer umfassenden Beteiligungsrate aller Stakeholder, um ein sichereres Internet zu erreichen;
  • die Beurteilung und Anpassung der notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen;
  • die Unterstützung von Sicherheitsmaßnahmen in traditionellen und Onlinemedien;
  • digitale Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger, wie auch die Unterstützung benachteiligter Eltern und Haushalte;
  • die Förderung sicherer und positiver Internetinhalte durch Radio, Internet und Fernsehen.

Während in Österreich die gesetzlichen Bestimmungen zur Bestrafung von Cybermobbing inzwischen recht gut ausgebaut sind – beispielsweise gibt es seit   1. Jänner  2016 eine strafrechtliche Bestimmung gegen fortgesetzte Belästigungen im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems (§ 107c Strafgesetzbuch) – so mangelt es leider an strategischen Unterstützungen, Kompetenzförderungen und Präventionsmaßnahmen, bevor eine Cybermobbing-( Straf-)Tat überhaupt eintritt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig wäre, dass die österreichische Gewaltpräventionsstrategie für Kindergärten und Schulen wieder reaktiviert wird. Die Strategie beinhaltete bereits zentrale Elemente der internationalen Empfehlungen, wie beispielsweise die Inklusion aller Stakeholder, die Nutzung evidenzbasierter Präventionsmaßnahmen sowie die Aus- und Weiterbildung der Stakeholder. In internationalen Forschungsnetzwerken ist man sich einig, dass auch Probleme mit neuen Medien am besten gesamtgesellschaftlich beantwortet werden sollten, indem alle relevanten Interessengruppen (Stakeholder) an Lösungsansätzen beteiligt werden, d. h. dass sowohl Kindern und Jugendlichen, aber auch Lehrpersonen, Schulen, Eltern und externen Fachleuten in dieser bildungspolitischen Frage eine wichtige Rolle zukommt (EU Kids Online: 2014; Välimäki et al.: 2012). Da die meisten Kinder vor allem auch auf traditionellem Weg Gewalt ausüben beziehungsweise mobben, sind Maßnahmen gegen Cybermobbing allein, d. h. ohne systematische Förderung positiver sozialer Kompetenzen, jedoch zu kurz gedacht. Es ist daher wichtig, dass medienethische Kompetenzen im Umgang mit neuen Medien neben generellen sozialen Kompetenzen systematisch in die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und externen Expertinnen und Experten wie beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern integriert werden.

2.2.2. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur digitalen Mediennutzung

Im Zuge der Überlegungen einer mediendidaktischen Ausbildung von Lehrkräften sind neurowissenscha