Rede zum Radiopreis der Erwachsenenbildung
24. Jänner 2018, RadioKulturhaus Wien

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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor kurzem führte ich mit einer sehr lieben Freundin ein langes Gespräch. Auch sie ist eine Schreibende, wir treffen uns von Zeit zu Zeit und gehen zwischen den Feldern unserer Heimatorte spazieren. An einem wirklich kalten Tag wanderten wir ein Stück, die Gesichter aufgrund der Kälte legal in dicke Schals gewickelt, über die Hauben noch die Kapuzen der Mäntel gezogen. So dass wir ständig nachfragen mussten, was die andere gerade gesagt hatte – denn wir wollten das auch wirklich hören, die Meinung der Kollegin zum Umgang mit Lektorat, Kritik, mit Schreibplänen, deren schwieriger Einhaltung und mit den verschiedenen Wegen, auf denen sich ein Text dem Autor, der Autorin nähert oder umgekehrt: Die Art der eigenen Annäherung an einen neuen „Stoff“.

Als diese Freundin davon berichtete, wie sie es erlebt, wenn sich die Idee zu einer Erzählung oder einem Roman bildet, leuchteten ihre Augen zwischen Haube und Schal, strahlte die Frau – und ich wusste, was sie meint.

Eine Idee bildet sich, man vertieft sich in die Materie, und am Ende eines bestimmten Prozesses ist aus der eigenen Begeisterung etwas entstanden, das, auf eine gewisse Art und Weise, allen gehört. Aus Energie (wenn man Neugier als eine solche bezeichnet) bildet sich Greifbares, ein Buch, etwas Hörbares, ein Radiofeature.

Eine Bildung, die zu Bildung führt.

Um dieses manchmal geheimnisvolle Geschehen zu feiern und auszuzeichnen, sind wir heute hier, und ich darf Sie mit einigen Sätzen begrüßen.

Die Sprache, meine Damen und Herren, ist ein feines Instrument. Wie Schreibende müssen sich auch jene, die sich dem Medium Radio verschrieben haben, auf das Wort verlassen. Das Skript steht – gleich nach der ursprünglichen Idee – am Anfang jedes Features, jeder Produktion. Im Zuge derer dieses Wort, ich möchte sagen, „verbildhaftet“ wird, mit Tönen und Geräuschen, mit Musik, durch die Modulation der Sprache, durch die Auswahl der Stimmen, durch Tempo und Pausen, in denen Hörerinnen und Hörern Zeit gegeben wird, das Gehörte aufzunehmen, es wirken zu lassen.

Radiomachen, so stelle ich mir das vor, ist noch mehr als das Schreiben von Büchern eine Bewegung von innen nach außen. Sehen wir uns diese Bewegung genauer an, dann geht der erste Impuls, die Idee – von außen nach innen. Ich antworte gern auf die Frage nach dem Woher, das Thema sei mir zugefallen. Über den Zufall lässt sich wunderbar philosophieren. Da ist eine Neugier, das eigene Interesse, man beginnt mit der Recherche für sich.

Dann, im Lauf der Arbeit, ändert sich diese Richtung, und zwar spätestens bei Ausstrahlung der Sendung eindeutig wieder nach außen. Das Thema, die am Anfang stehende Fragestellung, spiegelt sich im Redakteur oder der Redakteurin und wirft sich, angereichert mit dem, was das individuelle Forschen und Können hinzugefügt hat, hinaus in die Welt. Dort setzt sich die Bewegung fort.

Wie stark das wirken kann, habe ich am Beispiel eines im Dezember ausgestrahlten Beitrages erlebt, in dem unter anderem das Gewicht eines Hammers angesprochen wurde, und wie es sich verändert, zerlegt man das Werkzeug in seine atomaren Einzelteile. Also in Elektronen, Neutronen, Protonen – und diese dann wieder in die Elementarteilchen, zu denen auch die Quarks zählen. Diese Idee des veränderten Gewichtes und der dabei eine Rolle spielenden Bindungsenergie fand ich derart faszinierend, dass ich befreundete Physiker darauf ansprach.

Einen davon beim gemeinsamen Sporteln. Mit dem Effekt, dass wir, anstatt zu trainieren, im Sportgewand zusammensaßen und er mich in die Welt der Quantenchromodynamik entführte. Zumindest ansatzweise, mit Skizzen und geduldigen Erklärungen. Nicht alles davon konnte ich tatsächlich begreifen. Aber eine Ahnung hat sich gebildet, ein Wissen um die Existenz von Annahmen und Theorien, von Quarks, die „up“, „down“, „strange“, „charm“, „top“ und „bottom“ heißen, und dass sich reine Energie in Masse verwandeln kann, für den Bruchteil eines Moments, um dann – wie ein Spuk –wieder zu verschwinden.

Der 1991 verstorbene Schriftsteller Isaac B. Singer schrieb in seinem Buch „Die Gefilde des Himmels“, dass der jüdischen Kabbala zufolge „stufenweise, im Verlauf von Emanationen, aus Verborgenheit und Offenbarung, aus dem umhüllenden Licht und Schatten der Geist zur Materie“ wird. „Die Welt der Taten, unsere Erde“, ist demnach, schreibt Singer, „die niedrigste aller Welten. […] Hier unten […] wurde das Licht in Stein, Knochen, Berge und Täler verwandelt.“

Die Schönheit von Mathematik und Physik hat sich mir spät erschlossen. Jene der Literatur sehr früh. „Die Gefilde des Himmels“ – das Buch, in dem Licht zu Materie wird – habe ich erstmals in meinen frühen Zwanzigern gelesen und mich daran erinnert, als mir im Dezember im Trainingsraum die Welt der Quarks eröffnet wurde – angeregt durch eine Radiosendung.

Bildung ist eine Reise durch Zeit und Raum, sie ist die Möglichkeit, eigene Verbindungen zu knüpfen, sie ist ein Angebot der Auseinandersetzung und des Begreifens, der genauen Betrachtung.

Was Sie machen, wofür Sie hier geehrt werden, ist, davon bin ich überzeugt, ein großer Teil dessen, was Menschen befähigt, sich über Grenzen hinauszuwagen. Zuallererst über jene, die der Vorstellung gesetzt werden, und das ist doch die Voraussetzung jeder Entwicklung, sei sie individuell oder letztlich uns alle betreffend.

Empfinden Sie so wie ich, dass angesichts der Freiheit der kindlichen Phantasie die Enge des erwachsenen Denkens beängstigend ist? Wann passiert diese Wandlung? Und warum? Wenn ich hier einen Wunsch aussprechen darf: Ich wünsche mir eine kluge, rücksichtsvolle Bildungspolitik, die das Potenzial dieser frühen inneren Freiheit erkennt und fördert. Nicht im Gegenteil es opfert im Hin und Her machtpolitischer Auseinandersetzung.

Im Trainingsraum, neben dem Zettel für Zettel mit Formeln und Symbolen vollkritzelnden Physiker, erinnerte ich mich nicht nur an die „Gefilde des Himmels“. Ich tippte mit dem Finger an die frisch gekalkte Wand und erzählte, dass ich als Kind davon überzeugt war: Da jedes Ding, jeder Mensch aus Atomen besteht, müsste meine Fingerspitze mit der Wand verschmelzen, wenn ich mich nurgenug konzentrieren würde. Atom für Atom.

Nun, bisher ist es mir nicht gelungen.

Ich denke, ein wesentlicher Auftrag der Erwachsenenbildung ist nicht, Menschen für die Wirtschaft zu optimieren oder vorgebliche Mängel zu beheben, um sie wieder zu „funktionierenden Mitgliedern“ der Gesellschaft zu machen, sondern die Engstellen im Vorstellungsvermögen aufzudehnen. Nicht umsonst spricht man von der Vorstellungskraft, die doch, ich hoffe, Sie stimmen mir zu, einen wesentlichen Teil des Verstandes ausmacht. Und die unabdingbar ist zum Beispiel für die Rezeption von Radiobeiträgen und Literatur. Es ist somit eine Kraft, die wir schon aus Eigennutz hochleben lassen sollten.

Bildung hat wenig mit Pflicht zu tun. Sowenig, wie Kunst und Kultur „klare Leitbilder“ brauchen – oder gar eine Qualitätskontrolle. „Klarheit“, das ist schwarz oder weiß. Aus den Schattierungen, dem Dazwischen, kommt die Vielfalt, über die man diskutieren soll und darf und muss.

Bildung bildet Gemeinschaft und ist somit eine Bindungsenergie, auch wenn ich dieses Wort wahrscheinlich nicht im Sinn des Physikers verwende.

Hier im Saal sind viele kreative Menschen. Sie helfen mit ihrer Arbeit dabei, Zusammenhänge zu erläutern, Komplexes zu entschlüsseln, durch eine Verständlichmachung das Verstehen zu fördern. Und folgen dabei der eigenen Neugier, dem Wunsch, etwas zu begreifen, und nicht blind irgendwelchen vorgegebenen Erklärungen (und seien es Regierungserklärungen). Sie hinterfragen Theorien, decken auf, was hinter Absichten steckt, entführen in alle nur denkbaren Materien und Zeiten, von alter Geschichte bis in den hyperrealen Raum der Zukunft.

Sie, meine Damen und Herren, verwenden die Sprache in Kombination mit dem Medium Radio als das feine Instrument, das sie ist. Gerade in Zeiten, in denen das gesprochene wie das geschriebene Wort mehr und mehr verkommt, ist ihre Arbeit, ist der darin wieder und wieder demonstrierte großartige Umgang mit den Mitteln der Sprache wichtig.

Sie schaffen einen Anklang, der sich fortsetzt über den Äther. Der, auch das habe ich gelernt, in der griechischen Mythologie den „oberen Himmel“ darstellt. Den Sitz den Lichts.

Ich danke Ihnen. //

Foto: Michaela Obermair. Alle Rechte vorbehalten

Peschka, Karin (2017): Rede zum Radiopreis der Erwachsenenbildung. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2017/18, Heft 263/68. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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