Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten.

Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten.
Berlin, Suhrkamp Verlag, 2024, 422 Seiten.

Die Arbeitswelt trägt Mitschuld an der ökologischen Krise. Arbeit ist gesellschaftlicher Stoffwechsel mit der Natur. Auch umweltschädliche Auswirkungen der Arbeit produzieren „Natur“. Da sich Produktionspolitik und Umweltpolitik nicht trennen lassen, sollte von „Stoffwechselpolitik“ gesprochen werden. Denn die Regulation der Arbeit und der Natur sind untrennbar miteinander verbunden.

Das sind einige der Leitgedanken von Simon Schaupp, Sozialwissenschaftler an der Universität Basel. „Stoffwechselpolitik“ findet aufgrund politischer Regulation vor allem in Arbeitsprozessen statt. Die Natur soll dabei „nutzbar“ gemacht werden, erklärt der Autor. Wir haben die Natur mittlerweile in eine Ansammlung von „Ökosystemdienstleistungen“ verwandelt (z. B. Boden in Äcker; Wind, Kohle und Wasser in Energielieferanten). Doch die nutzbar gemachte Natur wirkt auf die Menschen besonders in der Arbeitswelt zurück. Das belegen die fossilen Energieträger. 

Ist Arbeit „destruktiv“ organisiert? Welcher „transformative ökologische Eigensinn“ könnte dies überwinden? So lauten Fragestellungen Simon Schaupps, der seine Publikation eine „historisch-geografische Soziologie der Arbeit“ nennt. Dies ermöglicht eine differenzierte Sichtweise auf die unterschiedliche Betroffenheit „der Menschheit“ sowie auf deren unterschiedliche Verantwortung für den Zustand unseres Planeten. Mit dem Gedanken, Arbeit als wesentlichen Ort des gesellschaftlichen Stoffwechsels zu betrachten, mahnt Simon Schaupp bei den Arbeitenden ihre individuelle und solidarische Verantwortung ein.

Um die zeitlich und räumlich verteilten Ursachen der ökologischen Krise analysieren zu können, nimmt Schaupp eine „politische Perspektive auf den gesellschaftlichen Stoffwechsel“ ein. Ursache und Wirkung erweisen sich zeitlich und regional weit auseinanderliegend. Dafür geben früh industrialisierte Staaten wie Deutschland, Großbritannien und die USA Beispiele. Einsichten ergeben sich dabei auch für koloniale und postkoloniale Dimensionen. 

Gegenstand von Schaupps Studie ist die „ökologische Arbeit“; die Prozesse, die der Natur ihre Form geben. Dies betrifft in erster Linie die industrielle Arbeit, weil sie, wie keine andere Aktivität, die Natur in besonderer Weise transformiert hat. Spezielles Augenmerk legt der Autor auch auf die reproduktiven Tätigkeiten (Gesundheitswesen, Erziehung, Bildung), die die „Nutzbarmachung der menschlichen Körper“ bewirken. In der Abspaltung der reproduktiven von den produktiven Tätigkeiten sieht Simon Schaupp eine bedeutsame Ursache für die ökologische Krise.

Sein Menschenbild zeichnet Schaupp in Anlehnung an das dialektische Denken von Karl Marx (1818 – 1883). Er versteht Gesellschaft und Natur als Ko-Konstruktion – sie bestehen aus denselben Stoffen, werden aber in ihrer Wechselwirkung zu getrennten Einheiten, die sich nicht ineinander auflösen. Menschen machen sich Natur nutzbar, vor allem wenn sie diese wörtlich als solche apostrophieren: „Natur“völker (Kolonialisierung), „Natur“ der Frauen (Haushalt, Pflege, Patriarchat). 

Im Verlauf des Buches erörtert der Autor an konkreten Beispielen (Kohle, Fleischfabrik, Auto), wie sich die industrielle Arbeit und die „Stoffwechselpolitik“ durchgesetzt haben. Mit der Ölkrise um 1973 gehen eine Deindustrialisierung – begleitet u. a. von Arbeitslosigkeit und Krankheiten – sowie, verkürzt gesagt, eine Intensivierung der Arbeit (Stichwort Neoliberalismus) einher. Demzufolge erfährt Care-Arbeit, der reproduktive Sektor, Zuwachs.

Beschrieben und diskutiert, als Steuerungskräfte und -verhältnisse, werden auch die Rolle der Wissenschaft und die Finanzialisierung der „Stoffwechselpolitik“.

Das abschließende Kapitel präsentiert „Politiken der Nutzlosigkeit“. Arbeit und Natur haben eine „inhärente Autonomie“, einen „ökologischen Eigensinn“. Gegen die Angst von Nutzlosigkeit, die moderne Subjekte verinnerlicht haben, ist eine Kooperation von sozialen und ökonomischen Formierungen (Gewerkschaft und Umweltinitiativen) sowie die emotionale Lösung von fossiler Energie notwendig. Das Ende expansiver Nutzbarmachung soll nicht als Sparmaßnahme, sondern als Gewinn an Lebensqualität gesehen werden. Simon Schaupp plädiert für „eine lustvolle Politik der Nutzlosigkeit“.

Danach kommt allerdings kein Paradies, kein Leben im Überfluss und Müßiggang. Es könne eine lustvolle neue Beziehungsweise entstehen, „die das menschliche und nichtmenschliche Andere nicht mehr als Mittel sich verselbstständigender Zwecke sieht“ (S. 364). 

Differenziert und nachvollziehbar argumentierend macht der Autor auf die Autonomie von Arbeitskräften aufmerksam, die täglich den Sinn ihrer Arbeit beurteilen sollten. 

Die Diskussion dieser Thematik im Rahmen Politischer Bildung und in der gewerkschaftlichen Fortbildung kann einen Beitrag leisten, diese Autonomie zu stärken und für ökologisch hilfreiche sowie sozial gerechte Transformationen zu nutzen. //

Lenz, Werner (2024): Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2024, Heft 283/75. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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