Carl Bernhard Brühl. Arzt, Zootom, Volksbildner, Feminist.

Carl Bernhard Brühl. Arzt, Zootom, Volksbildner, Feminist.
Innsbruck, Wien, Bozen 2019, 586 Seiten.

Bildungsgeschichte soll langweilig sein? Keineswegs. Wer in der vorliegenden Biographie ein wenig blättert und liest, wird sich nur schwer der genaueren Lektüre – einer Fülle interessanter Informationen, bildungspolitischer Zusammenhänge und den bis in die Gegenwart gelegten Spuren des Ringens um wissenschaftliche Vorherrschaft, pardon: Deutungshoheit – entziehen können. Anton Szanya, langjähriger, engagierter Direktor an der Volkshochschule Rudolfsheim-Fünfhaus, profilierter wissenschaftlicher Historiker und renommierter Autor hat den Naturwissenschaftler und Volksbildner Carl Bernhard Brühl (1820 – 1899) in das Zentrum eines umfassenden Zeitbildes österreichischen Bildungsgeschehens gestellt.

Auf der Basis detaillierter Quellenforschung entfaltet Anton Szanya die berufliche Laufbahn sowie das soziale und wissenschaftliche Engagement eines Gelehrten im 19. Jahrhundert. Brühl setzte sich für Anliegen ein, die uns heute weder fremd noch weit entfernt erscheinen: wissenschaftliche Kenntnisse der Öffentlichkeit vermitteln, Lehr- und Lernfreiheit an der Universität sichern und schützen, Anerkennung von Frauen in Bildung und Gesellschaft fördern, Volks- und Weiterbildung als wichtige Aufgabe in den Universitäten verankern …

Das Buch schildert den politischen Hintergrund des Habsburgerreiches, der späteren „Österreichisch-Ungarischen Monarchie“: revolutionäre Bestrebungen, Nationalismus, Tendenzen zu Liberalismus und Demokratisierung, Einfluss der Kirche, Aufstieg des Bildungsbürgertums … Insbesondere beleuchtet der Autor Bestrebungen das Bildungswesen den neuen Erfordernissen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzupassen. Aus diesen Perspektiven ergeben sich Einblicke auf verschiedenen Ebenen:

– politische Herausforderungen an die Großmacht Österreich-Ungarn,

– revolutionäre und restaurative Aktivitäten, wie Individuen und Gruppierungen zu politischem Einfluss kommen wollten und wie Menschen ihr Leben für Aufbruch und Freiheit einsetzten,

– Verbreitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und ihre Popularisierung als politische Aufgabe,

– Streit der Wissenschaftler auf wissenschaftstheoretischer und weltanschaulicher Basis,

– Bedingungen und Interessen, warum und wie sich Vertreter von Wissenschaft mitsamt ihren Institutionen Veränderungen verweigerten und warum und wie sich einzelne Protagonisten den Denkbarrieren widersetzten.

Spannend, wie es Anton Szanya gelingt, diese komplexen Themen in C. B. Brühls Lebensgeschichte zu integrieren. Diese führt durch seine Studienzeit, sein Auftreten in der Revolution im März 1848, schildert seine Lehr- und Wanderjahre, den Antritt seiner Professuren in Krakau, Budapest und Wien sowie sein wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Wirken in Universität und Öffentlichkeit.

Was die Universitäten betrifft sollte nicht übersehen werden, dass die machtvolle Mehrheit ihrer leitenden professoralen Funktionäre in Kooperation mit dem Ministerium bis in die 1980/90er Jahre – also bis vor Kurzem – ihre konservative, oft reaktionäre Gesinnung in der Hochschulpolitik zur Geltung brachte. Die erst ab dann erfolgten und wirksam werdenden strukturellen Reformen mündeten in ein dominierendes neoliberales Verständnis bezüglich der Aufgaben von Wissenschaft. Die Sorge um die materielle Absicherung jüngerer, autonom forschen wollender Wissenschaftler/innen – auch ein Thema dieses Buches und des 19. Jahrhunderts – findet sich heute wieder: in der sehr aktuellen Klage und Diskussion über prekäre, konkurrenzbetonte Arbeitsverhältnisse an den hohen Schulen.

Eine besondere Rolle erfüllte Brühl, dem Szanya Gespür und Geschick für mediale Präsenz attestiert, als Volksbildner. Brühl fungierte als Vermittler von Wissenschaft für die Öffentlichkeit – er hielt fast drei Jahrzehnte lang „unentgeltliche Sonntags-Vorlesungen über den Bau des Menschen und der Thiere für Herren und Frauen“ – und trat vehement mit naturwissenschaftlichen Belegen gegen die Ansicht auf, Frauen seien minderbegabte Wesen. Er argumentierte und plädierte für das Zulassen von Frauen zum Studium. Vorträge für Frauen, „Gesprächsabende“, bot er bis zum Ende seines Wirkens (1896) in Wien an. Seinen Lebensabend verbrachte der streitbare – natürlich auch umstrittene und angefeindete – Professor in Graz.

Für die Geschichte der Erwachsenenbildung, die ja auch eine Geschichte menschlicher Denkwege und ihrer Widersprüche, ihrer sozialen Visionen und Perspektiven ist, hat Anton Szanya ein breites Blickfeld offengelegt. Es erlaubt die Sicht in eine Vergangenheit, deren unterschiedliche Auffassungen über den Sinn menschlicher Existenz und über das Zusammenleben der Menschen sowie über die Menschenbilder, die Wissenschaftler/innen konstruieren, keineswegs allzu ferne erscheinen.

Wie man der Leistung des Autors gerecht werden kann? Sein Buch lesen, es anderen empfehlen und es in allen Bibliotheken mit Bildungsintentionen zur Verfügung stellen. //

Lenz, Werner (2020): Carl Bernhard Brühl. Arzt, Zootom, Volksbildner, Feminist. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2019/20, Heft 269/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Zurück nach oben