Robert Maruschke: Community Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung.

Robert Maruschke: Community Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung.
Münster: edition assemblage 2014, 1. Auflage. 112 Seiten.

Spätestens seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ist auch im deutschsprachigen Raum in bürgerlichen Kreisen eine verstärkte Organisierung entlang konkreter Anlässe festzustellen. Proteste in Form von Bürger/innenplattformen, Nachbarschaftskomitees, o.ä. haben die so genannten „Wutbürger/innen“ zum einem geflügelten Wort gemacht. Hierbei geht es zumeist um die simple Verbesserung der (eigenen) Lebensumstände, ohne den aktuellen Status quo in Frage zu stellen. Der „liberale Glaube an die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus und die Reduktion von strukturellen Herrschaftsformen wie Rassismus oder Sexismus auf isolierte und meist individuelle Probleme“, zeichnen die Formen bürgerlichen Engagements aus.

Robert Maruschke, selbst lange im Community Organizing tätig, trifft deshalb am Beginn seiner kritischen Einführung in die Thematik eine wichtige Unterscheidung: während sich (neo)liberale Ansätze herrschaftsfreundlich und -sichernd geben, zeichnen sich transformative bzw. revolutionäre Ansätze durch ihren Anspruch, Herrschaftsverhältnisse überwinden zu wollen, aus.

Auf Letztere legt Maruschke sein Hauptaugenmerk, da nur sie dazu beitragen können, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen.

Er nennt vier Eckpunkte transformativen Community Organizings: 1. eine kritische Analyse der und 2. eine grundsätzliche Opposition gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, 3. eine explizit politische Basisarbeit und konfrontative Politikformen sowie 4. die Etablierung einer organisationsübergreifenden, grenzenlosen und praktischen Solidarität.

Nach einer Einleitung findet sich im Buch ein Interview mit dem US-amerikanischen Organizer Thomas Mann, der über seine Erfahrungen spricht und erläutert, warum transformatives Community Organizing so wichtig ist. Auch wenn einige Passagen seiner Aussagen durchaus spannend anmuten und zur Zustimmung verleiten, wird relativ schnell klar, dass die Kombination aus stalinistischer bzw. maoistischer Weltsicht und Reformismus (Stichwort: man musste als Linke/r in den USA der Demokratischen Partei eine Chance geben, denn „Obama repräsentiert zwar die Interessen des Imperialismus, aber die Partei ist nicht die Partei des Imperialismus“) skurrile Blüten treibt. Eine Kritik daran seitens des Autors bleibt aus.

Aufschlussreich ist der Blick Maruschkes auf die Geschichte des Community Organizing. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind dessen Anfänge zu finden und bereits damals lassen sich die unterschiedlichen Konzepte in herrschaftsfreundlich einerseits und revolutionär andererseits unterscheiden.

In den USA war eine Person über viele Jahre hinweg untrennbar mit dem Community Organizing und seiner Konzeption verbunden: Saul Alinsky. Maruschke wirft ihm fundiert und angriffig unter anderem eine vermeintliche Anti-Ideologie, vereinfachte Analysen sozialer Verwerfungen sowie die Finanzierung seiner Projekte durch Unternehmen, Stiftungen oder Kirchen vor. Zudem mache Alinsky, wie alle (neo)liberalen Konzepte des Community Organizing, den Fehler, nur gewinnbare Kämpfe zu bestreiten und dadurch grundlegende Veränderungen zu verhindern.

Dabei es ist für eine emanzipatorische Vision der Gesellschaft wesentlich, dass diese auch von unten entwickelt wird, „auch wenn das die regelmäßige Erfahrung des Scheiterns mit sich bringt“.

Eine wichtige Bedingung für transformatives Community Organizing ist zudem die Einsicht, dass Unterdrückung und Herrschaft als strukturelles Problem wahrgenommen werden. Kapitalistische, rassistische & sexistische Herrschaftsformen werden nicht als Zufälle, sondern als zentrale Handlungslogiken unserer Gesellschaft betrachtet.

Politische Basisarbeit muss demnach durch eine Organisierung von unten erfolgen, sprich durch Menschen, die an der „Frontlinie des Neoliberalismus“ stehen. Neben einer wichtigen aktionistischen Komponente ist die inhaltliche, politische Bildung aller an der Organisation Beteiligten wichtig, um über Ursachen der Probleme der Menschen aufzuklären. Durch kollektives, basisdemokratisches Leadership von unten nach oben soll die Beschränkung auf die Rolle der Nebendarstellerin als Herrschaftsinstrument aufgebrochen werden.

Um mit transformativem Community Organizing erfolgreich sein zu können, ist es zudem evident, ein so genanntes „movement building“ zu forcieren. Hierbei geht es darum, aktiv daran zu arbeiten, dass aus vereinzelten Organisationen eine soziale Bewegung wird, die überregional intervenieren und strukturelle Veränderungen herbeiführen kann: „Der ausdrückliche Versuch, umfangreiche gesellschaftliche Veränderungen durch die Kombination kritischer Analyse, politischer Basisarbeit, konfrontativer Politikformen und den aktiven Aufbau sozialer Bewegungen durchzusetzen, unterscheidet transformatives Community Organizing von anderen Ansätzen der Basisorganisation“.

Maruschke liefert mit seinem schlanken Buch nicht nur eine theoretische Einführung in das Themenfeld, sondern bietet auch praktische Handlungsanleitungen an, ohne diese als solche direkt zu benennen. Abgesehen von dem wenig wertvollen Interview mit dem US-amerikanischen Organizer Thomas Mann und Maruschkes explizitem Fokus auf Deutschland, empfiehlt sich die Lektüre für alle, die bereits aktiv organisiert sind oder dies vorhaben. Vor allem der historische Exkurs (Stichwort Arbeitslosenbewegung in den USA um 1930) liefert interessante Einblicke in erfolgreiche Beispiele der Selbstorganisierung und der Selbstermächtigung von Menschen, die mit konsequenten Verbesserungen der Verhältnisse nachhaltige Erfolge verbuchen konnten. //

Klamuth, Stefanie (2014): Robert Maruschke: Community Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung. Münster: edition assemblage 2014, 1. Auflage. 112 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2014, Heft 254/65. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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