Hannes Galter: Die Urania in Graz – 100 Jahre Bildung und Kultur.

Hannes Galter: Die Urania in Graz – 100 Jahre Bildung und Kultur.
Graz – Wien 2019, 419 Seiten

Jubiläen geben Gelegenheit Erinnerungen zu erarbeiten und Zukunft zu entwerfen. Der Anlass für ein Jubiläum und die seither vergangene Geschichte können reflektiert, die weitere Richtung und die künftigen Schritte überlegt werden.

Für die Urania Graz sind seit der Erstgründung hundert Jahre vergangen. Historische Aspekte und hoffnungsvolle Perspektiven liegen in einer aktuellen Publikation vor. Hannes Galter, seit 1996 Direktor dieser Bildungseinrichtung, fungiert als Herausgeber des Bandes. Im Laufe der Jahre versierter Bildungsmanager geworden, hat der Althistoriker und Orientalist mit Experten aus der Erwachsenenbildung eine eindrucksvolle Studie „seiner“ Bildung und Kultur vermittelnden Institution veröffentlicht.

Allerdings fällt auf – in dieser Publikation ist keine Frau an der Erarbeitung von Geschichte und Zukunft beteiligt. Dabei 1919! Ein anderes Jubiläum: 100 Jahre Frauenstudium an die Technische Universität Graz, damals Technische Hochschule! Oder feiern und reflektieren die Frauen der Grazer Urania woanders? Dass es sie gegeben hat und gibt, zeigen zahlreiche Abbildungen des Bandes: als Vortragende, ausstellende Künstlerinnen, als Mitarbeiterinnen, als Studienreisende, im Urania-Chor oder schlicht als „Begleitung“ eines Vortragenden. Sogar unter den 17 Präsidenten in der hundertjährigen Geschichte der Urania hat es von 2003 – 2007 eine Frau gegeben. Ob hierzu ein 20-Jahr-Jubiläum in Vorbereitung ist?

Galter beschreibt in seinem Vorwort Geschichte und Gegenwart als Kontinuum und nennt „ … die Gegenwart als lebendiges Abbild der Geschichte“. Aber gerade die hier vorliegende Geschichte der Erwachsenenbildung verdeutlicht, dass sie immer – wie der Bildungshistoriker und Soziologe der Erwachsenenbildung, Wilhelm Filla, bemerkte – als Geschichte von Personen, ihres Engagements, ihres Einsatzes, ihrer Ideen und Aktivitäten sowie ihres Scheiterns und ihrer Erfolge zu verstehen ist. Die Geschichte hält uns nicht fest, sondern ermöglicht, indem wir sie wahrnehmen, sie fortzusetzen oder neue Wege einzuschlagen.

Bei der erstmaligen Gründung einer Urania, 1888 in Berlin, ist im vorliegenden Buch zu lesen, wurden solche neuen Wege eingeschlagen: orientiert an den forscherischen und volksbildnerischen Leistungen von Alexander von Humboldt (1769-1859), an den Ideen der Aufklärung und an der Absicht, den Menschen ein auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhendes Weltbild zu vermitteln. Letzteres sollte den damaligen technisch-didaktischen Möglichkeiten entsprechend mit Vorträgen, Ausstellungen, Filmen und Theater erfolgen.

„Urania“, der Name stammt von der Muse der Sternenkunde, war ein neues, erfolgreiches Modell, dessen verschiedene Gründungen in unterschiedlichen Städten, jeweils eigenständige, voneinander unabhängige Institutionen hervorbrachten. In ihrer Verbindung mit den Volkshochschulen entsprachen sie einer bürgerlich-liberalen Bildungseinrichtung.

Die Geschichte der Grazer Urania wird bis 1938 zu ihrer Auflösung und Eingliederung in die nationalsozialistische Organisation „Kraft durch Freude“ geschildert. 1947 erfolgte die Neugründung. In diese zweite Epoche fällt bis heute wirksamer kultureller und intellektueller Aufbruch, an dem Mitglieder der Grazer Urania Anteil hatten: Forum Stadtpark, Steirische Akademie, Steirischer Herbst – wegweisende Innovationen entstanden, die mit Aktionen, Attraktionen, mit Büchern und Zeitschriften für Literatur, bildende Kunst, Wissenschaft und Poesie Räume schufen, um zu kommunizieren und um sich selbst zu bilden.

Die manchmal etwas wohlgefällige historische Selbstbetrachtung lässt aber keinen Zweifel an der Bedeutung der Grazer Urania als Konzentrationsort intellektuellen und emotionalen Geschehens. Zudem ist deutlich ist zu erkennen, welche Schwierigkeiten sich ergeben neue Bildungsangebote oder neue Außenstellen zu etablieren. Konsequenzen folgen in den letzten Jahrzehnten aus der mit dem Neoliberalismus einhergehenden Ökonomisierung des Bildungswesens: Förderungen der öffentlichen Hand gehen zurück, Projektarbeit und rentable Bildungsangebote sind notwendig für des finanzielle Überleben der Institution.

Unbestritten bleibt die Notwendigkeit über Sinn und Ziel von Bildung zu beraten sowie die regionale Bedeutung von Bildungseinrichtungen ins Auge zu fassen. Unbestritten auch die Bedeutung von Volkshochschulen, wie der Urania Graz, für soziales Miteinander, für das Achten von Grundfreiheiten und Menschenrechten sowie für die individuelle Entwicklung der Menschen. Hannes Galter formuliert als Ziel (S. 331): „… die Menschen zu einer aktiven und einer erfolgreichen Teilhabe an Gesellschaft und Kultur zu befähigen.“

Bildung, Bildungsinstitutionen, das Bildungswesen haben in den letzten Jahren eine wichtige Integrationsaufgabe zugewiesen und zugesprochen bekommen. Integration, die von der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen politischen Gruppierungen gefordert, gefördert und zugleich ablehnt wird. Die daraus entstehenden Widersprüche geben Anlässe sich zu bilden, weiterzubilden und sich zu äußern.

Die Lektüre ermutigt weder auf Selbstbildung noch auf organisierte Bildung, die die Widersprüche unseres individuellen und sozialen Daseins thematisiert, zu verzichten. //

Lenz, Werner (2019): Hannes Galter: Die Urania in Graz – 100 Jahre Bildung und Kultur. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Frühjahr/Sommer 2019, Heft 267/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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