1. Vorüberlegung
Durch das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung in Europa sinkt gleichzeitig das Erwerbspotenzial. Laut Bevölkerungsprognosen der Statistik Austria und des EUROSTAT wird der Anteil der über 50-Jährigen bis 2030 rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachen.
Um trotz der veränderten Demographie und des raschen technischen Fortschritts den Wohlfahrtsstaat aufrecht zu erhalten, benötigt es geeignete Strategien und Maßnahmen, um gerade jene Generation am Arbeitsmarkt zu halten und darüber hinaus Menschen in der späten Erwerbs- sowie in der nachberuflichen Lebensphase eine aktive Teilnahme am Leben in der Europäischen Union zu ermöglichen. Lebenslanges Lernen und die gezielte Förderung älterer ArbeitnehmerInnen werden als Maßnahmen zur Lösung des Problems gesehen.
Nicht zuletzt ist die Weiterbildung älterer Menschen im Licht neuer Lernforschung sozialpolitisch relevant. Gingen theoretische Modelle bis in die 1980er-Jahre des vorigen Jahrhunderts von einem Abbauprozess intellektueller Leistungsfähigkeit im Alter aus, so zeichnen neuere psycho-gerontologische Forschungsergebnisse ein konträres Bild: In den vertiefenden Analysen zur PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) verweist Franz Kolland von der Universität Wien auf „die Plastizität der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alterungsprozess und die sich daraus ergebenden Entwicklungsspielräume“. Er führt weiter aus, dass „sich das erwachsene Gehirn in einem Zustand permanenter Veränderung“ befindet: „Lernen und Training führen über den gesamten Lebensweg hinweg zu Kompetenzverbesserungen.“ (Statistik Austria: 2014, PIAAC-Studie, 206)
Die Veränderungen der Arbeitsmarktsituation auch mit Blick auf die durch die Covid-19-Pandemie neu angefachte Wirtschaftskrise in Europa bedeuten eine Herausforderung für ganz unterschiedliche Politikfelder. Als Querschnittsthematik betrifft die Weiterbildung älterer Menschen nicht nur die Bildungspolitik, sondern ist hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie der Erhaltung des Wohlfahrtsstaates vor allem sozial-, wirtschafts- und beschäftigungspolitisch relevant. Gerade für die älteren Generationen hat ein gut ausgebauter Sozialstaat eine wesentliche ökonomische und regulative Funktion. Auch die Europäische Union sieht ein stabiles und nachhaltiges Wirtschaftswachstum nur im Rahmen des sozialen Zusammenhalts verwirklichbar. (Europäische Kommission: 2010, KOM(2010) 2020, 12 ff.).
1.1. Demographischer Wandel in der EU
Die Lebenserwartung der Menschen in der Europäischen Union stieg von 1960 auf 2006 um acht Jahre, und es sollen noch fünf weitere bis 2050 hinzukommen. Der stärkste Wandel erfolgt laut Eurostat in diesem und im kommenden Jahrzehnt, wenn die Generation der Baby-Boomer das Pensionsalter erreicht. (Europäische Kommission: 2012, Demographie, 7).
Obwohl auch in anderen Teilen der Welt eine Alterung der Gesellschaft einsetzt, wird zumindest in den nächsten 50 Jahren Europa der einzige Kontinent mit dem höchsten Durchschnittsalter und einem negativen Bevölkerungswachstum darstellen. Diese demografische Revolution kann die derzeitige und zukünftig prognostizierte Nettozuwanderung (die Differenz aus Zu- und Abwanderung) aus Nicht-EU-Ländern abmildern, aber nicht verhindern. (Ebd.).
Mit dem Durchschnittsalter wird sich auch der Altenquotient (das Verhältnis zwischen der Gruppe der 65 plus und jener der 15- bis 64-Jährigen) in den nächsten vier Jahrzehnten verdoppeln. Nach Berechnungen von Eurostat kamen 2008 „auf jede Person ab dem 65. Lebensjahr vier Personen im erwerbsfähigen Alter. 2050 werden es nur noch zwei sein.“ (Ebd.)
In einer alternden Gesellschaft werden auch die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung, die Pflege der älteren Menschen und die der damit verbundenen Dienstleistungen steigen. Da allerdings die Pensionen und das Gesundheitssystem durch Steuern und Sozialabgaben der laufenden Erwerbstätigen finanziert werden und diese immer weniger werden, steigt damit der Belastungsquotient laufend an. (Ebd.). Das schwache Wirtschaftswachstum erschwert die Finanzierung zusätzlich.
Durch die immer schneller fortschreitenden technologischen Entwicklungen und die zunehmende Globalisierung lässt sich somit für Europa und Österreich feststellen, dass die einmal erworbene (Berufs-)Qualifikation nicht mehr für ein gesamtes (Arbeits-)Leben ausreichend sein wird. Verstärkt durch eine immer älter werdende Gesellschaft benötigt es Maßnahmen, um die ArbeitnehmerInnen stetig weiterzubilden und älteren Menschen den Zugang zu neuen digitalen Technologien und Dienstleistungen zu ermöglichen.
2. Die Strategien der Europäischen Union
Das Agenda-Setting begann im Jahr 2000 mit dem Beschluss der Lissabon-Strategie. Nach einer Evaluierung zehn Jahre später wurde das Programm für weitere zehn Jahre unter dem Namen Europa 2020 verlängert. In beiden Programmen enden die wenig vorhandenen Ziele und Vorgaben für die Altersgruppe der 50 plus bei zirka 64 bis 65 Jahren.
2.1. „Europa 2020“ und „Flexicurity“ als beschäftigungspolitische Strategien
Als Nachfolge der Lissabon-Strategie wurde im Juni 2010 die Strategie „Europa 2020“ verabschiedet. Die Begründung für die wiederum auf zehn Jahre ausgelegte Wachstumsstrategie lag einerseits darin, die Krise zu überwinden und gleichzeitig Grundlagen für eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft mit mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.
Im Zentrum der neuen europäischen Strategie stehen drei Schwerpunkte bzw. Prioritäten, die das Wachstum fördern, sich gegenseitig verstärken und den wohlfahrtsstaatlichen Charakter Europas widerspiegeln sollen: intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. (Europäische Kommission: 2010, KOM(2010) 2020, 12).
Um der unterschiedlichen Ausgangssituation der Mitgliedstaaten gerecht zu werden und einen Vergleich sowie eine Nachprüfbarkeit zu ermöglichen, einigte man sich auf fünf Kernziele: „Diese Ziele sind miteinander verknüpft. Ein höheres Bildungsniveau erhöht beispielsweise die Beschäftigungsfähigkeit, und eine erhöhte Beschäftigungsquote hilft, die Armut einzugrenzen.“ (Europäische Kommission: 2010, KOM(2010) 2020, 13).
Die 2010 eingeleitete Initiative „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten“ ist als Teil der Strategie Europa 2020 besonders auf die Erreichung der Beschäftigungsquote von 75 Prozent der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (d. h. zwischen 20 und 64 Jahren) bis 2020 ausgerichtet. (Europäische Kommission, 2010, KOM(2010) 682, 2).
Besondere Beachtung wird der Förderung des lebenslangen Lernens als Teil der vier Flexicurity-Komponenten1 geschenkt: Durch besseren Zugang zu lebenslangem Lernen und flexibleren Bildungswegen sollen die Übergänge zwischen Arbeits- und Lernphasen erleichtert werden und so mehr Chancengleichheit zwischen den Arbeitskräften entstehen. Besonders für (geringqualifizierte) Ältere und damit besonders gefährdete Arbeitskräfte werden zielgerichtet Berufsberatungen und Ausbildungen angeboten. Durch Partnerschaften zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors, Bildungs- und Schulungseinrichtungen und Arbeitgebern sollen einerseits der Zugang zu Bildungsangeboten (auch am Arbeitsplatz) erleichtert und gleichzeitig Anreize zur Kostenteilung für Schulungsmaßnahmen (z.B. durch Steuervergünstigungen, Bildungsgutscheine) geschaffen werden. (Europäische Kommission: 2010, KOM(2010) 2020, 6).
Obwohl es bei der Strategie Europa 2020 fraglich ist, ob trotz der Wirtschaftskrisen und der Erweiterung bzw. Austritten aus der Union die ehrgeizig gesteckten Ziele mit Ende des Jahres erreicht werden, so tragen – wie schon bei der Lissabon-Strategie – die neu geschaffenen Instrumentarien und Prozesse sowie die Analyse und Evaluation der nationalen Reformen zu einer intensiven Beschäftigung der Mitgliedsstaaten mit bildungs- beschäftigungs- und sozialpolitischen Fragestellungen bei.
Da eine höhere Qualifikation zu einer stärken Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen und zu einem längeren Verbleib im Arbeitsleben führt, ist für die Europäische Union die Höherqualifizierung der Bevölkerung aus wohlfahrtsstaatlicher Perspektive notwendig. Denn nur jene Arbeitskräfte, die mit den Fähigkeiten, die den Bedürfnissen der Wissensgesellschaft entsprechen, ausgestattet sind, können weiterhin aktiv bleiben und zum Erhalt der Sozialsysteme beitragen.
2.2. Bildungspolitische Strategien parallel zu Europa 2020
Neben der engeren Zusammenarbeit bei sozial- und beschäftigungspolitischen Aspekten sollte in Europa auch ein gemeinsamer Bildungsraum entstehen, da lebenslanges Lernen bereits seit den 1990er-Jahren in der Europäischen Union als zentrales bildungspolitisches Anliegen thematisiert und seit der Jahrtausendwende auch als Handlungsgrundlage für Strategien, Ziele, Programme beschrieben wird. (Commission of the European Communities: 2000, 3).
Innerhalb der europäischen Bildungspolitik wurde mit der Einführung des Terminus lebenslanges Lernen („Lifelong Learning“) der Schwerpunkt stärker auf die Bildung Erwachsener gelenkt, da die Qualifikationen, die in der Grundausbildung erworben werden nicht mehr für ein gesamtes Erwerbsleben ausreichen. 2001 hat die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung die bis heute geltende Definition formuliert, worin lebenslanges Lernen Folgendes umfasst: „[…] alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften: 2001, KOM(2001) 678, 9).
Aus bildungspolitischer Sicht weitet die Kommission die Definition für lebenslanges Lernen nochmals aus. Demnach versteht die Kommission unter lebenslangem Lernen „alle Formen der allgemeinen und der beruflichen Bildung und Ausbildung sowie des nichtformalen und informellen Lernens während des gesamten Lebens, aus denen sich eine Verbesserung von Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen oder der Teilhabe an der Gesellschaft im Hinblick auf persönliche, staatsbürgerliche, kulturelle, soziale und/oder beschäftigungsbezogene Ziele ergibt, einschließlich der Bereitstellung von Beratungs- und Orientierungsdiensten.“ (Europäische Kommission: 2016, 367).
2008 wurde schließlich der „Aktionsplan Erwachsenenbildung: Zum Lernen ist es nie zu spät“ entwickelt. Wiederum sollte durch eine stärkere Betonung der Erwachsenenbildung die allgemeinen und beruflichen Aspekte lebenslangen Lernens in der Realität verankert werden. Der Fokus des Aktionsplans lag vor allem auf gering qualifizierten Menschen oder jenen Personen, deren fachliche Qualifikation nicht mehr ausreichend oder zeitgemäß ist – Zielgruppen (unter anderem ältere MitbürgerInnen), die auf Grund eines Mangels an Kompetenzen bei der Partizipation in der Gesellschaft benachteiligt sind. (Kommission der Europäischen Gemeinschaften: 2007, KOM(2007) 558, 3).
Als Nachfolge wurde 2009 der strategische Rahmen „Allgemeine und berufliche Bildung 2020 (ET 2020)“ als bildungspolitische Strategie parallel zur beschäftigungspolitischen Maßnahmen von Europa 2020 beschlossen. Dieses neue Arbeitsprogramm für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung sieht neben gemeinsamen strategischen Zielen auch gemeinsame Arbeitsmethoden mit prioritären Bereichen vor.
Die EU-Länder haben sich auf insgesamt vier gemeinsame Ziele bis 2020 zur Bewältigung der Herausforderungen in den in den Aus- und Weiterbildungssystemen festgelegt: die Verwirklichung von lebenslangem Lernen und Mobilität; die Verbesserung der Qualität und Effizienz der allgemeinen und beruflichen Bildung; die Förderung der Gerechtigkeit, des sozialen Zusammenhalts und des aktiven Bürgersinns; sowie die Förderung von Innovation und Kreativität auf allen Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung. (Amtsblatt der Europäischen Union: 2009/C 119, 3).
Für den Bereich der Erwachsenenbildung hat die EU als einzige Zielvorgabe bzw. Benchmark, die bis 2020 erreicht werden soll, festgelegt, dass mindestens 15 Prozent der Erwachsenen am lebenslangen Lernen teilnehmen. (Amtsblatt der Europäischen Union. (Ebd., 7).
Das Bildungsprogramm wurde im Zeitraum parallel zur Lissabon-Strategie und Europa 2020 in mehreren Phasen aufgelegt: von 2007 bis 2013 das „Programm für lebenslanges Lernen (LLLP)“, das in sich die vier Einzelprogramme Comenius (für Kindergärten und Schulen), Erasmus (für den Hochschulbereich), Leonardo da Vinci (für berufliche Aus- und Weiterbildung) und Grundtvig (für die Erwachsenenbildung) vereinte. Für Grundtvig wurde als spezifisches Ziel die Bewältigung der durch die Alterung der Bevölkerung in Europa entstehenden Bildungsherausforderungen und als operatives Ziel die Unterstützung von älteren Menschen genannt. (Amtsblatt der Europäischen Union: 2006/L 327, 59).
Für den Zeitraum 2014 bis 2020 wurde „Erasmus+“ als das neue EU-Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport ins Leben gerufen. Unter dem neuen Namen sollen durch Projektförderung sowohl die Ziele der Strategie Europa 2020 als auch jene des strategischen Rahmens für europäische Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung (ET 2020) einschließlich der entsprechenden Benchmarks erreicht werden. (Europäische Kommission: 2016, 6).
Mit dem „Aktionsplan Allgemeine und Berufliche Bildung 2020 (ET 2020)“ wurde die europäische Bildungspolitik noch stärker an die beschäftigungspolitische Ebene von Europa 2020 herangeführt. Jedem/r EU-BürgerIn soll die Möglichkeit zu (beruflicher) Weiterbildung, dem Erwerb notwendiger Qualifikationen und damit lange Beschäftigungsfähigkeit gewährleistet werden. Sowohl im Zwischenbericht von 2014 als auch in den Fortschrittsberichten fehlt jedoch eine gesamteuropäische Strategie für die Zielgruppe der 50 plus.
2.3. Strategien für Menschen in der nachberuflichen Phase
Für die Altersgruppe der 65 plus und Menschen, die sich in der nachberuflichen Phase ihres Lebens befinden, ist derzeit keine klare Strategie der Europäischen Union erkennbar. Die Ziele, Benchmarks und statistischen Erhebungen sind maximal auf ältere ArbeitnehmerInnen ausgelegt, aber enden und enden zumeist mit der Erwerbstätigkeit, also mit 64 Jahren – obwohl bereits in einigen Ländern ein höheres Pensionsantrittsalter eingeführt wurde.
Für die arbeitende Bevölkerung wurde erkannt, dass lebenslanges Lernen nicht nur ein bildungspolitisches Ziel, sondern klar auch ein wirtschaftspolitisches sein muss. Allerdings ist die Weiterbildung und geistige Forderung der Altersgruppe ab 65 ebenfalls sozialpolitisch relevant, da ein längeres gesundes, eigenständiges Leben und eine Fähigkeit digitalen Technologien bedienen zu können, weniger Betreuungsangebote, geringeren Pflegeaufwand und somit weniger Ausgaben für das Sozialsystem bedeutet.
Die bildungspolitischen Vorgaben der Europäischen Union wurden in Österreich von der Bundesregierung im Juli 2011 als „Strategie zum lebensbegleitenden Lernen LLL:2020“ verabschiedet. Die Aktionslinie 9 beschäftigt sich mit der Bereicherung der Lebensqualität durch Bildung in der nachberuflichen Lebensphase mit der Begründung, dass durch die Teilnahme an Bildungsangeboten die Gesundheitsprävention, soziale Integration und gesellschaftliche Mitwirkung gefördert werden. Ziel ist eine Steigerung der Beteiligung auf mindestens zwölf Prozent. (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur: 2011, 41–43).
Im Bundesseniorenplan werden die positiven Aspekte der Bildung für SeniorInnen hervorgehoben: „Höhere Bildung senkt das Demenz- und auch das Mortalitätsrisiko. Darüber hinaus führt Weiterbildungsteilnahme zu sozialer Integration bzw. verstärkt ein positives gesellschaftliches Altersbild, steigert das physische und psychische Wohlbefinden, erhöht die Antizipation und Verarbeitung kritischer Lebensereignisse und wirkt sich positiv auf bürgerschaftliches Engagement bzw. Freiwilligenarbeit aus. Bildung im Alter trägt zur gesellschaftlichen Teilhabe bei.“ (Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz: 2015, 21). In den Zielen und Empfehlungen wird sowohl auf ältere Erwerbstätige eingegangen, als auch Bildung und lebenslanges Lernen in der Nacherwerbsphase thematisiert. Leider finden sich im Bundesseniorenplan keine Benchmarks.
3. Fazit und Ausblick
Zusätzlich zu dem demographischen Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft in Europa unterliegen auch die sozioökonomischen Rahmenbedingungen und damit der Arbeitsmarkt einem rasanten Veränderungsprozess hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft.
Nach dem Agenda Setting im Jahr 2000 mit dem Beschluss der Lissabon-Strategie wurden die Lissabon-Zielsetzungen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse weiterverfolgt und als „Strategie Europa 2020“ im Jahr 2010 verabschiedet. Durch die wiederum auf zehn Jahre ausgelegte Wachstumsstrategie sollte die Europäische Union fähig sein, die Krise zu überwinden und gleichzeitig Grundlagen für eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft mit mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Ein höheres Bildungsniveau soll die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen und durch eine erhöhte Beschäftigungsquote die Armut eingegrenzt werden.
Neben der Zusammenarbeit bei sozial- und beschäftigungspolitischen Aspekten sollte im Europa des neuen Jahrtausends auch ein gemeinsamer Bildungsraum entstehen, da lebenslanges Lernen auch als Teil einer umfassenden Beschäftigungsstrategie verstanden wurde. Parallel zu den Maßnahmen der Lissabon-Strategie rief die Union die Mitgliedstaaten auf, kohärente Strategien zum lebenslangem Lernen – als Grundlage zu gesellschaftlicher Partizipation, sozialem Zusammenhalt und als Qualifikation für lange Beschäftigung – zu entwickeln.
Daraus resultierte das Arbeitsprogramm Allgemeine und berufliche Bildung 2010 (ET 2010), das, wie die Lissabon-Strategie, für zehn Jahre gelten sollte. Doch eben so wenig wie die beschäftigungspolitischen Ziele der Lissabon-Strategie konnte die Europäische Union ihre bildungspolitischen erreichen.
Die strategische Ausrichtung der Bildungspolitik von 2010 bis 2020 wurde in dem wiederum für zehn Jahre geltenden Aktionsplan „Allgemeine und Berufliche Bildung 2020“ (ET 2020) festgelegt. In diesem wird die europäische Bildungspolitik noch stärker an die beschäftigungspolitische Ebene von Europa 2020 angebunden. Zur Erreichung des aufrechten Ziels der Lissabon-Strategie, Europa zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, sah die Union weiterhin den Zugang zu lebenslangem Lernen als wesentliche Komponente. Das Kernziel des Aktionsplanes war die Vernetzung der nationalen Bildungssysteme, die Erleichterung des Zugangs für Erwachsene, die Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse und die Schaffung einer kontinuierlichen (beruflichen) Weiterbildung, zwecks Erwerbs notwendiger Qualifikationen und der Gewährleistung einer langen Beschäftigungsfähigkeit.
Wie schon im ersten Jahrzehnt wurde als Benchmark sehr vage nur die Beteiligung am lebenslangen Lernen von Erwachsenen zwischen 25 bis 64 Jahren von 15 Prozent (ET 2020) festgelegt, wobei eine gesamteuropäische Bildungsstrategie für die Zielgruppe der 50 plus fehlt.
Zusätzlich zu den Strukturfonds erfolgt die Finanzierung bildungspolitischer Projekte und Maßnahmen im Rahmen eines eigenen Bildungsprogramms, zu dessen Abwicklung nationale Agenturen eingerichtet wurden. Die Weiterbildung Erwachsener ist im Unterprogramm Grundtvig und die berufliche Aus- und Weiterbildung im Unterprogramm Leonardo angesiedelt. Die stärkere Verbindung zwischen dem Aktionsplan ET 2020 und der Strategie Europa 2020 spiegelt sich auch in der Vereinheitlichung der Teilprogramme unter der Marke Erasmus+ wieder. Auf gesamteuropäischer Ebene finden sich keine geeigneten bildungspolitischen Strategien und Maßnahmen, um die Zielgruppe der älteren ArbeitnehmerInnen und Menschen in der nachberuflichen Phase zu fördern und deren Qualifikationsdefiziten entgegenzuwirken.
Auch in Österreich fehlt eine umfassende Strategie für die Altersgruppe der 50 plus, was durch die Vernachlässigung des Potenzials eine Gefährdung der Tragfähigkeit des Sozialstaates bedeutet. Wesentliches Ziel muss bleiben, dass ältere Personen auch in der Erwerbstätigkeit gehalten werden und nicht in den Jahren vor der Pension in die Arbeitslosigkeit abgleiten – sonst wird die ursprüngliche Intention der EU, den europäischen Wohlfahrtsstaat zu stärken, konterkariert.
Um durch dynamische Arbeitsmärkte die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Wirtschaft anzukurbeln, soll weiterhin der Schwerpunkt auf Maßnahmen des lebenslangen Lernens vor allem für benachteiligte Gruppen – darunter auch ältere ArbeitnehmerInnen und ältere Menschen in der Nacherwerbsphase – liegen. Diese Maßnahmen sollen sowohl von staatlicher Seite als auch seitens der Unternehmer gefördert werden.
So kann man resümieren, dass seit der Jahrtausendwende die ursprünglich rein nationalstaatlichen Politikfelder – die Sozial- und Beschäftigungspolitik sowie die Bildungspolitik – schrittweise europäisiert wurden und es seitens der Europäischen Union durch die Strategien und den flankierenden Maßnahmen viele gute Ideen und Ziele gab. Allerdings wurden jene Ziele – wie man auch am Beispiel Österreichs sehen kann – nicht immer zur Zufriedenheit der Europäischen Kommission umgesetzt.
Die zehnjährige Strategie Europa 2020 endet dieses Jahr. Gleichzeitig entstand mit der COVID-19-Pandemie eine der größten Herausforderungen für die Europäische Gemeinschaft, den Wirtschaftsraum und die Sozialsysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten.
Noch bis Ende Dezember dauert die deutsche Ratspräsidentschaft, wobei bisher keine umfassende neue Strategie für die nächste Dekade geplant wurde. //
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