Es gibt Ideen, die man sofort umsetzt. Man ist Feuer und Flamme, fackelt sprichwörtlich also gar nicht lange und macht sich im Moment des ersten Gedankenblitzes an die Arbeit. Und dann gibt es solche, die über Jahre in einem schlummern. Sie sind im Hinterkopf abgespeichert und daher nie ganz von der geistigen Spiegelfläche verschwunden. Diese Ideen sind wie Fotos in einer unteren Schublade, in der man immer wieder kramt und sie ansieht. Sie brauchen Zeit. Das bedeutet aber nicht, dass sie schlechter sind als die erstgenannten Gedankenblitze. Meistens liegt es an zeitlichen und/oder finanziellen Ressourcen. Manchmal hat man selbst auch noch nicht die Erfahrung und das nötige Know-how, um sie umzusetzen. Dies ist die Geschichte zweier solcher Ideen. Es sind die Projekte „Erklär mir Demokratie“ und „Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache?“, die 2023 von der Volkshochschule Liesing durchgeführt wurden. Finanziell möglich war dies durch Förderungen der Gesellschaft für politische Bildung. Gefördert wurden Projekte, die sich dem Thema „Demokratie im Wandel?“ widmeten. „Erklär mir Demokratie“ sowie „Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache?“ verfolgen dabei ein gemeinsames Ziel: Qualitative Demokratiebildung für alle Menschen ermöglichen und dabei auf sich verändernde gesellschaftspolitische Prozesse reagieren.
Die Covid-19-Pandemie und die voranschreitende Digitalisierung waren massive Einschnitte in unserer Demokratie. Wie über sie geredet und gedacht wird, hat sich dadurch verändert. Demokratiefeindliche Strömungen versuchen vermehrt, Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen. All dies dient dem Zweck, die Demokratie zu destabilisieren. Während rechts(konservative) Politiker*innen auf Covid-19-Demontrationen Reden hielten und neben Akteur*innen der rechten bis rechtsextremen Szene posierten, findet auch im digitalen Raum ein Kampf um demokratische Grundwerte statt. Dies ist freilich kein neues Phänomen, wenn man an einschlägige Facebookgruppen oder Donald Trumps Twitteraccount denkt, von dem aus er den Sturm auf das amerikanische Kapitol befeuerte. Populist*innen und (rechte) Demagog*innen haben früh erkannt, dass digitale Kanäle ein schneller, effizienter und verhältnismäßig kostengünstiger Weg sind, um Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen. Aktuelles Beispiel sind Telegramgruppen, die sich staatlicher Kontrolle sowie Transparenz entziehen. Die in diesem Kontext so oft zitierte Reichweite ist hier das Zauberwort. Mit wenigen Klicks finden krude Verschwörungstheorien, rassistische und antisemitische Hetze den Weg auf tausende Bildschirme. Man sieht: Es gibt ihn, den Nährboden, auf dem gegen Grundwerte der Demokratie gehetzt werden kann. Umso wichtiger ist es, sich dem entgegenzustellen. Denn Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Gerade damit alle Menschen frei leben und Ihre Meinung äußern können, muss die Demokratie gepflegt werden. Und zwar nicht nur ab und zu. Sondern tagtäglich. Die Wiener Volkshochschulen sind dabei seit jeher einer der Steine, die man zum Anstoß demokratie- sowie gesellschaftspolitischer Prozesse braucht, um sie überhaupt ins Rollen zu bringen. Seit deren Gründung sind Demokratisierung und Popularisierung von Wissen Ansporn und Anspruch zugleich, um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen.1
Erklär mir Demokratie: Über Sprache, Teilhabe und Demokratiebildung
Die Idee, demokratiepolitische Lehrmaterialien für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache herzustellen, beschäftigte mich schon länger. Dem Thema Demokratiebildung wird gerade in den niedrigen Sprachniveaus wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist aus meiner Sicht fatal, da insbesondere vertriebene Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten in ihrem Leben selten Erfahrungen mit einem demokratischen System gemacht haben. Demokratische Grundwerte wie Pressefreiheit oder freie Wahlen sind in jenen Ländern nicht vorhanden. Ebenso das Wissen um die eigenen Rechte. Wenn man möchte, dass Menschen nicht nur die Sprache erlernen, sondern auch aktiv an partizipativen Prozessen in einer Gesellschaft teilhaben können, so kommt man um das Thema Demokratie nicht herum.
Im Frühling 2022 konnte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Agnes Bakalarz-Zakos – der Fachreferentin für Sprachen an den Wiener Volkshochschulen – und der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit ein Videoprojekt umsetzen, das Deutschkurse an den Wiener Volkshochschulen in den Vordergrund rückt. Das Besondere daran ist, dass die Videos nicht nur auf Deutsch, sondern auch in den Sprachen Englisch, Arabisch, Polnisch, Rumänisch, Ukrainisch, Türkisch, Kroatisch und Französisch gedreht wurden. Hauptdarsteller*innen der Videos waren Native Speakers, die allesamt als Kursleiter*innen an den Wiener Volkshochschulen unterrichten. In den kurzen Clips erfährt man Informationen über die Kursbuchung, Sprachberatungen, die verschiedenen Formate oder auch Fördermöglichkeiten. Auf der Website vhs.at/deutschkurse, die ebenfalls mehrsprachig gestaltet wird, wurden bisher drei der Videos eingebettet (Englisch, Deutsch und Ukrainisch);2 weitere werden in naher Zukunft folgen. Durch die Gestaltung der Videos in den jeweiligen Erstsprachen kommt man besonders Menschen entgegen, die noch keinen oder wenig Kontakt mit der deutschen Sprache hatten. Jenes Projekt und die wundervolle Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen und Kursleiter*innen war der Startschuss in meinem Kopf, um mich wieder näher mit Demokratiebildung im Deutschunterricht zu beschäftigen.
Als ich die Ausschreibung der Österreichischen Gesellschaft für politische Bildung zum ersten Mal las, stellten sich sofort zwei Fragen: Wie sieht zeitgemäße Demokratiebildung heute aus? Und in welchem Rahmen bzw. wo findet sie statt? Geht es doch darum, möglichst viele Menschen zu erreichen? Klar ist, dass Demokratie heute Digitalisierung benötigt. Nur so kann sie ein Gegengewicht zu den sie destabilisierenden Querschüssen im digitalen Raum bilden. Das Projekt „Erklär mir Demokratie“ setzt nun genau hier an. Auf der Homepage vhs.at/erklaermirdemokratie finden sich kurze Videos in einfacher Sprache zu wichtigen demokratischen Grundwerten. Der Lernort ist digital. Die Entscheidung wurde bewusst gewählt, damit Lernende und interessierte Menschen jederzeit und kostenlos auf die Videos zugreifen können. Schnell wurde klar, dass die Videos nicht nur den Lehrenden und Lernenden in den Deutschkursen der Wiener Volkshochschulen zur Verfügung stehen sollen. Alle an dem Themenfeld Demokratiebildung interessierten Menschen und Bildungsinstitutionen – egal ob Erwachsenenbildung oder Neue Mittelschule – sollen daran teilhaben können. Texterinnen und Darstellerinnen der Videos sind Studentinnen des Instituts für Deutsch als Fremd- und Zweisprache der Universität Wien. In enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Inci Dirim, der stellvertretenden Institutsvorständin, konnte ich verschiedene Lehrveranstaltungen besuchen und das Projekt präsentieren. Mir war es besonders wichtig, hier mit jungen Menschen in Ausbildung zusammenzuarbeiten. Sie sind nicht nur Expert*innen und zukünftige Lehrkräfte, kennen das Berufsfeld und bereichern das ganze Projekt durch ihr Wissen. Sie konnten hier auch ihr eigenes, hochwertiges Lehrmaterial herstellen. Die Studentinnen hatten bei der Wahl der Themen freie Hand. Sie konnten selbst entscheiden, wo sie ihren eigenen Fokus setzen. Es konnte ein breit gefächertes Thema wie Pressefreiheit sein oder auch solche Themen, denen man nach Ansicht der Studierenden sowohl gesellschaftlich als auch in Lehrwerken zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Unterstützt wurden sie bei Fragen zu den Texten, Methodik und Didaktik von einer erfahrenen Kursleitung der Volkshochschule Liesing und mir. So entstanden Videos zu den Themen Minderheitenschutz, Wahlen, Parlament, Pressefreiheit, Kinderrechte und Zivilcourage. Der Vorteil von „Erklär mir Demokratie“ liegt in der niederschwelligen Gestaltung. Die Videos sind in einfacher Sprache mit Untertiteln verfasst, durch den kostenlosen Zugriff kommt es zu keinen finanziellen Barrieren. Sie können jederzeit und von jedem interessierten Menschen angesehen werden. Egal, ob man gerade auf dem Sofa, im Unterricht oder in der U-Bahn sitzt, können sie schnell und unkompliziert über Messenger-Dienste oder per Mail geteilt werden. Die Videos sollen Demokratiebildung nicht nur in Kursräume, Klassenzimmer, auf Bildschirme oder Displays bringen. Sie sollen die Bevölkerung direkt erreichen und zeitgemäßer Wissensvermittler sein.
Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache? Ein wenig beachtetes Forschungsfeld
Das Projekt „Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache?“ beschäftigt sich mit einem wenig beachteten, aber demokratiepolitisch brisanten Thema: Dem Verhältnis von Rechtsextremismus und Geschlecht. Erst seit dem Ende der 1980er-Jahre kam es in Österreich zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, was vor allem feministischen Wissenschaftler*innen zu verdanken ist, die die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus und auch das Engagement von Frauen an den rechten Rändern beleuchteten. Die heutige öffentliche Wahrnehmung über Frauen in der rechten bis rechtsextremen Szene wird jedoch mehrheitlich von Medien, denn der Wissenschaft gesteuert.3 Trotz Namen wie Marine Le Pen und Beate Zschäpe wird die (extreme) Rechte mehrheitlich mit Männern assoziiert. Freilich liegt dies an der Struktur der Szene, die von Misogynie, Antifeminismus und einer übersteigerten Männlichkeitsphantasie geprägt ist. Dadurch ist sie seit jeher männlich dominiert. Jedoch vollzieht sich auch hier ein Wandel. Gerade rechte Organisationen wie die Identitäre Bewegung, die verstärkt soziale Medien nutzt, um mehrheitlich junge Menschen anzusprechen, haben erkannt, dass Frauen einen großen Teil dazu beitragen, um das Image der polternden Männerbünde oberflächlich abzustreifen. Sieht man sich Videos junger, rechter Akteurinnen auf YouTube an, so ist ästhetisch selten ein Unterschied zu Influencer*innen zu erkennen. Erst nach und nach offenbaren sie ihre rückwärtsgewandte Gesinnung. Dahinter steckt natürlich eine ausgeklügelte Strategie. Der rechte Rand ist dann plötzlich weiblich und sanfter. Nicht mehr laut und wütend, sondern besorgt. Eine Falle, in die vor allem junge Menschen mit noch nicht ausgereifter Medienkompetenz schnell tappen können.
Im Frühjahr 2020 hatte ich Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes darum gebeten, einen Vortrag über Frauen in der politisch rechten Szene zu halten. Innerhalb weniger Wochen war er ausgebucht. Kurz davor brach Covid-19 aus, eine Durchführung des Vortrags war daher nicht möglich. Ich selbst wäre an diesem Abend auch Teilnehmer gewesen. Ich hatte damals viele Fragezeichen, was dieses Thema betrifft und hatte mir durch den Vortrag Antworten erwartet. Vielleicht gerade deshalb, weil es eben nicht möglich war, den Vortrag zu hören, wurde mein Interesse umso größer. Das Verhältnis der Geschlechter im Rechtsextremismus und deren spezielle Rollen sollten einen Platz in der politischen Bildung erhalten. Es sollte auch nicht bei bloß einem Vortrag bleiben. Ich hatte nur noch keinen Plan, wie ich dies anstellen sollte. Durch die Förderung der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung konnte dieser öffentlich wenig beachtete Themenkomplex in dem Projekt „Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache?“ der Volkshochschule Liesing verankert werden. Damit soll ein Beitrag zur politischen Bildung geleistet werden. Im Frühjahr 2023 fanden in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes drei Vorträge an der Volkshochschule Liesing statt, die sich den Rollen von Geschlechteridentitäten in der rechts(extremen) Szene widmeten. Themen der Vorträge waren „Männlichkeit und die Ablehnung von Weiblichkeit in der (extremen) Rechten“, „Frauen in der rechten bis rechtsextremen Szene“ und „(Deutschnationale) Studentenverbindungen und Männlichkeit. Österreich und die USA im Vergleich“. Zusätzlich gab es eine Diskussion mit Filmausschnitten aus dem Film „300“ für zwei Klassen des RG/ORG Anton Krieger Gasse an der VHS Erlaa. Der Film „300“ ist aufgrund seiner Ästhetik und Thematik Kult in der rechten Szene. Besonders die Darstellung von Männlichkeit und Kriegertum trägt dazu bei. Beispielsweise hat die Identitäre Bewegung ihr Logo, den griechischen Buchstaben Lambda, aus dem Film entnommen. Alle Veranstaltungen waren kostenlos zu besuchen, insgesamt konnten zirka 100 Personen unterschiedlichen Alters erreicht werden. Die drei Vorträge wurden aufgenommen und stehen als Audiostreams zum Nachhören allen Interessierten unter vhs.at/gegenrechtsextremismus zur Verfügung. Expert*innenwissen über ein kaum beachtetes Thema wird durch das Projekt nicht nur gesichert.
„Ist Rechtsextremismus (noch) Männersache?“ möchte auch Mut dazu machen, das Themenfeld Rechtsextremismus und Geschlecht in der politischen Erwachsenenbildung zu etablieren und in die Öffentlichkeit zu tragen.
Das Ende eines Projekts zeigt immer, dass man gemeinsam zum Ziel gekommen ist. An beiden Projekten war eine Vielzahl an engagierten Menschen beteiligt. Meine letzten Zeilen möchte ich deshalb dafür nutzen, um Danke zu sagen: danke an Anita, Clara, Dona, Thomas, Bianca, Brigitte, Andi, Bernhard Weidinger, Conny, Nadja, Pasha, Youn, Caroline und Inci. Ohne euch wären beide Projekte nicht möglich gewesen. //
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