Die ganze Spanne des Lebens im Auge zu behalten, lehre uns die Evolution. Zum lebenslangen Lernen ist es kein großer Gedankensprung. Aber auch an unsere genetische Entwicklung seit etwa 2,7 Millionen Jahren, die unser Menschsein ausmacht, werden wir erinnert. Wir sind in Entwicklung, gestalten die Umwelt und werden von dieser beeinflusst.
Doch es ist nicht angemessen, das Buch auf einige kurze Sätze zu reduzieren. Der Autor, Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der Universität Wien, legt mit dieser Publikation fünfzehn Interviews mit Human- und NaturwissenschafterInnen vor. Erörtert werden die „lange“ Geschichte der Menschheit, ihr Verhalten in der Gegenwart und ihre mögliche künftige Entwicklung. Lippert sucht mit seinen Gesprächen nach der „conditio humana“, nach der menschlichen Verfassung, und wie man sie interpretieren und erforschen kann.
Interdisziplinär angelegt gibt es dazu Interviews mit wissenschaftlichen VertreterInnen von Paläoanthropologie, Urgeschichte, Ethnologie, Verhaltensforschung, Philosophie, Theologie und Kunst. Die wissenschaftlich fundierten Aussagen sind sehr kurzweilig und informativ zu lesen – von Kapitel zu Kapitel erschließen sich zusammenhängende Dimensionen. Einer der Interviewten, der deutsche Humanethologe Wulf Schiefenhövel, kommentiert am Ende des Buches übersichtlich die einzelnen Beiträge, wodurch für ein erstes orientierendes Lesen ein einführendes Kapitel entstanden ist.
Fragen nach der „Natur des Menschen“ lassen sich nicht wertfrei beantworten. In den Gesprächen wird Stellung bezogen, Grenzen des Wissens und des Glaubens werden aufgezeigt. Es kommen atheistische Ansichten genauso zur Geltung, wie die Hoffnungen des Glaubens, nach dem Tode Teil einer Ewigkeit zu sein und zu werden. Immer vermitteln die Aussagen aber einen sorgsamen Umgang mit Belegen und Einsichten, ein Eingestehen der Vorläufigkeit von Erkenntnisse und auch die Begrenztheit des Menschen, seine Abstammung, seine Geschichte sowie die seiner Umwelt erkunden zu können.
Sehr beeindruckend ist es, zu lesen, was schon alles über die Menschheit gewusst wird – und als Allgemeinwissen vermittelt werden sollte. Faszinierend klingen zum Beispiel die Feldforschungen in Neu Guinea, wo Papua-Gesellschaften erst 1960 zum ersten Mal Weißen begegneten. Die Feldforschungen erlauben, auf Familienformen von und vor einigen Jahrtausenden zurückzublicken. Auch für unsere Gesundheit –Ernährung, Ermüdung und Bewegung – lassen sich Rückschlüsse ableiten, da wir den Großteil menschlicher Existenz als Jäger und Sammler verbracht haben. Sesshaft geworden sind wir erst seit etwa zehntausend Jahren.
Und die Zukunft? Die Ansicht des „Transhumanismus“ ist klar: Wir sind immer schon Cyborgs gewesen – „gesteuerte Organismen“ mittels Sprache, Kleidung, Wohnen, Computer und Techniken, die sich im ständigen Prozess der Selbstüberwindung befinden. Hoffnung liegt auf weiteren technologischen Entwicklungen, um die bisherigen technischen Grenzen zu überschreiten, um menschliches Leben zu verbessern sowie die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens zu reduzieren. Nicht zuletzt engagiert sich der „Transhumanismus“ politisch aktuell: Es geht darum, dem bestehenden Elend der Welt mit radikalem technologischem Fortschritt zu begegnen!
Vorgaben für „richtiges“ Leben finden sich nicht in diesem Buch. Aber es enthält viele Hinweise, in welcher langen Tradition, in welcher ungeheuren Komplexität und Vielfalt sich individuelle Existenz heute befindet. Allein dieses Erstaunen darüber macht das Buch lesenswert. Der Weg zu besinnlichem, gelassenem, verantwortlichem Handeln als Mitglied sozialer Strukturen, als Erbe und besonderes Wesen in einer langen Reihe genetisch vorhandener Vorfahren, wird vielleicht etwas kürzer. //
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