Macht es heute noch Sinn, dass es eigene Netzwerke für Frauen gibt, oder ist das Unsinn? Hat es mit diesem Verdacht des Unsinns zu tun, wenn ein wohlmeinendes Nicken von einem lächelnd hochgezogenen Mundwinkel begleitet wird, sobald die Rede von Frauennetzwerken ist? Was bei dieser Reaktion mitschwingt, ist der Unterton: „Ja, ja, das kennen wir schon. Da setzen sich Frauen zusammen und führen bemühte Frauengespräche, die sie in ihrer Karriere auch nicht weiterbringen“. Eine solche Einschätzung übersieht die Bedeutung von Basisarbeit für eine Sache und unterschätzt den mehrdimensionalen Mehrwert von Austausch oder bringt Netzwerken schlicht und einfach nur mit direktem persönlichen Profit in Zusammenhang – und fußt damit auf Unkenntnis darüber, was ein Netzwerk ausmacht. Dieser Artikel beschreibt den Nutzen von Netzwerken in Abgrenzung zu männlichen Seilschaften. Frauennetzwerke bieten einen Raum gegen den Mainstream und können Frauenbildung stärken. Einen kurzen Einblick in die Praxis gibt die ‚Vernetzung Frauenbildung‘ des Forums Katholische Erwachsenenbildung in Österreich.
In Netzen werken
Die Struktur eines Netzwerkes ist eine flache Hierarchie, eben ein flaches Netz, das möglichst breit gespannt wird. Wenn Frauen sich organisieren, tun sie das meist in Form von Netzwerken, wo sich Menschen zusammenfinden, die gemeinsame Interessen haben, eine grundsätzliche Gemeinsamkeit als Ausgangspunkt und ein gemeinsames Anliegen in den Mittelpunkt stellen. Ein Netzwerk zeichnet sich demnach aus durch die Homogenität seiner Mitglieder und bestätigt damit die Mitglieder in ihrer Gemeinsamkeit. Dies gibt das Gefühl, im selben Boot zu sitzen und gemeinsam stark zu sein. Diese Gemeinsamkeit ist eine gute Voraussetzung dafür, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, Verständnis füreinander zu haben und gemeinsam inhaltlich arbeiten und etwas für sich (privat und beruflich) oder für eine Gruppe, z.B. für die Gesellschaft, entwickeln zu können.
Grundsätzlich bilden soziale Netzwerke die Struktur der Gesellschaft. Durch sie können Personen Grenzen überschreiten, Lebenschancen steigern und Stabilität gewinnen. Soziale Netzwerke sind für Menschen notwendig, um zu überleben. In Netzwerken bündeln sich Kräfte, die das Wachstum und die Leistungsfähigkeit des gesamten Netzes vorantreiben. Diese Erstarkung geht über die Summe der Fähigkeiten jedes einzelnen Knotenpunktes hinaus. Der Nutzen von Netzwerken ist es, durch Austausch und gemeinsames Tun Möglichkeiten, Wissen oder Fortschritt besser zu erreichen als im Alleingang. Diese Konzentration auf Gemeinsamkeiten hat auf der anderen Seite jedoch die Tendenz, lediglich mehr vom Gleichen oder vom Ähnlichen zusammenzubringen, also weniger neuen Input zu bekommen, sondern „im eigenen Saft zu braten“. Vielleicht ist es diese vermeintliche Genügsamkeit von Vernetzungen mit dem Eigenen und dem Gleichen, die von jenen, die auf der Karriereleiter bergauf streben, belächelt und nicht ernst genommen wird. Dies wird etwas nachvollziehbarer, wenn man sich bewusst macht, dass es eine Alternative zum Netzwerk gibt – die Seilschaft.
Steighilfe
Während Frauen sich vorrangig in Form von Netzwerken organisieren, formieren sich Männer häufiger in Seilschaften. Seilschaften zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder heterogen sind, also weniger von gleichen oder ähnlichen Positionen her kommen. Das reduziert unerwünschte Konkurrenz im persönlichen Erfolgsstreben. Durch die Heterogenität ergänzen sich die Ressourcen der Mitglieder hingegen und können sich gegenseitig Neues im Denken, in Herangehensweisen, an Informationen und Kontakthilfen geben. Der Nutzen ist, sich Zugang zu Ressourcen zu verschaffen bzw. Ressourcen zum persönlichen Vorteil zu tauschen. Eine Seilschaft setzt implizit voraus, dass die Mitglieder Zugang zu Ressourcen haben und näher am Hierarchie-Gipfel sind, von wo aus Mann dem anderen eine Seilschaft anbieten kann – wenn dieser ebenfalls etwas zu bieten hat. Die Absicht und das Grundverständnis von einer Seilschaft ist somit ein anderes als bei einem Netzwerk – die Seilschaft ist gewissermaßen eine Sonderform einer Vernetzung. Weil Männer nach wie vor bevorzugt über die machtbegründenden Ressourcen Arbeitsplätze, Zeit, Geld und politische Positionen verfügen, ist klar, dass Seilschaften vorwiegend unter Männern stattfinden.
Gegen den Mainstream
Welchen Sinn macht es nun, ein Netzwerk mit seiner gemeinschaftlichen Ausrichtung ausschließlich für Frauen anzubieten? Zum einen steigert der Ausschluss von Männern in einer Gruppe die Gemeinsamkeit des sozialen Geschlechts, zum anderen fördert die strukturelle und gesellschaftlich gleiche oder ähnliche Betroffenheit von Frauen im Hinblick auf ihren inhaltlichen Fokus das Vertrauen und die Offenheit. Ein Frauennetzwerk kann unterschiedlichste Motive und Ausrichtungen haben und ist per se noch nicht feministisch. Es kann Frauen in ihren traditionellen Rollen und Denkweisen bestärken oder sie in ihrer selbständigen Definition und wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Positionierung fördern. Wie in jedem Kontext machen das Bewusstsein, die Haltung und die politische Ausrichtung das Feministische aus.
„Die“ Öffentlichkeit, die sich in den vorherrschenden Medien ausdrückt, versteht sich als Interessensverband der gesamten Gesellschaft. Jedoch ist klar, dass es Interessen von spezifischen Gruppen gibt, die in einer großen Öffentlichkeit unter den Tisch fallen. Ein Frauennetzwerk kann Inhalte thematisieren, die eine Öffentlichkeit nicht im Blick hat, oder sogar dem herrschenden System entgegenstehen. Somit kann ein solches Netzwerk Kräfte bündeln, neue Diskurse starten, um in der Öffentlichkeit deutlicher aufzutreten und eine Gegenöffentlichkeit zu entwickeln, in der Themen, konträre Meinungen und Forderungen, die von der vorherrschenden Öffentlichkeit vernachlässigt werden, entgegengestellt werden. Netzwerke verändern Machtverhältnisse, indem sie Zentren ersetzen, Hierarchien desorganisieren und es erschweren, hierarchische Macht auszuüben.
Vielfalt anerkennen und bündeln
Gesellschaftlich für Frauen allgemein zu sprechen und sich für ihre Anliegen einzusetzen, ist diffiziler geworden. Individualisierung und Pluralisierung in allen Lebensbereichen erweitern einerseits die Entscheidungsmöglichkeiten der persönlichen Lebensgestaltung im Sinne der Selbstentfaltung. Andererseits bedeutet Individualisierung im gegenwärtigen politischen System mit zurückgehendem staatlichem Rückhalt und steigendem Wirtschaftsdruck, vermehrt Verantwortung zu haben für Lebensläufe, die brüchig werden, die nicht mehr eine kontinuierliche Abfolge von klar abgegrenzten Phasen darstellen. Auch die erstrebenswerten Frauenbilder in den Köpfen haben sich in den letzten Jahren verändert. Konservative Rollenbilder, von denen sich Generationen von Frauen befreien wollten, erscheinen im heutigen unüberschaubaren Wirtschafts- und Sozialsystem bei jungen Frauen plötzlich wieder als Ideal, erleben eine Retrowelle, scheinen Orientierung und Sicherheit zu geben. Jede zweite Österreicherin zwischen 18 und 25 Jahren kann sich vorstellen, als Hausfrau ihr Glück zu finden, wenn der Mann genug verdient. Mit diesem Wandel müssen die Bedürfnisse von Frauen und ein Weitblick über wirtschaftliche Un-/Abhängigkeit wieder neu abgeglichen und diskutiert werden. Und umso mehr braucht es eine Bündelung und Vertretung für gesellschaftliche Absicherung von Frauen und bleibt es wichtig, Allianzen und Kooperationen zu erhalten und zu erneuern, um zukunftsfähig zu bleiben. Solange ein weitsichtiges Bewusstsein und Mitdenken darüber, dass Frauen in allen gesellschaftlichen Belangen betroffen sind nicht selbstverständlich ist, braucht es Räume, die dafür Aufmerksamkeit, Anerkennung, Stärkung und Input bieten – es braucht Frauennetzwerke.
Netzwerk für Frauenbildung
In Zeiten drängender wirtschaftlicher Verwertbarkeit aller Lebensbereiche steigt auch im Bildungsbereich die Arbeitsbelastung durch enge Finanzierung und erhöhten Erfolgsdruck. Für Bildungsangebote, die ihren feministischen Anspruch in ihrer Beschreibung – etwa aus Marketingzwecken – nicht kundtun, ist es eine doppelte Herausforderung, Feminismus dennoch als Grundprinzip zu verfolgen, denn eine feministische Herangehensweise kann als Querschnittsthema auf der Metaebene in der alltäglichen Arbeit übersehen werden, wenn sie nicht als expliziter Grundsatz in einer Einrichtung verankert ist. Es ist eine Herausforderung, nicht in eine Logik androzentrischer Ökonomie-Effizient zu verfallen und feministische Ansprüche hinten anzustellen. Gleichzeitig ist es eine Chance, den feministischen Blick als Reaktion gegen diese herrschende Wirtschaftslogik zu schärfen, um den strukturellen Bedürfnissen von Frauen besser gerecht zu werden.
Auch hierfür kann eine Vernetzung den Rücken stärken. Im gesellschaftlichen Umfeld, das sich ständig verändert, braucht auch feministische Frauenbildung für eine Standortbestimmung eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstverständnis. Es bedarf einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lebensbedingungen, um den Blick für die Besonderheiten und Divergenzen in den multigraphischen Lebensentwürfen von Frauen und Männern zu schärfen. Zu den pluralistischen Lebensentwürfen kommen sogenannte „All-age-Phänomene“ , d.h. es kann nicht mehr altersmäßig abgegrenzt werden, wofür sich Menschen interessieren, in welcher Form sie aktiv sind und sich weiterbilden. Entsprechend diesem Verständnis verändern sich auch die Motive der jeweiligen sozialen Gruppen, ihre Wünsche und Erwartungen an Bildung. Bildung dient nicht nur zur Wissens- und Kompetenzaneignung, sondern auch zur sozialen Vernetzung. Bildung ist zudem eine Strategie, um sich auf den Umgang mit Ungewissheiten vorzubereiten.
Das feministische Bildungsziel ist klar: Frauen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, ihre Leistungen und ihr Wirken für das Funktionieren der Gesellschaft und des bestehenden Wirtschaftssystems bewusst zu machen, ihr Potenzial für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Gesellschaft und für ihr persönliches Leben aufzuzeigen und zu mobilisieren. Mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit ist jedem Handeln, unabhängig von Thema und Situation, ein feministisches Bewusstsein grundgelegt. In Angeboten der Erwachsenenbildung gibt es die Tendenz, dass Veranstaltungen kaum explizit als ‚Frauenbildung‘ angeboten werden. Das mag in einer Zeit, in der Bildungsinteressierte einem Überangebot von Bildungsmöglichkeiten ausgesetzt sind, in der durch persönliche Verfügbarkeit in Beruf und Privatleben Anmeldungen immer kurzfristiger erfolgen, zum einen einer Marketingstrategie entsprechen, um Männer als potenzielle Teilnehmer nicht zu verlieren. Zum anderen wird vielleicht auch davon ausgegangen, dass – im Gegensatz zur beruflichen Bildung – der Großteil der Teilnehmenden in der allgemeinen Erwachsenenbildung ohnedies Frauen sind. Die Formulierung ‚Frau-Sein‘ im Titel mancher Bildungsangebote, greift nach Meinung von Erwachsenenbildnerinnen heute so nicht mehr. Im aktuellen Dschungel von gehypten Rollenbildern könnte diese Formulierung Frauen vergraulen, indem es den Anschein gibt, die Vielfalt von Frauen nicht im Blick zu haben, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Selbstverständnisse von Frauen in einen Topf zu werfen und eine ‚richtige‘ Form von Frau-Sein zu propagieren. Die Kunst in der Bildungsarbeit ist es, Frauen in der Vielfalt und in ihrer Individualität wahrzunehmen und dennoch als Zielgruppen zu erfassen, anzusprechen und zu erreichen.
Die ‚Vernetzung Frauenbildung‘
Ein bestehendes Netzwerk ist die ‚Vernetzung Frauenbildung‘ des Forums Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich, das von der Katholischen Sozialakademie Österreich koordiniert wird. Seit 2001 verbindet diese Vernetzung Erwachsenenbildnerinnen, die in katholischen Bildungshäusern, der Katholischen Frauenbewegung, dem Katholischen Bildungswerk, in der Katholischen Arbeitnehmer/innen Bewegung und sonstigen Bildungseinrichtungen des Forum tätig sind. Bei jährlichen bis zweijährlichen Treffen tauschen sich Erwachsenenbildnerinnen über Entwicklungen und Herausforderungen in der Frauenbildung aus und diskutieren und bearbeiten praxisrelevante Schwerpunktthemen wie zeitgemäße Formate in der Frauenbildung, die Bedeutung von Social Media für die Bildungsarbeit, Feministische Bildung in der Katholischen Erwachsenenbildung, Spiritualität in der Frauenbildung, Finanzierungsmöglichkeiten et cetera. Die teilnehmenden Frauen empfinden diesen Austausch als Bereicherung und Rückenstärkung für ihre Anliegen und Fragen, für die es im Arbeitsalltag keine – oder zu wenig – Zeit oder keinen Platz gibt. Fachinputs von Gastreferentinnen werten die Vernetzungstreffen zusätzlich auf und geben ihnen einen Fortbildungscharakter. Durch den Erfahrungsaustausch über gelingende Bildungsangebote konnten Good-practice-Modelle, wie der ‚FrauenSalon‘ (ursprünglich initiiert von ‚betrifft:Frauen‘ in Salzburg) von einem Bundesland in ein anderes transferiert werden, sodass mehr Teilnehmerinnen davon profitieren.
Netzwerke können Denk- und Diskussionsräume bieten zur Hinterfragung von neoliberalen und damit androzentrischen Wirtschaftswerten wie Freiheit (im Sinne von Entsolidarisierung), Individualisierung und Privatisierung von wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung, Messung kurzfristiger wirtschaftlich-materieller Erfolge sowie traditioneller Geschlechterrollen. Während Netzwerke gemeinschaftlich orientiert in die Breite arbeiten, arbeiten Seilschaften individualistischer direkt nach oben. Frauen tun ebenso gut daran, sich weniger wohlerzogen zurück zu halten, sondern ihrerseits – neben Netzwerken – auch Seilschaften zu nützen, wo sie Zugang zu Ressourcen haben, im Sinne der Solidarität und Loyalität zu Frauen. //
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