Wir hören, was wir fühlen. Wir fühlen, was wir selbst erlebt und erfahren haben. Dies bezeichnet Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, als zentrale These seines Buches. Jeder Mensch, meint der Autor, verkörpert eine „Tiefengeschichte“, eine „emotional eingefärbte Matrix aus Erfahrung und Erkenntnis […] ein subjektives Prisma aus Hoffnung und Sehnsucht, Verbitterung und Scham“ (S. 21).
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Philosophie, Praxis und Politik des Zuhörens. Im ersten Teil, „Philosophie des Zuhörens“, stellt der Autor neben grundsätzlichen Erörterungen auch seine persönlichen Erfahrungen und Motive zum Thema vor. Eingangs nehmen die Leser*innen an Bernhard Pörksens negativen, sehr beunruhigenden Erlebnissen als Schüler in einer Privatschule teil. Die von ihm als sadistische Macht empfundenen Verhaltensweisen eines Lehrers erschütterten ihn psychisch zutiefst. Ebenso das Erleben, wie wenig er seinen bitteren Erfahrungen Ausdruck geben konnte und er auf wohltuendes Zuhören anderer Personen verzichten musste. Dadurch gewann für ihn die Frage an Bedeutung, wie und warum Vertuschungen von Skandalen ein Ende nehmen, investigative Energie sich durchsetzt und kollektive Bereitschaft zum Zuhören entsteht.
Bernhard Pörksen unterscheidet ein „Ich-Ohr“, wobei die eigenen Auffassungen und Interessen als Filter dominieren, die für uns nicht Erwünschtes fernhalten. Folglich bleiben wir in den eigenen Vorurteilen und Urteilen gefangen. Dem gegenüber steht das „Du-Ohr“ des Zuhörens. Es äußert sich entweder in Akzeptanz, dem Wunsch entsprechend, jemanden besser als bisher zu verstehen. Oder darin, jemanden analysieren, begreifen, verstehen zu wollen, ohne mit dessen/deren Handeln einverstanden zu sein. Beiden Positionen gemeinsam ist aber das Ziel, „die Perspektive seines Gegenübers zu übernehmen“, andere in ihrer Andersartigkeit zu erkennen und/oder sich in sie hineinzuversetzen.
In der Methodik seiner Denk- und Vorgangsweise fühlt sich Bernhard Pörksen der „action research“ verpflichtet. Er orientiert sich an „sinnlicher Empirie und Beobachtung“, behutsam und genau, ohne Hoffnung auf ein „letztgültiges Bild“. Er appelliert mit seinem Buch, nicht vorschnell zu verallgemeinern und unbequeme Standpunkte nicht pauschal abzuwerten.
Von dieser Methodik sind die im zweiten Kapitel, „Praxis des Zuhörens“, vorgestellten vier Fallstudien getragen. In der ersten zeigt Bernhard Pörksen, wie schwer es fiel, dem skandalösen sexuellen Missbrauch in den 1970er- und 1980er-Jahren an der renommierten Odenwaldschule eine „kollektive Zuhörerschaft“ zu schaffen. Durch das Engagement Betroffener, mit Hilfe investigativen Journalismus und nicht zuletzt durch den Einsatz sozialer Medien gelang dies erst ab etwa 2010 gegen den Widerstand einer konzentrierten, pädagogisch idealisierenden, jeden Verdacht abwehrenden Phalanx erziehungswissenschaftlichen Establishments.
Aktuell und noch mitzuerleben ist das zweite Fallbeispiel „Ringen um Empathie im Ukrainekrieg“.
Der ursprüngliche Wunsch eine schöne digitale Welt zu gestalten, in der ein Universum des globalisierten Bewusstseins entstehen sollte, wird im dritten Beispiel, „Utopien des Silicon Valley“, nachgezeichnet. Der Innovation zugrunde lag die Absicht, technologiegestützt die Wahrnehmung aller Menschen zu erweitern. Inzwischen musste die Idee, basisdemokratische Nachrichtenkanäle zu entwickeln, den Plattformen der Propaganda weichen. Statt kollektiver Lernprozesse, die zu einer „besseren Welt“ führen sollten, ist ein „downgrading“ erfolgt, „eine fundamentale Entwürdigung des Menschen“. Die Teilnahme wurde auf die Zahl von Klicks und Likes reduziert, die entstehenden Daten werden als Verdienstquelle weniger Superreicher ausgespäht. Doch es regt sich Widerstand unter Beteilung der schon in die Jahre gekommenen ehemaligen Protagonisten. Sie sind noch immer auf der Suche nach „Fragen und Anstößen, die aufrütteln, den Geist öffnen, ein neues Sehen und Hören ermöglichen“ (S. 190).
Zuletzt wird die „Unbequeme Wahrheit der Klimakrise“ als Fallbeispiel behandelt. Bernhard Pörksen spricht vom „murmelnden Verdrängen“. Es bezeichnet ein abwehrendes Verhalten, mit dessen Hilfe man mittels gewohnter Routine großen Problemen individueller und gesellschaftlicher Art ausweicht. Bezüglich der Klimaerwärmung, die seit Ende der 1980er-Jahre öffentliches Thema ist, diagnostiziert der Autor gleichzeitig Aufklärung und Verhaltensstarre. Er plädiert dafür, ergänzend zur Aufklärung mit wissenschaftlichen Fakten, eine andere Aufklärung zu forcieren, „die Lebensrealitäten und Weltanschauungen als Kommunikationsbarrieren ernst nimmt“ (S. 241). Starke Bilder, persönliche Geschichten und Emotionen sollten stärker berücksichtigt werden und kommunikativ zum Einsatz kommen. Denn die Gefahr droht, dass die Menschen für immer mehr und fortgesetzte Zerstörung des Klimas zu gewinnen sind.
Der dritte Teil des Buches, „Politik des Zuhörens“, fasst die Überlegungen des Autors reflexiv zusammen. Als Ergebnis ist zu erkennen, dem Zuhören dient, sich von Klischees und vorschnellen Urteilen zu lösen – „sich selbst zu vergessen“. Bernhard Pörksen warnt davor, sich „epistemisch zu schließen“. Er empfiehlt, nicht dem eigenen Wissen verhaftet zu bleiben, sondern sich „Sonderbarkeiten“ und anderen Weltbildern gegenüber zu öffnen. Zuhören, meint der Autor, ist „gelebte Demokratie im Kleinen“. Stets gilt es den Kontext zu erschließen und Trennendes zu klären, Verschiedenheit anzuerkennen und zu akzeptieren. Dies bezeichnet Bernhard Pörksen als Voraussetzung, für die „gemeinschaftliche Erfindung einer Welt, die überhaupt erst im Miteinander-Reden und Einander-Zuhören entsteht“ (S. 276).
Das Buch stellt Bezüge zu wissenschaftlichen Erkenntnissen her und verbindet ausgewogen aktuelle gesellschaftliche Problemlagen mit Erfahrungen sowie Interviews des Autors.
Die Lektüre eignet sich besonders für Veranstaltungen der politischen Bildung/Demokratiebildung sowie für die Bereiche Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. //
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