Aus meinem Freundeskreis der Endfünfziger höre ich zunehmend Pläne für die nachberufliche Phase, darunter nicht selten Bildungswünsche:
- Italienisch lernen und in die Trentiner Heimat des längst verstorbenen Großvaters reisen,
- den jährlichen Baumschnitt im Garten fachgerecht und in Erwartung reicher Frucht meistern,
- Kurrent lesen können, um Dokumente der Familiengeschichte zu lesen,
- endlich den vom langen Sitzen ramponierten Körper durch Ausgleichsgymnastik wieder fit machen,
- die neuesten Erkenntnisse der Quantenphysik verstehen wollen…
Diesen Bildungsvorhaben entspricht das Programm der Österreichischen Urania für Steiermark, einer Volkshochschule auf Vereinsbasis mit Sitz in Graz und Außenstellen in Knittelfeld, Weiz und (ab Sommer 2021) in Bad Radkersburg, so wie der übrigen Volkshochschulen oder anderer Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung mit zahlreichen Kursen.
Finanzierung als hemmender Faktor von Bildung im Alter
Wer noch im Berufsleben steckt, mag sich bei der Auswahl aus unzähligen Bildungsangeboten nach (scheinbar) unendlicher Freizeit und der Freiheit der nachberuflichen Phase sehnen, geht es doch um die kulturelle Gestaltung des folgenden Lebensabschnitts, als aktiv gesetzte Schritte gegen angenommene oder tatsächliche Defizite im Alter und für die persönliche Weiterentwicklung. Ob die wissenschaftlich unzweifelhaft bewiesenen positiven Effekte von Bildung im Alter (siehe z.B. die Zusammenstellung bei Kolland & Ahmadi: 2010, 39 f.) – Senkung von Demenz- und Mortalitätsrisiko, Steigerung des physischen und psychischen Wohlbefindens, Möglichkeiten der Sozialisation und der individuellen Selbstorganisation usw. – bei der individuellen Entscheidung für ein Bildungsangebot bewusst sind, sei dahingestellt.
Hemmende Faktoren der aktuellen Bildungsbeteiligung im Alter sind bekannt: Defizite in der Bildungsbiografie, Schwellenangst bei der Kursanmeldung aufgrund von sozialer Herkunft und Milieuvariablen, fehlende Partner oder Ansprechpersonen im „dialogischen Lernen“, eingeschränkte Mobilität usw. (Kolland & Klingenberg: 2011, 29 ff.)
Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen unter anderem Friebe & Hülsmann (2011, 07-7). Sie nennen bezogen auf die Erwachsenenbildung in deutschen Städten Erreichbarkeit, Transparenz und Vernetzung als fördernde Faktoren bzw. deren Fehlen als Bildungshemmnis.
Kolland & Ahmadi (2010, 96 ff.) nennen zusätzlich auch finanzielle Faktoren als Bildungshemmnis. Nach „keine Zeit“ wurde an bereits zweiter Stelle der Preis als Anlass für die nicht erfolgte Bildungsteilnahme genannt: In einer quantitativen Studie in Kooperation mit dem Institut für Sozialforschung nannten 44 Prozent der bildungsinaktiven und 43 Prozent der bildungsaktiven Personen über 50, dass Bildungsangebote „zu teuer“ seien. Die geringen Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen verwundern, ihre Ursache können jedoch in nachfolgend beschriebenen Fakten bzw. den fehlenden finanziellen Anreizen gesehen werden.
Die nur kurz darauf erschienene LLL:2020-Strategie (Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich: 2011, 41 ff.) nennt in der Aktionslinie 9 („Bereicherung der Lebensqualität durch Bildung in der nachberuflichen Lebensphase“) sowohl in den Zielen als auch in den Maßnahmen Qualität, Wohnortnähe, Niederschwelligkeit und Barrierefreiheit als Desiderate, an keiner Stelle jedoch die leichtere bzw. für ältere Menschen erleichterte Finanzierbarkeit. Die unter anderem auf dieser Programmatik aufbauende LLL-Strategie 2022 des Landes Steiermark (2017) nennt Kostenfreiheit bzw. Leistbarkeit – zu Recht! – nur im Zusammenhang mit Basisbildung und dem Nachholen des Pflichtschulabschlusses, bei Angeboten und Projekten zur gesellschafts- und demokratiepolitischen (Bewusstseins-)Bildung und bei der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Öffentlichen Bibliotheken (2017, 15, 19, 27).
Ganz im Einklang mit den genannten Strategien, aber dennoch überraschend erwähnt auch der Ausgabe „Erwachsenenbildung als Faktor aktiven Alterns“ des „Magazin erwachsenenbildung.at“ an keiner Stelle Kostenfaktoren.
Im Rahmen der Zeitschrift „Die Österreichische Volkshochschule“ erschein im Herbst/Winter 2020 ein Schwerpunktheft zur Bildung älterer Menschen mit einer umfangreichen Datensammlung (Zwielehner: 2020), einem historischen Aufriss der Altenbildung an den Volkshochschulen (Dostal: 2020) und einer Darstellung gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklungen (Kolland, Galistl & Hengl: 2020). Brugger (2020) beschreibt Armut bzw. Armutsgefährdung als Belastung für diese Altersgruppe; auch hier sind die Kostenreduktion bzw. finanzielle Anreize für Bildungsangebote kein Thema.
Finanzielle Schlechterstellung von Personen in der nachberuflichen Phase
Haben Personen in der nachberuflichen Phase in Österreich tatsächlich vergleichbare finanzielle Zugänge zu Erwachsenenbildung und somit die gleichen Bildungschancen wie Jüngere? Oder gibt es strukturelle Hemmnisse mit finanziellen Auswirkungen auf die Bildungsbereitschaft von Personen in der nachberuflichen Erwachsenenbildung?
Die Senkung der Bildungskosten kann erfolgen durch
- Geltendmachung als Werbungskosten im Rahmen des Steuerausgleichs;
- Übernahme der Kosten durch Arbeitgeber;
- Bildungschecks und Bildungsgutscheine;
- Preisreduktion seitens der anbietenden Institution.
1. Geltendmachung als Werbungskosten im Rahmen des Steuerausgleichs
Das Einkommenssteuergesetz besagt in der geltenden Fassung:
„1. Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Aufwendungen und Ausgaben für den Erwerb oder Wertminderungen von Wirtschaftsgütern sind nur insoweit als Werbungskosten abzugsfähig, als dies im folgenden ausdrücklich zugelassen ist. […]
10. Aufwendungen für Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der vom Steuerpflichtigen ausgeübten oder einer damit verwandten beruflichen Tätigkeit und Aufwendungen für umfassende Umschulungsmaßnahmen, die auf eine tatsächliche Ausübung eines anderen Berufes abzielen. […]“ (EStG § 16)
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass die Mehrzahl der von der Urania oder anderen Volkshochschulen angebotenen Kurse diesen Kriterien eines Zusammenhangs mit der derzeitigen oder einer künftigen Berufstätigkeit nicht entspricht. Dennoch gibt es zum Beispiel im Bereich Sprachen, EDV und Persönlichkeitsbildung durchaus Bildungsangebote, die je nach Branche oder Aufgabengebiet auch beruflich nutzbar sind und daher bei der ArbeitnehmerInnenveranlagung geltend gemacht werden können.
Dabei gilt auch vonseiten des Finanzministeriums eine großzügige Regelung der Anerkennung:
„[…] kaufmännische oder bürotechnische Grundausbildungen (z.B. EDV-Kurse, Internet-Kurse, Erwerb des europäischen Computerführerscheins, Einführungskurse in Buchhaltung, Kostenrechnung, Lohnverrechnung oder Steuerlehre) sind ohne Prüfung einer konkreten Verwertbarkeit im jeweiligen Beruf abzugsfähig. […]
Kosten zum Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen sind abzugsfähig, wenn man die Sprache im Beruf benötigt (z.B. als Sekretär, Telefonist, Kellner, Hotelangestellte oder Exportsachbearbeiter). Als Fremdsprache gilt jede von der Muttersprache verschiedene Sprache, gegebenenfalls auch Deutsch.“ (Bundesministerium für Finanzen: 2021)
Die dadurch erzielte Preisreduktion beträgt je nach Höhe des Einkommens und der damit verbundenen Besteuerung zirka 30 Prozent. Personen in der nachberuflichen Phase üben naturgemäß keine berufliche Tätigkeit mehr aus und können daher von diesem Angebot nicht Gebrauch machen: „Da eine Pensionistin oder ein Pensionist keine Erwerbstätigkeit ausübt, sind Bildungsmaßnahmen jedweder Art (Fortbildung, Ausbildung, Umschulung) grundsätzlich nicht als Werbungskosten absetzbar.“ (Bundesministerium für Finanzen: 2021).
2. Übernahme der Kosten durch Arbeitgeber
Es steht Arbeitgebern frei, Fortbildungskosten der Angestellten zu übernehmen. In manchen Fällen, wie bei der Kurzarbeit können Arbeitgeber für Fortbildungskosten beim Arbeitsmarktservice um Refundierung ansuchen (Arbeitsmarktservicegesetz §37c). Bei der Förderung durch Arbeitgeber ist der oben genannte Überschneidungsbereich zwischen den Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung und der Nutzung in der beruflichen Tätigkeit ebenso anzunehmen.
Somit gilt wiederum, dass ältere Lernwillige auch von dieser finanziellen Begünstigung ausgeschlossen sind.
3. Bildungschecks und Bildungsgutscheine
In einigen Bundesländern geben die Arbeiterkammern Bildungschecks oder Bildungsgutscheine aus, die nur bei den mit ihnen institutionell verbundenen Volkshochschulen oder BFIs eingelöst werden können.
Begründet wird diese Maßnahme mit der Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes durch höhere Qualifikation (vgl. z. B. Arbeiterkammer Steiermark: 2021). Naturgemäß können jene, die im Ruhestand sind und keinen Arbeitsplatz mehr haben, auch von dieser Vergünstigung nicht Gebrauch machen. Die Einlösung dieser Bildungschecks und Bildungsgutscheine wird jedoch – im Widerspruch zur Begründung – nur bei den mit der jeweiligen Arbeiterkammer verbundenen Bildungsinstitutionen erlaubt, nicht für andere, z.B. die Österreichische Urania für Steiermark.
4. Preisreduktion seitens der anbietenden Institution
Jeder Institution ist es unbenommen, für einzelne Personengruppen reduzierte Preise festzusetzen, z.B. für Studierende, Personen bis 18 oder ab 60 Jahren, sofern es sich nicht um eine Preisdiskriminierung aufgrund von Staatsangehörigkeit oder Wohnsitzland handelt (Europäisches Parlament: 2018).
Selten jedoch beträgt die Preisreduktion mehr als 20 Prozent – wohl aus wirtschaftlichen Gründen, da die Mindereinnahmen bei den begünstigten Gruppen durch höhere Preise bei den anderen Personen aufgewogen werden müssen. Der immer stärkere Preisdruck in der allgemeinen Erwachsenenbildung verhindert hier die finanzielle Besserstellung von älteren Personen.
Ausblick
Was positiv wirkt, soll gefördert werden. Dafür finden sich im österreichischen Steuerrecht und in der umfangreichen Förderlandschaft Österreichs zahlreiche Beispiele. Unbestritten ist freilich auch, dass finanzielle Anreize zu Bildungsaktivitäten in der nachberuflichen Phase nicht unter dem Titel der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit begründet werden können.
Dass im Umkehrschluss die Regierung und Sozialpartner die Aufwendungen für Erwachsenenbildung wegen mangelnder arbeitsmarktpolitischer Relevanz dem Privatbudget oder den anbietenden Institutionen anzulasten, ist im Bewusstsein der oben genannten und wissenschaftlich bewiesenen positiven Effekte von Bildung im Alter eine strukturelle Lücke und eine nicht verständliche Ungerechtigkeit in der österreichischen Erwachsenenbildung. //
Kommentare