Markus Hengstschläger/Rat für Forschung und Technologieentwicklung (Hrsg.): Digitaler Wandel und Ethik.

Markus Hengstschläger/Rat für Forschung und Technologieentwicklung (Hrsg.): Digitaler Wandel und Ethik.
Salzburg – München: Ecowin Verlag 2020, 441 Seiten.

Digitalisierung gilt als Gebot der Stunde. Zuletzt wirkte im Frühjahr 2020 die Covid-19-Pandemie als Verstärker. Im Alltag, in der Politik, in der Arbeit und im Bildungswesen wurde der Ruf lauter als zuvor, Digitalisierung zu fördern. Damit verbindet sich die Hoffnung, mit Hilfe von Technologie Distanzen zu überwinden – „distance learning“, „home office“ – aber auch mehr und mehr Daten zu generieren, zu sammeln, zu speichern und zu nutzen. Die schon seit etwa fünf Jahrzehnten vor sich gehende digitale Transformation hat somit in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung einen neuen Schub erhalten.

Der Frage, welche Konsequenzen eine digital gesteuerte Welt mit sich bringt, geht dieses Buch nach. Da damit Fragen nach dem Wohle und den Risiken für Menschen tangiert werden, erklärt sich das Thema Werte und Ethik. Siebenundzwanzig Beiträge von WissenschafterInnen behandeln diese Problematik. Das umfangreiche Werk gliedert sich in vier Teile. Grundsätzliche Überlegungen finden sich im ersten Teil „Wissenschaft, Technik und Gesellschaft“. Darin wird Digitalisierung mit dem Begriff „Digitale Ökologie“ in einen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang gestellt.

Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf dem Thema „Künstliche Intelligenz“. Die österreichische Wissenschafterin Sarah Spiekermann, ihr Buch „Digitale Ethik“ wurde in dieser Zeitschrift vor kurzem besprochen, schreibt über die Unterschiede von künstlicher und menschlicher Intelligenz. Sie wehrt sich dagegen, Systeme künstlicher Intelligenz als menschenähnlich zu bezeichnen. Dies hält sie für einen Angriff auf die Freiheit und Würde der Menschen. Spiekermann führt gegenüber Systemen künstlicher Intelligenz die Autonomie menschlichen Handelns ins Treffen, die aber sozial eingebettet ist. Daraus ergibt sich Rückkoppelung an eine soziale Gruppe, soziale Bedingtheit und individuelle Verletzbarkeit – soziale Erwägungen, die auf Maschinen nicht zutreffen.

Der dritte Teil thematisiert den digitalen Wandel im Gesundheitsbereich. Diskutiert werden Digitalisierung im Gesundheitswesen, automatisierte Medizin und bereits in rechtlichen Dokumenten bestehende Wertsetzungen der EU im Gesundheitssektor bezüglich Künstlicher Intelligenz und Robotik. Vertrauen gilt als übergeordnetes Ziel einer Digitalisierung, die auf ethischen und rechtlichen Prinzipien beruht.

Mit der „Gestaltung der Zukunft“ beschäftigt sich der vierte Teil, in dem gesellschaftspolitische Aspekte der digitalen Transformation angesprochen werden. Hervorgehoben wird die Rolle unternehmerischer Verantwortung („responsible innovation“) und die Rolle der Informatik als Leitwissenschaft, die sich übergreifend mit Informationsprozessen beschäftigt.

Zur Orientierung, welche Prinzipien für die künftige Entwicklung der Informatik gelten sollen, wird das „Wiener Manifest für Digitalen Humanismus“ (2019) vorgestellt. Es fungiert als Grundlage, um den Fortschritt – besser das Fortschreiten – der Digitalisierung zu beeinflussen, und zwar soll das komplexe Zusammenspiel von Technologie und Menschheit unter Achtung der Menschenrechte beschrieben, analysiert und gesteuert werden. Das ist ein interdisziplinärer Ansatz, bei dem nicht nur allein die Informatik notwendig ist. Die Prinzipien zielen auf demokratische Beteiligung, gegen Technologiemonopole sowie auf Wissenschaft, Universität, Bildung und Ausbildung. Interdisziplinäres Forschen und Lehren, letzterem entsprechende integrierende neue Curricula sowie mehr Information über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Informatik, werden gefordert. Somit zeigt das Buch auch die Notwendigkeit von aktuellen Reformen in allen Sektoren des Bildungssystems.

Das Buch lenkt die Aufmerksamkeit auf die vor sich gehenden technologischen Veränderungen. Es fordert auf, nicht nur zu beobachten, was vor sich geht, sondern in Praxis und Wissenschaft Einfluss auszuüben.

Ein wichtiges Buch, um weitere gesellschaftliche Entwicklungen zu beurteilen und eventuell mitzusteuern, auf alle Fälle für wissenschaftliche Bibliotheken geeignet. //

Lenz, Werner (2020): Markus Hengstschläger/Rat für Forschung und Technologieentwicklung (Hrsg.): Digitaler Wandel und Ethik. Salzburg – München: Ecowin Verlag 2020, 441 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst/Winter 2020, Heft 271/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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