Wenn man oder frau mit DolmetscherInnen spricht, die im Asylverfahren arbeiten, wird schnell klar, wie vielschichtig und herausfordernd ihr Beruf ist. Herr Ezeh1 zum Beispiel erzählt, dass es immer wieder vorkomme, dass er mehrere Stunden hintereinander in einem Stück dolmetschen muss. Oft habe er dann das Gefühl, sich nicht mehr ausreichend konzentrieren zu können. Herr Ezeh berichtet auch, dass er vieles nur durch Paraphrasieren dolmetschen könne; besonders schwierig sei es, juristische Begriffe wie Paragraph, Rechtsvertreter oder subsidiärer Schutz zu dolmetschen. Auch Frau Aden spricht dieses Problem an; sie meint, dass es zwar in den Sprachen der AsylwerberInnen. Für die sie dolmetscht, passende Begriffe gäbe, die meisten Asylsuchenden würden diese Begriffe aber nicht kennen. Je länger sie dolmetscht, je mehr bezweifelt sie, dass die geflüchteten Menschen ihre Translate verstehen können.
Frau Ali wiederum, ist mit anderen Problemen konfrontiert. Sie erzählt, dass die AsylwerberInnen für die sie dolmetscht, manchmal nur ein Wort zu sagen brauchen, und sie dann genau wisse, was diese hinter sich haben. Sie hat Krieg, Vertreibung und Flucht selbst erlebt und weiß, was hinter diesem einen Wort steckt. Frau Ali erzählt auch, dass sie nach Einvernahmen oft nicht schlafen kann. All das von ihr selbst Erlebte kommt durch die Erzählungen der AsylwerberInnen wieder hoch.
Dann gibt es auch die vielen DolmetscherInnen, die erzählen, wie schwierig es sei, sich abzugrenzen. Sie berichten, dass EinvernahmeleiterInnen Einschätzungen darüber haben wollen, ob die Erzählungen der AsylwerberInnen der Wahrheit entsprechen. Asylsuchende wiederum wollen von ihnen wissen, welche Geschichten im Verfahren erfolgversprechend sind. Dies alles, so sagen viele, hört nach den gedolmetschten Einvernahmen nicht auf. So erzählt Frau Diallo, dass sie massiv bedroht werde. Ein abgeschobener Asylwerber, für den sie gedolmetscht hat, habe sogar ihre Mutter im Herkunftsland aufgesucht und bedroht. Auch Frau Aden erzählt, dass sich ihre Arbeit im Asylverfahren auf ihr Privatleben auswirkt. Sie vermeidet mittlerweile den Kontakt zu Leuten aus ihrem Herkunftsland. Diese würden sie ständig in eine „Zwickmühle“ bringen. Wenn jemand Asyl bekommt, sei sie die „Heilige“ und wenn nicht die „Böse“, mit der niemand spricht. Trotzdem sagt Frau Aden, stehe sie eigentlich auf Seiten der AsylwerberInnen. Wenn zum Beispiel eine Asylwerberin sie in einer Einvernahme um Unterstützung bittet und fragt, welche Erzählungen und Aussagen am erfolgversprechendsten sind, dann kommt Frau Aden dem zwar nicht nach, dolmetscht aber das Hilfegesuch auch nicht ins Deutsche. Sie sagt, sie kann das menschlich nicht mit sich vereinbaren. Die Glaubwürdigkeit der betreffenden Asylwerberin würde massiv in Frage gestellt werden und das ganze Verfahren könne in weiterer Folge negativ ausgehen.
Vielfältige Herausforderungen
Die Erzählungen der oben zitierten DolmetscherInnen machen deutlich, welchen vielschichtigen Anforderungen DolmetscherInnen im Asylverfahren begegnen. Einerseits müssen behördliche Fragen, Entscheidungen und Begründungen an geflüchtete Menschen gedolmetscht werden, deren Bedeutungen und Relevanzen sich oft nur mit Hilfe von institutionellem Wissen erschließen. Andererseits sind DolmetscherInnen auch gefordert, Erzählungen über Flucht, Trauma und Verlust, die in den Erfahrungswelten von geflüchteten Menschen verankert sind, in den institutionellen Kontext von Asylverfahren zu übertragen. Diese Übertragung ist nicht immer ohne weiteres möglich (vgl. Jacquemet: 2011; Maryns 2005). Besonders herausfordernd wird sie, wenn sich – wie im Falle von Frau Ali – eigene traumatische Erfahrungen mit den zu dolmetschenden Erzählungen überschneiden (vgl. Crezee, Jülich & Hayward: 2011).
Hinzu kommt, dass dies alles in einem politisierten gesellschaftlichem Spannungsfeld stattfindet. Ein Spannungsfeld, in dem es um die Überwachung von Ein- und Ausreise als Element staatlicher Souveränität einerseits und um die Einhaltung von universalen Menschenrechten andererseits geht (vgl. Benhabib: 2009). Dieses Spannungsfeld verlangt ethische Entscheidungen und eine Positionierung seitens aller darin arbeitenden Menschen, im Besonderen aber der DolmetscherInnen, die in diesem Spannungsfeld „zwischen“ den verschiedenen Beteiligten stehen und unweigerlich mit deren Erwartungen konfrontiert sind. Dies sind Entscheidungen, die – wie es die Translationswissenschaft erin Şebnem Bahadır (2010, 103 f.) formuliert – DolmetscherInnen, „als ganze Personen fordern – als Mensch mit einer bestimmten Lebensgeschichte, als (ehemaliger) Asylbewerber oder als (eigentlich über)integrierte und distanzierte Migrantin der dritten Generation oder als (inzwischen anerkannter) politischer Flüchtling.“ Auch wenn DolmetscherInnen nicht über den Ausgang von Verfahren bestimmen, können sie das Umfeld in dem geflüchtete Menschen ihren Asylantrag stellen, mitgestalten (vgl. Inghilleri: 2012).
Bisher mangelnde Ausbildungs- und Vernetzungsmöglichkeiten
Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der derzeit im österreichischen Asylverfahren arbeitenden DolmetscherInnen über keine Ausbildung verfügt, die sie auf die vielschichtigen Anforderungen ihres Berufs vorbereitet hätte. Ausbildungsmöglichkeiten zum/r DolmetscherIn gab es bis vor kurzem nur an den Universitäten in Form von translationswissenschaftlichen Studiengängen.2 Diese Studiengänge werden nur für bestimmte Sprachenkombinationen angeboten; ein großer Teil der im Asylverfahren benötigten Sprachen (wie beispielsweise Dari, Somali oder Punjabi) sind nicht Teil der universitären Curricula. Hinzu kommt, dass die Zugangshürden zu einem Studium für viele der im Asylverfahren arbeitenden DolmetscherInnen zu hoch sind. Das liegt nicht nur daran, dass sie nicht über die notwendige Studienberechtigung verfügen, sondern auch daran, dass die für ein Studium notwendigen Zeit- und Geldressourcen nicht aufgebracht werden können. Die Folge davon ist, dass viele DolmetscherInnen mit den an sie gestellten Herausforderungen alleine gelassen sind und eine kritische, außenstehende, Instanz fehlt, mit der sie in einem geschützten Raum über die Herausforderungen sprechen können, denen sie begegnen. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der im Asylverfahren arbeitenden DolmetscherInnen keinen Zugang zu berufspolitischen Netzwerken, wie Berufsverbänden, hat. Diese nehmen in der Regel nur Personen als Mitglieder auf, die über ein abgeschlossenes translationswissenschaftliches Studium verfügen.
Abhilfe soll jetzt ein neuer Lehrgang schaffen, der an den österreichischen Volkshochschulen angeboten wird und im nachfolgenden Beitrag von Elisabeth Feigl näher beschrieben wird. In diesem Lehrgang haben DolmetscherInnen erstmals die Möglichkeit, sich gemeinsam mit KollegInnen und angeleitet durch ExpertInnen mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, die sich im Asylverfahren für sie ergeben. Dies ist ein erster, wichtiger, Schritt, um den vielfältigen Anforderungen des Dolmetschens im Asylverfahrens gerecht werden zu können. //
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