Community-Ansätze in der Erwachsenenbildung
Community-Ansätze zielen auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am sozialen, kulturellen und politischen Leben in ihren Gemeinden und Stadtteilen. Es geht um Bildung durch Beteiligung und um Bildung für Beteiligung am kommunalen Leben. In der österreichischen Erwachsenenbildung haben Community-Ansätze starke und eigenständige Traditionen – mit sehr unterschiedlichen Bezeichnungen: lokale Bildungs- und Kulturarbeit, gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung, gemeindebezogene Erwachsenenbildung, lernende Gemeinden, lernende Regionen, Lernen vor Ort, Kultur vor Ort, soziokulturelle Bildung usw. Institutionell finden wir Community-Ansätze vor allem bei den Organisationen der allgemeinen Erwachsenenbildung: als zentraler Schwerpunkt bei den Mitgliedsorganisationen des Rings Österreichischer Bildungswerke und des Forums Katholischer Erwachsenenbildung (mit ihren ehrenamtlich geführten lokalen Bildungswerken), als wichtiger Teilbereich bei den Volkshochschulen (VHS im Gemeindebau, Akademie der Zivilgesellschaft) und den öffentlichen Büchereien (community-orientierte lokale Büchereien). Der „neudeutsche“ Sammelbegriff „Community-Ansätze“ wird von den AkteurInnen vor Ort kaum verwendet, bietet aber Anschlussmöglichkeiten an internationale Bildungsdiskurse, insbesondere mit Blick auf die weltweite Bedeutung von Community-Orientierung in der Bildung. Mit der Formel „Community-Ansätze“ kommt aber auch die ambivalente Dominanz angelsächsischer Begriffe und Konzepte in den europäischen Bildungsdiskursen zum Ausdruck. Gleichzeitig ist der Community-Begriff ein in die Alltagssprache eingewanderter Anglizismus mit sehr positiven Konnotationen. Die Verwendung einer wörtlichen deutschen Übersetzung als „Gemeinschaftsbildung“ oder „gemeinschaftsbezogene Bildung“ erscheint vor dem Hintergrund der mit dem Gemeinschaftsbegriff im Deutschen verbundenen traditionalistischen bis hin zu rassistischen Konnotationen im Nationalsozialismus problematisch. Ich werde im Folgenden vor allem von gemeinwesenorientierter Erwachsenenbildung sprechen. Ein zentrales Kennzeichen gemeinwesenorientierter Erwachsenenbildung in Österreich ist, dass sie hauptsächlich von ehrenamtlichen bzw. freiwilligen MitarbeiterInnen geleistet wird.
Beispiel Bildungswerke
Beispiel für einen Community-Ansatz in der österreichischen Erwachsenenbildung ist die lokale Bildungs- und Kulturarbeit der Mitgliedsorganisationen des Rings Österreichischer Bildungswerke: Sie basiert auf den ehrenamtlich geführten örtlichen Bildungswerken sowie auf lokalen Kultur- und Bildungsvereinen. Die ehrenamtlichen AkteurInnen vor Ort werden von hauptberuflichen ErwachsenenbildnerInnen in Landesverbänden beraten und begleitet. Zentrale Ziele des Community-Ansatzes des Rings sind die Stärkung von Demokratie und Solidarität in den Gemeinden, das Anknüpfen an lokale Bedürfnisse, Interessen und Ressourcen, die besondere Berücksichtigung benachteiligter Gruppen, mehr Empowerment durch gemeinsames Handeln, die Förderung inklusiver Lernprozesse usw. Zentrale Themen der Einzelveranstaltungen, Workshops und Kurse sind: Kunst und Kultur in der Gemeinde, Politisches Handeln, Sprachen lernen, Digitalisierung im Alltag, Gesundheit und Sport, Elternbildung oder Älter werden. Besondere Veranstaltungsformen sind Bildungswochen und Lernfeste, interkulturelle Gärten, Runde Tische oder Biographiearbeit. Die Mitgliedsorganisationen des Rings haben schon in 1960er-Jahren Konzepte und Methoden lokaler Beteiligung propagiert (mit dem Schlagwort „Aktivbürger“, damals noch ohne weibliche Form) und waren in den 1970er- und 1980er-Jahren Pionierinnen der Dorferneuerung und Gemeindeentwicklung. Ein zusammenfassender Konzept- und Methodenüberblick erschien 1991 unter dem Titel „Dorferneuerung. Anregungen zum Mitmachen. Selbststudienmaterialien in 10 Bausteinen“. (Schoeller: 1991). Ein weiterer Schwerpunkt der Ring-Mitgliedsorganisationen ist die übergreifende Auseinandersetzung mit dem Ehrenamt bzw. freiwilligem Engagement: Vereinsakademien, Freiwilligenmanagement, Validierung informeller Lernprozesse im Engagement („Engagement schafft Kompetenz“). 1998 wurde vom Ring Österreichischer Bildungswerke ein EU-Projekt unter dem Titel „Bürgerschaftliches Handeln und gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung: Schnittstellen informeller und formeller Lernprozesse“ mit Partnerinstitutionen aus Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Italien und Ungarn gestartet (Koordination: Wolfgang Kellner und Genoveva Brandstetter). Mit der Formel „Bürgerschaftliches Handeln“ sollte die demokratiepolitische Dimension gemeinwesenorientierter Erwachsenenbildung neu gefasst werden. Durch den Blick auf informelle und formelle Lernprozesse sollte das gesamte Spektrum an Lernprozessen im gemeindebezogenen Engagement verdeutlicht werden.
Werkstätte Gemeinwesenarbeit
Eine Plattform für Community-Ansätze in der österreichischen Erwachsenenbildung ist die Werkstätte Gemeinwesenarbeit (GWA) am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) in Strobl. Sie existiert nun 40 Jahre, seit 1979. In den jährlich stattfindenden Tagungen wurden inzwischen über 200 gemeinwesenorientierte Projekte vorgestellt und mit Bezug auf bildungswissenschaftliche, gesellschaftspolitische und methodische Analysen reflektiert. Die Werkstätte GWA wurde in den 1970er-Jahren vom bifeb und Organisationen der Erwachsenenbildung, insbesondere von der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung des Rings Österreichischer Bildungswerke, als Reformprojekt „importiert“, insbesondere aus dem angelsächsischen Bereich. Die Werkstätte GWA wurde 1979 von einem Team aus VertreterInnen des bifeb (u.a. August Pöhn) und des Rings (u.a. Hannelore Blaschek) gestartet. Das Team erweiterte sich sehr bald um AktivistInnen aus der Gemeinde- und Regionalentwicklung (u.a. Anton Rohrmoser), in der Folge um weitere VertreterInnen aus EB-Organisationen und der Sozialen Arbeit. Die 2017 neu konstituierte Steuerungsgruppe besteht aus fünf VertreterInnen aus Erwachsenenbildungs-Organisationen und einem Vertreter aus der Sozialen Arbeit: Cornelia Primschitz (bifeb), Wolfgang Kellner (Ring Österreichischer Bildungswerke), Stefan Vater (Verband Österreichischer Volkshochschulen), Gerda Daniel (ArgeRegionKultur), Rahel Baumgartner (Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung) und Christoph Stoik (FH Campus Wien, Soziale Arbeit). Die GWA wurde in der Erwachsenenbildung weniger als sogenannte dritte Methode der Sozialen Arbeit (neben Einzelfall- und Gruppenarbeit) rezipiert – vielmehr als Arbeitsprinzip und als freie Arbeit im und am Gemeinwesen, bis hin zu einer „befreienden Praxis“ im Sinne Paolo Freires. Hauptziel war bzw. ist dabei, Probleme von BürgerInnen oder Minderheiten in Gemeinden oder Stadtteilen als gesellschaftliche Probleme gemeinsam zu erkennen, zu analysieren und zu lösen – bestimmt von Bildung, Solidarität und Demokratie. Die GWA erwies sich in der Erwachsenenbildung als Pionierin bei der Einführung aktivierender Methoden wie Zukunftswerkstätten oder aktivierende Erhebungen. Die Auseinandersetzung mit den über 200 Projekten seit 1979 wurde gleichzeitig zu einem Seismograph der bildungs-, sozial- und kulturpolitischen Rahmenbedingungen für eine gesellschaftskritische Praxis der Erwachsenenbildung.
Zivilgesellschaft
Zivilgesellschaft ist ein klassischer Begriff der politischen Theorie. Gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung ist mit ihren Vereinen, lokalen Zweigstellen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen selbst Teil der Zivilgesellschaft – und sie ist mit ihren gemeinwesenorientierten Angeboten und Projekten AkteurIn für mehr Zivilgesellschaft bzw. die Stärkung von Zivilgesellschaft: Bildung durch zivilgesellschaftliches Engagement, Bildung für mehr zivilgesellschaftliches Engagement. Unter Zivilgesellschaft werden in der Regel jene gesellschaftlichen Bereiche verstanden, in denen sich BürgerInnen in Abgrenzung von den Sphären des Staates, des Marktes und der Privatsphäre in freiwilligen Assoziationen, Vereinen, Verbänden, sozialen Bewegungen zusammenschließen bzw. gemeinsam handeln. Man spricht auch von einem intermediären Bereich zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre und verweist gleichzeitig auf mögliche Kooperationen zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft und Staat oder Wirtschaft: der Dialog mit der Zivilgesellschaft. Für die Organisationen der allgemeinen Erwachsenenbildung in Österreich (VHS, Bildungswerke im RING, konfessionelle Bildungswerke) ist Zivilgesellschaft in besonderer Weise ein Rahmen und ein Horizont. Ein Rahmen ist Zivilgesellschaft für die Organisationen der allgemeinen Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund, dass diese traditionell Teil jener Zivilgesellschaftstradition der Zweiten Republik sind, die in der Sozialpartnerschaft und der Zurechnung zu sogenannten weltanschaulichen Lagern zum Ausdruck kommt. Ein Horizont ist Zivilgesellschaft für die Organisationen der allgemeinen Erwachsenenbildung im Bezug darauf, dass diese auch Teil jener zivilgesellschaftlichen Aufbrüche seit den 1970er-Jahren ist, die in neuen soziale Bewegungen ihren Ausdruck finden: Frauenbewegung, Umweltbewegung, Friedensbewegung usw. Jüngstes bzw. aktuellstes Beispiel für zivilgesellschaftliche Aufbrüche mit vielfältigen Initiativen seitens der Erwachsenenbildung ist das Engagement für geflüchtete Menschen seit 2015. Vor dem Hintergrund grassierender Kritik an zivilgesellschaftlichen Organisationen seitens rechtspopulistischer Politik, aber auch hinsichtlich der Existenz eines rechtsradikalen Vereinswesens ist nach normativen und utopischen Dimensionen von Zivilgesellschaft zu fragen. Der Soziologe Frank Adloff formuliert hierzu folgendes: „Die Zivilgesellschaft ist auf die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten angewiesen, also auf einen staatlichen Schutz der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit. In der Regel zählen außerdem bestimmte zivile Verhaltensstandards wie Toleranz, Verständigung, Gewaltfreiheit, aber auch Gemeinsinn zur Zivilgesellschaft. Schließlich beinhaltet das Zivilgesellschaftskonzept auch ein utopisches Moment: das selbstregulierte demokratische Zusammenleben. Summa summarum umfasst der Begriff Zivilgesellschaft also dreierlei: einen gesellschaftlichen Bereich von Organisationen und Institutionen, zivile Umgangsformen und ein utopisches Projekt“ (Adloff: 2005, S. 8 f.). Damit muss Zivilgesellschaft in viel höherem
Maße als bisher auch ein Bildungs- und Lernprojekt sein – und damit eine große Herausforderung für die Erwachsenenbildung. Beispiel für eine unmittelbare Bezugnahme auf den Konnex zwischen Zivilgesellschaft und Erwachsenenbildung ist die Akademie der Zivilgesellschaft der Wiener VHS (http://www.zivilgesellschaft.wien/).
Beteiligung
Beteiligung/Partizipation ist mehr oder weniger explizit immer auch ein Lernprojekt: in Nachbarschaftsinitiativen ebenso wie in der Raumplanung, in selbstorganisierten Projekten der Zivilgesellschaft ebenso wie in Prozessen der BürgerInnenbeteiligung. Immer geht es dabei auch um individuelles und kollektives Lernen durch und für Partizipation. Methoden der Partizipation und der Moderation sind konstitutive Elemente der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung. Seit den 1970er-Jahren ist gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung Pionierin bei der Entwicklung und Einführung neuer Methoden: aktivierende Erhebungen, Aktionsforschung, Zukunftswerkstätten, Geschichts- und Schreibwerkstätten, Leitbildentwicklungen in Gemeinden. Jüngere Methoden und Konzepte sind World Cafes, Open Space Konferenzen, Repair Cafes. Einen Überblick zu den Methoden der Ring-Mitgliedorganisationen erschien 1991 unter dem Titel „Dorferneuerung. Anregungen zum Mitmachen. Selbststudienmaterialien in 10 Bausteinen“ (Schoeller: 1991). Im Rahmen des im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums vom Österreichischen Institut für Erwachsenenbildung geleiteten Projekts „Lernende Regionen“ erschien 2008 in der mehrteiligen Reihe „Handbuch Lernende Regionen“ der Band „Bundesweite Instrumente“. Partizipation ist in den letzten Jahrzehnten eine Art Mainstream-Strategie geworden: in der Raumplanung und Stadtentwicklung, bei unterschiedlichsten Bauvorhaben usw. Im Kontext gemeinwesenorientierter Erwachsenenbildung ist bzw. war Partizipation vor allem eine basisorientierte, kritisch-emanzipatorische Praxis, im Kontext ihrer „Durchsetzung“ ist Partizipation vielfach Gegenstand einer Profession geworden: Smarte Agenturen bieten Prozessbegleitungen und externe Moderationen an. Was bedeuten diese Prozesse der Professionalisierung von Partizipation für die Zukunft gemeinwesenorientierter Erwachsenenbildung? Eine neue aus dem Kontext der neuen „Professionalisten“ kommende Methode ist das Modell „Zukunftsräte“. Beteiligten sich an der „alten“ Zukunftswerkstätte zumeist die sogenannten „üblichen Verdächtigen“, die zumeist vielfältig engagierten BürgerInnen werden die Zukunftsräte per Zufallsauswahl ausgewählt und eingeladen. Die Zukunftsräte könnten „als eine Art vierte Gewalt dienen und auf verschiedenen Ebenen im Viereck von Parteien, Verwaltung, ehrenamtlich Engagierten und politischer Zivilgesellschaft agieren“. (Vgl. Nanz & Leggewie: 2016). Unter einem Zukunftsrat verstehen wir eine dauerhafte, durch Losverfahren repräsentativ auf einen Querschnitt der Bürgergesellschaft abzielende Einrichtung der Gemeinde oder eines Stadtteils (…). Der Zukunftsrat
identifiziert wichtige Zukunftsfragen und arbeitet in einem kooperativen Lernprozess Lösungsvorschläge aus. Er bietet genau damit einen Ort demokratischer Kultur, an dem Konflikte in ziviler Form bearbeitet und Zukunftsentwürfe in einem kollaborativen Lernprozess ausgearbeitet werden können“. (Evers &Leggewie: 2018, S. 39). Vom Büro für Zukunftsfragen des Landes Vorarlberg wird mit dem Projekt „Bürgerräte“ eine vergleichbare konsultative Methode seit Jahren erfolgreich angewendet. Diese mit besonders anspruchsvollen Lern- und Moderationsprozessen verknüpften Methoden könnten bzw. sollten auch ein neues Feld für gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung sein.
Validierung informelles Lernens
Mit dem oben genannten EU-Projekt zur gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung wurde informelles Lernen mit dem Akzent auf „Informelles Lernen im Engagement“ bereits 1998 Thema der Erwachsenenbildung. Es wurde deutlich, dass gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung ja immer schon auf „Bildung/Lernen für Engagement“ (non-formale Angebote) und auf „Bildung/Lernen durch Engagement“ (informelles Lernen ermöglichen) setzte. Die gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung wurde damit zu einer Pionierin für das Thema „Informelles Lernen bzw. informell erworbene Kompetenzen validieren“. Seit Ende der 1990er-Jahre wurden vom Ring Österreichischer Bildungswerke eine Reihe von Formaten zur Kompetenzerfassung entwickelt und eingeführt, die sich auf Lernen im Engagement/Lernen für das Engagement bezogen: unter anderem die Formate „Kompetenzportfolio für Freiwillige“, „Kompetenznachweis für Freiwillige“, „Lebenserfahrung sucht Engagement: das passende Ehrenamt finden“ (Workshop für ältere Menschen). Mit der österreichischen Strategien zum lebensbegleitenden Lernen „LLL:2020“ (Wien 2011) gewannen gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung und das informelle Lernen im Engagement erstmals offizielle Aufmerksamkeit und Anerkennung – insbesondere durch die Aktionslinie 6: „Verstärkung von Community-Education“-Ansätzen mittels kommunaler Einrichtungen und in der organisierten Zivilgesellschaft“. (BMUKK u.a.: 2011, S. 32 f.). Die Aktionslinie Community-Education versammelt das gesamte Spektrum an Prinzipien und Methoden der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung: Vernetzung, Aktivierung, Empowerment, Partizipation, Kooperation, Selbstbestimmung, Zielgruppenorientierung. Unter den Überschriften „Vision“, „Ziele“, „Ist-Stand“ und „Maßnahmen“ wurde seitens der Bildungspolitik mit der Aktionslinie 6 eine kooperative Gesamtstrategie in Aussicht gestellt, die jedoch nach einer kurzen Aufbruchsstimmung und Initiativen seitens der EB-Verbände von der Bildungspolitik nicht weiterverfolgt wurde. Interessanterweise fanden die Erfahrungen der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung aber Eingang bei den Aktivitäten zur Aktionslinie 10: „Verfahren zur Anerkennung non-formal und informell erworbener Kenntnisse und Kompetenzen in allen Bildungssektoren“. (BMUKK u.a.: 2011, S. 44 f.).
Ambivalenzen
Betrachtet man die genannten Akzentsetzungen mit dem Blick der kritisch-emanzipatorischen GWA-Tradition, so drängt sich eine Bezugnahme auf die Debatte um neoliberale Gouvernementalität auf – eine Debatte, die in den letzten Jahren auch die Diskurse der Erwachsenenbildung und der Sozialen Arbeit erreicht hat. Der Begriff „Gouvernementalität“ wurde vom Philosophen Michel Foucault (1926–1984) eingeführt und bezeichnet ein sehr weites Verständnis des Regierens, nämlich „die Gesamtheit von Prozeduren, Techniken, Methoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander gewährleisten.“ (Foucault: 1996, S. 118 f.). Es geht dabei um eine neuartige „Menschenregierungskunst“ mit ganz speziellen Formen der Fremd- und Selbstführung. Das heißt beispielsweise, dass Regieren zunehmend auch über zivilgesellschaftliche Instanzen und über Praxen der Selbstführung und Selbstbestimmung funktioniert. (Vgl. Stövesand: 2007). Damit haben Begriffe wie Partizipation, Aktivierung, Empowerment, Selbstorganisation nicht mehr dieselbe kritisch-emanzipatorische Bedeutung wie in der GWA der 1970er-Jahren, sie sind Teil staatlicher Aktivierungspolitik geworden: „Regieren durch Gemeinschaft“. (Bröckling: 2005). Das bedeutet nicht automatisch eine Verabschiedung kritisch-emanzipatorischer Veränderungsperspektiven, wohl aber eine Neuorientierung, zu der die GWA-Forscherin Sabine Stövesand anmerkt: „Wenn dies von AkteurInnen sozialer Bewegungen oder einer kritischen Gemeinwesenarbeit nicht als eigenes Versagen oder als Unmöglichkeit von Emanzipation, sondern analytisch als grundlegender Funktionsmodus verstanden wird, dann könnte eine heilsame Distanz zum eigenen Handeln entwickelt werden, die schmerzhafte Desillusionierung und damit Resignation verhindert und gleichzeitig das Aufdecken von Handlungsspielräumen ermöglicht.“ (Stövesand: 2007, S. 8). Die „alten“ normativ-kritischen Orientierungen der GWA und neue Formen der Selbststeuerung und öffentlicher Steuerung eröffnen neue Handlungsfelder. Alison Gilchrist bemerkt für neue Community-Ansätze in Großbritannien: „Neue Konzepte (wie Sozialkapital und >kommunale Wirksamkeit<) und alte Werte (wie Vertrauen und Solidarität) bieten spannenden Rahmenbedingungen für die Zukunft“. (Gilchrist: 2006, S. 8). Für John Field sind vor allem folgende drei Konzepte für die neue Community-Orientierung relevant: (1) der Kommunitarismus als (durchaus ambivalente) gesellschaftspolitische Bewegung für mehr Community-Orientierung und gegen die zunehmende Individualisierung in den Gesellschaften; (2) das Konzept „Sozialkapital“, welches verspricht, den Nutzen von Community-Orientierungen auch messbar zu machen; schließlich (3) das Konzept einer „Reflexiven Modernisierung“, das in Abgrenzung gegenüber dem Kommunitarismus auf eine reflektierte Individualisierung setzt, in dem z. B. deutlich gemacht wird, dass Vertrauen in modernen Gesellschaften immer wieder neu hergestellt werden muss („active trust“) und nicht mehr als das selbstverständliche „gemeinsame Gut“ traditioneller Vergemeinschaftung verfügbar ist. //
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