Foto: Peter Lechner/HBF
Sehr geehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich zunächst ein herzliches Wort des Dankes sagen für das Vertrauen, das Sie mir soeben mit der Wahl und durch die Wahl zum Ausdruck gebracht haben.
Es ist eine interessante Phase meines Lebens, die ich gerade erlebe.
Ein ziemlich langes Kapitel in diesem Leben, nämlich meine zwölfjährige Tätigkeit als Bundespräsident, geht in den nächsten Tagen zu Ende. Diese schöne und spannende Aufgabe hat mir zusätzliche Einblicke in das Funktionieren unseres politischen Systems, in die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaftsordnung, in die Mechanismen unserer Demokratie ermöglicht.
Ich konnte viele andere Länder besser kennenlernen, aber bin auch mit den Stärken und Schwächen unseres eigenen Landes besser vertraut worden. Unübersehbar war für mich während meiner gesamten Amtstätigkeit die Wichtigkeit des Bildungssystems und auch der Erwachsenenbildung.
Gemeinsam mit meiner Frau bereite ich mich auf einen neuen Lebensabschnitt vor. Es wird nicht alles für mich neu sein, aber doch manches. Für mich geht nicht nur die zwölfjährige Periode als Bundespräsident, sondern auch eine insgesamt mehr als 50- jährige Periode als aktiver Politiker zu Ende, in der ich zwölf Jahre als Klubsekretär im Parlament, zwölf Jahre als Klubobmann, vier Jahre als Minister, zwölf Jahre als Nationalratspräsident und zwölf Jahre als Bundespräsident in unmittelbarer Aufeinanderfolge beruflich tätig war.
In dieser Situation am Beginn eines neuen Lebensabschnitts sind es für mich zwei vertraute Haltegriffe, wenn ich einerseits als Gastprofessor an die Universität Innsbruck zurückkehre, wo ich mich vor 40 Jahren habilitiert habe, und wenn ich andererseits in den Verband Österreichischer Volkshochschulen zurückkehre, wo ich bereits vom Februar 1999 als Nachfolger von Gerti Fröhlich-Sandner bis März 2007 das Amt des Präsidenten ausüben durfte.
Zudem hat mich die Bundesregierung durch Ministerratsbeschluss ersucht, zeitgeschichtliche Aktivitäten in Vorbereitung des 100. Geburtstags der Republik Österreich, des 80. Jahrestag des so genannten Anschlusses an Hitler Deutschland und im Zusammenhang mit dem „Haus der Geschichte Österreich“ zu koordinieren und darüber hinaus auch verschiedene Aufgaben im internationalen Bereich wahrzunehmen.
Mein Freund, VÖV-Vorstandsvorsitzender Michael Ludwig, hat mir aber versichert, dass es mir niemand übel nehmen wird, wenn ich mir meine Kräfte sorgfältig einteile und manche Aufgaben delegiere.
(…)
Der Verband Österreichischer Volkshochschulen ist eine Organisation, die in allen österreichischen Bundesländern umfassend vertreten ist. 270 Volkshochschulen in ganz Österreich versorgen die Bevölkerung mit Bildungsangeboten. 900 hauptberufliche MitarbeiterInnen und über 20.000 weitere MitarbeiterInnen sind in Teilzeit, auf Honorarbasis oder ehrenamtlich für die Volkshochschulen tätig. In rund 47.000 Kursen wird jährlich eine breite Palette an Bildungs- und Informationsmöglichkeiten angeboten, die von nahezu einer halben Million TeilnehmerInnen genützt werden.
Damit kann in harmonischer Ergänzung zu unserem Schulsystem ein starker und wertvoller Einfluss auf das Bildungsniveau und insbesondere auch auf Kulturtechniken ausgeübt werden, was angesichts der gegebenen Situation bzw. der vorhandenen Defizite außerordentlich wichtig ist. […]
Geringe grundlegende Kompetenzen und Fertigkeiten stellen in vielen Fällen eine Barriere für den beruflichen Erfolg und das Weiterkommen durch Bildung dar. Sie sind aber auch ein Hindernis für die gesellschaftliche Teilhabe und wirken sich auf das eigene Wohlergehen negativ aus.
Die geringe Bewertung der eigenen Handlungsfähigkeit in Bezug auf Einflussnahme auf das politische Geschehen – beziehungsweise umgekehrt starke Gefühle der Ohnmacht – sind demokratiepolitisch äußerst problematisch und unerfreulich.
[…]
Ich habe mich zeitlebens mit Fragen der Demokratie und der Demokratisierung unserer Gesellschaft beschäftigt. Vor einigen Jahren war ich vom damaligen griechischen Parlamentspräsidenten zu einer Veranstaltung in Athen unter dem Titel „2500 Jahre Demokratie“ eingeladen.
Tatsächlich hat die griechische Philosophie mit der These von der Gleichberechtigung aller erwachsenen, freien, griechischen Männer den ersten Anstoß zum Gedanken der Demokratie gegeben.
Aber die griechische Demokratie war im historischen Kontext mehr oder weniger eine „Eintagsfliege“ und ist bald wieder von der historischen Bildfläche verschwunden.
Dieser Gedanke war dann die längste Zeit verschüttet, und erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und dem Gedanken der Gleichwertigkeit aller Menschen hat wieder ein Prozess der Demokratisierung begonnen, der in Österreich erst vor knapp 100 Jahren mit der Gründung der Republik, der Einführung des Frauenwahlrechtes und der Schaffung einer neuen demokratischen Verfassung eine umfassende Ausprägung erfahren hat.
Aber für die Demokratie gilt auch im 21. Jahrhundert nicht der Grundsatz: einmal Demokratie, immer Demokratie.
Im Gegenteil: Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und verteidigt werden.
Die Volkshochschulen haben sich immer der Demokratie verpflichtet gefühlt. Ludo Moritz Hartmann, erster Botschafter der Republik Österreich in Deutschland von 1918 bis 1920 und Abgeordneter der konstituierenden Nationalversammlung des Nationalrates, war einer der bedeutendsten Promotoren der Volksbildung in Österreich und Begründer der Wiener Volkshochschule Ottakring. Hartmann argumentierte die Programmatik der Volksbildung in Bezug auf Demokratie im Jahr 1919 folgendermaßen:
„So muß das Denkenlernen das Ziel und der Zweck eines jeden echten Volksbildungswesens sein. Wer richtig denkt, der wird das seinen Erfahrungen Gemäße wählen und wird nicht nur ein nützliches Mitglied des Staates und der Gesellschaft, sondern auch seiner Partei sein, weil er weiß warum er so und nicht anders gewählt hat, er wird der gegebene Hüter der Demokratie und der sichere Verächter der Demagogie sein.“
Dieser Grundgedanke ist auch heute noch richtig. Aber er hat mächtige Gegenkräfte. Wir haben dazugelernt.
In neuen Formen des politischen Handelns und des Protests dominieren die besser ausgebildeten Bevölkerungsgruppen.
Besonders benachteiligte Gruppen haben große Schwierigkeiten sich in Formen des kollektiven Handelns zu organisieren oder gehört zu werden, was zu politischer Apathie und zum „Ausstieg“ aus der „politischen Arena“ führt.
[…]
Ebenso wichtig sind heute Medienkompetenz und digitale Kompetenz. Das ist ein ganz großes, teilweise neues und schwieriges Thema.
Zu viele Menschen sind nicht in der Lage zu entscheiden, welche Informationen welchen Wahrheitsgehalt haben. Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele wie aus Gerüchten, die einzelne Menschen streuen, über das Internet falsche Nachrichten verbreitet werden, die in weiterer Folge von Printmedien unhinterfragt übernommen werden.
Kritikfähigkeit, die Fähigkeit zum kritischen Denken sind Querschnittskompetenzen, die in der Berufswelt an Bedeutung gewinnen. Die kritiklose Annahme dessen, was heute über verschiedene Medien kommuniziert wird, ist in einem Zusammenhang mit der Notwendigkeit demokratiepolitischer Bildung zu sehen.
Medienkompetente Menschen sollen in der Lage sein, die Medientechniken verantwortungsbewusst zu nützen, sie sollen auf vielfältige Medienformen und Inhalte zugreifen und eine Auswahl treffen können. Sie sollen verstehen, warum Medieninhalte produziert werden und in der Lage sein, die Techniken, Sprachmuster und Botschaften kritisch zu analysieren. Schließlich geht es um die kreative Nutzung von Medien, um Ideen, Informationen und Meinungen auszudrücken, und die Menschen sollen Medien für die Ausübung ihrer dem okratischen Rechte nutzen können.
Lassen Sie mich abschließend sagen:
Nicht nur die Seele ist ein weites Feld.
Beim Thema Bildung haben wir ja vielleicht die Mühen des Aufstiegs weitgehend hinter uns, aber vor uns liegen die (nicht geringeren) Mühen der Ebene. Es gibt viel zu tun in einer funktionierenden humanen Gesellschaft und es gibt sehr viel zu tun für die Volkshochschulbewegung. Viele Aufgaben sind gelöst worden, vieles ist zu Stande gekommen, aber das, was vor uns liegt, ist nicht weniger schwer als das, worauf wir mit Stolz zurückblicken können. Ich ersuche Sie daher um weitere gemeinsame, zukunftsorientierte Anstrengungen im Sinne unserer Werte und Ziele und ich werde versuchen, meinen Teil und das, was mir möglich ist, dazu beizutragen. //