Dass Erwachsenenbildung und Bildungsbeteiligung Nutzen bringen oder zumindest Kosten vermeiden helfen, liegt auf der Hand, warum sollten sonst Menschen freiwillig und gerne lernen? Und was ist Nutzen?1 Und sind nützliche Dinge für alle gleich nützlich? Wer definiert Nutzen? Die BildungsteilnehmerInnen in einem personenzentrierten Prozess? Oder definiert den Nutzen die Wirtschaft bzw. die Politik? Oder das Gemeinwesen? Und muss jeder Nutzen in Geldwert angegeben werden?2 Nützlich für die Vergleichbarkeit ist dies, aber ob es im Sinne der BildungsteilnehmerInnen und des Bildungsprozesses auch sinnvoll ist, bleibt dahingestellt.
Klar ist, dass besonders in Zeiten der Evidenzbasierung und in Zeiten, in denen die Idee vorherrscht, alles müsse sich messen lassen, eine Art Legitimationszwang besteht, die ökonomische, monetarisierbare Nützlichkeit von Bildung darzulegen oder andere Formen der Nützlichkeit auszuweisen. Das Konzept „Wider Benefits of Lifelong Learning“ versucht den nicht unmittelbar ökonomischen oder employability-bezogenen Nutzen von Weiterbildung und Erwachsenenbildung aus der Perspektive der quantifizierenden Nutzenforschung darzulegen. Dies ist ein wichtiges Unterfangen der Rechtfertigung von Bildung, über ihre pädagogische Sinnhaftigkeit lässt sich freilich streiten.
Zur Bildung an Volkshochschulen
Die Volkshochschulen verstehen sich als der Demokratie verpflichtete, weltanschaulich an die Menschenrechte gebundene, von politischen Parteien unabhängige Bildungseinrichtungen. Sie sind Erwachsenenbildungseinrichtungen, die Bildungsanlässe durch öffentliche Angebote organisierten Lernens setzen, Bildungsprozesse professionell in Gang bringen, unterstützen und begleiten. Das Kursangebot der Volkshochschulen ist breit und reicht von Gymnastik über politische Bildung, berufliche Bildung und Angebote des Zweiten Bildungswegs bis zum Sprachkurs. Die TeilnehmerInnen kommen freiwillig und ihr Hauptziel ist oft nicht nur die berufliche Weiterentwicklung, sondern die persönliche Weiterentwicklung, die Erhöhung der Handlungsfähigkeit oder die sinnvolle Nutzung von Freizeit und das Treffen von Menschen an einem als sympathisch und niederschwellig erlebten Ort wie den Volkshochschulen.3
Abb. 1: Image-Profil der Volkshochschulen nach Filla (2007), auf Basis repräsentativer Umfragen des VÖV durchgeführt durch das market-Institut
Was ist BeLL?
Das Hauptziel der von 2011 bis 2014 durchgeführten BeLL-Studie4 war es, den Nutzen und die individuellen und sozialen Vorteile zu untersuchen, die von Erwachsenen, die an freien, auf den ersten Blick nicht unmittelbar beruflich verwertbaren Kursen der Erwachsenenbildung teilgenommen haben, wahrgenommen werden. Die von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms für lebenslanges Lernen finanzierte BeLL-Studie wurde von einem Konsortium von Partnerorganisationen aus neun Mitgliedstaaten und Serbien als zehntem, assoziiertem Partner durchgeführt. Das Projekt lief vom 1. November 2011 bis zum 31. Januar 2014.5 Das Forschungssetting bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil ist im Wesentlichen eine quantitative Befragung, die, vom Befinden der TeilnehmerInnen ausgehend, auf deren „privaten“ Nutzen, etwa als Eltern oder bezogen auf ihre Gesundheit, zielte. Der zweite Teil ist eine qualitative Befragung, die die Forschungseinsichten vertiefen soll. Das Projekt erfasst den individuellen Nutzen („benefits“) von Teilnehmenden, die Angebote im Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung wahrnehmen. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Welchen subjektiv empfundenen Nutzen bzw. welche Veränderungen äußern Teilnehmende an Angeboten aus dem Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung a) bezogen auf die eigene Person und b) bezogen auf das Verhältnis zu ihrer Umgebung?
Umfrage zu den Benefits of Lifelong Learning an österreichischen Volkshochschulen
Anschließend an dieses Projekt und bezugnehmend auf dessen Ergebnisse wurde an österreichischen Volkshochschulen zwischen Dezember 2018 und Mai 2019 der erste, quantitative Teil der Bell Befragung durchgeführt.6 In allen Bundesländern wurden an Volkshochschulen 1.400 Fragebögen verteilt, von denen rund 44 Prozent ausgefüllt retourniert wurden. Die Verteilung der Fragebögen erfolgte zufällig, nicht nach Repräsentativitätskriterien. Die Studie sollte für die Volkshochschulen unaufwendig, aber gut verwertbar sein, um den Nutzen von Weiterbildung aus der Sicht von VHS-TeilnehmerInnen sichtbar zu machen und diese zu Wort kommen zu lassen. Die Ergebnisse sind somit weder für alle VHS-TeilnehmerInnen noch für die gesamte Gesellschaft repräsentativ. Das ist auch nicht das Ziel der Studie: Die Ergebnisse sollen der Gruppe der befragten TeilnehmerInnen Raum geben, ihren persönlichen Nutzen zu formulieren und ihre Stimme hörbar zu machen. Der gesellschaftliche Nutzen von Erwachsenenbildung wird dadurch aber meist sichtbar. Die Auswertung der vorliegenden Fragebögen erfolgt in Zusammenarbeit mit der Donauuniversität Krems (Monika Kil, Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien) und dem Zentrum für Transdisziplinäre Weiterbildungsplanung und Bildungsforschung (Filiz Keser-Aschenberger). Ab Herbst 2019 werden die Ergebnisse durch qualitative Interviews mit VHS-TeilnehmerInnen ergänzt, um die Ergebnisse zu verdichten (Durchführung: Stefan Vater, PAF/VÖV).
Ergebnisse der BeLL Vorgängerstudie7
Die BeLL-Studie zeigte, dass ErwachsenenbildungsteilnehmerInnen verschiedensten Nutzen und Vorteile für die Teilnahme an nicht-direkt beruflich relevanter Erwachsenenbildung nennen. Lernen und Bildungsteilnahme in der nicht-direkt beruflichen8 Erwachsenenbildung betreffen nicht nur die teilnehmenden Menschen, beides wirkt auch auf das soziale Umfeld, auf die soziale Gruppe, das Milieu der Teilnehmenden, deren Familien, deren Arbeitsplatz und auf andere soziale Netzwerke. Lernen und Bildungsteilnahme bringt Vorteile sowohl für die Gesellschaft als auch für die Einzelnen.
In der Studie wurden 8.646 BildungsteilnehmerInnen im Umfeld der von ihnen besuchten Kurse befragt, 71 Prozent der Befragten waren Frauen. 86 Prozent gaben mittlere oder höhere Bildungsabschlüsse an. 49 Prozent der Befragten waren berufstätig, 29 Prozent bereits pensioniert. In der Altersspanne von 15 bis über 70 Jahre waren die 50- bis 64-Jährigen mit 25 Prozent am stärksten vertreten. Es folgten mit 22,4 Prozent die Gruppe der 25- bis 36-Jährigen und mit 20 Prozent die Gruppe der 37- bis 49-Jährigen. Rund 40 Prozent der Teilnehmenden besuchen mehrfach Kurse oder Veranstaltungen der Erwachsenenbildung. Von den 8.646 Befragten der quantitativen BeLL-Umfrage – allesamt TeilnehmerInnen der nicht-beruflichen Erwachsenenbildung – erlebten rund 75 Prozent positive Veränderungen in den Bereichen Lernmotivation, soziale Interaktion, allgemeines Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit. Das heißt, sie konnten Barrieren im persönlichen Bildungszugang abbauen, also ihre Bildungsaspiration erhöhen, sie verbesserten ihre sozialen Netzwerke und damit ihr Sozialkapital, sie fühlten sich besser und waren zufriedener. Ebenso erlebten die Befragten, wenn auch nur als Zusatznutzen, Veränderungen im Zusammenhang mit Arbeit und Karriere sowie ihrem gesellschaftlichen und politischen Engagement. Die qualitative Analyse, der in der Umfrage enthaltenen offenen Fragen zeigte, dass Menschen in der Lage sind, diese Vorteile zu erkennen, zu benennen und zu beschreiben. Die Datenanalyse deckte auch Unterschiede im Nutzen des Lernens auf: Je niedriger das Bildungsniveau der Befragten, desto positivere Veränderungen wurden von den TeilnehmerInnen in Bezug auf Lernmotivation, Anerkennung der Erwachsenenbildung als Chance, Selbstvertrauen als Lernende und dem Wunsch, andere zur Teilnahme am Lernen zu ermutigen, zugeschrieben. Ein Befund, der deutlich abweicht von den oftmals wenig positiven Veränderungen der Lernaspiration in anderen Bildungsbereichen. Diese Veränderungen waren am stärksten in der Gruppe, in der der Bildungsstand auf dem ISCED 1 oder niedrigerem Niveau liegt (Grundschulbildung oder erste Stufe der Grundbildung oder weniger). Es gab auch Unterschiede in Bezug auf das Alter der Befragten. Für jüngere Teilnehmerinnen und Teilnehmer dient die liberale Erwachsenenbildung quasi als „Sprungbrett“ und verbessert ihr Gefühl der Kontrolle über ihr Leben. Für ältere Teilnehmer hat das Lernen eine „dämpfende“ Wirkung und schützt sie vor altersbedingten Veränderungen in ihrem Leben wie Ruhestand, Verlust von Freunden und Familienmitgliedern und Rückgang der Fähigkeiten.
Abbildung 2: Überblick über den Nutzen von Erwachsenenbildung aus den Ergebnissen der BeLL-Erhebung
Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten TeilnehmerInnen, neben einem Zuwachs an Kompetenzen und Fähigkeiten, auch in verschiedensten Bereichen der persönlichen und sozialen Entwicklung profitieren. (Vgl. Abbildung 2).
- Die TeilnehmerInnen können Bildungsbarrieren und Zugangsängste abbauen. Sie erweitern ihre Interessen und verlieren die Angst vor weiteren Bildungsteilnahmen. Ihre Bildungsaspiration steigt.
- Die TeilnehmerInnen verbessern ihre sozialen Netzwerke, sie erhöhen ihr „Sozialkapital“. Sie erhöhen ihr soziales Engagement im Sinne einer aktiven StaatsbürgerInnenschaft.
- Die TeilnehmerInnen empfinden ein verbessertes Lebensgefühl und Wohlbefinden.
- Sie beteiligen sich am sozialen Leben in der Bildungseinrichtung und lernen andere kennen, was zu erhöhter Toleranz führt.
- Die TeilnehmerInnen erhöhen ihre Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit in verschiedensten Bereichen: Gesundheitsverhalten, Elternverhalten.
- Die TeilnehmerInnen erfahren eine erhöhte Handlungsfähigkeit auch im beruflichen Bereich.
- Die TeilnehmerInnen eigenen sich Fähigkeiten und Kompetenzen an.
Der BeLL-Forschungsbericht9 präsentiert die Gesamtergebnisse der Studie sowie die nationalen Ergebnisse. Diese Zusammenfassung ist ebenso an den veröffentlichten Projektergebnissen orientiert. Hier wurde nur eine Vorschau gegeben, die Auswertung der Befragung an Volkshochschulen steht noch aus.
Erste Blicke in die Nutzendarstellungen der Befragten (Ergebnisse qualitativer offener Fragen)10
Ohne der ausstehenden Auswertung vorzugreifen, können an dieser Stelle doch einige Aussagen der BildungsteilnehmerInnen zum Nutzen ihrer Bildungsteilnahme zitiert werden:
„Meine an der VHS erworbenen Russischkenntnisse waren sehr nützlich für die Bereisung Russlands, sie haben weiters den Wunsch nach weiteren Sprachkursen geweckt!“
„Meine Sprachkursteilnahmen ermöglichten mir nicht nur Vorteile auf Reisen, sie ermöglichten auch beruflich eine bessere Verständigung.“
„Ich habe Deutsch für einen besseren Alltag in Österreich gelernt.“
„Ich kann besser Italienisch und habe noch dazu sehr nette andere Kursteilenehmer kennengelernt.“
„Der Chorbesuch erhöhte meine persönliche Achtsamkeit und verbesserte meine Sozialkontakte.“
„Der besuchte Grafikkurs war beruflich sehr gut anwendbar.“
„Ich konnte mir persönliche Netzwerke aufbauen!“
„Ich bin selbstbewusster im Umgang mit Fremdsprachen.“ //
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