Gerade in Zeiten, in welchen feministische Theorien gerne als überholt und veraltet gebrandmarkt werden, erscheint es uns notwendig, gemeinsam mit unterschiedlichen Autorinnen einen Schwerpunkt zu Feministischer Bildung zu gestalten. Feministische Debatten regen nach wie vor auf: sei es das Binnen-I, die Töchter in der Bundeshymne, die Quotenregelung oder der „Gender Pay Gap“. Gleichstellungspolitiken und Geschlechterdifferenz sind also nach wie vor ein Zündstoff, an dem sich die Gemüter erhitzen und der die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Feministische Theorie zielt darauf ab, (Geschlechter-)Gerechtigkeit zu thematisieren und in allen gesellschaftlichen Feldern – und damit auch in den Institutionen der Erwachsenenbildung – offene und verdeckt wirksame Geschlechterhierarchien und (strukturelle) Machtverhältnisse sichtbar und damit veränderbar zu machen.
Das Attribut „feministisch“ ist ein Sammelbegriff und steht für „parteiliche, politische Haltungen in wissenschaftlichen Ansätzen“. (Knapp: 2005, S. 53). Damit ist keine Festlegung auf einen bestimmten Analyseansatz gemeint, sondern heterogene Gemeinsamkeit, kritische Perspektiven auf androzentristische Traditionen in den Wissenschaften zu entwickeln sowie soziale Disparitäten im Verhältnis der Geschlechter auszumachen und systematisch zu erforschen. In diesem Sinne ist eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschlechterthematik nicht zwingend „feministisch“ (vgl. ebd.), also nicht notwendigerweise durch ein politisches Interesse bestimmt. Feministisch bezieht sich auf ein plurales Perspektivenspektrum kritischer Analysen von Geschlechterverhältnissen und -ordnungen und steht in Verbindung mit anderen Formen von Ungleichheit. Feministische Erkenntnisproduktion funktioniert nicht als einfache Addition von Wissen zu konventionellen Wissensordnungen, sondern stellt diese in Frage.
Feministische Bildung dekonstruiert das pädagogische Versprechen der Chancengleichheit durch Bildung. Für feministische und emanzipative Bildung ist klar, dass Pädagogik ungleich sein muss, wenn Gleichheit das Ziel ist. Die Kritik an dem formalen Prinzip der Chancengleichheit als pädagogisches Konzept zielt darauf ab, dass sie Ungleichheit verstärkt, in dem sie Lernende, „wie ungleich sie auch in Wirklichkeit sein mögen, in ihren Rechten und Pflichten gleich behandelt.“ (Bourdieu: 2001, S. 39). Dieser Matthäus-Effekt garantiert, dass „die am meisten Begünstigten noch mehr begünstigt und die am meisten Benachteiligten noch mehr benachteiligt“ werden. (Ebd.). Wenn Gleichheit gefordert wird, aber Ungleichheit tatsächlich der Fall ist, sorgt gerade das Festhalten am Prinzip einer formalen Gleichheit dafür, Ungleichheit fortzuschreiben. Die Reflexion und Analyse der soziokulturellen Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ macht es erst möglich, Unrecht zu definieren und Veränderungen herbeizuführen.
Der Kampf, überhaupt an institutionalisierten Bildungsprozessen teilnehmen zu können, ist für Frauen ein langer. Der Zugang zur Universität sollte unter Protest für Frauen langsam geöffnet werden: Gabriele Possanner promoviert als erste Frau im Fach Medizin 1897 an der Universität Wien.
Feministische Bildungstheorien üben Kritik an der sozialen Selektivität im Bildungssystem und der sozialen Funktion, in der das Bildungssystem an der Reproduktion der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausgerichtet ist. Ein historisches Beispiel für die Erwachsenenbildung ist das bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufrechte Verbot für Frauen, sich an Universitäten zu inskribieren. „Effekte“ dieser Ausschließung zeigen sich in den Daten zur Bildungsbeteiligung an den Volkshochschulen noch im Jahrzehnt danach. Aufgrund der gesellschaftlich vorherrschenden Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird eine starke Verknüpfung zwischen der Haltung zur Bildung und Gender sichtbar: So zeigt eine Studie (Engelhardt: 1926), die Anfang der 1920er-Jahre an der Volkshochschule Groß-Berlin durchgeführt wurde und auf der Grundlage von 16.000 Befragungen die Themengebiete der besuchten Kurse, sowie Beruf, Berufsstellung und Bildungsabschluss erhob, dass bei Männern Beruf und Klassenlage einen großen Einfluss auf das Bildungsverhalten ausübt. Die Motivation zur beruflichen Weiterbildung war bei Männern – neben der Motivation etwaige Schuldefizite zu kompensieren – die meist genannte. (Hartmann: 1901 S. 18, zit. nach Bremer: 2007, S. 38). Frauen verfolgen, so der Autor, über die Klassengrenzen hinweg offenbar Bildungsmotivationen, die „den in bürgerlichen Kreisen geltenden Idealen der allgemeinen Bildung“ entsprechen, „ganz gleichgültig ob es sich um proletarische oder bürgerliche Frauen, Arbeiterinnen, Angestellte, oder Hausfrauen handelt“. (Ebd.). Die teilnehmenden Frauen sahen in der Volkshochschule eine allgemeine Bildungsstätte, damals wurde diesem „Befund“ allerdings keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt.
Mittlerweile werden junge Männer von jungen Frauen in ihren Bildungsabschlüssen überholt, dies schlägt sich allerdings weder in den weiteren Karriereverläufen, den Aufstiegschancen noch in den Gehältern nieder. „Dies zeigt, dass Bildung allein für strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft nicht ausreicht. Die Ausgrenzung von Frauen aus hierarchisch hohen beruflichen Positionen lässt sich letztendlich nicht über fehlende Bildung bzw. fehlende höhere Bildungsabschlüsse erklären.“ (Schlüter: 2004, S 579).
Kritik und Vision
1992 erscheint im Rahmen der VÖV-Publikationen „Frauenbildung und Volkshochschule. Eine Untersuchung aus feministischer Sicht“ von Kriemhild Maria Pia Steinwender. Es ist die erste Arbeit in Österreich, die sich im Rahmen der Institution Volkshochschule mit einem feministischen Blickwinkel auseinandersetzt. Steinwender kommt in ihrer wissenschaftlichen Arbeit u.a. zu folgendem Befund: „So eignet sich Weiterbildung für Frauen an der Volkshochschule nicht als Mittel zu einer freien und ausgeprägten Persönlichkeit, viel mehr als Instrument zur Anpassung an patriarchale Normen und Werte.“ (Ebd., S 47). Weiterbildung für Frauen war also in den Volkshochschulen nicht von einem emanzipatorischen feministischen Ansatz getragen.
Ein Autor/innenkollektiv setzt sich 2005 in einer empirischen Untersuchung mit feministischer Bildungsarbeit auseinander. Feministische Bildungsarbeit entwickelt sich ihrer Meinung nach durch zwei Aktivitäten: Kritik und Vision. (Christof, Forster, Müller, Pichler, Rebhandl, Schlembach, Steiner & Strametz: 2005).
Immer war es Ziel feministischen Bildungsarbeit, eine umfassende Geschlechterdemokratie voranzutreiben, also bestehende Machtverhältnisse nicht zu stabilisieren, sondern zu kritisieren und zu verändern. Feministische Bildungsarbeit bezieht sich auf gemeinsame Projekte, sie ist visionär und arbeitet an einem Begriff der kritischen Solidarität. Sie setzt sich aus und positioniert sich. „Sie verteidigt ihre Position, verhandelt sie, übernimmt dafür die Verantwortung und kämpft auch dafür, dass sich andere positionieren, ihre Positionierungen sichtbar machen, so dass ein Machtfeld entsteht, indem Positionen verhandelt werden können und wo es die Möglichkeit gibt, mit einem Widerstreit zu leben.“ (Ebd., S 245). Und Feministische Bildungsarbeit ist im Fluss, nie abgeschlossen und immer gegen Herrschaft und Gewalt gerichtet.
Die einzelnen Beiträge im Überblick
Die Autorinnen dieser Ausgabe spiegeln Ausschnitte der Vielfalt feministischer Haltungen, Aktionsformen und Generativitäten wider. Sie kommen als Wissenschafterin, Journalistin, Erwachsenenbildnerinnen u.a. nicht nur aus verschiedenen Feldern, sondern bringen unterschiedliche soziale Verortungen und Lebenslagen mit. Angesichts der Komplexität der gesellschaftlichen Situation, in der kulturelle Realitäten ihren Platz haben (und finden müssen), versammelt der Schwerpunkt unterschiedliche Standpunkte feministischer Bildungskritik.
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe arbeitet sich an Verhältnissen ab, die von widersprüchlichen Dynamiken geprägt sind: Wir sind mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass Geschlechter- und andere soziale Ungleichheitsverhältnisse im „Mainstream“ thematisiert werden (sollen), obgleich diese bereits seit Jahrhunderten in den Mainstream eingeschrieben sind. Gleichzeitig konstituieren und normieren sich neue Subjektformen, die den alten, biologischen, zweigeschlechtlich codierten Körper durch postmoderne Vorstellungen von Flexibilität und Machbarkeit ergänzen.
Maja Maksimović eröffnet den Schwerpunkt mit ihrer Argumentation des neuen, denkenden, produktiven Körpers, der nicht durch Emotionen blockiert ist und in direkter Verbindung das Funktionieren des Bildungsprozesses beflügelt. Sie beschäftigt sich in ihrem Artikel mit feministischer Epistemologie und deren Auswirkungen auf Theorie und Praxis der Erwachsenbildung. Dabei konstatiert sie, dass Bildungsaktivitäten von epistemologischen Annahmen über Lernen und Entwicklung geprägt sind, die sich aus historisch gewachsenen Machtverhältnissen im Kontext dualistischen Denkens und binärer Standpunkte entwickeln.
In „Es werde Demokratie“ fordert Birge Krondorfer dazu auf, Geschlechterdifferenzen wahrzunehmen. Sie plädiert dafür, Ungleichheiten zu beachten, um sie zu überwinden und gleichzeitig Differenzen anzuerkennen und zu achten. Die neoliberalen Konzeptionen des Life-Long-Learning, die Subjekte auf Verwertbarkeit und Selbstvermarktung reduzieren, bringen gleichzeitig einen Verlust differenzierender Erkenntnisbildung, so die Autorin. Sie fordert dazu auf, sich als Akteurin – aber auch als Akteur – in der Bildung zu fragen, welche Bildung es für eine Geschlechterdemokratie im Werden bräuchte.
Mit Frauennetzwerken beschäftigt sich Marianne Prenner. Netzwerke zeichnen sich ihrer Ansicht nach durch eine flache Hierarchie und durch die Homogenität seiner Mitglieder aus. Dies stärke die Gemeinschaft, berge aber auch die Gefahr, sich selbst zu reproduzieren.
Das Essay von Bärbel Mende-Danneberg beschäftigt sich mit der Frage „Was verhindert feministische Bildung?“. Sie zeigt historische Errungenschaften von Frauen und der Frauenbewegung auf und hält die Geschichtslosigkeit, die wir heute erleben, für das größte Hindernis, feministische Bildung umzusetzen. Wissen über Frauenkämpfe, patriarchale Verhältnisse und frauenspezifische Lebensweisen drohe verloren zu gehen. Auch die Einsparungen im Sozial- und Bildungsbereich verengen grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum und damit auch feministische Bildungsziele.
Im PIAAC-Test liese sich statistisch ein „Gender Gap“ feststellen, so Elisabeth Ponocny-Seliger und Ivo Ponocny, allerdings nur dann, wenn entlang der Dichotomie Frau versus Mann Zahlen erhoben und interpretiert werden. Die beiden Autor/innen entscheiden sich für einen zusätzlichen Analysedurchlauf, der die Kategorie „Menschen mit Kindern“ in den Fokus nimmt – und kommen damit zu einer etwas anderen Interpretation. Auffällig dabei sei bei PIAAC auch die Auswahl der Aufgabenformulierung, die eher männliche Lebensrealitäten und Kompetenzen widerspiegle.
Für Ruth Devime ist feministische Politik die Grundlage für das gute Leben aller – „Buen vivir“. Anhand von neun Punkten setzt sie sich mit Grundhaltungen feministischer Bildung auseinander. Sie plädiert dafür, dass der Maßstab unseres Handels die Sorge um das Leben sein muss und nicht Wirtschaftswachstum und Fortschritt.
Der Umgang der Organisationsform „Volkshochschule“ mit der Kategorie Geschlecht ist das Thema von Michaela Judy. Sie rekurriert auf einen Genderbegriff, der Konstruktionsweisen von Differenz und Diskriminierung erfasst. Am Beispiel des Rosa-Mayreder-College, welches sich als feministisches Bildungsangebot 15 Jahre lang strukturell etablieren und halten konnte, zeigt sie u.a. auf, wie die fehlende strukturelle Verankerung feministischer Bildung in den Unternehmenszielen der Wiener Volkshochschulen angesichts der Schließung des Rosa-Mayreder-Colleges sich letztendlich als folgenschwerer Schwachpunkt erwies.
Schließlich stellt Friederike Winsauer den „FrauenSalon Vorarlberg“ vor. Der FrauenSalon bietet Multiplikatorinnen Raum für Vernetzung und Zusammenarbeit und gibt die Möglichkeit, sich mit Expertinnen zu gesellschafts- und frauenrelevanten Fragen auszutauschen. //
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