Der Abbau von Demokratie geht schleichend vor sich. Diese Erkenntnis aktueller politischer Analysen teilt auch Masha Gessen. Die renommierte Journalistin, aus Russland stammend und in den USA ansässig, beurteilt in ihrem Buch die Folgen der drei Jahre Präsidentschaft von Donald Trump seit 2017. Bereits einleitend warnt sie, um die Vorgänge in den USA zu beschreiben, reiche die Sprache der liberalen Demokratie nicht aus.
Aufgrund ihrer profunden Kenntnisse über den politischen Wandel in Russland und in den post-sowjetischen Staaten zieht sie Parallelen. Sie spricht von Mafia-Staat (ein politischer Clan um einen Schirmherren, der Geld und Macht verteilt) und autokratischer Transformation in drei Stadien: autokratischer Versuch, autokratischer Durchbruch, autokratische Konsolidierung. Der Verlauf dieser „autokratischen Ermächtigung“ sei für die USA noch nicht genau absehbar, aber zu beobachten und zu erforschen.
Allerdings, analysiert die Autorin, gehe historisch gesehen ein antidemokratischer Wandel in den USA schon seit langem vor sich. So konnte jede Generation Regierungen beobachten, die mit Hilfe zeitweiliger Ausnahmezustände außerordentlicher Machtbefugnisse für repressive und ungerechte Zwecke beanspruchten.
Das führte zu einer vierhundert Jahre währenden weißen Vorherrschaft und einer seit etwa vor zwei Jahrzehnten einsetzenden Mobilisierung gegen Muslime und ImmigrantInnen – gegen „die Anderen“. Trump und der „Trumpismus“ sind also Teile einer prozessualen Entdemokratisierung, keine plötzliche neue Erscheinung. Die Autorin fragt sich allerdings, ob Trump als erster Zerstörer der Demokratie gelten wird, der nicht als Demokrat, sondern als Autokrat regiert.
Detailreich entwirft Masha Gessen im ersten Teil ihres Buches, „Ein autokratischer Versuch“ ein politisches Bild von Donald Trump. Zu seinem Selbstbild gehört die Überzeugung, politische Macht darf und soll seinen persönlichen Reichtum fördern, sowie das Recht auf „alternative Fakten“, das können auch Lügen und nicht eingehaltene Versprechen sein. Seine autokratische Mentalität drückt sich deshalb in der Verachtung für Argumente, von wissenschaftlichen Einsichten und von in Fachwissen begründeten Warnungen (z. B. bezüglich der Corona-Pandemie und ihrer Folgen) aus. Verachtung bekommen aber auch Arme und Schwache, seien es Individuen oder Gesellschaften, zu spüren. Nicht zuletzt beschreibt Masha Gessen anhand zahlreicher Beispiele die autokratische Manier von Donald Trump, medial wirksam Regierungsarbeit, frühere Präsidenten oder eigene Regierungsmitglieder zu verachten. Nichts und niemand ist ihm wichtig, urteilt die Autorin, außer: „Selbstverherrlichung und Geld.“ (S. 41).
Der zweite Teil, „Herrscher über die Realität“, beschäftigt sich mit der Rolle von JournalistInnen und den Medien in der bisherigen Ära Trump. Er führt einen Krieg gegen Worte, indem tragende Bedeutungen verändert oder vernebelt werden. Masha Gessen zeigt Trump und seine PressesprecherInnen als MachthaberInnen, mit dem Willen zur „Machtlüge“ – ihre Macht erlaubt ihnen zu sagen, was sie wollen. Medien, die nicht konform berichten oder die bis zu gezählten täglichen zwanzig Lügen des Präsidenten aufdecken wollen, gelten als Feinde. Widerständige Journalisten erfahren Demütigungen und Drohungen. Der geteilten Gesellschaft entsprechen auch zwei inzwischen entstandene „Mediensilos“, die ihre Klientel, teils differenziert, teils uniform bedienen.
Masha Gessen beklagt den Verlust einer politischen Kultur, bei der es um Zukunft und Werte des Zusammenlebens geht. Sie hält in der Politik eine neue Sprache für notwendig. Dem Journalismus kommt ihrer Meinung nach die Aufgabe zu, eine Sphäre der Kommunikation zu schaffen, in der die Menschen sich von ängstlichen Zuschauern einer Katastrophe zu Beteiligten am Gestalten einer gemeinsamen Zukunft wandeln können.
„Wer ist ‚Wir‘?“ lautet die Überschrift zum dritten Teil, in dem die radikalen Veränderungen in den USA dargestellt werden. Masha Gessen konstatiert eine eindeutige Einschränkung auf weiße, europastämmige Einwanderer. Das Ende der „Einwanderungsnation“ wurde verfügt, ein von Angst gefüttertes Weltbild „Wir gegen die anderen“ geschaffen, ImmigrantenInnen aus Südamerika kriminalisiert. Trumps Macht äußert sich in Aggression – „Hassverbrechen gegen andere“ (z. B. LGBT-Orientierte) haben deutlich zugenommen. Mit dem Ende des amerikanischen Expansionismus wurden die USA zu einer Festung, in der das „Wir“ deutlich verengt und stets gegen „Andere“ – gegen das Unamerikanische auf dem Staatsgebiet – zu verteidigen ist. „Blood and soil“ (Blut und Boden) lautet der Schlachtruf.
Wie sich etwas ändern könnte? Masha Gessen skizziert keine Strategie für Alternativen. Sie meint allerdings, es geht nicht um ein Zurück vor die Zeit des „Trumpismus“. Nur der Blick nach vorne könne helfen, indem sich das Land neu erfindet mit einer Zukunft, in der sich politische Leitfiguren als moralische Instanzen für Gleichheit statt Profit, für Würde statt Macht, für Solidarität statt Konkurrenz einsetzen.
Das spannende Buch dokumentiert Zeitgeschichte und liest sich als Warnung, wie leicht demokratische Verhältnisse gefährdet werden können. //
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