Alles beginnt mit dem ersten Schritt – „Bildung für junge Flüchtlinge“

Die Flüchtlingsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 stellten unter anderem auch die österreichischen Erwachsenenbildungsinstitutionen vor eine große Herausforderung. Weltweit waren am Ende des Jahres 2015 insgesamt 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein Syrien zählt 4,9 Millionen Flüchtlinge, gefolgt von Afghanistan (2,7 Mio.) und Somalia (1,1 Mio.). Laut einem Statistikbericht der UNHCR waren 51 Prozent aller Flüchtlinge jünger als 18 Jahre.

Ganz besonderen Betreuungsbedarf hatten und haben natürlich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) – Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Begleitpersonen die Flucht antreten mussten. Viele dieser Jugendlichen kamen aus ländlichen Regionen und haben je nach Herkunftsort wenig bis gar keine Schulbildung erfahren.

Um dieser Zielgruppe eine Bildungsmöglichkeit und somit eine Basis für ein Weiterlernen und Weiterkommen zu bieten, wurde Ende 2015 vom BMB das Projekt „Bildung für junge Flüchtlinge“ ausgeschrieben. Dieses beinhaltete 200-Stunden umfassende Kurse mit dem Ziel, Flüchtlinge im Alter von 15 bis 19 Jahren, die über keinen oder einen in Österreich nicht anerkannten Pflichtschulabschluss verfügten, auf die Aufnahmeprüfung zum Erwerb des PSA vorzubereiten bzw. ihnen andere Anschlussmöglichkeiten an das österreichische Bildungssystem und den Arbeitsmarkt zu eröffnen. Die Kurse umfassten die Bereiche Alphabetisierung, Deutsch, Mathematik, IKT und Englisch und wurden von akkreditierten BasisbildungstrainerInnen und PflichtschullehrerInnen abgehalten.

Vor Beginn der Kurse fand ein Clearing statt, in dem eine Lernstandserhebung durchgeführt und versucht wurde, jeweils möglichst homogene Lerngruppen zusammenzustellen. Dies war komplexer als gedacht und so entstanden immer wieder Klassen, die als eher inhomogen zu bezeichnen waren, was einen stark binnendifferenzierten Unterricht erforderte. Es war jedoch in jeder Klasse zu sehen, dass innerhalb der Gruppe eine sehr gute Dynamik herrschte und dass gegenseitige Wertschätzung, Respekt und eine positive Lernatmosphäre das Kursgeschehen prägten.

Nach Ende des Kurses stellten sich die meisten Jugendlichen dem Pflichtschulabschluss-Aufnahmetest oder bewarben sich bei weiteren Bildungsangeboten (z.B.: Top for Job), die ebenfalls das Ziel verfolgen, junge Flüchtlinge auf die Berufsschule bzw. die Arbeitswelt vorzubereiten. Es gab einige Jugendliche, die den PSA-Aufnahmetest bestanden, am Pflichtschulabschlusskurs teilnahmen und diesen auch erfolgreich abschlossen. Dennoch musste sich die Leitung der VHS Götzis trotz des großen Engagements sowohl der TeilnehmerInnen als auch der TrainerInnen immer wieder eingestehen, dass das Ergebnis dieser Kurse nicht immer das Erhoffte war. 200 Stunden sind bei einer manchmal nicht existenten Vorbildung leider nur ein sprichwörtlicher Tropfen auf dem heißen Stein.

Nach einer Evaluierung der ersten Kurse fragte die VHS Götzis beim zuständigen Bundesministerium an, ob es möglich wäre, dass die Jugendlichen an zwei hintereinander folgenden und aufeinander aufbauenden Kursen teilnehmen könnten. Dies wurde genehmigt und es war schnell zu erkennen, dass die zusätzlichen 200 Unterrichtsstunden einen wesentlichen Unterschied machten und sich die Ergebnisse der jungen Flüchtlinge beim PSA-Aufnahmetest bedeutend verbesserten.

Gerne würde ich als Projektleiter der Vorarlberger Volkshochschulen und Autor dieses Artikels hier berichten, dass es genaue und messbare Erfolge der Wirkung der „Bildung für junge Flüchtlinge“ Kurse gibt. Dass ein bestimmter Prozentanteil der jungen Flüchtlinge den Pflichtschulabschluss oder ein weiteres Bildungsangebot absolviert hat und dass nun exakt so viel Prozent eine Lehrstelle und somit Anschluss in der Arbeitswelt gefunden haben. Die Realität sieht jedoch leider anders aus. Wir wissen von den TeilnehmerInnen, die die Kurse an der VHS Götzis und danach den PSA an unserer Institution besucht und abgeschlossen haben. Die meisten der jungen Flüchtlinge absolvierten jedoch die 200-Stunden und schlugen danach einen individuellen Weg ein, der oft über andere Institution führte, und deren Weg für uns entweder nicht oder nur schwer nachzuverfolgen ist. Dazu kommt, dass die betreuenden Institutionen, sei es Caritas, IFS oder ORS-Service in den letzten Jahren einen starken Mitarbeiterwechsel hatten und wir auf die Frage, was aus den Jugendlichen, die die Kurse an der VHS besucht haben, geworden ist, sehr oft keine genaue Information erhalten haben. Dies wäre nicht nur für uns als VHS interessant, sondern auch statistisch für das Ministerium um sowohl Quantität als auch Qualität fest- und sicherzustellen.

Was jedoch sowohl für die TrainerInnen als auch für die Leitung der VHS Götzis während der Kurse stets zu erkennen war, ist der Wunsch nach Struktur und der starke Lernwille der jungen Flüchtlinge. So weisen die Anwesenheitslisten beinahe keine Fehlzeiten auf und die TrainerInnen berichten von Engagement, Zuverlässigkeit und einer sehr hohen Motivation, die deutsche Sprache zu erlernen und die individuell gesetzten Ziele zu erreichen. Unabhängig vom ursprünglichen Lernstand ist klar zu sehen, dass Fortschritte gemacht und zentrale Themen bearbeitet und erlernt werden, die wiederum eine solide Grundlage für ein weiteres Vorankommen in Österreich schaffen.

Zu unserem Bedauern wird das Projekt „Bildung für junge Flüchtlinge“ seit 2018 vom inzwischen unbenannten Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) nicht mehr gefördert. Das Land Vorarlberg hat jedoch die Wichtigkeit dieser Kurse erkannt und stellt sicher, dass dieses wertvolle Bildungsangebot weiterhin für junge Flüchtlinge angeboten wird. Wir sind sehr froh, dass auf diese Art und Weise den jugendlichen Flüchtlingen zumindest in Vorarlberg der erste Schritt in der neuen Heimat ermöglicht wird. //

Kresser, Bastian (2018): Alles beginnt mit dem ersten Schritt – „Bildung für junge Flüchtlinge“. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2018, Heft 265/69. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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