Jost Reischmann: Andragogik. Beiträge zur Theorie und Didaktik.

Jost Reischmann: Andragogik. Beiträge zur Theorie und Didaktik.
Augsburg: Ziel Verlag 2016, Reihe Grundlagen der Weiterbildung, 248 Seiten

Andragogik als Wissenschaft von der „lebenslangen“ und der „lebensbreiten“ Bildung Erwachsener konnte sich zumindest im deutschsprachigen Raum nicht instutionalisiert etablieren. Jost Reischmann, der den Lehrstuhl für Andragogik an der Universität Bamberg von 1994 bis zu seiner Pensionierung 2008 innehatte, stellt hier zweifelsohne eine Ausnahme dar. Dabei lohnt es sich gerade heute, den Blick auf die Andragogik zu richten, die sich des Erwachsenenlernens im Allgemeinen angenommen hat. Andragogik „öffnet den Blick auf mehr“ (S. 21), da sie auch die lebensbreite Bildung im Fokus hat. Lebensbreite Bildung umfasst intentionales Lernen wie auch das nicht-intentionale Lernen bzw. das „Lernen en passant“. Die gesamte Bandbreite zeigt sich anschaulich in der Darstellung der Struktur von Erwachsenenbildung (adult education) und des Erwachsenenlernens (adult learning), die dem andragogy.net entnommen wurde:1

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Gegenstand der Andragogik ist das „Verstehen und Gestalten der lebenslangen und der lebensbreiten Bildung Erwachsener“ (S. 22). Andragogik als wissenschaftliche Disziplin geht damit auch sehr weit in die Praxis des Lernens Erwachsener hinein und kennt keine Grenzen, weder die zwischen allgemeiner und beruflicher Erwachsenenbildung noch die zwischen Lernen in der Volkshochschule oder Lernen im Betrieb. Reischmann war auch als Berater und Trainer in größeren Unternehmen, wie zum Beispiel Volkswagen, tätig und hat dort praxisnahe Modelle entwickelt.

Die früheste Nennung des Begriffs Andragogik datiert Reischmann auf das Jahr 1833 zurück, als Alexander Kapp, ein Oberlehrer im Gymnasium in Soest über Andragogik oder Bildung im männlichen Alter schreibt, womit er auch Bezug auf die Bedeutung des Wortes im Griechischen nimmt. Ab 1957 wird der Begriff von Pöggeler mit seinem Handbuch der Erwachsenenbildung mit dem Untertitel „Einführung in die Andragogik“ im deutschsprachigen Raum eingebracht. Malcolm Knowles entwickelte ab 1968 sein Konzept der Andragogik, das er in den 1960er Jahren von dem Jugoslawischen Erwachsenenbildner Dusan Savicevic kennengelernt hat. Knowles‘ Verständnis von Andragogik hatte die Selbststeuerung des Lernens Erwachsener im Mittelpunkt, ebenso die Autonomie des erwachsenen Lernenden und beinhaltete eine nicht-direktive Didaktik. Diese Fokussierung blieb im wissenschaftlichen Diskurs nicht unwidersprochen, neben anderen auch von Dusan Savicevic. Andragogik als wissenschaftliche Disziplin ist an der Universität Belgrad gut verankert und das Studienangebot zeigt die Breite der Andragogik, die von der Didaktik der Erwachsenenbildung bis hin zum Human Ressource Development reicht.2

Jost Reischmann setzt sich in seinen Schriften ausführlich mit mehreren Konzepten, wie zum Beispiel dem Konzept der „Learning Projects“, das der Kanadier Allen Tough zu Beginn der 1970er Jahre vorgestellt hat, mit dem „self-directed learning“, der Ermöglichungsdidaktik und anderen erfrischend kritisch und auch durchaus selbstkritisch auseinander. Nach der Vorstellung der wichtigsten Proponenten und ihrer Schriften bzw. Praktiken werden Argumente dafür und Argumente dagegen eingebracht. Dabei spart er auch nicht die von ihm vertretene Disziplin der Andragogik aus. Coaching sieht er als erfolgreiches Modell in der betrieblichen Bildung und er plädiert für ein Verständnis von Erwachsenenbildung, das auch den Transfer des erworbenen Wissens als wesentlichen Teil des didaktischen Konzepts und als Aufgabe von Organisationen der Erwachsenenbildung sieht.

Alles in allem: Eine sowohl für PraktikerInnen wie auch für WissenschaftlerInnen wichtige Lektüre, die trotz einiger Redundanzen lesenswert ist. //

1   http://www.andragogy.net/

2   Siehe: https://www.f.bg.ac.rs/en2/andragogy

Bisovsky, Gerhard (2017): Jost Reischmann: Andragogik. Beiträge zur Theorie und Didaktik. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2017/18, Heft 263/68. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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