Förderung von Health Literacy bei funktionalen Analphabeten durch Sensibilisierung von Health Professionals1

Das Projekt „Alpha-Power im Gesundheitsbereich“ geht von der zentralen Einschätzung aus, dass Maßnahmen der Gesundheitsprävention und Gesundheitsintervention unter anderem am geringen Bildungsstand der Zielpersonen scheitern. Dies liegt aber oft auch an der geringen Sensibilität für dieses Problem seitens der Anbieter. Ziel des Projektes war es, durch die Sensibilisierung von Health Professionals den Zugang zum Thema Gesundheit für bildungsferne Personen zu erleichtern und durch eine zielgruppengerechte Kommunikation mit den Betroffenen deren Wissens-, Entscheidungs- und Handlungskompetenz in gesundheitsbezogenen Fragen zu stärken. Während der Projektlaufzeit von Jänner 2012 bis Jänner 2013 wurden insgesamt 103 MitarbeiterInnen unterschiedlicher Kärntner Gesundheitseinrichtungen in zehn Sensibilisierungsworkshops für die Kommunikation mit bildungsbenachteiligten Personen geschult.

Hintergrund

Gemäß EU-Schätzungen (European Commission: 2012, S. 21) haben zirka zehn bis 20 Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung Probleme mit dem Lesen, Schreiben, Rechnen sowie im Umgang mit Kommunikations- und Informationstechnologien (z.B. Computer, Smartphone, Bankomat etc.). Darüber hinaus zeigte die PIAAC-Studie der OECD (2013, S. 257), dass 17,1 Prozent der Österreichischen Gesamtbevölkerung im Alter von 15 bis 65 Jahren, das sind 970.000 Personen, nicht in der Lage sind, kurze Texte zu lesen und den Sinn dieser zu verstehen. Diese Menschen sind aufgrund ihrer mangelnden Grundbildung massiv gefährdet, in eine beschleunigte Abwärtsspirale aus Arbeitslosigkeit, Armut und gesundheitlichen Problemen zu geraten.

Zum einen bleibt Personen mit geringen schriftsprachlichen Kompetenzen oft die Chance auf Bildung, und damit verbunden der Zugang zu materiellem Wohlstand und sozialem Ansehen verwehrt, sodass sie eher in den unteren Einkommensschichten, in niedrigen beruflichen Positionen bzw. in der erwerbslosen Bevölkerung anzutreffen sind und daher als armutsgefährdet gelten. (Hradil: 2001, S. 147 ff.; Dugdale & Clark: 2008, S. 48 f.). Der direkte Zusammenhang zwischen niedrigem sozioökonomischem Status bzw. schriftsprachlichem Kompetenz-Niveau und vielen Gesundheitsaspekten gilt durch zahlreiche Studien als empirisch belegt (Pochobradsky et al.: 2002, S. III ff.; Groot & Maassen van den Brink: 2006, S. 28 ff.; Dugdale & Clark: 2008, S. 48 f.). Insbesondere funktionaler Analphabetismus führt bei den Betroffenen oft zu erheblichen psychosomatischen und psychischen Problemen, deren Ursachen meist jahrelange Stressbelastungen infolge mangelnder Grundbildung sind (Döbert, 2009, S. 8). Die Angst davor, als Analphabet entdeckt zu werden bzw. vor schriftsprachlichen Anforderungssituationen sowie vor sozialer Stigmatisierung, belastenden und konfliktbeladenen Lebensumständen (z.B. Wohnbedingungen, Arbeitslosigkeit, Beziehungsprobleme, etc.), und ein mangelndes Gesundheitsbewusstsein (z.B. das Vermeiden von Arztbesuchen und Vorsorgeuntersuchungen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, etc.) führen wiederum zu einer weiteren Festigung des niedrigen sozialen Status. (Pochobradsky et al.: 2002, S. III ff.).

Zum anderen bestätigen europaweite Studien (European Health Literacy Survey, HLS-EU) einen Zusammenhang von geringer Gesundheitskompetenz (engl. „health literacy“) mit niedrigem sozioökonomischem Status, niedrigem Bildungsniveau und anderen (soziodemographischen) Determinanten. (Sörensen et al.: 2012, S. 7 f.). Diese Studien zeigen für Österreich, dass 16,6 Prozent der Bevölkerung nur eine inadäquate Gesundheitskompetenz haben und weitere 37,6 Prozent eine problematische Gesundheitskompetenz aufweisen. Diese Personen haben unter anderem Probleme, das Gesundheitspersonal richtig zu verstehen, relevante Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei ungesundem Verhalten (z.B. Rauchen, wenig Bewegung, hohem Alkoholkonsum, etc.) zu finden oder sich für Aktivitäten einzusetzen, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden fördern.

Aufgrund der individuellen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgen von Analphabetismus (Howard et al.: 2005, S. 371; Groot & Maassen van den Brink: 2006, S. 58 ff.; Wößmann & Piopiunik: 2009, S. 36 ff.) muss es also Ziel sein, den Teufelskreis, in dem funktionale Analphabeten gefangen sind, zu durchbrechen. Anders (2009, S. 14 f.) schlägt hierfür neben der Verbesserung der schriftsprachlichen Kompetenzen sowie einer entsprechenden (nachträglichen) beruflichen Qualifizierung und Arbeitsvermittlung auch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen zur Entwicklung von Health Literacy vor.

Gesundheitsförderung bei funktionalen Analphabeten

Gesundheitskompetenz umfasst alle Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Individuums, gesundheitsrelevante Informationen so wahrzunehmen und zu verarbeiten, dass sie in gesundheitlicher Hinsicht

  1. im Alltag funktionieren (funktionale Form), also beispielsweise aus einem Beipackzettel die ordnungsgemäße Anwendung eines Medikaments entnehmen können,
  2. aktiv am Leben teilnehmen (interaktive Form), d.h. sich zum Beispiel Informationen zur Raucherentwöhnung beschaffen können oder
  3. die Lebensführung selbst verbessern können (kritische Form), was etwa beinhaltet, dass eine übergewichtige Person seriöse von unseriösen Möglichkeiten zur Verhaltensänderungen unterscheiden kann und für sich eine passende Strategie auswählt. (Nutbeam: 2000, S. 266).

Um funktionalen Analphabeten die Chance zu bieten, einen zielgruppengerechten Zugang zu wichtigen Gesundheitsthemen und -informationen zu haben und die alltäglichen gesundheitsrelevanten Anforderungssituationen meistern zu können (funktionale Form von Health Literacy; Nutbeam: 2000, S. 266), weist die Literatur auf zwei Möglichkeiten des Zugangs hin:

Zum einen kann direkt bei den Betroffenen selbst angesetzt werden und so wie im Projekt der VHS Bielefeld (Döbert: 2009, S. 9 f.) versucht werden, in Grundbildungskursen mit einem Kombinationsmodell aus Lese-, Schreib- und Gesundheitsförderung Health Literacy umzusetzen. Als weitere Möglichkeit schlägt Anders (2009, S. 14) den Zugang über MultiplikatorInnen vor, d.h. im Gesundheitswesen tätiges Personal (Health Professionals) für das Erkennen von und für die zielgruppengerechte Kommunikation mit bildungsbenachteiligten Personen zu qualifizieren.

Das Projekt „Alpha-Power im Gesundheitsbereich“

Am letztgenannten Punkt setzte das von der Kärntner Volkshochschule umgesetzte und vom Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) sowie vom Gesundheitsreferat des Landes Kärnten geförderte Projekt „Alpha-Power im Gesundheitsbereich“ an.

Den Ausgangspunkt dafür stellten eine Literaturrecherche zu relevanten Projekten und Studien zu den Themen Health Literacy und Grundbildung sowie zielgruppenorientierte Kommunikation und Beratung im Gesundheitswesen, die Ergebnisse einer Fokusgruppendiskussion zum Thema „Kommunikation mit bildungsbenachteiligten Personen“ mit TrainerInnen von Grundbildungskursen sowie der Erfahrungsaustausch mit VertreterInnen des Projekts der VHS Bielefeld im Rahmen eines Transferworkshops dar. Aufbauend darauf wurde im Projektteam unter Einbezug von ExpertInnen für die Zielgruppe und das Thema Kommunikation ein Konzept zur Schulung von Health Professionals entwickelt, das diese dazu befähigen soll, im direkten Kontakt mit PatientInnen bzw. KlientInnen Verständnisschwierigkeiten zu erkennen und zu überwinden.

Das Weiterbildungsangebot für Health Professionals umfasste dabei konkret Workshops mit einem Umfang von zirka sechs bis acht Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten, die mit jeweils maximal 15 TeilnehmerInnen durchgeführt wurden und in denen

  • über die Hintergründe von Basisbildungsdefiziten informiert und beraten wurde,
  • die nötige Sensibilisierung für die Problematik geschaffen wurde,
  • Wege zur wertschätzenden Kommunikation mit KlientInnen aufgezeigt wurden und
  • zielgruppengerechte Vermittlung von Information auch in praktischen Trainingsphasen geübt wurde. (Vgl. Abbildung 1).

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Abbildung 1: Module der MultiplikatorInnen-Workshops.

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Abbildung 2: Beispiele aus der Workshop-Arbeit zur Sensibilisierung für die Lebenssituation der Betroffenen (links) und zur Erarbeitung eines Erkennungswegweisers (rechts)

Im Rahmen des Projekts wurden 102 Health Professionals (88 weiblich, 14 männlich) aus dem pflegerischen Bereich, den medizinisch-technischen Berufen, dem medizinischen Bereich und dem Verwaltungsbereich des Gesundheitswesens in zehn Workshops, die in sechs Gesundheitseinrichtungen in Kärnten durchgeführt wurden, geschult. (Vgl. Tabelle 1).

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Tabelle 1: durchgeführte MultiplikatorInnen-Schulungen und TeilnehmerInnen-Wirkungsevaluation der Maßnahme

Die Überprüfung der Wirkungen der Fortbildungsmaßnahme erfolgte mit einem Mixed Methods-Ansatz (Mayring: 2007, S. 27 ff.) und orientierte sich am 4-Ebenen-Modell der Evaluierung von Lern- und Trainings-Programmen. (Kirkpatrick & Kirkpatrick: 2009, S. 21 ff.). Zum einen wurden mittels Fragebogen-Erhebung am Ende des Workshops die Reaktionen der TeilnehmerInnen (Wichtigkeit der vermittelten Inhalte und Kompetenzen, Nützlichkeit für den alltäglichen Arbeitsablauf, methodisch-didaktisches Konzept, Zufriedenheit) quantitativ erfasst und besonders positive Eindrücke sowie Verbesserungsvorschläge zur Schulung in Fragen mit offenem Antwortformat qualitativ erhoben. In den Follow-Up-Fokusgruppendiskussionen, die zwischen vier bis acht Wochen nach der Maßnahme bei vier Gruppen durchgeführt wurden (vgl. Tabelle 1), wurden der subjektive Wissenszuwachs durch die Teilnahme am Workshop und der Praxistransfer thematisiert. Für die Auswertung der 100 gültigen Fragebögen und der Transkripte zu den vier Fokusgruppen kam ein Methodenmix (Mayring: 2007, S. 27 ff.) zur Anwendung, der sowohl Techniken der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring & Fenzl: 2014, 547 f.) als auch deskriptiv-statistische Verfahren beinhaltete.

Reaktionen der Health Professionals

Die MultiplikatorInnen zeigten insgesamt sehr positive Reaktionen. Ein Großteil der Health Professionals beurteilte die im Workshop vermittelten Inhalte und Kompetenzen als sehr wichtig (66 Prozent) und nützlich (59 Prozent) bzw. sehr nützlich (37 Prozent) für eine gelungene Kommunikation mit bildungsbenachteiligten Personen im Arbeitsalltag. Diesbezüglich wiesen 18 Teilnehmende auch in den offenen Fragen nochmals auf den positiven Aspekt der Sensibilisierung für das Thema und für den Umgang mit Betroffenen hin, der durch die Vermittlung vieler neuer Informationen zum Workshop-Schwerpunkt „Grundbildung und Kommunikation“ erreicht wurde. Zehn Health Professionals strichen die praktischen Anregungen für den Berufsalltag, wie etwa die Checkliste für eine gelungene Kommunikation mit Betroffenen, als besonders positiv hervor.

Der Aufbau und das methodisch-didaktische Konzept des Workshops wurden von der großen Mehrheit der Teilnehmenden gut (30 Prozent) bis sehr gut (68 Prozent) beurteilt. Außerdem wurde dieser Aspekt in nahezu der Hälfte der 100 Feedbackbögen (47 Prozent) in den offenen Fragen nochmals als besonders positiv hervorgehoben.

Die Zufriedenheit mit dem Workshop, gemessen auf einer 10-teiligen Bewertungsskala (1 = sehr unzufrieden, 10 = sehr zufrieden), war sowohl direkt nach dem Workshop (Median=9) als auch einige Wochen später bei den Follow-Up-Fokusgruppen (Median=8) sehr hoch und 85 Prozent der Teilnehmenden würden die Schulung auch anderen Health Professionals auf jeden Fall weiterempfehlen.

Wissenszuwachs und Praxistransfer: Erfolge und Grenzen des Projekts

Sowohl die Daten aus den offenen Antworten der Fragebögen als auch die inhaltsanalytischen Auswertungen der Fokusgruppen zum Wissenszuwachs (vgl. Tabelle 2) belegen, dass die Health Professionals für die Problematik sensibilisiert wurden, Kompetenzen für das Erkennen von Personen mit Verstehensdefiziten entwickelten und die in den Trainingsphasen der Unterrichtseinheiten erlernten und geübten Methoden und Instrumente (Erkennungswegweiser, einfache Sprache, etc.) beherrschen und im Praxisalltag zum Einsatz bringen können.

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Tabelle 2: Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung der Fokusgruppendiskussionen zum Wissenszuwachs durch die Teilnahme an der MultiplikatorInnen-Schulung2

Als zentrale Botschaft im Hinblick auf eine gelungene zielgruppengerechte Kommunikation nahmen die Health Professionals aus den Workshops die Notwendigkeit zur stärkeren Fokussierung der eigenen Kommunikation auf die Bedürfnisse bildungsbenachteiligter Personen mit (W1). Dazu gehört auch das im Workshop geschaffene Problembewusstsein, dass für eine gelungene Kommunikation beim Gesprächspartner oder Leser weder ein bestimmtes Ausmaß an Lese- und Schreibfähigkeiten noch ein bestimmtes Maß an fachlichen Grundkenntnissen vorausgesetzt werden dürfe. Konkret wurde gelernt, sich verständlich auszudrücken, durch einfache Sprache in der mündlichen Kommunikation sowie durch verständliche Texte in der schriftlichen Kommunikation, und das Verständnis beim Gesprächspartner abzusichern. Außerdem wurde vielen Health Professionals durch die Teilnahme am Workshop bewusst, dass es auch wichtig sein kann, das Grundbildungsdefizit mit den Betroffenen anzusprechen und ihnen Angebote zur Unterstützung sowie für Bildungsmöglichkeiten (Grundbildungskurse) aufzuzeigen (W5). Entsprechendes Verweisungswissen wurde in den Schulungen vermittelt.

Die Ergebnisse der Fokusgruppen zeigen außerdem, dass die TeilnehmerInnen stärker für das Thema sensibilisiert sind (W2) und nicht nur in ihrer alltäglichen Arbeit, z.B. wenn KlientInnen Formulare ausfüllen oder ein Therapieplan besprochen wird, sondern auch privat mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema richten. Besonders erschreckend fanden viele Health Professionals die Prävalenz von Analphabetismus (W3). Im Zusammenhang damit sind den Workshop-TeilnehmerInnen auch die Folgen von Grundbildungsdefiziten in beruflicher, gesundheitlicher, privater aber auch alltäglicher Hinsicht stark in Erinnerung geblieben (W6). Insbesondere die Selbsterfahrungsübungen waren aus Sicht der Befragten sehr hilfreich, um sich in die Situation bildungsbenachteiligter Personen zu versetzen und deren Probleme und Bewältigungsstrategien bei eigentlich selbstverständlichen Alltagsaufgaben, wie beispielsweise sich an Wegweisern richtig orientieren zu können, besser zu verstehen (W4). Dadurch fühlten sich die Health Professionals dazu befähigt, die Zielgruppe besser zu erkennen und den Betroffenen ein entsprechendes Verständnis für deren Lage entgegenzubringen.

Während das Erkennen von bildungsfernen Personen anhand des im Workshop vermittelten Erkennungswegweisers und das Verwenden einfacher Sprache in der Kommunikation den inhaltsanalytischen Auswertungen der Fokusgruppendiskussionen zu Folge recht gut im Praxisalltag zu funktionieren scheint, bereitet das direkte Ansprechen der Verstehensdefizite den Health Professionals Schwierigkeiten. Hier gibt es eine Vielfalt von Faktoren zu berücksichtigen, die nach Einschätzung der Befragten einem erfolgreichen Ansprechen der Lese- und Schreibschwächen entgegenwirken können. (Vgl. Tabelle 2).

Zu diesen hinderlichen Faktoren, welche die Anwendung der im Workshop vermittelten Kompetenzen und Inhalte im beruflichen Alltag beeinträchtigen, zählen die im Arbeitsalltag in Gesundheitseinrichtungen eingeschränkt verfügbaren Zeitressourcen für eine intensive Kommunikation mit den KlientInnen (H1) und damit einhergehend, ein zu wenig intensiver KlientInnen-Kontakt (H2). Darüber hinaus kann eine fehlende Vertrauensbasis im Kontakt zwischen Betroffenen und Health Professionals sehr leicht zu Hemmungen, Schamgefühlen, etc. bei der Ansprache der Grundbildungsdefizite führen (H3).

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Tabelle 3: Schwierigkeiten beim Transfer des vermittelten Know-how in den Arbeitsalltag3

Vielfach fehlen außerdem die geeigneten Räumlichkeiten, um das Problem in einem geschützten Rahmen unter vier Augen anzusprechen (H4). Diesbezüglich scheint das Pflegepersonal und Personal aus dem medizinisch-technischen Bereich zumindest vom Standpunkt der intensiveren Kommunikation mit den KlientInnen und den Räumlichkeiten bessere Voraussetzungen vorzufinden, als dies beispielsweise im Verwaltungsbereich bzw. bei der Aufnahme im Krankenhaus der Fall ist.

In Bezug auf das Ansprechen der Grundbildungsdefizite wurde in den Fokusgruppen aber vor allem auch darauf hingewiesen, dass die Lese- und Schreibschwächen der Betroffenen bzw. die Verständnisschwierigkeiten im Rahmen der Situation, in welcher der Kontakt zwischen Health Professionals und KlientInnen bzw. Betroffenen stattfindet, oft nur sekundäre Bedeutung haben. Oberste Priorität hat in den Gesundheitseinrichtungen der Gesundheitszustand der Betroffenen, dessen Wiederherstellung bzw. Maßnahmen, die unmittelbar zur Verbesserung der Gesundheit beitragen (H7). Dabei stellt gerade das Ansetzen an den Lese- und Schreib-schwächen einen entscheidenden Faktor sowohl für die Entwicklung von Gesundheitskompetenzen bei der Zielgruppe als auch für die langfristige Verbesserung der Gesundheit im Sinne physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens dar.

Außerdem betonten die Health Professionals in den Fokusgruppendiskussionen, dass die Unterscheidung schwierig ist, ob sich eine Person in einer Gesundheitseinrichtung nicht zu Recht findet, weil sie nicht über die notwendigen schriftsprachlichen Kompetenzen verfügt, durch die Institution als solche verunsichert und ängstlich ist (H5), oder einfach kein ausreichendes Interesse für die eigene Gesundheit vorhanden ist (H6). Letztgenanntes muss nicht unbedingt in ursächlichem Zusammenhang mit etwaigen schriftsprachlichen Defiziten dieser Personen stehen. Das wiederum kann zu Verängstigungen auf Seiten der Health Professionals führen und so dem vertraulichen Ansprechen der Grundbildungsdefizite hemmend entgegenwirken.

Ausblick

Ausgehend von den positiven Evaluationsergebnissen ist die Durchführung weiterer Workshops in Gesundheitseinrichtungen zu empfehlen. Dabei sollte der Fokus verstärkt auf MultiplikatorInnen aus dem pflegerischen Bereich und aus den medizinisch-technischen Berufen gerichtet werden, da diese einen intensiven PatientInnen-Kontakt haben und dadurch optimale Rahmenbedingungen für das Erkennen, Überwinden und Ansprechen der Verstehensdefizite vorfinden. Insbesondere gilt es, in den Schulungen die Health Professionals in ihrer Aufgabe zu bestärken, dass sie mit dem vertraulichen Ansprechen der Grundbildungsdefizite einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation des Betroffenen leisten können, indem sie auf Hilfe und Unterstützungsmöglichkeiten verweisen, auch wenn der letzte Schritt zur Inanspruchnahme von Hilfe bei den Betroffenen selbst liegt.

Außerdem erscheint auch ein über den Gesundheitsbereich hinausgehendes Angebot sinnvoll, also beispielsweise zielgruppengerechte Workshops für MultiplikatorInnen aus dem Sozialwesen (z.B. SozialarbeiterInnen, etc.) oder aus dem Verwaltungsbereich (z.B. Meldeamt, Finanzamt, Arbeitsmarktservice, Bezirksverwaltungsbehörden, etc.) anzubieten. Ein wesentlicher Aspekt für die erfolgreiche Durchführung solcher Fortbildungen ist dabei eine individuelle Anpassung der Workshops an die Bedürfnisse der MultiplikatorInnen im Arbeitsalltag, die durch Partizipation in der Planungsphase sichergestellt werden kann.

Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse aus dem Projekt aber auch, dass die MultiplikatorInnen-Schulungen im Hinblick auf die Stärkung des Gesundheitsbewusstseins und der Wissens-, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen in Bezug auf gesundheitsrelevante Themen von bildungsbenachteiligten Personen nur unterstützend wirken können. In Ergänzung zur Qualifizierung der Health Professionals für den Umgang mit KlientInnen mit Grundbildungsdefiziten ist die Durchführung von Maßnahmen zur Förderung von Health Literacy, die direkt bei der Zielgruppe ansetzen, unverzichtbar. Konkret sollten dabei die Gesundheitskompetenzen der Zielgruppe nach dem Bielefelder Vorbild (Döbert: 2009, S. 8 ff.) durch Wissens- und Informationsvermittlung sowie durch praktische Übungen verbessert und eine aktive Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention angeregt werden. //

1   Erstmals erschienen in: Alfa-Forum. Zeitschrift für Alphabetisierung und Grundbildung, (87), Frühling 2015, 44–49.

2   Bei der inhaltsanalytischen Auswertung der Fokusgruppendiskussion wurden im Textmaterial zu allen Aspek-ten, die nach subjektiver Einschätzung durch die TeilnehmerInnen einen Wissenszuwachs gebracht haben bzw. besonders in Erinnerung geblieben sind (Kategoriendefinition), induktiv Kategorien gebildet. (Mayring & Fenzl: 2014, S. 547).

3   Bei der inhaltsanalytischen Auswertung der Fokusgruppendiskussion wurden im Textmaterial zu allen subjektiv wahrgenommenen bzw. explizit genannten Faktoren, die bei der Umsetzung von im Workshop erworbenen Kompetenzen und Wissen im Arbeitsplatzsetting hinderlich sein könnten (Kategoriendefinition), induktiv Kategorien gebildet. (Mayring & Fenzl: 2014, S. 547.

Literatur

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