Mut zur Mehrsprachigkeit

Seit rund zwei Jahren bekommt jede Frau, die in Wien ein Baby zur Welt gebracht hat, eine Dokumentenmappe mit Informationsmaterial. Dabei ist auch ein Folder, der zu Mehrsprachigkeit ermuntern will. „Mut zur Mehrsprachigkeit! – Kinder in Wien sprachsensibel erziehen“, ist darauf in verschiedensten Sprachen zu lesen. Beigelegt ist zudem ein Gutschein für ein Kursangebot der Wiener Volkshochschulen, die diesem Thema aktuell breiten Raum geben, wie die Sprachwissenschafterin und Soziologin Dilek Donat vor kurzem vor Journalisten erläuterte. Donat ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lernraum.wien, dem Institut für Mehrsprachigkeit, Integration und Bildung der VHS Wien.

Lernraum.wien erarbeitete zuletzt mit Partnerorganisationen aus Großbritannien, Polen, Spanien, Tschechien und Deutschland im Rahmen des Projekts „Multilingual Families“ verschiedenste Materialien, um vor allem mehrsprachige Familien zu unterstützen. Eines davon ist die Broschüre „Warum Kinder mehrsprachig erziehen?“, welche die Wiener VHS inzwischen in 17 Sprachen aufgelegt haben. „Mehrsprachige Kinder zeigen größere kognitive Flexibilität, bessere Problemlösungsstrategien und erhöhtes Denkvermögen auf.“ 2

In Familien mit einer anderen Familiensprache als Deutsch gebe es viel Verunsicherung, welcher Weg für das Kind der beste sei, erklärte Donat. Schade ich dem Kind, wenn ich nicht ausschließlich Deutsch mit ihm spreche? Was passiert wiederum, wenn meine eigenen Deutschkenntnisse schlecht sind? Die Empfehlung der Experten des Projekts „Multilingual Families“ ist klar: „Es ist von großer Wichtigkeit, Ihre Kinder in den Familiensprachen zu erziehen. Nur in den Sprachen, die Ihnen am vertrautesten sind, ist eine gelungene und angenehme Kommunikation möglich.“ Deutsch werde von den Kindern dann problemlos in Kindergarten und Schule und im Kontakt mit Gleichaltrigen erlernt.

Donat selbst wuchs in Deutschland als Tochter türkischer Eltern auf. Als Baby und Kleinkind habe sie nur Türkisch gehört und gesprochen, das Deutsch kam dann im Kindergarten dazu. Grundsätzlich gelte: Würden Sprachen noch vor Schuleintritt – bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren – erlernt, verlaufe der Spracherwerb intuitiv, so Donat. Das Kind lerne also durch Nachahmen und nicht durch gezieltes Vokabelpauken.

Keine Scheu soll man zudem davor haben, das Kind von Geburt an auch innerhalb der Familie mit mehr als einer Sprache zu konfrontieren, wenn es eben mehrere Familiensprachen gebe. Die Sorge, dass das Kinder verwirre und sie zwischen den einzelnen Sprachen nicht unterscheiden könnten, sei unbegründet. „Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis.“ Es komme zwar oft vor, dass Kinder, wenn sie ein Wort in der einen Sprache nicht wüssten, es aus der anderen Sprache nehmen würden, also Sprachen mischen, doch mit der Zeit sei es ihnen möglich, die einzelnen Idiome klar voneinander zu trennen.

Intuitiver Spracherwerb im Kleinkindalter

Mit einer Veranstaltungsreihe versuchen die Wiener VHS nun zudem seit vergangenem Herbst, Familien zu ermuntern, den Spracherwerb der Kinder auch aktiv zu fördern, etwa durch ein Lernen mit allen Sinnen. Mit verbundenen Augen müssen dabei zum Beispiel Eltern und Kinder verschiedene Gemüsesorten kosten und beschreiben, was sie schmecken: Ist das sauer, bitter, saftig, knackig? Jeder benennt Dinge in seiner Sprache. So wird die Sprachvielfalt unterstützt und gleichzeitig der Wortschatz des Kindes erweitert.

Je reicher der Wortschatz, desto reicher sei auch die Kommunikation des Kindes in- und außerhalb der Familie. Dazu trage auch das Vorlesen, Lesen, aber auch Geschichtenerzählen bei, betonte Donat.

Wobei es Donat wichtig ist, mit einem anderen Vorurteil aufzuräumen: Mehrsprachigkeit bedeutet nicht, in allen Sprachen, die man spricht, perfekt zu sein. „Es reicht, mit der Sprache umgehen und eine Konversation führen zu können.“ Mehrsprachig sei zudem auch jeder, der zum Beispiel eine Fremdsprache in der Schule erlernt habe. Das Angebot der VHS Wien richte sich daher nicht ausschließlich an bereits mehrsprachige Familien, sondern auch an solche, die ihrem Kind von klein auf zusätzlich zu Deutsch eine weitere Sprache vermitteln wollen. //

Weiss, Alexia (2015): Mut zur Mehrsprachigkeit. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2015, Heft 255/66. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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