Wissenschaftsorientierung im Programmangebot an (Wiener) Volkshochschulen ist seit dem 19. Jahrhundert ein grundlegendes Merkmal, im Unterschied zur gleichzeitigen Entwicklung in anderen Ländern im europäischen Raum.
Universitätsangehörige als Vortragende spielten – insbesondere seit Etablierung der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ an der Universität Wien im Jahr 1895 – an den Volkshochschulen eine wichtige Rolle. Eine große Zahl an Universitätsprofessoren und Dozenten – zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich nur Männer – trugen ihre (neuesten) wissenschaftlichen Erkenntnisse vor oder waren in führenden ehrenamtlichen Positionen in der Organisation der einzelnen Volkshochschulen tätig. Als Beispiel sei hier der Mineraloge Univ.-Prof. Dr. Friedrich Becke (1855–1931) erwähnt. Er war Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Obmann und Vorstandsmitglied der Volkshochschule Volksheim Ottakring, aber auch beliebter Vortragender und Exkursionsleiter an gleich mehreren Wiener Volkshochschulen.
Und auch heute besteht ein sehr enges Kooperationsverhältnis der Erwachsenenbildung zu Universität und Wissenschaft. Viele Persönlichkeiten tragen im Rahmen des Programms „Science“ und „University Meets public“ vor – der Kooperationsvertrag wurde am 26. November 1998 unterzeichnet1 – und nützen VHS-Vortragssäle zur Präsentation neuer wissenschaftlicher Forschungsergebnisse.
Der österreichische Nobelpreisträger für Physik des Jahres 2022, Univ.-Prof. Dr. Anton Zeilinger, hielt am 7. November 2023 auf Einladung des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen und der Wiener Volkshochschulen GmbH einen Vortrag über „Die Wunderwelt der Quanten“. Dieser Vortrag, dem über Online-Stream und live im Saal des Veranstaltungszentrums der Volkshochschule Floridsdorf über 1000 Teilnehmer*innen zuhörten, bot Gelegenheit, „unseren“ Physiknobelpreisträger und sein wissenschaftliches Arbeitsgebiet näher kennen zu lernen. Bereits am 28. März 2012 hatte Anton Zeilinger in der VHS Meidling vor 600 Personen zum Thema „Die Welt der Quanten: Wo Einstein nicht recht hatte“ vorgetragen.
Entgegen der Annahme, dass Anton Zeilinger nach Albert Einstein (1921) erst der zweite Nobelpreisträger gewesen wäre, der an einer Volkshochschule vortrug, ergaben Recherchen im Österreichischen Volkshochschularchiv (ÖVA), dass neben Albert Einstein und Anton Zeilinger noch weitere 22 Nobelpreisträger*innen mit den Volkshochschulen als Vortragende oder als Funktionäre in Verbindung standen.
Eine wichtige und umfangreiche Informationsquelle ist dabei die Kurs- und Vortragsdatenbank des ÖVA, die bislang den Zeitraum von 1887 bis 1983 abdeckt und permanent ergänzt und erweitert wird. Sie umfasst derzeit 455.356 Einträge. Am Beispiel des Physiknobelpreisträgers Albert Einstein zeigt sich deutlich, dass es nicht nur Vortragende aus Österreich waren, sondern auch Gastvortragende aus dem Ausland. Ein Großteil von ihnen trat schon in den Anfangsjahren ihrer Forscher*innenkarriere auf – oft Jahrzehnte vor der Nobelpreisverleihung. Für die meisten waren die Vortragssäle der Volkshochschulen sogar Sprungbrett in die Welt der Wissenschaft und Beginn einer Forscher- bzw. Schriftsteller*innenkarriere.
Es waren aber nicht nur Nobelpreis-träger*innen unter den Vortragenden. Auch einige, die für den Nobelpreis nominiert waren, diesen letztlich aber nicht zugesprochen bekamen, waren an den Wiener Volks-bildungshäusern als Referent*innen tätig.
Als Beispiel sei der Physiker und SPÖ-Politiker Hans Thirring (1888–1976) genannt, dem diese Auszeichnung nicht zuteil wurde. Thirring war seit 1914 (bis 1968) Vortragender für (Atom-)Physik an mehreren Volkshochschulen.
Im Folgenden sollen alle Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger in chronologischer Reihenfolge ihres Auftretens erwähnt und kurz gewürdigt werden, die an (Wiener) Volkshochschulen oder an anderen, volkshochschulbezogenen Orten vorgetragen haben beziehungsweise als Funktionäre in Erscheinung getreten sind.
Der Chemienobelpreisträger 1923, Fritz Pregl (1869–1930), trat von 1902 bis 1907 im Rahmen der „Grazer Volkstümlichen Universitätsvorträge“ acht Mal auf. Seine Vorträge befassten sich mit den chemischen Prozessen im Verdauungstrakt. Seit 1923 war Pregl korrespondierendes Mitglied der Wiener Urania.2 Den Nobelpreis erhielt er für „die von ihm entwickelte Mikroanalyse organischer Substanzen“3.
Von 1906 bis 1912 hielt der österreichische Schriftsteller und Pazifist Alfred Hermann Fried (1864–1921) für den Wiener Volksbildungsverein Vorträge zur Friedens- und Abrüstungsthematik. Er gründete gemeinsam mit Bertha von Suttner die Zeitschrift „Die Waffen nieder“, in der er mit pazifistischen Themen an die Öffentlichkeit trat. Fried war auch in der europäischen Esperanto-Bewegung federführend tätig und veröffentlichte 1903 ein Lehrbuch für diese Kunstsprache. 1911 erhielt er „für seine Bemühungen, die seiner Meinung nach Hauptursache des Krieges, nämlich die Anarchie in den internationalen Beziehungen aufzudecken und zu bekämpfen“4, den Friedensnobelpreis. Fried war, wie viele andere Wissenschafter, Unterzeichner des Manifests „An die Bevölkerung Wiens“ anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Wiener Volksbildungsvereins (1912).5
Zum damaligen Zeitpunkt fehlten für eine weitere, erfolgversprechende Arbeit die dringend erforderlichen finanziellen Mittel. So entschied man sich aus Anlass dieses Jubiläums, einen Aufruf an die Wiener Bevölkerung zu formulieren, in dem man auf die prekäre Finanzsituation aufmerksam machte. Man bat „alle Freunde des Volkes und der Volksbildung […], dem Wiener Volksbildungsverein als Mitglieder beizutreten oder ihn durch Spenden zu fördern“6. Die vielen, meist sehr prominenten Unterzeichnerinnen und Unterzeichner wendeten sich „vertrauensvoll an alle jene, die ein Herz haben fürs Volk und in dem Wunsche sich begegnen, dass alle Volksgenossen der nationalen Güter des Wissens und der Kunst teilhaftig werden sollten, auf dass wenigstens auf geistigem Gebiete, soweit es möglich ist, die Kluft überbrückt wird, welche die Besitzlosen von den Besitzenden trennt […], denn es gilt, eine edle Sache zu fördern.“7
Der aus Riga gebürtige und in Leipzig wirkende Chemiker und Philosoph Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Ostwald (1853–1932) erhielt 1909 den Chemie-Nobelpreis „in Anerkennung seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Katalyse und seiner Untersuchungen über die Grundlage des chemischen Gleichgewichts und der Reaktionsgeschwindigkeiten“8. Er stand der Wiener Volksbildungsbewegung nahe. Als korrespondierendes Mitglied der Wiener Urania war er den Volkshochschulen sehr verbunden und hielt an einigen Häusern in Wien Vorträge. Diese befassten sich nicht mit Themen seines Fachgebiets, der Chemie, sondern hatten allesamt philosophische Schwerpunkte, wie z. B. „Wissenschaft und Leben“ oder „Sprechen und Denken“9.
Der deutsche Philosoph Rudolf Christoph Eucken (1891–1950) erhielt 1908 den Nobelpreis für Literatur „in Anerkennung seiner ernsthaften Wahrheitssuche, seiner durchdringenden Gedankenkraft, seines weiten Blickfeldes und der Wärme und Kraft in der Darstellung, mit der er in seinen zahlreichen Werken eine idealistische Lebensphilosophie verteidigt und weiterentwickelt hat“10. Eucken zählt zu den wichtigsten Vertretern der Lebensphilosophie.
Eucken hielt im Großen Saal der Wiener Urania im Zeitraum von 1910 bis 1915 insgesamt fünf Vorträge zu literarisch-philosophischen Themen und publizierte auch in der „Wochenschrift für Volksbildung. Offizielles Organ des Volksbildungsinstitutes Wiener Urania“ und in der Zeitschrift „Der Pflug“, u. a. ein Aufsatz mit dem Titel „Gedanken über das Ideal der Volksbildung“11.
Eucken fand in seinem Vortrag am 13. Oktober 1910 lobende Worte für die Volksbildung im Allgemeinen und für die Wiener Urania im Speziellen in Bezug auf Wissenschaftsvermittlung. Teile seiner Ansprache wurden in der Wochenschrift „Urania“ veröffentlicht:
„[…] Ich erblicke in ihr [d.i. die Urania] ein wichtiges und in hohem Grade wertschätzendes Unternehmen. Es handelt sich hier darum, die gegenwärtige Bewegung zur Ausbreitung des Wissens und echter Geisteskultur in die rechten Bahnen zu leiten. Jene Bewegung ist bisher oft der Gefahr verfallen, bloße Ergebnisse der Forschung mitzuteilen, die mühevolle Arbeit aber möglichst im Hintergrunde zu halten. […] Demgegenüber sucht die Urania den Weg einer echten Popularisierung, indem sie an erster Stelle danach strebt, in die Arbeit der Forschung einzuführen, die Arbeit deutlich vor Augen zu stellen, die Arbeit mit ihren Mühen, aber auch ihrer bildenden und veredelnden Kraft. […] Es kann ein solches Unternehmen auf die Forschung selbst fördernd zurückwirken. […].“12
Die Friedensnobelpreisträgerin (1905) Bertha von Suttner (1843–1914) hielt am 11. Jänner 1912 im Festsaal des Niederösterreichischen Gewerbevereins auf Einladung des Wiener Volksbildungsvereins einen Vortrag zum Thema „Aus meiner pazifistischen Laufbahn“. Der Vortrag fand breites Echo in den Tageszeitungen. In der „Neuen Freien Presse“ vom 12. Jänner 1912 war zu lesen:
„[…] Das zahlreiche Publikum nahm die an vielen Stellen durch überlegten Witz und Ironie gewürzten Ausführungen mit dem lebhaftesten Beifall entgegen“13.
Auch Suttner unterschrieb 1912 das Manifest „An die Bevölkerung Wiens“ des Volksbildungsvereins.14
Im selben Jahr 1912 war der schwedische Chemienobelpreisträger des Jahres 1903 Svate August Arrhenius (1859–1927) mit zwei Vorträgen im Großen Saal der Wiener Urania zu Gast. Er referierte unter anderem über die Milchstraße und über die Bildung von Salzlagerstätten.15 Das „Illustrierte Wiener Extrablatt“ vom 23. Oktober 1912 berichtete: „Der schwedische Gelehrte Svante Arrhenius erschien gestern am Vorlesetisch der Urania. Der berühmte Physiker sprach über das Milchstraßenproblem, das, seit Menschen gegen den Himmel schauen, lebhaftes Interesse erweckt hat. […] Das Publikum folgte mit großer Spannung der Entwicklungsgeschichte, die Professor Arrhenius gab, und harrte trotz der Schwierigkeit der Materie zwei Stunden in dem dichtgefüllten Saale aus“16.
Im Studienjahr 1907/08 hielt der Medizinnobelpreisträger von 1930, Karl Landsteiner (1868–1943), einen Vortrag über „Bakteriologie“ im Rahmen der „Volkstümlichen Vorträge“ in Graz. Landsteiner, der den Nobelpreis für die Entdeckung der menschlichen Blutgruppen erhielt, wurde kurz vor diesem Vortragstermin 1907 zum Prosektor der anatomisch-pathologischen Abteilung am Wiener Wilhelminenspital ernannt.17 Zu dieser Zeit war er bereits als Privatdozent an der Wiener Medizinischen Fakultät tätig.
Der österreichische Medizinnobelpreisträger des Jahres 1914 Robert Barany (1876–1936) trat mit seinem Fachgebiet, der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, 1912 und 1913 mit vier Vorträgen im Wiener Volksbildungsverein und in der Wiener Urania auf. 18
Auf großes Interesse stieß der Auftritt des Literaturnobelpreisträgers des Jahres 1929 Thomas Mann (1875–1955) an der Wiener Urania „[…] vor einem Publikum voll Begeisterung und Jugend“19. Zwischen 1913 und 1935 standen Lesungen aus eigenen Werken, aber auch Vorträge, wie etwa über Goethe als Schriftsteller auf dem Programm.20
Der Wiener Chemiker Richard Adolf Zsigmondy (1865–1929) erhielt 1925 den Nobelpreis für Chemie für seine Forschungen auf dem Gebiet der Kolloidchemie und Mikroskopie. 1914 hielt er über „Moleküle, Ultramikroskop und die Grenzen des Sichtbaren“ einen Vortrag an der Wiener Urania.21 Die Vorankündigung in der „Neuen Freien Presse“ verspricht die erstmalige „Sichtbarmachung von dem Aufbau der Materie und die Bestätigung von theoretischen Voraussagungen“22.
Als bislang einziger gebürtiger Schweizer Literaturnobelpreisträger (1919) war Carl Spitteler (1845–1924) bereits am 15. Februar 1914 Gast in der Fachgruppe Literatur des Wiener Volksbildungsvereins im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung.
Der Wiener Erwin Schrödinger (1887–1961) erhielt 1933 den Nobelpreis für Physik für „die Entdeckung neuer produktiver Formen der Atomtheorie“23. 1914 hielt er eine vierteilige Vortragsreihe zur Elektrizitätslehre und 1937 nach einer Pause von über 20 Jahren den Vortrag „Theoretisches vom Licht“, der zwei Mal wiederholt werden musste. Beide Veranstaltungen fanden im Rahmen der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ in Graz statt.
Ein besonders prägendes Ereignis im Laufe der Geschichte der Wiener Volksbildung war wohl der Vortrag eines der bekanntesten Nobelpreisträger im Großen Konzerthaus-Saal – Albert Einstein (1879–1955) – am 13. Jänner 1921. Im damals vom Fassungsraum her größten Saal in Wien referierte der Physiknobelpreisträger des Jahres 1922 auf Einladung der Wiener Urania über die Relativitätstheorie.24 Am Tag zuvor hatte Einstein bereits einen Vortrag am neuen Chemischen Institut in der Währingerstraße gehalten.25
Ein detaillierter Bericht über den Vortrag im Wiener Konzerthaus findet sich auch in den „Innsbrucker Nachrichten“ vom 18. Jänner 1921,26 außerdem befasst sich ein Aufsatz von Christian H. Stifter, Direktor des Österreichischen Volkshochschularchivs mit den Umständen und Hintergründen, die zum Wiener Vortrag Einsteins geführt haben.27
Dem Vortrag ging zwecks Terminfindung eine rege Korrespondenz mit dem Sekretariat der Wiener Urania voraus. Dieser Briefwechsel befindet sich in den Beständen des Österreichischen Volkshochschularchivs. Ende 1920 konnte endlich ein Termin fixiert werden, wobei Einstein auf Grund seiner schwachen Stimme um einen „kleinen“ Saal mit maximal 2000 Personen Fassungsraum bat.28
In den „Verlautbarungen der Wiener Urania“ wird der Vortrag sehr lebhaft angekündigt: „Was Ptolemäus für anderthalb Jahrtausende, was Kopernikus, Galilei und Newton für die letzten Jahrhunderte geschaffen, ein Weltbild des Naturgeschehens, hat heute Albert Einstein uns abschließend neu gegeben, alle Zweige der modernen Wissenschaft erfassend, die imponierende Möglichkeit einer universellen Weltanschauung aus einem Guß. Es wird uns vergönnt sein, den Schöpfer der »Relativitätstheorie« selbst sprechen zu hören“29.
1923 scheint Einstein als korrespondierendes, d. h. als ein im Briefverkehr stehendes Mitglied der 32. Ordentlichen Hauptversammlung der Wiener Urania auf. 30
1974 ging der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an den Wiener Friedrich August Hayek (1899–1992). Schon 1921 trat er mit einem Vortrag über theoretische Volkswirtschaftslehre im Wiener Volksbildungsverein in Erscheinung. Es folgten 1925/26 zwei Vorträge an der Volkshochschule Volksheim Ottakring.
Karl von Frisch (1886–1982) erhielt 1973 – gemeinsam mit dem Österreicher Konrad Lorenz – den Nobelpreis für Medizin. Doch schon in der Zwischenkriegszeit hielt Frisch Vorträge in der Wiener Urania zu seinem Forschungsthema „Über Sprache und Verhalten der Bienen“. Zwischen 1923 und 1937 stand er insgesamt vier Mal am Podium des Hörsaals der Urania. Frisch war zudem korrespondierendes Mitglied der 32. Ordentlichen Hauptversammlung der Wiener Urania 1922/23.31
Der Steirer Victor Franz Hess (1883–1964) bekam 1936 den Nobelpreis für Physik. Seine Verdienste lagen in der Entdeckung der kosmischen Strahlen. Von 1923 bis 1928 hielt er 13 Vorträge im Rahmen der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ in Graz.
Der aus Wels stammende Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) erhielt 1927 den Nobelpreis für Medizin „für seine Entdeckung des therapeutischen Wertes der Malaria-Impfung bei der Behandlung von Dementia paralytica“32. Zwischen 1922 und 1925 hielt Wagner-Jauregg vier Vorträge an der Wiener Urania, war darüber hinaus 1929/30 Mitglied der Volkshochschule Ottakring und unterzeichnete 1912 das bereits erwähnte Manifest des Wiener Volksbildungsvereins.
1929 und 1936 trat der Physiknobelpreisträger des Jahres 1918 und Philosoph Max Planck (1858–1947) mit zwei Vorträgen in der Urania in Wien und in Graz in Erscheinung. In Wien referierte er über das „Weltbild der neuen Physik“ (14. März 1929)33 und an der Grazer Urania zum Thema „Vom Wesen der Willensfreiheit“ (12. Mai 1936). Die Vorträge waren schon lange vor dem Termin ausverkauft und fanden starke Resonanz in den Medien.34 Plancks Aufgabe als Schöpfer der Quantentheorie war keine leichte, „galt es doch einem Publikum von Laien eine durchaus neue Vorstellungswelt, wenigstens begrifflich näher zu bringen, die selbst Fachleuten nicht geringes Kopfzerbrechen verursachte und noch immer verursacht“,35 wie die deutschnational-antisemitische „Deutschösterreichische Tageszeitung“ 1929 vermeldete.
Der bulgarisch-britische Schriftsteller und Aphoristiker mit großem Österreichbezug, Elias Canetti (1905–1994), Nobelpreisträger für Literatur 1981, hielt bereits von 1932 bis 1937 an der Volkshochschule „Volksheim“ Ottakring mehrere Lesungen aus seinem Werk. 1936 trat er mit einem Werk „Die Blendung“ in der Volkshochschule Ottakring – Zweigstelle Leopoldstadt (2. Wiener Gemeindebezirk, Zirkusgasse 48) an die literaturinteressierte Öffentlichkeit.
Der Zoologe und Hauptvertreter der Vergleichenden Verhaltensforschung, Konrad Lorenz (1903–1989), wurde 1973 mit dem Medizinnobelpreis für die Entdeckung individueller und sozialer Verhaltensmuster ausgezeichnet. Seinen ersten Vortrag hielt er im Studienjahr 1929/30 an der Volkshochschule „Volksheim“ Ottakring, bis 1949 folgten diesem 15 weitere an der Wiener Urania, in Graz und am Institut für Wissenschaft und Kunst. Der aus Frankfurt am Main stammende Otto Loewi (1873–1961) bekam 1936 den Nobelpreis für Medizin für „die Entdeckungen der chemischen Übertragungen von Nervenimpulsen“36. 1932/33 hielt er zwei Referate im Rahmen der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ in Wien.
Tab.: Nobelpreisträger*innen an österreichischen Volkshochschulen (gereiht nach dem Jahr der Verleihung)
Walther Hermann Nerst (1864–1941), Chemiker aus Westpreußen, erhielt 1920 den Chemie-Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Thermochemie. Am 20. Februar 1936 war er in der Grazer Urania zu Gast und hielt einen Vortrag mit dem Titel: „Physikalische Betrachtungen zum Aufbau des Weltalls“.
Nikolaas Tinbergen (1907–1988) erhielt gemeinsam mit Karl von Frisch und Konrad Lorenz 1973 den Nobelpreis für Medizin. Der Niederländer aus Den Haag war nur ein einziges Mal in Wien zu Gast und berichtete am 4. Juni 1937 im Mittleren Saal der Wiener Urania über seine Erlebnisse bei seinem über ein Jahr dauernden Aufenthalt in Ostgrönland.
Nach derzeitigem Wissensstand war in den Jahren von 1950 bis 2022 – also mehr als 72 Jahre – kein/e Nobelpreisträger*in mehr als Vortragende(r) an einer Volkshochschule oder österreichischen Erwachsenenbildungseinrichtung tätig.
Erst der 7. November 2023 brachte wieder einen Höhepunkt in der Geschichte der Volksbildung in Österreich – den eingangs erwähnten Vortrag des Quantenphysikers Anton Zeilinger.
Zum Abschluss noch eine kleine Anmerkung am Rande: Anton Zeilinger (geb. 1945) hatte – wie er einleitend zu seinem Vortrag im November 2023 erzählte – in jungen Jahren als Kursteilnehmer direkten Kontakt zu den Wiener Volkshochschulen. In einer VHS-Zweigstelle im 12. Bezirk besuchte er einen Kurs für Maschinschreiben im „10-Finger-System“. Eine damals erlernte Fähigkeit, die ihm wohl bei der Niederschrift seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr zugute gekommen sein dürfte.
Diese 24 Nobelpreisträger, die seit 1902 an Volkshochschulen vorgetragen haben, veranschaulichen das enge Verhältnis von Wissenschaft und Volksbildung. Man kann davon ausgehen, dass diese Zusammenarbeit auch in Zukunft – vor allem über die Programmschienen „University Meets Public“ und „Science“ – weitergeführt und intensiviert wird. So werden auch künftig Persönlichkeiten aus allen Wissenschaftsgebieten weiterhin in den Häusern der Erwachsenenbildung zu Gast sein; dass sich darunter womöglich wieder Nobelpreisträger*innen befinden werden, kann keinesfalls ausgeschlossen werden. //
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