Emanzipatorische Bildung? Gibt es die noch? Selbstverständlich, wie die durchwegs engagierten WissenschafterInnen, Vortragenden und Lehrenden mit ihren Beiträgen belegen. Trotzdem, vor fünf Jahrzehnten noch im üblichen öffentlichen Sprachgebrauch, wird der Begriff des „Emanzipatorischen“ heute nur höchst selten verwendet.
Die Herausgeber Günther Sandner, Politikwissenschafter, und Boris Ginner, Referent der Arbeiterkammer Wien für Bildungspolitik, erklären die Intentionen emanzipatorischer Bildung: denken in Alternativen, Partizipation stärken, Hierarchien, gesellschaftliche Machtkonstellationen und soziale Ungleichheit hinterfragen sowie ganz wichtig – nicht bei Analysen stehen bleiben, sondern Perspektiven entwickeln, um erkannte Defizite zu beseitigen. Oder kurz und bündig von den Herausgebern definiert (S. 10): „Emanzipation als Bildungsziel heißt, die Fähigkeiten und Bereitschaft von Menschen zu fördern, sich aus Abhängigkeiten zu befreien […]. Emanzipatorische Bildung ist solidarisch und gemeinschaftlich orientiert, sie zielt nicht auf das Trainieren individueller Nutzenmaximierung ab.“
Klargestellt wird auch, dass soziale Ungleichheit durch Bildung allein nicht verändert werden kann, aber Bildung dafür ein unverzichtbares Instrument unter anderen ist. Das Grundproblem, das wird in vielen der Beiträge zum Ausdruck gebracht, ist der bekannte, oft wiederholte und wissenschaftlich bestätigte Zusammenhang zwischen ökonomischer Herkunft und Verlauf des Bildungsweges.
Thematisch beschäftigen sich die fünfzehn Beiträge unter anderem mit der Belastung von Demokratie durch Bildungsungleichheit, dem gewerkschaftlichen Kampf gegen soziale Ungleichheit, mit emanzipatorischer Bildung in offener Jugendarbeit, in der dualen Lehrausbildung, in Schule und Hochschule sowie mit den Folgen des Distance-Schooling. Weiters angesprochen werden die Verschränkung von Bildungschancen und Migration, gendersensible Aspekte, Scham als soziale Kontrolle sowie die Rolle des Sozialstaates in seiner Bedeutung für emanzipatorische Bildung.
Im Zeitalter von Training, Schulung oder des lebenslangen digitalisierten Lernens setzt das Buch mehr als eine begriffliche Wegmarke. Es vertritt nicht die Selbstoptimierung, sondern will stärken, um die eigenen Interessen zu formulieren, um Ungleichheiten zu analysieren und um zu handeln.
Emanzipatorische Bildung bedeutet eben auch Bewusstheit über die Verhältnisse in Alltag, Beruf, in Bildungs- und Lernsituationen zu vermitteln sowie zu unterstützen, deren politische Rahmenbedingungen mitzugestalten. In dieser Hinsicht gibt das Buch viele theoretische Einsichten, empirisch ausgewiesene Grundkenntnisse und praxisorientierte Anregungen.
Das Buch eignet sich besonders für den Bereich politische Bildung kann aber auch als Basisliteratur in der Professionalisierung aller im Bildungsbereich Tätigen eingesetzt werden. //
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