Wenn Menschen über ihre Lernerfahrungen in der Volkshochschule berichten, sind diese Schilderungen nicht nur auf Lernergebnisse bezogen, sondern die Lernerlebnisse sind meist zumindest gleich wesentlich. Der Rahmen des Lernens ist hier nicht nur an Effizienz und Effektivität gebunden, da der soziale und subjektive Nutzen oft die tatsächliche kognitive Leistung übersteigt. Für eine professionelle erwachsenenbildnerische Didaktik an Volkshochschulen ist es deshalb grundlegend, dass sich Lehren und Lernen in diesen Bildungsräumen derart aufeinander beziehen, dass Lehren keine fremde oder eine ungebetene Fremdbestimmung ist, sondern eine Bedingung dafür darstellt, dass es Raum und Anreiz zum (gemeinschaftlichen) Lernen gibt. Menschen zeigen sich hier wechselseitig etwas, bringen sich auch gegenseitig etwas bei, lernen voneinander und diese Vorgänge sind funktional und personal aufeinander bezogen. Die Relation zwischen Lehren und Lernen funktioniert hier nicht nur über Inhalte, sondern stärker noch über Situationen, Biographien oder kleine Gelegenheiten des Austauschs. Dazu gibt es unterschiedliche Methoden und Settings, die einerseits etwas Planmäßiges vorschlagen, die andererseits im Lernprozess aus dem Plan ein soziales und letztlich ergebnisoffenes Geschehen machen. Unterricht an Volkshochschulen ist in diesem Sinne stets ein Entwurf im Sinne eines situativen Geschehens. Die vielen neuen digital vernetzten oder informellen Formen des Lernens sind deshalb für die Volkshochschulen nichts grundsätzlich Neues. Lange vor technikbasierten Verbindungen (Plattformen, Foren etc.) waren die Volkshochschulen stets soziale Netzwerke im eigentlichen Sinn, denn wenn es um ein Lernen in Beziehungen geht, ist das Volkshochschul-Lernen unschlagbar.
Do it yourself. Wozu?
Deshalb passt auch der schon länger anhaltende Trend zum Selbermachen nach dem Do-it-yourself-Prinzip (DIY) gut zu dieser Institution. Sind zwar die Möglichkeiten zur Information und zur Kommunikation im Internet nahezu grenzenlos, so können die Volkshochschulen diesbezüglich noch viele weitere Benefits, wie soziale Bindungen, Zeit und Raum sowie ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stellen. Der Vorteil des Netzes ist die zeitunabhängige, zugriffsbereite detaillierte Information, die mittlerweile sicherlich vielen dabei hilft, den Alltag zu bewältigen. Ob dies das Wechseln eines Sandfilters im Pool, die notwendige Übersetzung eines Textes oder die Planung einer Reise betrifft, für beinahe alles gibt es Texte und Podcasts. Ob dies immer die gewünschte Form der Hilfe ist, sei dahingestellt, denn die „Unendlichkeit“ des Web und seine Verheißungen auf etwas Wunderbares oder Nützliches lassen einen oft auch ratlos und überfordert zurück. Der Mehrwert der Volkshochschulen besteht darin, dass diese relative Formlosigkeit des Netzes eine inhaltliche und soziale (Lern-)Struktur bekommt. Es gibt viele Möglichkeiten, sich Wissen und Kompetenzen anzueignen und die Volkshochschulen bieten hier einen speziellen Kontext, der das Individuelle mit dem Sozialen verbindet. Hier ist sichergestellt, dass lernwillige Menschen auf ihresgleichen aber auch auf lehrfreudige Begleiter treffen, die die gleiche Sprache sprechen, die Gemeinschaft im Tun erleben lassen und die Menschen dabei unterstützen, mit ihrem Leben und seinen Anforderungen zurechtzukommen. Die DIY-Angebote an der Volkshochschule unterstützen diese Haltung auf vielfache Weise. Wer z. B. im Beruf den ganzen Tag mit digitalen Medien zu tun hat, kann in seiner Freizeit mit anderen gemeinsam handwerklich tätig werden, um die Welt um sich herum zu „be-greifen“ und auch zu gestalten. Die Elemente, die hier eine Rolle spielen sind die direkten Begegnungen mit Menschen und eigenen Werk-Stücken und das Miteinanders, das kein noch so ausgeklügeltes Tool im Netz bieten kann.
Hinter der DIY-Bewegung steht auch eine „Kultur des Amateurs“ und eine Verweigerungshaltung den Marktmechanismen der Großkonzerne gegenüber (vgl. u. a. Crawford: 2011). Dem großen Markt der transnationalen Ausbeutungsunternehmen soll hier eine nachhaltige, lokale und greifbare Arbeit entgegengesetzt werden, die das Erstarken einer überschaubaren, gestaltbaren Welt zum Ziel hat. Auch der Arbeitswelt soll dadurch eine Art von lebensförderlicher Alternative aufgezeigt werden. Da die Digitalisierung alle Lebens- und Arbeitsbereiche großflächig entkörperlicht, soll das Selbermachen hier auch eine Art neuer Verbindung zwischen Hand und Wort und Herz ermöglichen. Auch das Solidarprinzip steht dabei (zumindest rudimentär) im Hintergrund, da in den einzelnen Tätigkeiten Fach- und Spezialwissen niederschwellig und anwendungsbezogen erworben und weitergegeben wird, das auf offenen Wissensstrukturen und Werkzeugen fußt. Gesamtgesellschaftlich ist es deshalb von hohem Wert, da diese Commons auch eine politische Botschaft haben: Jede/r ist im Tun für sich selbst verantwortlich, aber alle können/müssen sich aufeinander zu bewegen. Dies geschieht vor allem dadurch, dass Menschen an Prozessen beteiligt sind, wo die Erfahrungen der anderen, „etwas zusammen zu machen“ wesentlich sind. Selbermachen und Selbstgestalten bedeutet aber auch stets Mühe und Arbeit und kann ebenso pekuniäre Hintergründe haben. Im Rahmen der Volkshochschule ist deshalb auch sichergestellt, dass „do it yourself“ nicht zum „sell yourself“ im Sinne der Ich-AG wird. Selbermachen ist hier im Bildungsraum eine Form des Lernens und des Aufbaus von Kompetenzen, die freiwillig und individuell, jenseits der Bestrebungen einer allumfassenden Selbstökonomisierung geschieht. Gleichzeitig werden in den Volkshochschulen auch die Grenzen des Selbermachens erfahren, wenn Menschen ihre Kompetenzen für sich und andere einschätzen lernen und merken, wo ihre Stärken und Schwächen liegen.
Die VHS Steiermark versucht diesen Trend in den nächsten Jahren weiter auszubauen und zu unterstützen, der viel Positives in unserer Gesellschaft bewirken kann. Die Rolle der Volkshochschulen besteht hier darin, Begegnungen zu organisieren und zu moderieren, Gastro-, Werk- oder Kreativräume flexibel zur Verfügung zu stellen. Durch das von den VHS-KursleiterInnen verfüg¬bar gemachte Wissen können Menschen auf den verschiedensten Gebieten zu innovati¬ven Fachleuten werden und durch die Verknüpfung des Selbermachens mit neuen, nachhaltigen und schon längst wieder vergessenen Techniken und Technologien entfalten sich Möglichkeiten und eine neue Form der Realisierbarkeit von Ideen und Projekten (Friebe & Ramge: 2009, S. 21). An der VHS werden zwei Richtungen der DIY-Bewegung unterstützt:
- Etablierung von Do-it-yourself-Studios: DIY ist Teil eines Trends, der sich seit einigen Jahren vor allem in größeren Städten mit vielen Jugendlichen und Studierenden wie in Graz oder Wien durchsetzt: das Teilen. Diverse Car-Sharing-AnbieterInnen haben sich längst etabliert, Firmen bieten Blusen und edle Kleider für einen Abend an, und Unternehmen verleihen Bohrmaschinen, Viermannzelte und Stichsägen. Auch das kurzfristige Vermieten von privaten Dachböden und Lagerflächen ist Teil dieser sogenannten Shareconomy, ebenso wie das Teilen von Büroräumen, das sich Coworking nennt.
- Ziel der DIY-Studios ist es einerseits interessierten Personen einen flexiblen und kostengünstigen Zugang zu z. B: Küchen, Turnsälen, Seminarräumen, Werkstätten und Ateliers zu ermöglichen, ohne dafür einen langfristigen Mietvertrag eingehen zu müssen; andererseits können VHS-Räume besser genutzt werden, Leerstände vermieden werden und es können zusätzliche Einnahmen generiert werden. Durch das Teilen der Räume und die Kooperation verschiedenster NutzerInnen können sich sowohl für MieterInnen als auch für die VHS neue Ideen, Konzepte und Projekte zur Aus-, Fort- und Weiterbildung ergeben. Nicht zuletzt wird Menschen ein Ort geboten, an dem sie auf andere Menschen treffen und von ihnen lernen können.
- Die klassischen Do-it-yourself-Kurse wie die gemeinsame Gestaltung von Holzschmuck, Patchwork-Deko für Ihr Zuhause, Naturseife, et cetera.
Durch eine solche DIY-Orientierung kann die Volkshochschule ihre alten und neuen Stärken wieder bewusst beleben, die vor allem durch folgende Elemente geprägt sind: Die Sicherstellung unterschiedlicher Formen biographisch und gesellschaftlich-sensibler Aneignung von Welt, Lehren und Lernen als dynamische soziale Möglichkeiten der subjektiven Weltzugewandtheit des Menschen und das zur Verfügung stellen von Bildungsräumen als Orte der gemeinschaftlichen Verständigung. Babel, Udemy oder mooin mögen boomen. Die Rolle der Volkshochschulen ist und bleibt es, Menschen dabei zu unterstützen, Autonomie und Selbstbestimmung jenseits verhärteter Alltags- und Arbeitsstrukturen zu entwickeln und zu erleben. Dies kann die DIY-Bewegung unterstützen und dies sollte auch in der Umstrukturierung der Volkshochschulen in der digitalen Welt nie vergessen werden. //
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