Dialog lebt von Einspruch und Widerspruch: BasisBasisbildung für Erwachsene ist in Österreich seit ihren Anfängen ein lebendiges Praxis- und Entwicklungsfeld, das von engagierten Akteurinnen und Akteuren kritisch-konstruktiv und mit einem humanisierenden bis emanzipatorischen Anspruch an Bildungsprozesse für Benachteiligte initiiert, dialogisch ausgestaltet, gefasst und damit kontinuierlich weitergedacht und weiterentwickelt wird (Cennamo, Kastner & Schlögl: 2018).
In der jüngeren Vergangenheit wurde die österreichische Basisbildungslandschaft zweimal in Schwingung versetzt: Im Jahr 2012 startete die Initiative Erwachsenenbildung, eine Länder-Bund-Initiative mit der Zielsetzung, in Österreich lebenden Jugendlichen und Erwachsenen auch nach Beendigung der schulischen Ausbildungsphase den Erwerb grundlegender Kompetenzen (Programmbereich: Basisbildung) und Bildungsabschlüsse (Programmbereich: Pflichtschulabschluss) unentgeltlich zu ermöglichen. Mit dieser Neuerung wurde die projektförmig angelegte Pionier- und Aufbauphase in ein standardisiertes Programm überführt, dessen Kern ein Rahmencurriculum und die Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote waren, und wurden qualitätssichernde Strukturen sukzessive aufgebaut. Im Jahr 2019 erfolgte die Implementierung eines Lernergebnisse vorschreibenden Curriculums für die Basisbildung, welches das bislang geltende Rahmencurriculum innerhalb der Initiative Erwachsenenbildung ablöste. Zugleich wurden die zuvor handlungsleitenden Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote aus dem Programmplanungsdokument entfernt. Während im Rückblick die erste Neuerung als ein der Sache dienliches Zusammenwirken von Bildungspraxis und Bildungspolitik rezipiert wurde (wenngleich die damit verbundene Standardisierung nicht folgenlos geblieben ist, insbesondere im Hinblick auf die sich zunehmende Verfestigung der Nicht-Erreichung der Zielgruppe mit Erstsprache Deutsch), wurde die zweite Neuerung in der Breite – nicht zuletzt auch von mir, der Autorin des vorliegenden Beitrages selbst – als bildungspolitisch motivierter, steuernder Eingriff in einen bestehenden Angebotsbereich gewertet (Cennamo, Kastner & Schlögl: 2020).
Und hier setzt der vorliegende Beitrag an, der gemäß der Gesinnung der Entwicklungsgeschichte der österreichischen Basisbildung den Dialog aller Akteurinnen und Akteure – verstanden als Gemeinschaftshandlung in Gesprächs-1 und Aktionsform – erneut aufgreifen und befeuern will mit dem – ebenso der Basisbildungsgeschichte in Österreich verpflichteten und von allen getragenen – Ziel der Reflexion und der innovativen und gedeihlichen Weiterentwicklung der Basisbildungspraxis.
Hierfür versuche ich nachzuzeichnen, in welcher Form sich der fachliche Einspruch und Widerspruch zeigten und welche zentralen Kritikpunkte im Sinne einer guten Dialogführung künftig zu diskutieren sein werden. Abschließend argumentiere ich, wie Basisbildung (wieder) verstärkt von innen heraus weitergedacht und weiterentwickelt werden sollte: Damit ist das Einblenden von Feldexpertise der Basisbildungsfachleute inklusive der Anspruchsgruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Selbstvertretung und als Vertretung der Zielgruppe angesprochen. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf das Potenzial des aktivistischen Handwerks.
Widersprüche kommunizieren
Die Art und Weise der Erstellung des Lernergebnisse vorschreibenden Curriculums, das dort eingeschriebene, völlig anders gelagerte Qualitätsverständnis und die insgesamt für diesen Teilbereich der Erwachsenenbildung ungewöhnliche Form der Steuerung Top-down-only lösten Reaktionen aus.
Als erste reagierten einzelne Autorinnen und Autoren mit Analysen und Zwischenrufen. Sie können grosso modo einer kritisch-emanzipatorischen Bildungspraxis bzw. Bildungswissenschaft2 zugerechnet werden. Als weitere Reaktion kam es im Februar 2020 zur Gründung des „Forum Basisbildung“. Zu diesem Netzwerk haben sich rund 50 bildungspraktisch tätige und bildungswissenschaftlich arbeitende Fachleute zusammengeschlossen. Wir pflegen in diesem offenen und selbstgestalteten Diskursraum fachlichen Austausch, bündeln Expertise und bieten Veranstaltungen an (Forum Basisbildung: 2020). Auf der Website des Forums Basisbildung ist unter anderem ein Repositorium („Lesenswertes“)3 eingerichtet. Dort sind die benannten kritischen Analysen und Zwischenrufe für die interessierte (Fach-)Öffentlichkeit dokumentiert.
Die Autorinnen und Autoren besagter Analysen und Zwischenrufe stehen dem erwachsenenpädagogischen Angebotsbereich/Handlungsfeld mitnichten neutral gegenüber: Sie verstehen jegliche Bildung als eingebettet in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die ihrerseits soziale Ungleichheit hervorbringen und Bildungsbenachteiligung und gesellschaftlichen Ausschluss von Gruppen und Personen als Phänomene verursachen, woraus ein Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, eine andragogische Grundhaltung des Verstehens (und nicht: der Belehrung) in der Bildungsarbeit sowie ein Gefühl der Solidarität mit der Zielgruppe und des Respekts gegenüber Menschen mit Basisbildungsbedarf erwachsen, und sie machen sich insgesamt für eine Erwachsenenbildung stark, die die Befreiung als (Selbst-)Ermächtigung der Menschen ermöglichen und nicht deren willfährige Anpassung an bestehende Verhältnisse befördern will.
Einer der ersten Zwischenrufe war eine Stellungnahme der damals noch bestehenden, aber bereits von der personellen Zusammensetzung her veränderten Fachgruppe Basisbildung, die unter dem Titel „Standardisierung statt Lebenswelt- und Teilnehmendenorientierung“ auf die Änderungen in der Basisbildung replizierte (Fachgruppe Basisbildung: 2019) und die in Form einer APA-Meldung (vom 7. September 2019) mit dem Titel „‚Alle lernen dasselbe‘: Kritik an neuen Regeln für Basisbildung“ aufgegriffen wurde.
Es folgte eine Analyse von Gerhild Ganglbauer und Angelika Hrubesch (2019) mit dem Titel „Von den Lernenden zum Ergebnis: Eine paradigmatische Verschiebung in der österreichischen Basisbildung. Eine kritische Einschätzung aus dem Handlungsfeld“. Darin wurde hervorgekehrt, dass eine Auseinandersetzung mit dem neu eingeführten Curriculum in Österreich zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich stattfinden könne und der Beitrag aus diesem Grund mit der Intention geschrieben wurde, die fachliche und bildungspolitische Debatte lebendig zu halten. Im Beitrag wurde vor allem aus der fachdidaktischen und erwachsenendidaktischen Expertise der beiden Autorinnen heraus auf das Lernergebnisse vorschreibende Curriculum repliziert.
In der nachfolgend veröffentlichten Analyse unternahm ich gemeinsam mit Irene Cennamo und Peter Schlögl (Cennamo, Kastner & Schlögl: 2020) unter dem Titel „Signposts of change in the landscape of adult basic education in Austria: a telling case“ den Versuch, die sich abzeichnenden politisch motivierten Interventionen innerhalb der Basisbildung in Österreich vor dem Hintergrund des generellen, tiefgreifenden und länderübergreifenden neoliberalen Umbaus der (Erwachsenen-)Bildung einzuordnen und die abrupte Unterbrechung der bis dato kritisch-emanzipatorischen, von Feldexpertise getragenen Konzeption und Ausgestaltung von Basisbildung in Österreich zu erhellen.
Danach erschien der unter einem Pseudonym4 verfasste Beitrag „Wendepunkt oder Strohfeuer? Das neue Curriculum in der Basisbildung aus Sicht der Bildungsplanung“ (Rosenthal: 2020), der die oben erwähnte fach- und erwachsenendidaktische Analyse um die makrodidaktische Planungsperspektive und die zu erwartenden handlungspraktischen Konsequenzen für die Angebotsplanung im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung ergänzte.
Zuletzt erschien mein lerntheoretisch ausgerichteter Beitrag „Bildung als lebensverändernde Erfahrung? Über transformative learning in der Basisbildung für Erwachsene“ (Kastner: 2021). Auf internationalen Forschungsbefunden zum transformativen Potenzial von Basisbildung aufbauend wurde argumentiert, was an Prozess- und Ergebnisqualität aufgegeben wird, wenn ein enggeführter Anspruch auf Nützlichkeit des Lernens und technokratische Planbarkeitsvorstellungen zu den dominanten Leitlinien in der Basisbildung für Erwachsene werden.
Kernpunkte der Kritik
Im Folgenden werde ich die aus meiner Sicht zentralen Kritikpunkte bündeln und herausarbeiten. Diese sind als Zäsuren zu verstehen.
Den ersten Einschnitt stellt die Art und Weise dar, wie das neue, Lernergebnisse vorschreibende Curriculum beauftragt, erarbeitet und implementiert wurde. Dies erfolgte nämlich unter Ausschluss der langjährig im Feld der Basisbildung tätigen Expertinnen und Experten. Damit wurde mit der Tradition der gedeihlichen Weiterentwicklung auf Basis kooperativer Engagements zwischen Akteurinnen und Akteuren in Bildungspraxis und Bildungspolitik gebrochen; fast wirkte es so, als wären der bislang gepflegte Dialog und knapp 30 Jahre an qualitätsvoller, von Feldexpertise getragene innovative Gestaltung und Weiterentwicklung vom Tisch.
Der zweite Einschnitt betrifft den vollzogenen Bruch mit dem bislang geltenden, kollektiv erarbeiteten und breit akzeptierten Verständnis, dass qualitätsvolle und wirksame Basisbildung von den Teilnehmenden ausgehend zu konzipieren und in didaktischen Aushandlungsprozessen zwischen erwachsenenpädagogischen Fachkräften und den teilnehmenden Menschen unter Berücksichtigung von individuellen Interessen, Lernvoraussetzungen und Zielsetzungen zu gestalten ist (was Ausdruck in dem Rahmencurriculum gefunden hatte). Die Frage des Lernerfolgs in der/durch Basisbildung lässt sich nur unter Bezugnahme auf den Ausgangspunkt des Lernprozesses und der Zielsetzungen der jeweiligen Teilnehmerin und des jeweiligen Teilnehmers verstehen und bestimmen. Basisbildung ist schließlich keine Zentralmatura. So stehen vorgegebene und von Teilnehmenden gleichermaßen zu erreichende Lernergebnisse im Widerspruch zu den bislang im österreichischen Feld entwickelten und belastbaren Qualitätskriterien für die Basisbildung (so auch internationale Forschungsbefunde, siehe Kastner: 2021).
Der dritte Einschnitt ist durch deutlich zu Tage tretende „Ökonomisierungstendenzen“ markiert: Höhne (2012, 807) zufolge sind diese als Effizienzbestrebungen im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag einschließlich der Logik seiner Steigerung/Optimierung als rationalistisch-technologische Steuerungsvorstellungen bezogen auf Wirkungskausalität und als das Befördern von marktförmigen Mechanismen und Instrumenten wie beispielsweise Leistungsvergleich und Wettbewerb charakterisiert. Solche Ökonomisierungstendenzen wirken gerade in der Basisbildung vollkommen deplatziert, ja nachgerade ungehörig. Dieser Teilbereich der Erwachsenenbildung stellt nämlich auf eine allgemein verstandene Menschenbildung ab und fußt auf einem kritisch-emanzipatorischen Bildungsverständnis, wodurch erwachsenengerechte und mitgestaltbare sowie förderlich-(selbst-)ermächtigende Lehr-Lernprozesse für bildungsbenachteiligte und sozial benachteiligte Menschen offeriert werden konnten. Dass das Ersetzen von Professionalismus durch managerielle Steuerungsformate zu fachlichen Problemen führt (u. a. negative und nicht intendierte Resultate, Abschwächung des professionellen Ethos und Abkehr vom Wohlergehen der Adressatinnen und Adressaten und damit insgesamt eine geminderte Leistungsfähigkeit), konnte Ziegler (2021, 125–127) mit Bezug auf das Feld der sozialpädagogischen Beratung nachweisen. So schätzt Ziegler denn auch das „Scheitern der Management-Reformen“ als höchst bedauerlich, aber erwartbar ein (ebd., 127 f.).5
Fehlender Dialog – fehlende Stimmen
Der Ausschluss der langjährig im Feld der Basisbildung tätigen Expertinnen und Experten – die oben beschriebene erste Zäsur – hatte zur Folge, dass die Expertise der Basisbildungsfachleute ausgeblendet blieb. Dadurch blieben auch Ansprüche, Interessen, Voraussetzungen, Bedarfe, Bedürfnisse, Sichtweisen und lebensweltliche Bezüge von Basisbildungszielgruppen und -teilnehmenden – den sich bildenden Erwachsenen – ausgespart. Diese haben buchstäblich ihre Fürsprecherinnen und Fürsprecher in den sie unmittelbar betreffenden Gestaltungsprozessen verloren.
Ohne Zweifel war die Überführung der zuvor projektförmig angelegten Basisbildung in einen öffentlich geförderten Programmbereich der Initiative Erwachsenenbildung ein Meilenstein. Doch darf die Basisbildung damit nicht als abgeschlossen betrachtet werden: Es braucht die Weiterentwicklung der guten, weil bewährten Bildungspraxis und kritisch-konstruktive Innovation in einem konsequenten Ringen um eine sich als frei verstehende Erwachsenenbildung. Und hierfür sollten sich bildungspraktisch tätige und bildungswissenschaftlich arbeitende Fachleute verstärkt zusammenschließen.
Zudem will ich diesbezüglich eine erweiterte Besetzung einmahnen: Adressatinnen und Adressaten sollten in die Programm- und Angebotsplanung, in die Planung der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal und auch in deren Umsetzung, Bewertung und Weiterentwicklung und selbstverständlich in einschlägige Forschungsarbeiten einbezogen werden. Als ein Beispiel hierfür mag ein partizipativ angelegtes, Community-basiertes Forschungsprojekt dienen, in dem Basisbildungsteilnehmende, erwachsenenpädagogisches Fachpersonal von ISOP Steiermark, den Kärntner Volkshochschulen und der Volkshochschule Wien-Floridsdorf sowie zwei Bildungswissenschafterinnen gemeinsam zum Lernen forschten (Berndl et al.: 2018). In der reflektierenden Analyse dieser Forschungserfahrung haben wir festgehalten, dass ein solch partizipativ angelegtes Vorhaben eine ständige Erinnerung daran ist, dass Basisbildung in Macht- und Ungleichheitsverhältnisse verstrickt ist und dass diese demokratische(re) Form der Wissensproduktion bzw. Entwicklung von sozialen Lösungen gemeinsam durch alle Beteiligten den neoliberalen Anrufungen und Steuerungsbestrebungen eine gewichtige Stimme entgegensetzen kann (Kastner & Motschilnig: im Druck).
Ausblick: „next step“
Eine großartige Errungenschaft ist die im neuen ERASMUS+ Programm 2021–2027 strukturell vorgesehene Inklusion von benachteiligten Personen und Gruppen: So können im Bereich der Erwachsenenbildung erwachsene Lernende in Mobilitätsaktionen einbezogen werden (Europäische Kommission: 2021, 116), und in Kooperationspartnerschaften und dem neuen Format der kleineren Partnerschaften sollen Organisationen „barrierefreie und inklusive Projektaktivitäten konzipieren, bei denen die Ansichten von Teilnehmern mit geringeren Chancen berücksichtigt und diese Teilnehmer während des gesamten Prozesses in die Entscheidungsfindung einbezogen werden“ (ebd., 198 f. sowie 215).
Damit bietet sich die Gelegenheit für den Dialog – verstanden als Gemeinschaftshandlung in Gesprächs-, aber insbesondere auch in Aktionsform. So können zum Zwecke der Reflexion und zur innovativen und gedeihlichen Weiterentwicklung der Basisbildungspraxis von innen heraus Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse initiiert und umgesetzt werden. Von innen heraus meint mittels kooperativer Bündnisse von bildungspraktisch und bildungswissenschaftlich tätigen Fachleuten, die das „aktivistische Handwerk“ (Costa, Vaz & Menezes: 2021) gemeinschaftlich in ihrer Arbeit gelernt haben und – wurzelnd und eingeschrieben in ihr professionelles Handeln – den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit pflegen.
Das konsequente Einbeziehen von Adressatinnen und Adressaten, als zu den bildungspraktisch tätigen Fachleuten zugehörige Anspruchsgruppe, eröffnet Räume für gemeinschaftliche Lern- und Handlungsprozesse und trägt zu kooperativer und reziproker Wissensproduktion und Schaffung von soliden Lösungen im Hinblick auf freie, weil grundsätzlich mit-gestaltbare Basisbildung bei. Solcherart hervorgebrachtes Wissen und gemeinschaftlich erarbeitete Lösungen können auch den öffentlichen Blick auf Basisbildung wieder weiten helfen und für die Bildungspolitik Ideen liefern. //
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