Diese Situation bildet den Rahmen für die soeben abgeschlossene Dissertation (Steiner: 2016). In der Arbeit wird beleuchtet, was in der Erwachsenenbildungsforschung einerseits und in der Berufssoziologie andererseits unter Profession und Professionalisierung verstanden wird. Weiters forscht die Arbeit danach, wie die berufliche Gruppe der ErwachsenenbildnerInnen mit ihren sehr unterschiedlich gelagerten Subkulturen erfasst werden könnte. Gerade die Unterschiede in den gelebten Selbstverständlichkeiten, Werten und Sprachgebrauch (vom Alphabetisierungstraining bis zu innerbetrieblicher Weiterbildung) macht es, so die Forschungsergebnisse bislang, so unwahrscheinlich, dass Professionalisierung im Sinne eines gemeinsamen Berufsverständnisses aller Erwachsenenbildner/innen gelingt. Andererseits bilden jedoch geteilte kulturelle Elemente einen wertvollen „Kitt“ und eine Basis für Professionalisierung und können daher nicht ignoriert werden.
Die Arbeit bietet theoretische Instrumente für jene, die praktisch oder theoretisch mit den Fragen von Professionalisierung beschäftigt sind. Im Folgenden werden vier Punkte aus dem Teil I „Professionalisierung-Theoretische Verortung“ vorgestellt.
1. Strukturelle versus individuelle Professionalisierung
Im Rahmen der deutschsprachigen pädagogischen Disziplin kann man zwei Bedeutungsweisen verorten, deren Vermischung zu Verwirrung führen kann: „Professionalisierung“ kann aus dem Blickwinkel der „Kompetenz und gekonnten Leistungen von Berufstätigen“ gesehen werden oder aus dem Blickwinkel einer „Berufsgruppe im Sinne der Gewinnung des Berufs- oder Professionsstatus in der Gesellschaft“ (Helsper & Tippelt: 2011, S. 275). Die erste Bedeutungsweise kann man mit „individuelle Professionalisierung“ benennen, die zweite mit „strukturelle Professionalisierung“.
„Strukturelle Professionalisierung“ definiert Kraus (2012, S. 39) folgendermaßen:
„Den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, die erreichten Merkmale einer Profession zu festigen und weitere zu erreichen, kann man als strukturelle Professionalisierung bezeichnen, die in der Regel von den Angehörigen einer Profession zielgerichtet verfolgt wird. Dies beinhaltet neben Qualifizierungsaspekten und Formen der Selbstorganisation auch die Verstetigung von Erwerbschancen auf hohem Niveau, also die Konstitution eines professionellen Beschäftigungsfeldes. Der gesellschaftliche Charakter der Professionen bedingt dabei, dass auch nach Erreichen der Anerkennung als Profession weiterhin Anstrengungen unternommen werden müssen, diese zu erhalten und auch gegenüber anderen Anspruchsgruppen zu behaupten.“
Strukturelle Professionalisierung bedeutet dem entsprechend den Prozess des Entstehens gesellschaftlicher Strukturen, welche die Profession über längere Zeit sichern, diese definieren und festlegen. Diese Selbstorganisation und das Betreiben durch eine Gruppe Professionsangehöriger hat die Erwachsenenbildungsforschung auch im Blick, wenn sie den Begriff „kollektive Professionalisierung“ verwendet ( Aschemann & Schmid: 2015).
„Individuelle Professionalisierung“ wiederum wird von Kraus (2012, S. 39) definiert als „kompetentes pädagogisches Handeln, das sich auf Grundlagenwissen stützt und diese durch Erfahrungen auswertet“ (Kraus referiert hier auf Gieseke). Kurz gesagt ist alles, was im Individuum als Professionalität verortbar ist, Teil „individueller Professionalisierung“. In der deutschsprachigen Erwachsenenbildungsforschung spricht man hier öfter von „gekonnter Beruflichkeit“, welche wiederum synonym zu „Professionalität“ ist (Nittel: 2000, S. 70 ff.).
Zum Verhältnis dieser beiden Professionalisierungssichtweisen ist zu sagen, dass sie einander bedingen. Jede individuelle Professionalisierung muss notwendigerweise auf vorhandene Bestände und Vorstellungen von beruflicher „Gekonntheit“, von Kompetenz, von Wissen zurückgreifen. Auf der anderen Seite gibt es keine strukturelle Professionalisierung, wenn sich nicht auch Individuen professionalisieren. Dem entsprechend kann in Bezug auf individuelle und strukturelle Professionalisierung nicht von einem Entweder-oder gesprochen werden. Strukturelle Professionalisierung dürfte aber in der praktischen Realisierung eine höhere Stabilität und Beständigkeit – aber auch eine geringere Adaptionsfähigkeit an Neues – aufweisen. Zu Kritik führt eine festgestellte Tendenz, Professionalisierung in großem Ausmaß den Individuen zu überantworten. „Individualisierung“ ist der Fall, wenn Professionalisierung als Aufgabe an Individuen ergeht, ohne strukturelle Anreize, wie bessere Verankerung und Stabilisierung von Erwerbschancen. Laut Nittel und Schütz (2013, S. 126) werden so Kosten und Ergebnisse sowie Verantwortung dem/der einzelnen ErwachsenenbildnerIn überlassen, die Verberuflichung verliert ihr kollektives Subjekt (ebd.). Ein „individualisierendes“ Professionalisierungskonzept hat keine hohe Beständigkeit, da längerfristige Anreize zur Professionalisierung und zum Verweilen im Tätigkeitsbereich Erwachsenenbildung fehlen, meinen auch Kraus (2012, S. 39 f.) und Aschemann und Schmid (2015, S. 01–4).
2. Der traditionelle Professionsbegriff
In der Erwachsenenbildungsforschung wurde bislang zur Bestimmung von Professionalisierung meist der „ Merkmalsansatz“ (Kurtz: 2005, S. 35 f.) verwendet, welcher eher auf strukturelle Professionalisierung abzielt. Faulstich (1996, S. 52) definiert die Bestandteile von Professionalisierung mit:
- Spezialisierung und Akademisierung,
- festgelegte Aus- und Fortbildungswege,
- hohes Sozialprestige,
- besondere Dienstgesinnung,
- Organisation einer eigenen Interessensvertretung,
- Binnenkontrolle innerhalb von Berufsverbänden.
Vergleicht man diese Merkmale mit der beruflichen Gruppe der ErwachsenenbildnerInnen, so kommt man zum Ergebnis, dass diese nicht als Profession gesehen werden kann. Die Möglichkeit einer klassischen strukturellen Professionalisierung wird generell eher verabschiedet. Nuissl (2005, S. 51) meint: „In der Weiterbildung hat es noch zu keinem Zeitpunkt den Aufbau einer wirklichen Profession gegeben.“ Schrader (2011, S. 85) sieht die Erwachsenen- und WeiterbildnerInnen als „semi-professionalisiert“. Als Gründe für das mangelhafte Gelingen von Professionalisierung werden große Unterschiede zwischen ErwachsenenbildnerInnen genannt sowie ein geringer Grad der Institutionalisierung von Erwachsenenbildung insgesamt.
3. Erosion traditionell verstandener Professionen und ein neues Professionsverständnis
Auch wenn es Professionen laut Kurtz (2003, S. 106) noch gibt, so erlaubt die heutige Verfasstheit der Gesellschaft das Auftreten weiterer Professionen nicht mehr – zumindest keiner „Leitprofessionen“. (Leitprofessionen sind Professionen, die Zentralwerte der Gesellschaft qua staatlicher Lizenz gestalten und verwalten – ÄrztInnen „verwalten“ den Zentralwert Gesundheit; JuristInnen den Zentralwert Recht.) Bestehende Professionen sind jedoch Erosionstendenzen ausgesetzt, die sowohl von außen, als auch von innen ausgelöst werden (vgl. dazu Steiner: 2016, S. 66 f.). Paradoxerweise führt das allgemein gehobene Ausbildungsniveau zu einem breiten ExpertInnentum in der Gesellschaft, welches die Relevanz ausgewiesener Professionen schmälert. Weitere Gründe liegen darin, dass zunehmend (fachunspezifische) Managementfähigkeiten innerhalb aller Professionen gefordert sind und die professionelle Wissensbasis einem starken und schnellen Wandel unterliegt. Weiters treffen Professionsangehörige heute statt auf Laien eher auf kritische KonsumentInnen.
Für Pfadenhauer (2005, S. 12 ff.) sind Professionen nur mehr „[…] eine typisch moderne Form von Expertentum […]“. ExpertInnen sind dabei Berufsangehörige, die über ein Sonderwissen und SpezialistInnenwissen verfügen und hier wiederum über einen Überblick. Sie können nicht nur Probleme lösen, sondern haben auch Begründungen und Lösungsprinzipien zur Verfügung. Merkmale von ExpertInnen laut Pfadenhauer (ebd.) sind:
- Befähigung (meist durch wissenschaftliche Ausbildung),
- Bereitschaft (angezeigt durch Leistungs-Angebote),
- Befugnis (beglaubigt durch Zertifikate),
- Professioneller Habitus.
Vor allem letzterer Punkt erscheint interessant: Professionalität wäre dem entsprechend zumindest teilweise allein dadurch definiert, dass jemand diese glaubhaft darstellt. Bei den Punkten Befähigung und Befugnis zeigt jedoch auch Pfadenhauers aktuelle Definition, dass auf strukturell verankerte Elemente einer Profession nicht verzichtet werden kann, auch wenn diese nicht die Höhe staatlich vermittelter Lizenzen haben, wie bei klassischen Professionen.
Die Erwachsenenbildungsforschung erkennt, dass klassische Professionalisierung nicht mehr als Vergleichsfolie für die Erwachsenenbildung fungieren kann (etwa Nittel & Schütz: 2012, S. 238 f.). Mitunter fokussiert sie jedoch auch lediglich auf Professionalität und damit auf individuelle Professionalisierung (vgl. Steiner: 2016, S. 29 ff.). Es gibt jedoch auch laufend wissenschaftliche und professionsinterne Bestrebungen strukturelle Elemente der Profession zu stärken: Dazu gehören, um nur zwei Beispiele zu nennen, die umfassende Datenerhebung zum Personal in der Weiterbildung in Deutschland (Martin, Lencer & Schrader et.al.: 2017) oder auch die Weiterbildungsakademie Österreich, die Zertifikate vergibt und einen möglichen Qualifikationsstandard definiert (Gruber & Wiesner: 2012).
4. Vorschlag eines ausgemittelten Professionskonzeptes
Es wurde bisher bereits angedeutet, dass sowohl eine starke strukturelle Professionalisierung Vor- und Nachteile hat, als auch ein einseitiger Fokus auf lediglich individuelle Professionalisierung. Wird die strukturelle Professionalisierung zu stark, so kann sie Veränderung und Anpassung hemmen, wird individuelle Professionalisierung zu stark, so bleibt die berufliche Tätigkeit im Unverbindlichen, die Qualität wird nicht überprüft und gesichert, Erfolg, Anerkennung und Erwerbschancen einzelner ErwachsenenbildnerInnen sind nicht strukturell vermittelt und berufliche Risiken nicht institutionell abgefedert. Das folgende Schema (vgl. dazu Steiner: 2016, S. 76) stellt daher in die Mitte zwischen strukturellem Professionsverständnis und dynamisch-offenem Verständnis ein „ausgemitteltes Professionsverständnis“. Diese mittlere Variante „strukturell verankert und dynamisch-offen“ integriert sowohl strukturelle Elemente einer Profession als auch individuelle (individualisierte) ein Stück weit und schafft es damit sowohl Stabilität als auch Flexibilität auf einem mittleren Niveau zu konzipieren.
5. Diskussion und Entwicklung
An dieser Stelle müssen diese Einblicke beendet werden. Strukturelle Professionalisierung stellt insgesamt einen gesellschaftlichen Durchsetzungsprozess dar, mit dem Ziel, Angehörigen der Profession größere Anerkennung, Status und mehr Berufsmöglichkeiten zu verschaffen. Auf der anderen Seite hat eine derartige Profession der Gesellschaft qualitätsvolle und ethisch hochstehende Dienstleistung zu bieten. Die Ausführungen zeigen, dass Profession permanent neu gefasst und definiert werden muss („Prozessbegriff“). AkteurInnen, die Professionalisierung vorantreiben, obliegt die Aufgabe, ihr Professionalisierungsverständnis zu explizieren. Denn je nach Definition werden sowohl Ziele als auch Maßnahmen des Prozesses unterschiedlich gefasst werden. Inwieweit welche strukturellen Elemente von Professionen (Berufsverbände, verbindliche standardisierte Ausbildung, akademische Ausbildung, Selbstkontrollmechanismen, et cetera) wichtig sind, inwieweit flexibel und offen agiert werden muss, ist permanent neu zu bestimmen. //
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