Seit einigen Jahren wird im Diskurs über Lernräume und Lernorte der Erwachsenenbildung der Begriff der „Dritten Orte“ häufig verwendet. Zum Beispiel in dieser Art und Weise:„Der Dritte Ort ist ein Ermöglichungsraum. Viele Bibliotheken widmen sich zurzeit diesem Thema. Von der Anlage her bieten sie bereits heute schon einige Möglichkeiten, denn ihre Räume sind schon offen und ihr Personal berät und begleitet die BesucherInnen. Zum wirklich Dritten Ort ist es also ein kleinerer Schritt als für Bildungseinrichtungen, die ihre Räume abschließen oder nur für Kurse öffnen. Aber nicht nur für BesucherInnen bietet der Dritte Ort viele Möglichkeiten. Auch für die Betreiber dieser Orte ist es ein Gewinn. Von den BesucherInnen lernen, ist eine gute Gelegenheit, eigenes Wissen für die organisierte Bildung zu generieren. Und vielleicht ist das der Grund meiner Begeisterung. Der Dritte Ort ist die Aufforderung, Lernräume zu öffnen, die eigene Perspektive zu öffnen. Nicht immer nur an das eigene Angebot denken, sondern einen Ermöglichungsraum als Erweiterung eigener Arbeit zu sehen. Dabei geht es immer um die NutzerInnen und nicht um die Teilnehmenden.“ (Sucker: 2018, Hervorhebungen im Original).
In diesem Zitat finden sich einige typische Eckpunkte der Argumentation für „Dritte Orte“ in der Erwachsenenbildung. Bibliotheken wird hier ein Entwicklungsvorsprung zugesprochen. Es findet eine gewisse explizite oder implizite Abwertung von bisherigen Bildungseinrichtungen statt, die nur „ihre Räume abschließen oder nur für Kurse öffnen“ würden. Schließlich werden hohe Erwartungen („Begeisterung“) mit den „Dritten Orten“ verbunden, die viele neue Möglichkeiten bieten würden. Eine neue Agenda braucht in der Regel etwas, von dem sie sich abstößt. Auch Motivation ist wichtig, um Neues zu schaffen und Entwicklungen anzustoßen. Dies ist sehr zu begrüßen, weil es in Raumfragen natürlich nicht genügt, sich nur mit dem Status quo abzufinden. Allerdings können Zweifel formuliert und diskutiert werden, ob der Leitbegriff der „Dritten Orte“ hier wirklich so geeignet ist.
„Dritte Orte“ sind ursprünglich nicht als Lernorte konzipiert worden
Es ist nicht selten und nicht ungewöhnlich, dass Publikationen und Begriffe eigensinnig von Lesenden rezipiert werden. Ähnliches ist bei der Rezeption der „Dritten Orte“ zu beobachten, welche Ray Oldenburg bereits 1989 in seinem Buch eingehend beschrieb. Diese werden nicht als Lernorte beschrieben, sondern sie sollen zunächst weder Arbeitsort (ausgenommen für die Menschen, die hier arbeiten) noch Familienort/zuhause sein. Der amerikanische Soziologe Oldenburg denkt hier an Cafés, Kaffeeläden, Bars, Friseure oder andere Orte, wo man „abhängen“ kann. Es beschreibt sie als gesellige Orte, die man niedrigschwellig aufsuchen kann, um Menschen zu treffen und sich zu unterhalten. Konsum ist ein Bestandteil der Orte, aber dominiert sie nicht. Kommunikation und Konversation sind ausdrücklich gewünscht. Generell dominiert das Unterhaltende an diesen Orten und ethnische Grenzen würden sich auflösen. Das deutschsprachige, alte Konzept der Geselligkeit ist hier relativ ähnlich ausgelegt (Simmel: 1917), was auch in der Literatur der Erwachsenenbildung als gesellige Bildung seit mehr als 100 Jahren immer wieder diskutiert wird (vgl. Seitter: 2018). Trotzdem ist es doch etwas verwunderlich, wie sehr dieser Begriff der „Dritten Orte“ nun für Bildungsräume in Anspruch genommen wird, obwohl er so gar nicht konzipiert war von seinem Urheber, dem es als Soziologen um menschliche Interaktion und Gemeinschaftsbildung ging. Teilweise erkläre ich mir die Beliebtheit des Begriffs in der Erwachsenenbildungsszene damit, dass er es erlaubt, primär leichtgängig von Unterhaltung statt von (anstrengender, mühevoller) Bildung zu sprechen. Es dürfte für wenige verheißungsvoll sein, sich hier entlasten zu können. Aber kann Erwachsenenbildung gelingen, wenn man eher verschämt nicht von dem sprechen will, was man tut, sondern kaschierend ausweicht auf eine Art von „Tarnbegriff“? Oldenburg selbst fordert zum Beispiel in seinem Buch ernste Themen vor der Tür der „Dritten Orte“ zu lassen, stellt sarkastisch bis polemisch eine Gastschenke namens „The English Department“ gegenüber einer Universität als überlegen dar (Oldenburg: 1989, S. 28–29), schwärmt von der „Magie von Spielplätzen“ (ebd., S. 38) oder plädiert für große Dritte Orte, um „Langweilern“ möglichst aus dem Weg gehen zu können (ebd., S. 29). Es ist stellenweise durchaus irritierend, in dem Grundlagentext zu „Dritten Orten“ selbst nachzulesen, und es stellt sich die Frage, ob zeitgenössische Befürworter von „Dritten Orten“ dies getan haben, oder einen Begriff rezipieren, und im eigenen Überschwang mit jeweils eigener Bedeutung assoziativ füllen? Können vor diesem Hintergrund dieser Leitbegriff und diese Leitideen die Perspektive der Erwachsenenbildung der Gegenwart und Zukunft sein? Oder ist es eher eine Art Omnibusbegriff, in den viel Verschiedenes reingepackt wird, wenn man von Räumen mit guter Aufenthaltsqualität und verschiedenen Anziehungspunkten durch eine Mischnutzung sprechen will? Kann man die durchaus nicht seltene, architektonische Vernachlässigung mancher Bildungsräume nur mit dem Begriff der „Dritten“ Orte thematisieren?
Traditionelle und Innovative Lernräume der Erwachsenenbildung zwischen Mitnutzung, eigenen Räume und Plänen
Schaut man historisch zurück, dann war für die Gründungsphase des Volkshochschulwesens in Deutschland dieser Erlass wichtig und typisch:1 „Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung möchte der Volkshochschulbewegung dienen. Die Volkshochschulen wollen und sollen nicht staatlich geleitet werden. Aber der Staat wird und muß die Förderung der Volkshochschulen als eine ihm abliegende wichtige Aufgabe betrachten. Das Ministerium öffnet daher der Volkshochschulbewegung für ihre Arbeiten und Uebungen alle staatliche Unterrichtshäuser und Sammlungen […] wie es mit den Anforderungen eines geordneten Betriebes bei Schulen und Hochschulen irgend vereinbar ist.“ (Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung: 1919, S. 7–8) So positiv diese politische Förderabsicht für Volkshochschulen 1919 war, so deutlich wird hier auch eine Zweitrangigkeit der Volkshochschulen gegenüber anderen Bildungseinrichtungen konstitutiv festgeschrieben. Das Modell einer Mitnutzung von Räumen wird leitend. Primär ist die Raumnutzung durch Schulen und Hochschulen, und nur wenn dort Räume – gegebenenfalls an den Randzeiten – frei sind, soll die Volkshochschule diese nutzen dürfen. Ein Modell, was leider auch heute nicht komplett verschwunden ist und die fortdauernde Randständigkeit der Erwachsenenbildung aufzeigt, wenngleich gegen eine gute Auslastung von Räumen unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten nichts zu sagen ist.Es wird so historisch nachvollziehbar, dass es trotz des Bedeutungsanstiegs der Volkshochschulen nach 1918 kein großes Bauprogramm für die Erwachsenenbildung in den 1920er-Jahren gab. Lediglich Umwidmungen von (adligen) Häusern wie Burgen und Schlössern waren in den 1920er-Jahren für Heimvolkshochschulen zu beobachten (vgl. Käpplinger & Elfert: 2020), was aber symbolisch wichtig war, da hier privater Raum öffentlich zugänglich wurde, während heute oft eher das Gegenteil bei Privatisierungen von Gebäuden zu beobachten ist (ebd.). Einige wenige, kleine Häuser wie in Leipzig wurden in Deutschland neu gebaut, aber das waren die großen Ausnahmen. (Vgl. Grotlüschen & Richter-Boissen: 2023). So gab es durchaus ambitioniertere Pläne für neue Häuser der Erwachsenenbildung, die aber oft leider nicht umgesetzt wurden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierten sich in Deutschland und Österreich samt wechselseitiger Befruchtung Bemühungen und Denkschriften, um eigene, „neue Häuser“ (Pöggeler: 1959; Heuer: 2012) mit einem deutlichen Entwicklungsschub und einer größeren Zahl an Neubauten wie zum Beispiel die sogenannte Insel in Marl2 als umgesetztes Leuchtturmprojekt mit damals großer Strahlkraft in Verbindung mit dem Grimme-Institut und dem Grimme-Preis. In Österreich entstanden ab den 1960er- und 1970er-Jahren unter anderem zahlreiche „Häuser der Begegnung“ in Wien, die auch heute noch unter anderem als Veranstaltungszentren genutzt werden können.3
Probleme und Risiken von „Dritten Orten“
Mit dem Konzept der „Dritten Orte“ besteht erstens die Herausforderung, dass damit Konzepte einer Mischnutzung von Gebäuden in Form von Bildungs- und Kulturzentren eine Renaissance erfahren. Damit hat die Erwachsenenbildung historisch begonnen, da sie Räume von Schulen und Hochschulen mitnutzen durfte. Heute könnten Bibliotheken und Museen an die Stelle von Schulen und Hochschulen rücken. Erwachsenenbildung als eigene und starke vierte Säule des Bildungssystems würde damit in noch weitere Ferne rücken. Hier mag man entgegenhalten, dass eine Versäulung des Bildungssystems auch gar nicht anzustreben sei und nicht wünschenswert ist. Dies stimmt jedoch nur partiell, denn Übergänge im Bildungssystem erfordern stabile Teilsegmente, was bis heute für die Erwachsenenbildung nicht im gleichen Maße wie für andere Bildungssegmente gilt und die frühkindliche Bildung dürfte hier die Erwachsenenbildung in den letzten Jahrzehnten medienwirksam und ressourcentechnisch sogar überholt haben. Räume signalisieren symbolisch auch Wertigkeiten. Hat die Erwachsenenbildung keine eigenen Räume verdient?Das Konzept der „Dritten Orte“ ist zweitens primär für Räume der Unterhaltung und des Vergnügens entwickelt worden, was nur teilweise auf Räume der Erwachsenenbildung zutreffend ist. Zwar soll hier keinesfalls eine Rede für puristische und freudlose Bildungsarbeit gehalten werden, aber Bildungsprozesse sind nicht immer unterhaltsam und freudvoll. Das wäre Etikettenschwindel. Damit mag man in einer Welt der Gamification und Postadoleszenz vielleicht modisch und marketingtechnisch im ersten Zugriff punkten, aber ehrlich wäre es nicht. Können Bildungsräume funktionieren, die nach außen anderes suggerieren als das, was sie im Inneren wirklich sind? Für Bildungsleute könnte es reizvoll sein, der Schwere und Mühe von Bildungsarbeit entfliehen zu können in das Unterhaltende mit „Edutainment“. Aber ist das vielleicht eher eine Weltflucht und eine Selbstillusion, wo man etwas anderes sein will als das, was man ist? Drittens wird schnell und empirisch kaum belegt für „Dritte Orte“ eine Niedrigschwelligkeit proklamiert. Dinkelaker (2020) und Schuldt (2020) zeigen dagegen auf, dass vermeintlich niedrigschwellige Räume oft eher „nur“ andere Schwellen konstituieren und oft eher den ästhetischen Ansprüchen von bestimmten post-modernen, städtischen Milieus entsprechen. Die soziale Herkunft und die aktuelle Milieuzugehörigkeit können unterschwellig sehr wirksam zu sein, wer sich an „Dritten Orten“ befindet oder eben auch nicht (vgl. Käpplinger: 2020, S. 231–232). Schnell werden den Besuchenden von Bibliotheken und Volkshochschulen recht ähnliche Bildungsinteressen zugesprochen, wenngleich Milieuforschung für Erwachsenenbildung und empirische Bibliothekswissenschaft für Büchereibesuchende große Unterschiede im Nutzungsinteresse feststellen. Die schönen, neuen Bibliothekswelten von Aat Vos (2017) könnten Milieus wie Traditionelle, Prekäre oder Konservativ-Etablierte wenig ansprechen und damit ein Drittel der Bevölkerung tendenziell ausschließen, während postmoderne Milieus implizit ästhetisch adressiert werden. Hohe Nutzungszahlen von Bildungszentren werden schwer nachprüfbar ohne Quellenangabe erwähnt (vgl. Stang: 2010, S. 39), wobei hier Bibliotheken deutlich mehr als Volkshochschulen von einer Mischnutzung zu profitieren scheinen (ebd.). Hinsichtlich der Evidenzbasierung stellen sich viele kritische Fragen zu den Behauptungen im Diskurs um „Dritte Orte“. Generell sollte die Frage gestellt werden dürfen, ob bei einer Mischnutzung wirklich alle Kooperationspartner profitieren oder manche mehr und andere weniger. Bibliotheken werden anders finanziert als Volkshochschulen und konkurrieren durchaus mit ihrem Angebot an Einzelveranstaltungen oder offenen Lernräumen mit Volkshochschulen. Das Gebot der Kooperation ist seit Jahren omnipräsent in der Erwachsenenbildungsarbeit und auch richtig und wichtig, aber Konkurrenzen existieren auch, wenngleich sie oft tabuisiert werden. Für oft so fragile Institutionen wie in der Erwachsenenbildung ist es existentiell wichtig, zu wissen, ob die eigene Weiterexistenz so gesichert werden kann oder nicht.
Schließlich ist viertens auffällig, dass die Bildungs- und Kulturzentren der „Dritten Orte“ sich oft an zentralen Orten in Großstädten befinden. Die Aufwertung von innerstädtischem Raum ist sicherlich wichtig, aber es muss die kritische Frage gestellt werden, ob solche Zentren die Bedeutung einer dezentralen, wohnortnahen Erwachsenenbildungsarbeit eher erschweren als erleichtern? Beides gleichzeitig zu haben, ist sicherlich schwierig, aber wichtig. Allzu oft haben ländliche Räume berechtigt die Wahrnehmung oder unberechtigt das Gefühl, abgekoppelt zu sein vom Fortschritt und den Diskursen der mondänen und urbanen Eliten. Die Milieus der Großstädte mögen Dritte Orte ansprechen, aber was ist mit gegebenenfalls weniger ausdruckstarken Milieus, die eher im Grätzl, Kiez oder Quartier angesprochen werden wollen? Sind Bildungs- und Kulturzentren nur durch eine Umverteilung bzw. Konzentration von Ressourcen auf einen zentralen Ort möglich bei Wegfall von Außenstellen? Entsteht durch ein (neues) Zentrum nicht nahezu automatisch eine (neue) Peripherie? Ermöglichen „Dritte Orte“ etwas oder verhindern Sie nicht auch etwas? Was sind hier blinde Flecken oder Tabus in der Debatte?
Letztlich scheinen einige Fragen rund um die „Dritten Orte“ noch (empirisch) ungeklärt und nicht näher erforscht zu sein neben eher anekdotischen Schilderungen von Akteurinnen und Akteuren, die in ihrer Begeisterung vielleicht nicht nüchtern genug hinschauen, um Pro und Contra der „Dritten Orte“ zu sehen. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass die Dritten Orte nur Vorteile bieten und keine Probleme und Herausforderungen mit sich bringen.
Perspektiven für neue Räume für Erwachsenenbildung
Was können aber Perspektiven sein, die über eine Kritik und vertiefte Auseinandersetzung mit den „Dritten Orten“ hinausgehen? Fünf Perspektiven:
a) Ökologische Forderung der NachhaltigkeitErstens muss sich die Debatte um Räume und Orte auch ökologischen Herausforderungen stellen, was bei Oldenburg 1989 noch kein Thema war. Neue Häuser zu bauen kostet viel Energie und ist im Prinzip erst einmal klimaschädlich. Alte Gebäude einfach abzureißen und neue zu bauen wird zunehmend zu einem problematischen Ansatz. Diskussionen um den Erhalt des Hauses der Begegnung Donaustadt in Wien mit Volkshochschule, Bücherei, Jugendzentrum und Räumlichkeiten des ehemaligen Bezirksamtes in der Bernoullistraße 1 in Wien4 sind dafür ein Beispiel. Es muss vielleicht noch mehr geprüft werden, wie bestehender Gebäudebestand nachhaltig und klimagerecht weiter genutzt bzw. aufgewertet werden kann durch Umbau. Verdichtung und Aufstockung von Gebäuden sind hier auch Optionen statt Abriss und kompletter Neubau. Den aktuellen Akteurinnen und Akteuren in der Erwachsenenbildung ist dabei historisches Bewusstsein und Wertschätzung zu empfehlen, da vorherige Generationen durchaus in einer Art „Häuserkampf“ (Diehl & Ditschek: 2019) eigene Häuser für die Erwachsenenbildung über lange Jahre hinweg gegen massive Widerstände errungen haben. Errungenschaften muss man auch verteidigen wollen, da sie nicht ewig garantiert sind.
b) Leerstand erschließen für die ErwachsenenbildungZweitens stehen viele sich wandelnde Städte vor großen Transformationen. Der Internethandel stellt bisherige Strukturen in Frage. Kaufhäuser verschwinden oder sind in der Dauerkrise. Es gibt schon einige Beispiele, wo ehemalige Kaufhäuser zu Bildungs- und Kulturzentren u. a. mit Volkshochschulen umgewandelt wurden (vgl. Stang: 2019). Neben dem oftmaligen starken Fokus auf größere Städte, könnten in Kleinstädten und Dörfern leerstehende kleine Läden Potenzial bieten, um dort Außenstellen von Volkshochschulen, anderen Erwachsenenbildungseinrichtungen oder Beratungsstellen unterzubringen. Bildung und Erwachsenenbildung sind einige wichtige Faktoren neben anderen, um Landflucht zu verhindern und ländliche Räume attraktiv zu halten, was leider oft unterschätzt wird und im Diskurs um (großstädtische) „Dritte Orte“ tendenziell unthematisiert bleibt. Es könnte insgesamt in Großstädten, Kleinstädten und Dörfern bestehender, unterschiedlicher, leerstehender Gebäudebestand umgewidmet und möglichst für die Erwachsenbildung neu erschlossen werden. Hierfür wäre es wahrscheinlich wichtig, dass Wissenschaft, Verbände und Erwachsenenbildungseinrichtungen mutig mit Konzepten sich an Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit wenden, um neue Räume für die Erwachsenenbildung zu erobern. Automatisch wird kaum jemand von den aktuellen Entscheidungsträgern an die Erwachsenenbildung denken und auf sie zugehen. Angesichts der millionenschweren Interessen von kommerziellen Investorinnen und Investoren ist dieses Unterfangen sicherlich nicht einfach, aber trotzdem einen Versuch wert. Das Verhältnis von Kommerz und Bildung ist dabei heikel, und es gilt zu bedenken, was nebenbei erwähnt bei den „Dritten Orten“ leider nicht näher thematisiert wird. Oldenburg geht hier in seinem Konzept und Buch relativ naiv von einer Niedrigschwelligkeit aus, während Kritiker zurecht darauf verweisen, dass „Dritte Orte“ in aller Regel Konsum-Orte sind (Zurstiege: 2008, S. 136).
c) Präsenz und DigitalesDrittens ist auch hier wie in anderen Lebensbereichen die Digitalisierung als Querschnittsdimension mitzudenken. Physische Orte mögen manchmal Gegenorte sein, die von Präsenz leben und andere Qualitäten anbieten als digitale Räume. Noch relevanter scheint dagegen zu sein, wie sich Räume der physischen Präsenz und digitale Räume kombinieren und miteinander verschränken lassen. Blended Learning und hybrides Lernen brauchen hochwertige Räume, wo Übergänge oft fließend sind. So wird es sich heute kaum noch eine Bildungseinrichtung leisten können, auf einen Internetzugang zu verzichten. Forschungsarbeiten (Filzmoser: 2021) zeigen die komplexe Notwendigkeit von Digitalität selbst in ländlichen Bildungsstätten zurecht auf. Es ist nicht mehr die Zeit, entweder Präsenz oder Digitalität zu diskutieren, sondern wie beides sinnvoll sich ergänzen und miteinander kombiniert werden kann.
d) Unterschiedliche RaumbedarfeViertens sind Ansprüche und Bedarfe in Bildungsräumen komplex. Bildungsräume müssen attraktiv sein und Publikum gut zugänglich anziehen und Begegnung ermöglichen. Gleichzeitig muss Muße und Ruhe auch ihren Raum haben. Beratungsstellen müssen Vertraulichkeit ermöglichen. Man kann hier durchaus von Antinomien sprechen wie zum Beispiel Nähe und Distanz, die ihre Räume haben müssen (vgl. Käpplinger: 2016). Auch in Bibliotheken kann man Konflikte beobachten, wo die einen in Ruhe arbeiten und andere sich begegnen und austauschen wollen. Im Idealfall ermöglichen gute Räume bzw. Teilräume beides gleichzeitig: Sie führen geschickt größere Besucherströme über gute, intuitive Wegeleitsysteme, während Lernende störungsfreie oder -arme Rückzugsräume haben. Sie machen Gruppen- und Einzelarbeiten möglich. Sie bieten Café, Bewirtung und Unterhaltung, aber vor allem akustisch fern der genuinen Bildungsräume. Dies alles auszubalancieren ist anspruchsvoll. Nicht zu unterschätzen sind dabei Distinktionen und „feine Unterschiede“ zwischen den Milieus. Erfahrungen in Bildungs- und Kulturzentren (Käpplinger: 2016) zeigen, dass nicht alle Einrichtungen und Milieus miteinander kooperieren wollen, sondern es zum expliziten oder impliziten Selbstverständnis gehört, sich abzugrenzen, um sich der eigenen Identität zu versichern. Bourdieu hat gut aufgezeigt, dass Bildung nicht nur miteinander verbindet, sondern auch voneinander abgrenzt.
e) Kooperation und KonkurrenzVerantwortliche in der Erwachsenenbildung sollten strategisch und perspektivisch gut überlegen, mit wem man sich verbinden kann, um Raumbedarf zu sichern bzw. anzumelden. Das Kooperationsgebot ist omnipräsent in der Erwachsenenbildung und wird von der Politik seit einigen Dekaden oft mantraartig eingefordert. Dies ist durchaus gut und wird auch oft gelebt. Gleichzeitig bestehen aber Konkurrenzen, und in ökonomisch schwierigeren Lagen besteht ein durchaus harter Kampf um Ressourcen zwischen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Öffentliche Räume stehen oft unter Privatisierungsdruck durch zahlungskräftige Investorinnen und Investoren und ihre (kommerziellen) Interessen. Hier muss geschickt agiert werden und es ist nur legitim, dass auch die Erwachsenenbildungseinrichtungen ihre eigenen Interessen im Blick haben müssen. Andere Bildungsbereiche wie zum Beispiel die Frühpädagogik genießen zunehmend mehr mediale und politische Aufmerksamkeit. Volkshochschulen können als Juniorpartner in Kooperationen profitieren, wenn man gemeinsam stärker als einzeln ist. Allerdings kann es auch passieren, dass Erwachsenenbildungsräume nur randständig vergeben werden und bei Ressourcenkonflikten eher andere Bereiche profitieren. Stadtbibliotheken können ähnliche Einzelveranstaltungen wie Volkshochschulen anbieten. Recht verschiedene Kooperationsstrukturen rund um neue Räume sind denkbar (vgl. Stang: 2010) und oft entscheidet das Gelingen oder Misslingen von Bildungsräumen sich erst im laufenden Betrieb, der allein durch Architektur nicht gesichert werden kann. Hier braucht es ein Bewusstsein und ein Mehr an geteiltem Wissen nicht zuletzt durch Forschung.Wir brauchen insgesamt gut sichtbare und erforschte Bildungsorte und Bildungshäuser für Erwachsenenbildung, die modernen und erwachsenenpädagogischen Standards entsprechen. Sie sollten auch eine Signalwirkung haben und so den Menschen, die dort arbeiten, lernen und sich weiterbilden, eine symbolische Wertschätzung aussprechen. Eine Wertschätzung und Signalwirkung für eine qualitätsvolle non-formale Bildung in eigenen Räumen der Erwachsenenbildung. Dafür müssen Akteurinnen und Akteure der Erwachsenenbildung samt ihren Verbänden aktiv werben. Welche Empfehlungen wären dabei gegebenenfalls aus erwachsenenpädagogischer Perspektive für den Bau oder Umbau aus Perspektive von Volkshochschulen zu formulieren (vgl. Stang: 2012)? Erstens sollten Erwachsenenpädagoginnen und Erwachsenenpädagogen an den architektonischen Plänen beteiligt werden. Nicht selten entstehen Bildungsgebäude allein am Schreibtisch bzw. im Computer der Architektinnen und Architekten sowie in der Aushandlung mit den Auftraggebenden/Finanziers, die aber oft selbst die Räume nicht nutzen werden. Wir brauchen aber auch eine „pädagogische Bauleitung“ (ebd.), damit die Räume auch den aktuellen und zu erwartenden Nutzungsbedarfen entsprechen. Wenn dem nicht so ist, müssen am Ende die erwachsenenpädagogischen Praktiken der Architektur angepasst werden, was nicht immer rundum gelingen kann, weil man hier im wörtlichen Sinne auf unverrückbare Mauer stoßen kann. Automatisch werden Pädagoginnen und Pädagogen oft nicht beteiligt, hier muss man zumeist proaktiv Beteiligung einfordern!
Zweitens entstehen Bildungsbauten mindestens seit den 1970er-Jahren nicht selten unter hohem Kostendruck. Aktuell wird dies durch generell steigende Baukosten sowie Inflation noch verschärft. So kann es zu sehr „billigen“ Lösungen mit sehr geringem ästhetischem Anspruch kommen, wo schnell etwas gebaut wird, nur um bloß mehr Räume zu haben. In solchen Billiglösungen müssen dann aber Personal und Lehrende sich jahrzehntelang aufhalten. Dies sollte man mit Weitblick bedenken und sondieren, ob man zum Beispiel lieber kleiner, aber feiner (um-)baut.
Drittens sollte bedacht werden, dass die Räume auch eine Aufenthaltsqualität neben den reinen Lehr- oder Beratungsräumen haben. Wie sehen Gänge, Warte-/Aufenthaltsbereiche oder das Wegeleitsystem aus? Wie wird einerseits eine gute Zugänglichkeit des Gebäudes gesichert und andererseits auch die Muße der Lernenden in den Räumen geschützt? (Vgl. Käpplinger: 2016).
Viertens sollten Räume flexibel und umgestaltbar angelegt sein. Durch den technologischen Wandel verändert sich die Bildungsarbeit über die Jahre hinweg deutlich. Computerräume werden zum Beispiel in Zeiten von BYOD deutlich weniger als früher benötigt, weil viele Menschen eigene Endgeräte haben. Großveranstaltungen gibt es manchmal weniger als früher oder der Bedarf an Steckdosen ist deutlich größer geworden. Vielleicht sieht das jeweils in Zukunft wieder anders aus? Räume sollten hier so angelegt sein, dass sie mit relativ wenig Aufwand Veränderungen ermöglichen.
Bei der Innenraumausgestaltung ist fünftens zu bedenken, dass Lernräume sowohl animierend, anziehend als auch beruhigend angelegt sein sollten. Einen Lehrraum knallrot anzumalen, dürfte eher dysfunktional für die alltägliche Nutzung sein, während das im Foyer vielleicht gut passen kann als Anziehungspunkt mit Signalwirkung. Ein Fußbodenbelag, wo Menschen zum Beispiel mit hochhackigen Schuhen zwangsläufig sehr laute Laufgeräusche erzeugen, ist auch wenig alltagstauglich in Bildungsgebäuden. Bildungsräume und ihr Interieur können intensiver Nutzung unterliegen und nicht alle Besuchenden gehen pfleglich damit um. Insofern sollten Materialien ausgewählt werden, die relativ robust und nicht kostenintensiv in der Pflege sind, aber trotzdem auch eine gute ästhetische Qualität haben.
Das mögen teilweise Lappalien sein oder als Anregungen so wirken, aber es lohnt sich auf diese Dinge – und sicherlich noch einiges – mehr zu achten. Man sollte sich hier bei gelungenen Bildungsräumen und in der einschlägigen Literatur etwas abzuschauen. Hierbei ist auch zu empfehlen, nicht allein auf aktuelle Gebäude und Literatur zu schauen, sondern sich auch von Vergangenem als Vergangene Utopie inspirieren zu lassen (vgl. Ganglbauer: 2012). Manche genialen Ideen von gestern sind heute leider vergessen. Früher entstanden auch ganz praktisch Broschüren, die von der Bestuhlung, Sitzordnungen bis zu Raumlösungen einen anschaulichen Einblick und Überblicke boten. Vielleicht kann die Ausgabe dieses Magazin der Österreichischen Volkshochschule ein Impuls dafür sein, eine Art aktueller Handreichung (vgl. Verband österreichischen Volkshochschulen: 1959) zu Räumen der Erwachsenenbildung in digitaler oder gedruckter Form auf den Weg zu bringen? //
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