Die Volkshochschulen als kompetenter Partner im Rahmen der österreichischen Roma-Strategie
Am Beispiel des Forschungsprojekts „Sasto Chavoripe“

Die Europäische Union hat die Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe von Roma und Romnija zum wichtigen Teil des EU-Aktionsplan gegen Rassismus 2020–2025 erklärt. Darauf basiert die Fortschreibung der österreichischen Roma-Strategie bis 2030. Sie will in den Kernbereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen sowie im Rahmen einer generellen Inklusions- und Nichtdiskriminierungspolitik die Bekämpfung von Antiziganismus, verstärkte Partizipation und gezieltes Empowerment von Roma-Jugendlichen und Romnija. Zuständig ist die Nationale Roma Kontaktstelle im Bundeskanzleramt. Das Monitoring erfolgt unter anderem über die Roma-Dialogplattform, ein Gremium aus WissenschafterInnen, staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Vereinen. Ergänzend werden Forschungsprojekte zu spezifischen Themen finanziert. Die Wiener Volkshochschulen waren im Rahmen des Forschungsprojekts „Sasto Chavoripe – Soziale Inklusion von Roma durch Frühe Hilfen“ ein wichtiger Partner. Die eingebrachte Kompetenz beruht nicht zuletzt auf den Vorerfahrungen und der grundsätzlichen Verortung der Volkshochschulen in der Arbeit mit Roma und Romnija in Österreich. 

Die Volkshochschulen als kompetenter Partner 

An erster Stelle ist hier die Roma Volkshochschule Burgenland zu nennen. Sie wurde 1999 als Teil der Burgenländischen Volkshochschulen von burgenländischen Roma gegründet. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Austausch zwischen Roma und Romnija und interessierten Nichtroma zu fördern. Romanes-Sprachkurse, Kulturveranstaltungen, Studienreisen und Vorträge zur Geschichte der Roma geben Einblicke in die Lebenssituation von Roma und Romnija und gehören ebenso zum Angebot wie Workshops zum Umgang mit Alltagsrassismen und interkultureller Kommunikation. Gedenkveranstaltungen sind sehr bewusstes politisches Statement. Raum für persönliche Begegnung ermöglichen Konzerte, Studienreisen, thematisch geleitete Kaffeerunden und moderierte Stammtische. Aber auch in Wien gibt es zwischen den Vereinen, in denen sich Roma und Romnija organisieren, und den Volkshochschulen seit langer Zeit etliche Berührungspunkte. Seit bald zehn Jahren findet die Roma-Lernhilfe in Kooperation mit „Romani Bah, Thernipe Wien Romaverein für Sprache, Bildung und Kultur“ und dem Kultur Verein „Vida Pavlovic“ in verschiedenen Bezirken statt (siehe Box). Bei DROM können Roma und Romnija seit 2019 Bildungs- und Berufsberatung an der VHS Brigittenau kostenlos in Anspruch nehmen (siehe Box). Auf dieser Gesamterfahrung konnte beim Forschungsprojekt „Sasto Chavoripe“ aufgebaut werden.

DROM – Empowerment für Roma 

Beratung zu Bildung, Ausbildung, Beruf und Arbeitsmarkt in den Sprachen Romanes, Bulgarisch, Rumänisch, Türkisch, Kurdisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Englisch, Deutsch. Roma und Romnija erhalten Unterstützung auf ihrem Weg in den österreichischen Arbeitsmarkt bzw. das österreichische Bildungssystem. Die Teilnahme ist kostenlos.

Offene Veranstaltungen und Workshops für MultiplikatorInnen informieren und machen auf die Situation, Anliegen und Bedürfnisse der Volksgruppe der Roma und Romnija aufmerksam, um zu Sensibilisierung und gegenseitigem Verstehen beizutragen.

Das Angebot wird aus Mitteln Europäischen Sozialfonds und des Bundesministeriums für Arbeit kofinanziert. 

Brigittaplatz 1/Stiege 4 (Hannovermarkt)
1200 Wien
+43 699 182 50478
drom@vhs.at

www.vhs.at/drom 
www.facebook.com/drom.empowerment.roma

Das Forschungsprojekt „Sasto Chavoripe“

Die Wiener Volkshochschulen waren 2019–2021 Partner im Projekt „Sasto Chavoripe – Soziale Inklusion von Roma durch Frühe Hilfen“. Es wurde vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) gemeinsam mit Forscherinnen mit Roma-Hintergrund durchgeführt. Finanziert wurde es von der Europäischen Union (Rights, Equality and Citizenship Programme) sowie aus Vorsorgemitteln der österreichischen Bundesgesundheitsagentur. Der Endbericht ist verfügbar unter: http://www.fruehehilfen.at/de/Service/Materialien/Publikationen.htm

Ziel des zweijährigen Projekts war es herauszufinden, ob und wie das österreichische Programm der „Frühen Hilfen“  Roma-Familien (gegebenenfalls noch besser) erreichen und unterstützen kann und welche Hürden der Inanspruchnahme entgegenstehen.

Durchgeführt wurden Interviews und Fokusgruppen mit Roma und Romnija (Mütter, Väter und Großmütter in Wien und Burgenland) und ExpertInnen sowohl zu Erfahrungen im und mit dem Gesundheitssystem in Österreich als auch zu Fragen und Erfahrungen rund um die frühe Kindheit und das Angebot der „Frühen Hilfen“. Dies wurde durch eine Online-Erhebung bei KinderärztInnen abgerundet und durch Literaturrecherche untermauert. 

Auf dieser Datengrundlage kann zumindest ein Teil der in Österreich lebenden Roma-Familien klar als Zielgruppe des Angebots der „Frühen Hilfen“ definiert werden. Finanzielle Schwierigkeiten und damit verbundener Stress, Unklarheiten in Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten sowie ein fehlendes soziales Netz – v.a. bei Roma-Familien mit Migrationshintergrund – werden häufig als Belastungen in der Zeit mit einem Neugeborenen bzw. Kleinkind genannt. Laut Studie unterscheidet sie vor allem ein Faktor von anderen sozioökonomisch benachteiligten Familien mit multiplen Belastungen in derselben Lebensphase: das junge Alter erstgebärender Frauen. Allerdings scheint auch die Unterstützung durch die Familie, sofern diese auch in derselben Region lebt, zum Teil sehr intensiv zu sein. Das Projektteam kommt zum Schluss, dass Roma-Familien exemplarisch für relevante Zielgruppen der „Frühen Hilfen“ stehen. 

Es geht in Österreich (im Unterschied zu anderen Ländern) also nicht darum, neue Unterstützungsangebote speziell für Roma und Romnija zu erfinden. Vielmehr muss der Blick auf die Schwelligkeit des bestehenden Systems gelenkt werden. Die „Frühen Hilfen“ mit ihrem niederschwelligen und bedarfsorientierten Ansatz sind grundsätzlich gut geeignet, Roma-Familien zu unterstützen. Das ist übrigens ein Ansatz, der durchaus auch auf andere Bereiche des Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen übertragbar ist. Speziell für die Bildungsarbeit spannend sind zwei weitere Ergebnisse des Forschungsprojekts.

Information und Bildung als Schlüssel 

Erstens kann festgehalten werden, dass Information und (Weiter)Bildung Schlüssel im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Unterstützungsangebots sind. ProfessionistInnen der „Frühen Hilfen“ sind gering bis gar nicht über Roma und Romnija informiert, über deren teilweise schwierige Lebensumstände und schlechteren Gesundheitszustand, die häufig mit Migration, mangelnden Sprachkenntnissen, Aufenthaltsberechtigungen und diskriminierenden Erfahrungen (auch im Gesundheitswesen) einhergehen. Es bedarf also der Sensibilisierung der Fachleute; ein Feld, das gut von Institutionen der allgemeinen Erwachsenenbildung beackert werden kann. Im Zuge des Forschungsprojekts wurde ein Fortbildungskonzept erarbeitet und je ein Workshop für „Frühe-Hilfen“-FamilienbegleiterInnen und für ElementarpädagogInnen durchgeführt, letzterer an der VHS Meidling vom dort befindlichen Institut für Kindergarten- und Hortpädagogik (IKH). Rückmeldungen der Teilnehmenden waren sehr positiv, ein vertiefender zweiter Teil am IKH wurde angeregt. 

Auf der anderen Seite verfügen auch Roma/Romnija über einen geringen Wissensstand zu vorhandenen Unterstützungsangeboten, wie aus den Interviews deutlich wurde. Entgegen den Erwartungen erscheinen Traditionen rund um die Geburt (so sie überhaupt gelebt werden) nur in geringem Maße ein Hindernis im Zugang darzustellen bzw. können leicht mithilfe kultursensiblen Umgangs berücksichtigt werden. Scham gegenüber anderen Roma-Familien und Misstrauen gegenüber Behörden hingegen sind große Schwellen bei der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen – sowohl in allochthonen wie in autochthonen Gruppen. „Vertrauenswürdige Schlüsselpersonen“, z. B. Community-Mitglieder als DolmetscherInnen im Team der FamilienbegleiterInnen, könnten dazu beitragen, diese Hürden zu überwinden. Der Ansatz des „peer-counselling“ (peer = Gleichgestellte/r, Gruppenangehörige/r) wird seit bald zehn Jahren gezielt und erfolgreich zur Zielgruppenerschließung in der Bildungsberatung in Wien2 eingesetzt. Die gleichzeitige selbstermächtigende Wirkung auf die als Peers arbeitenden Roma/Romnija wäre ein gewollter Nebeneffekt im Sinne des Empowerment und könnte Möglichkeiten zur Arbeitsmarktteilhabe eröffnen. 

Eine Voraussetzung für den Einsatz als „Frühe-Hilfen“-Familienbegleiterin stellt eine abgeschlossene Ausbildung in einem der für die multiprofessionellen Teams der „Frühen Hilfen“ relevanten Bereiche dar: z. B. der Sozialarbeit, der Sozial-/Elementarpädagogik, der Frühförderung, dem psychosozialen bzw. dem Pflegebereich. Auch Hebammen sind als „Frühe-Hilfen“-Familienbegleiterin tätig. Wichtig wären daher Maßnahmen, die Roma/Romnija stärker in diese Ausbildungen bringen. Auch das ist ein Wink an die Erwachsenenbildung, etwa zur Bereitstellung vorbereitender Kurse bzw. Lehrgänge, die systemimmanente Schwellen überwinden helfen. Hier gibt es viel Erfahrung und bestehende Angebote, die mit dem genannten Bedarf zusammengedacht werden und/oder als Vorlage dienen könnten – etwa die Studienberechtigungsprüfung (SBP),3 die Angebote der Initiative Erwachsenenbildung4 oder das Projekt BiDe Bildungscoaching und berufsbezogenes Deutsch5 sowie bereits genanntes Beratungsangebot DROM.6

Roma Lernhilfe

Roma und Romnija bieten Lernhilfe für Kinder und Jugendliche an der VHS Favoriten, VHS Simmering, VHS Ottakring und VHS Brigittenau in der jeweiligen Familiensprache an. Die Kommunikation mit den Eltern ist ein wichtiges Element. LernhelferInnen und Kontaktpersonen der teilnehmenden Vereine pflegen regelmäßigen Austausch mit den Eltern. Zusätzlich gibt es zwei Mal im Semester Elternabende. Das Schuljahr wird mit einem Fest abgeschlossen.

Das Angebot wird aus Mitteln der MA 17 – Abteilung Integration und Diversität finanziert. 

VHS Favoriten, Arthaberplatz 18 , 1100 Wien, favoriten@vhs.at

VHS Simmering, Gottschalkgasse 10, 1110 Wien, simmering@vhs.at 

VHS Ottakring, Panikengasse 31, 1160 Wien, ottakring@vhs.at

VHS Brigittenau, Raffaelgasse 11–13, 1200 Wien, brigittenau@vhs.at

www.vhs.at/de/e/lernraum-wien/romalernhilfe

„Frühe Hilfen“ können zur sozialen Integration beitragen

Zweitens kann festgehalten werden: Wenn „Frühe Hilfen“ in Anspruch genommen werden, dann können sie zu sozialer Integration von Roma beitragen. Belastungen und Folgeprobleme für Mütter und Kinder werden durch die frühzeitige Intervention reduziert bzw. vermieden. Nachweislich profitieren Kinder aus sozial/sozioökonomisch benachteiligten Familien besonders von der Unterstützung durch die „Frühen Hilfen“. (Vgl. Jahresberichte, Evaluationsergebnisse und Wirkmodell der „Frühen Hilfen“ ). Ihre Entwicklungsmöglichkeiten in Familie und Gesellschaft werden verbessert. Die Fortschreibung von gesundheitlicher Chancenungleichheit von einer auf die nächste Generation wird reduziert. So können nachhaltige Effekte auf die soziale Teilhabe von Roma/Romnija entstehen. Anknüpfend daran können Volkshochschulen mit Bildungs- und Beratungsangeboten dem in Österreich hohen Grad sozioökonomischer Vererbung von Bildungsstatus entgegenwirken. Die hier genannten Angebote tragen allesamt zu Bildungschancengerechtigkeit für Roma/Romnija bei, indem sie Bildungszugänge eröffnen. 

Insgesamt existieren somit auf mehreren Ebenen Handlungsmöglichkeiten und auch Handlungsbedarf. Die Volkshochschulen stehen hier jedenfalls weiter als kompetenter Partner zur Verfügung. //

1   „Frühe Hilfen“ sind ein Gesamtkonzept von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bzw. gezielten Frühintervention in Schwangerschaft und früher Kindheit, das die Ressourcen und Belastungen von Familien in diesen spezifischen Lebenslagen adressiert und zu Empowerment, insbesondere der Frauen, beiträgt. Neben alltagspraktischer Unterstützung, etwa durch Familienbegleitung und Frühförderung, werden Elternkompetenzen gestärkt und präventive Entwicklungsförderung geleistet. Über das Netzwerk der „Frühen Hilfen“ werden Angebote der Schwangerschaftsberatung, der Elternbildung, des Gesundheitswesens, der Frühförderung, der Kinder- und Jugendhilfe, der elementaren Bildung und weiterer sozialer Dienste koordiniert. Siehe: www.fruehehilfen.at

2   Siehe: www.bildungsberatung-wien.at

3   Siehe: https://www.vhs.at/de/info/sbp 

4   Siehe: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at

5   Siehe: https://www.vhs.at/de/projekte/bide

6   Siehe: https://www.vhs.at/de/projekte/drom

Quellen

Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma (2015): Antiziganismus. Soziale und historische Dimensionen von „Zigeuner“- Stereotypen, Heidelberg. Verfügbar unter: https://dokuzentrum.sintiundroma.de/wp-content/uploads/2019/12/150000_Publ_Tagungsband_Antiziganismus.pdf [27.12.2021].

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164659/umfrage/roma-in-europa/ [27.12.2021].

https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights/combatting-discrimination/roma-eu/roma-equality-inclusion-and-participation-eu_de [27.12.2021].

https://www.vhs.at/de/e/lernraum-wien/romalernhilfe [27.12.2021].

https://ec.europa.eu/info/files/union-equality-eu-action-plan-against-racism-2020-2025_de [27.12.2021].

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/volksgruppen/roma-strategie.html [27.12.2021].

Schrammel-Leber, Barbara; Halwachs & Dieter W. (2015): Roma und Romani in Österreich. In: Erika Thurner, Elisabeth Hussl & Beate Eder-Jordan (Hrsg.), Roma und Travellers. Identitäten im Wandel (S. 159–172). Innsbruck: Innsbruck University Press.
Verfügbar unter: https://www.uibk.ac.at/iup/buch_pdfs/roma-und-travellers/10.152032936-95-0-9.pdf [28.12.2021].

Weigl, Marion, Haas, Sabine, Schipper-Schauer, Michaela & Winkler, Petra (2020): Sasto Chavoripe – Soziale Inklusion von Roma durch Frühe Hilfen. Wissenschaftlicher Bericht. Gesundheit Österreich, Wien. Verfügbar unter: https://www.fruehehilfen.at/fxdata/fruehehilfen/prod/media/downloads/Literatur/Sasto-Chavoripe-Soziale-Inklusion-von-Roma-durch-Fruehe-Hilfen_Barrierefrei.pdf [3.1.2022].

Gassner, Maria/Weigl, Marion (2021): Die Volkshochschulen als kompetenter Partner im Rahmen der österreichischen Roma-Strategie. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2021, Heft 275/72. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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