„Knowledge Changes Everything“ – der Slogan ist Programm. Das merke ich schon beim Ankommen, als ich von den MitarbeiterInnen des Dachverbandes der Folkuniversitetet (FU) sehr freundlich empfangen werde und die Angestellten ihre Arbeitsbereiche (von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bis zum Bereich Sprachen) in ausgezeichnetem Englisch umreißen. Cecilia Palm, die Generalsekretärin, Lotta Gullers Henry, die Sprachenreferentin, die meinen Aufenthalt organisiert hat, und der ehemalige Generalsekretär, der noch als Konsulent für den Verband arbeitet, zeigen großes Interesse an Land und Institution im fernen Süden, mit dem sie einiges an Ähnlichkeiten verbindet. Michel Wlodarczyk ist es auch, der mir einen ausführlichen Einblick in Geschichte, Arbeitsweise, Schwerpunkte und Struktur der FU vermittelt.
Our mission: To improve people’s quality of life by imparting more knowledge and better skills – personally and in the work place
Wie schon die Namen vermuten lassen, ähneln sich die Entstehungsgeschichten der Folkuniversitetet und der Volkshochschulen und haben einander auch immer wieder wechselseitig beeinflusst. Die FU entstand 1917 als erste unabhängige Institution Schwedens, die sich für die Bildung Erwachsener einsetzte (daneben gab es Interessensvertretungen wie Arbeiterbewegung, Antialkoholiker, Bauern, diverse kirchliche Institutionen und politische Parteien). In enger Verbindung mit den Universitäten – sozusagen als universitäre „Außenstelle“ – wurden erste Angebote entwickelt, die von allen BürgerInnen auch ohne formale Abschlüsse besucht werden konnten. Zunächst bildeten sich unterschiedlichste Study Circles (etwa von arbeitslosen Sekretärinnen) und bereits 1942/ 43 fanden die ersten „Schwedisch für Ausländer-Kurse“ statt, bevor es in den 1970er- Jahren zu einer Vervielfältigung des diesbezüglichen Angebots kam. Schon damals lag der Fokus auf dem Erwerb der kommunikativen Kompetenzen, da schnell klar wurde, dass sich die Neuankömmlinge vor allem in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden mussten und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen wollten. Bereits in den späten 1940er Jahren unternahmen TeilnehmerInnen der FU auch Busfahrten in die unterschiedlichsten Länder Europas, um Sprachen vor Ort zu lernen. Und auch dieser Sektor wurde später in Form von Sommerschulen in diversen europäischen Ländern ausgebaut.
In den 1950er-Jahren starteten landesweit Programme zur Verbesserung der Englischkenntnisse der Bevölkerung und die ersten Abendgymnasien öffneten ihre Türen, und in den 1990er Jahren erhielt die berufliche Weiterbildung einen immer höheren Stellenwert, sodass mittlerweile an der FU auch Ausbildungsformate im post-sekundären Bereich in der Berufsbildung zu finden sind.
A leader in lifelong Learning
Ähnlich wie die Volkshochschule ist die FU in zirka 95 Städten und 240 Kommunen vertreten, verzeichnet jährlich mehr als 120.000 Teilnahmen und einen jährlichen Umsatz von 140 Millionen Euro. Die FU verfügt über drei Eckpfeiler: Volksbildung, Sekundar-Schulen und Angebote im Bereich öffentlicher Ausschreibungen, die allesamt von zirka 400 Angestellten und rund 7.000 Unterrichtenden betreut werden.
Zu den wichtigen Zielgruppen zählen Menschen mit Behinderung, Arbeitslose und Menschen, die aufgrund längerer Krankheit wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, sowie MigrantInnen und Flüchtlinge. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bildung junger Menschen, die es aus unterschiedlichsten Gründen nicht geschafft haben, in der Regelschule einen Abschluss zu erzielen. In den für diese Zielgruppe eigens eingerichteten vier Folkhighschools liegt der Fokus auf dem Sprachenlernen, und die Jugendlichen verbringen die Hälfte der zwei Ausbildungsjahre im Ausland.
Der Dachverband der FU ist als Verein organisiert, wobei sich der nationale Vorstand aus zwei Personen jeder der vier Regionen sowie VertreterInnen der Universitäten zusammensetzt. Finanziert wird die Institution durch den Staat und die Kommunen, sowie durch Angebote auf dem freien Markt (letztere machen etwa 65 Prozent vom Umsatz aus).
Der Name „Folkuniversitetet“ und das gemeinsame Logo sind in Besitz der nationalen Organisation, die somit auch die gemeinsame Linie vorgibt. Kooperation und Abstimmung ist trotzdem angesagt: Die meisten Entscheidungen werden auch hier in nicht ganz einfachen demokratischen Prozessen ausverhandelt. Mittlerweile benützen alle FUs das gleiche Buchhaltungssystem, betreiben eine gemeinsame Website und haben sich auch auf eine gemeinsame Marketing-Linie in Bezug auf die Marke FU geeinigt (die konkrete Programmgestaltung erfolgt dezentral).
Die Kooperation mit den Landesverbänden und die Arbeit an gemeinsamen Themen gestaltet sich zumeist auch in Form von Arbeitsgruppen, die sich regelmäßig in Präsenzmeetings oder über Skype treffen. In der Regel ist dabei jede Region durch ein/e RepräsentantIn vertreten. Für die Online-Sitzungen steht ein entsprechend ausgestattetes Konferenzzimmer mit Video-Übertragung für die Personen im Raum und die jeweiligen Skype-PartnerInnen zur Verfügung. Dennoch hat die Erfahrung gezeigt, dass die Online-Sitzungen regelmäßige, längere Präsenztermine nicht ersetzen können, und einige der Arbeitsgruppen – wie etwa die zum Thema Marketing – treffen sich etwa zehn Mal pro Jahr Face-to-Face.
Einmal jährlich findet eine Konferenz für alle Manager bzw. LeiterInnen der Zentren statt, wobei die LandesgeschäftsführerInnen bestimmen, wer daran teilnehmen darf. 2016 lautet das Thema – wie könnte es anders sein – „Integration“.
Dance, dance, dance…
Tanz, Musik und Kunst prägen das FU-Programm und machen zirka 50 Prozent des Angebots aus. Dahinter steht die Überzeugung, dass diese Art der Freizeitgestaltung dazu beiträgt, Menschen vor Extremismus zu schützen und, dass das Verständnis für die eigene Kultur auch die Toleranz von Fremdem erhöht.
Obwohl der E-L earning- Bereich sehr früh gestartet hatte, ist das Angebot eher bescheiden und wird nur zögerlich angenommen. Gesundheitsthemen hingegen werden immer wichtiger, finden sich aber noch kaum im Programm der FU.
„Unser größter Feind ist die Zeit“, meint die Sprachenreferentin der FU, Lotta Gullers Henry, wenn sie auf das Angebot im Sprachenbereich zu sprechen kommt. Das Interesse am Sprachenlernen hat in den letzten zehn Jahren permanent abgenommen, neue Formate und Ansätze sind mehr als gefragt und es herrscht eine gewisse allgemeine Ratlosigkeit, nachdem sich auch der digitale Hype nach anfänglicher Euphorie nicht so fortgesetzt hatte, wie zunächst erhofft. Derzeit finden rund 1700 Kurse in 42 unterschiedlichen Sprachen statt, von A1 bis B2. Internationale Sprachprüfungen können auf den verschiedenen Niveaus abgelegt werden und erfreuen sich großer Beliebtheit. Viele TeilnehmerInnen wollen nur die Prüfung ablegen, um ihre Kenntnisse so validieren zu lassen.
Mit ihrem Sprachenangebot ist die FU auch in verschiedenen Ländern wie England, Frankreich, Deutschland, Spanien und Lettland vertreten und führt weltweit auch eigene Trainee-Programme durch.
Auch Elisa Magnusson und Åsa Klum von der FU Stockholm bestätigen die Tendenzen. Wie in Österreich gehen Englischangebote seit Jahren zurück. Ein erfreulicher Gegentrend wird nur dadurch verzeichnet, dass SüdeuropäerInnen mittlerweile im Sommer sehr gerne nach Stockholm kommen, um hier Englisch zu lernen!
Auch in Bezug auf die Unterrichtenden zeichnet sich ein bekanntes Bild ab: Die Fluktuation ist sehr hoch und viele der Sprach-Kursleitenden sind nicht entsprechend ausgebildet. Gearbeitet wird in Teams, die sich nach Sprachgruppen aufteilen. Seit ein paar Jahren wird ein neues Mentoringsystem erfolgreich erprobt, durch das neue Kursleitende entsprechend integriert werden sollen und auch zumindest ein bis zwei Stundenbeobachtungen machen. Die Kursleitenden werden angehalten, ihren eigenen Blogg zu erstellen und dort zumindest die Hausaufgaben zu posten bzw. nach Möglichkeit auch mehr Inhalte online zu stellen.
On the road
In Uppsala treffe ich Amelie und Reza, die stolz ihre Schule präsentieren. In zwei Schwerpunktklassen werden14-18-jährige Flüchtlinge an das Niveau der anderen SchülerInnen herangeführt. Sie lernen Schwedisch, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften und werden von vier MediatorInnen individuell betreut.
Nachmittags besuchen wir ein Asylantenheim, das zirka 50 Kilometer entfernt von Uppsala mitten in den Wäldern liegt. Die idyllisch wirkende Gegend wird nicht einmal von öffentlichen Bussen angefahren und trotzdem leben dort derzeit zirka 200 Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern auf kleinstem Raum zusammen. Spannungen zwischen den Gruppen werden spürbar, die Menschen haben keine Beschäftigung und es regiert die Langeweile. Bücher scheinen verboten, Aufgaben oder Beschäftigungsmöglichkeiten sind mehr als rar.
Trotzdem werden wir von neugierigen Blicken freundlich empfangen, die Kinder messen uns mit großen Augen und suchen sofort den Kontakt. Zwei vier- bis fünfjährige Buben stürzen sich förmlich auf mitgebrachte Bücher, trotz wenig „kindgerechter“ Inhalte. Sie freuen sich, mit uns zu sprechen. Die Mutter, eine syrische Krankenschwester, wirkt zunächst verloren und abwesend. Als wir uns zu ihr setzen, bemüht sie sich, etwas Ordnung auf dem Tisch zu schaffen und mit uns in Kontakt zu treten. Sie spricht etwas Englisch und lebt mit ihrer Familie (ihren beiden kleinen Söhnen und ihrem Mann) bereits seit fünf Monaten im Lager. Die Perspektiven scheinen völlig unklar.
Ein- bis zweimal die Woche organisiert die FU hier Schwedisch-Unterricht unter sehr schwierigen Bedingungen: Als Kursraum dient ein riesiger, ungeheizter Saal, in den etwas lieblos ein paar Kindersessel und Tische gestellt wurden. Die ausgeteilten kopierten Unterrichtsmaterialien erscheinen wenig praxisrelevant. Wie die Kursleitende berichtet, nehmen die HausbewohnerInnen nur unregelmäßig am Kurs teil. Einer der Männer fungiert als selbsternannter „Gruppensprecher“, er verhandelt mit der Lehrerin, übersetzt und vermittelt. Der Unterricht erfolgt auf sehr traditionelle Weise. Die TeilnehmerInnen scheint das nicht zu stören. Sind viele derartige Bedingungen vielleicht aus ihren Heimatländern gewöhnt und empfinden das somit auch nicht weiter schlimm?
Knowledge Changes Everything
Am nächsten Tag besuche ich einen gemischten Schwedisch-A1-A2- Kurs, der zweimal pro Woche an der FU Stockholm stattfindet. Mit über 20 TeilnehmerInnen auf unterschiedlichsten Niveaus herrscht eine mehr als herausfordernde Unterrichtssituation. Der Kursleiter fungiert in erster Linie als „Aufgabenverteiler“, der von Person zu Person geht und Aufträge vergibt.
Bevor ich noch reagieren kann, fordert er mich (die, wie ich glaube, über die wenigsten Schwedisch-Kenntnisse der Gruppe verfügt) auf, mit einer Nepalesin zusammenzuarbeiten. Aufgrund der sprachlichen Ähnlichkeiten zwischen Schwedisch, Deutsch und Englisch kann ich meine rezeptiven Fähigkeiten sehr rasch nützen und die Sprache erschließt sich mir ungleich rascher als Djona, der Nepalesin. Auch kulturelle Konventionen und Zeichen deute ich ohne Probleme. Ihr hingegen sind viele der im Lehrbuch verwendeten Namen fremd und sie kann daher etwa feminine und maskuline Pronomen nicht richtig zuordnen. Sie kennt auch die für uns so geläufigen Zeichen für Frau und Mann nicht und versteht daher nicht, dass han „er“ und hon „sie“ bedeutet. Djona ist hocherfreut, dass ihr die neue österreichische „Mitschülerin“ Geheimnisse der schwedischen Sprache erschließt, die sie in den fünf Monaten ihres bisherigen Aufenthalts in Schweden nicht deuten konnte. Wie enttäuscht ist sie zu Ende der Stunde, als sie erfährt, dass ich beim nächsten Mal nicht mehr teilnehmen werde. Und auch ich hätte diese sehr spezielle Erfahrung gerne fortgesetzt! //
Illustrationen: aus einer PowerPoint-Präsentation von Michel Wlodarczyk
Die FU Stockholm
Foto: Elisabeth Feigl
Stockholm gamla stan
Foto: Elisabeth Feigl