Wenn es um Chancen und Herausforderungen neuer digitaler Technologien geht, dann sind die Debatten in Deutschland und Österreich oft geprägt von Gefahren und Ängsten. Betont wird, dass das Internet „kein rechtsfreier Raum sein dürfe“ (als ob es das jemals gewesen wäre), es wird vor „Datenkraken“, Hackern und Identitätsdiebstahl gewarnt und eine Verrohung des Umgangs („hatespeech“) beklagt. Angesichts der Breite der mit Digitalisierung verbundenen Sorgen und Ängste ist es auch nicht verwunderlich, dass auch im Bildungsbereich vor dem Internet gewarnt wird. So fragte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einer Titelgeschichte in Google-Schrift „Macht das Internet doof?“ Und Manfred Spitzer schaffte es mit seinem Buch „Digitale Demenz – Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen“ auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Ein Buch über die Potenziale digitaler Technologien für mehr und bessere Bildung sucht man auf dieser Liste vergeblich.
Auch wenn es durchaus seine Berechtigung haben mag, neue Technologien kritisch zu hinterfragen, auch weil das die Voraussetzung für deren reflektierten Einsatz ist, ist die Skepsis digitalen Werkzeugen gegenüber im Bildungsbereich verwunderlich. Vor allem auch jenseits von klassischen Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten eröffnet das Internet völlig neue und zuvor undenkbar offene Zugänge zu verschiedensten Formen von Wissen.
Am besten demonstriert das emanzipatorische Potenz ial digitaler Technologien mit Sicherheit Wikipedia. Nie zuvor war enzyklopädisches Wissen derart frei verfüg- und nutzbar. Die offene Creative-Commons-Lizenz der Wikipedia stellt nicht nur sicher, dass das kollaborativ produzierte Wissen dauerhaft und damit nachhaltig offen zugänglich bleibt. Die offene Lizenz erlaubt auch den Einsatz von Texten, Bildern und Videos außerhalb der Wikipedia selbst, in Blogs, Präsentationen und YouTube-Videos. Vor allem aber hat die offene Verfügbarkeit zu einer Nutzungsexplosion geführt. Waren klassische gedruckte Enzyklopädien mehr ein bildungsbürgerliches und teures Statussymbol, in das kaum je ein Blick geworfen wurde, so nutzen heute nach der ARD-ZDF-Onlinestudie1 über 93 Prozent der 14–29-jährigen zumindest gelegentlich Wikipedia. Von der unerreichten – und zuvor unerreichbaren – Breite und Aktualität an abgedeckten Themen ganz zu schweigen. Auch wenn die Wikipedia sicher alles andere als perfekt ist und mit Problemen wie beispielsweise fehlender Diversität unter den Beitragenden kämpft (Dobusch: 2013), die Vorzüge überwiegen die Nachteile bei Weitem.
Auch im Hochschulbereich lässt sich beobachten, wie der Zugang zu kodifizierbarem Wissen niederschwelliger wird. Bereits zur Jahrtausendwende begann das Massachusett s Institute of Technology (MIT) damit, Unterlagen ganzer Kurse unter einer offenen Lizenz frei zugänglich zu machen. In weiterer Folge begannen prominente Universitäten wie Harvard oder Stanford damit, auch die Teilnahme an Online-Kursen („Massive Open Online Courses“, MOOCs) ohne Aufnahmeselektion zu ermöglichen.
Natürlich bedeuten MOOCs nicht, dass in Zukunft alle Menschen in Harvard oder am MIT studieren können. Im Gegenteil, MOOCs machen sichtbarer, dass der Wert des Besuchs von Elite-Universitäten nur zu einem sehr geringen Maße im dort vermittelten Wissen besteht. Wovon Harvard und Harvard-AbsolventInnen in erster Linie profitieren, ist das mit der Zulassung verbundene Prestige und das persönliche Netzwerk aus Lehrenden und KommilitonInnen vor Ort. Aus diesen Gründen ist es auch so, dass Institutionen wie Universitäten durch offeneren Zugang zu Lernmaterialien und Online-Kurse in ihrer Existenz nicht bedroht sind. Sie waren und werden immer viel mehr sein, als bloße Wissensvermittlungseinrichtungen.
Dennoch birgt die Freigabe von Lehr- und Lernmaterial im Allgemeinen und die Bereitstellung unter offenen Lizenzen und in offenen Formaten im Besonderen ein großes Potenz ial zur Verbesserung von Lehre auch in der Breite (Hofmann & Kampl: 2011). Je mehr Lehrende ihre Unterlagen offen lizenziert als „Open Educational Resources“ zur Verfügung stellen, desto einfacher wird es, sich gute Lehrideen abzuschauen, zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Hinzu kommt, dass ein großer Teil von Lehr- und Lernunterlagen im Schul- und Hochschulbereich ohnehin öffentlich finanziert ist bzw. von öffentlich finanzierten Personen erstellt wird. Diese öffentlich finanzierten Lernunterlagen auch offen lizenziert zugänglich zu machen ist die Voraussetzung dafür, die Potenz iale digitaler Technologien auch auszuschöpfen.
Ein derart wachsender Bestand an offen zugänglichen Lehr- und Lernunterlagen erfordert aber auch, sich in der Flut an digitalen Angeboten zurechtfinden zu müssen. Überfluss und Unübersichtlichkeit von digitalen Lernangeboten erzeugen Bedarf nach Orientierung. Die Verleihung des Staatspreises für Erwachsenenbildung im Bereich „Digital Literacy“ an den von Martin Ebner und Sandra Schön entwickelten und vom Verband Österreichischer Volkshochschulen unterstützen Kurs „Gratis Online Lernen“2 ist da nur logisch: Genau solche Wegweiser durch den Wald digitaler Lernangebote werden immer wichtiger.
Und genau so eine Orientierungsfunktion ist es auch, die Volkshochschulen in der digitalen Welt in zunehmendem Maße erfüllen müssen. Wer durch das Kursprogramm einer Volkshochschule blättert, wird darin nicht nur eine enorme Bandbreite an Angeboten finden – von Sprachkursen über das Lernen von Musikinstrumenten bis hin zu Präsentationstechniken. Zu quasi jedem einzelnen Themenfeld gibt es inzwischen auf Online-Videoplattformen wie YouTube je nach Thema zwischen mehreren hundert bis hin zu hunderttausenden von Erklär- und Lernvideos.
Aber genauso wenig wie MOOCs den Besuch von Harvard ersetzen können, machen YouTube-Videos den Besuch einer Volkshochschule überflüssig. Zumindest insoweit im Volkshochschulkurs mehr geboten wird, als im einschlägigen YouTube-Video. Und das beginnt dabei, dass es heute zur Basisqualifikation von Lehrenden an Volkshochschulen gehören muss, die besten YouTube-Videos im eigenen Themenbereich zu kennen und damit empfehlen zu können. Der Hinweis auf diese YouTube-Videos wiederum erlaubt dann, im Volkshochschulkurs mehr Zeit darauf zu verwenden, was auf YouTube nicht möglich ist: individuelles Feedback geben zu können. Auf die Präsentation. Auf die Aussprache. Auf das Spielen des Instruments.
Gerade im Zusammenspiel von Plattformen wie YouTube und Volkshochschulen wird deutlich, inwieweit sich Letztere auf Grund der Digitalisierung wandeln werden müssen. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass dieser Wandel eine große Chance darstellt, weil weniger die bloße Wissensvermittlung und mehr die Interaktion, der Austausch und persönliches Feedback im Zentrum stehen werden. Und wenn es darum geht, Orientierung zu geben, dann sind damit natürlich nicht nur YouTube-Tipps gemeint, sondern auch die Einordnung dessen, was sich zu einem Thema auf YouTube findet. Das ist eine immanent politische Aufgabe, bei der sich Volkshochschulen traditionell am Gemeinwohl ausrichten.
Eine Ausrichtung am Gemeinwohl bedingt außerdem, dass sich auch für Volkshochschulen die Frage stellt, wie sie mit dem Thema offene Lizenzen und offene Formate umgehen wollen. Denn was durch die konsequente Nutzung von offenen Lizenzen für Lehr- und Lerninhalte in Form von Skripten, Videos und anderen Unterlagen im Zeitverlauf entsteht, ist eine digitale Wissensallmende. Bei der im Umfeld der Linzer Volkshochschule entstandenen „Open Commons Region Linz“ ist in diesem Zusammenhang von „digitalen Gemeingütern“ die Rede und einem Selbstverständnis als öffentliche Einrichtung, zu deren Weiterentwicklung und Pflege beizutragen.
Letztlich ist so ein Fokus von Volkshochschulen auf Gemeinwohl und die Bereitstellung von Gemeingütern nichts anderes, als das Fortschreiben der ursprünglichen Idee und Mission von Volkshochschulen als Institutionen der breitest möglichen Volksbildung und -aufklärung. Eine Aufgabe, die auch in einer digitalen Gesellschaft von unverändert großer Bedeutung ist. //