Die Regelmäßigkeit der Fluchtereignisse

Einleitung

Wie mittlerweile allgemein bekannt ist, hat die Bilderflut des Herbstes 2015 oft nicht den richtigen Eindruck vom Umfang des Fluchtereignisses und von den Merkmalen der Flüchtlinge verbreitet.

Dieser Beitrag informiert zunächst über einige der Fakten – soweit sie seither bekannt geworden sind –, und befasst sich im nächsten Schritt, vor allem mit den Erwerbschancen der Flüchtlinge, mit den Gefahren, denen sie am Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, sowie mit möglichen Interventionen, die gesetzt werden müssten, damit die Maßnahmen trotz des krisenhaften Umfelds erfolgreich wären.

Diese Ausführungen müssten um eine Perspektive auf die ansässige Bevölkerung und deren Aufklärung ergänzt werden, denn Integration ist nicht möglich, wenn keine Aufnahme stattfindet. Nur auf die Flüchtlinge bezogene Maßnahmen verpuffen im Extremfall ohne jeden Erfolg, wenn ihnen nicht spiegelbildliche Aktivitäten in Bezug auf Jobmöglichkeiten, Aus- und Weiterbildungschancen, Wohnmöglichkeiten, Behörden usw. gegenüberstehen. Das wäre ein dankbares, wenn auch komplexes Thema, das aber aufgrund seines Umfangs an anderer Stelle abgehandelt werden muss. Am Schluss des Artikels werden einige kurze Anregungen gegeben, die spezifisch für Erwachsenenbildungseinrichtungen von Interesse sein könnten.

Der Mythos: Flüchtlinge stellen einen großen Teil der Einwanderung dar

Infolge der Flüchtlingsbewegungen war der Zuzug aus dem Ausland 2015 größer als in früheren Jahren. Ins öffentliche Bewusstsein kam er nicht so sehr aufgrund der Zahlen, sondern dank der Bilderflut, obwohl diese nicht immer den Zuzug nach Österreich darstellte, sondern die Durchreise. Die Zahlen waren 2015 zwar höher, aber bei weitem nicht so hoch wie die Aufregung, denn 2014 wurden etwa 154.000 Zuzüge von ausländischen Staatsangehörigen (darunter 28.000 Asylanträge) verzeichnet und 2015 waren es 199.000 entsprechende Zuzüge (darunter 88.340 Asylanträge). Mit anderen Worten, es gab eine Steigerung um 29 Prozent.

Derzeit ist noch nicht abzusehen, wie viele Menschen letztlich in Österreich bleiben werden. Unser Land wurde kaum als Ziel wahrgenommen, viele wussten nicht einmal von seiner Existenz. Dieses Phänomen tritt nicht zum ersten Mal auf und kann neuerlich dazu führen, dass viele Menschen nicht lange bleiben. Aus den 30.000 Asylanträgen von afghanischen Staatsangehörigen, die zwischen 1998 und 2005 gestellt wurden, ging zum Beispiel eine Bevölkerung von unter 4.000 Personen hervor. Diese eher geringe Anzahl erklärt sich nicht nur durch Abschiebungen und dadurch, dass ein Teil der afghanischen AsylwerberInnen nie vor Ort war, sondern vor allem auch dadurch, dass die Asylsuchenden ein anderes Zielland im Auge hatten.

Auch von den Kontingentflüchtlingen, die in den 1970er-Jahren aufgenommen wurden (darunter Inder aus Uganda, Vertriebene aus Vietnam und Putschflüchtlinge aus Chile, Bolivien und Argentinien), blieb nur ein kleiner Teil länger in Österreich. Das bedeutet, dass die Asylzahlen Rückschlüsse darauf zulassen, wie viele Flüchtlinge längerfristig zu betreuen bzw. zu integrieren sind.

In den genannten Zahlen steckt noch eine zweite Konsequenz: Wenn von fast 200.000 neu zugezogenen ausländischen Staatsangehörigen etwas mehr als 88.000 Flüchtlinge waren, so machten sie auch 2015, trotz der erhöhten öffentlichen Wahrnehmung, nicht einmal die Hälfte des Zuzugs von ausländischen Staatsangehörigen aus. 2014 lag die Zahl sogar nur bei 18 Prozent des Zuzugs und in den Jahren davor bei zirka 13 Prozent.

Die Zahl der Asylanträge 2015 ist vergleichbar der Anzahl der Zuzüge aus EU- und EFTA-Staaten, die sich auf 91.600 beliefen (nach 96.100 im Jahr davor und 86.600 im Jahr 2013), aber weit größer als die Zahl der Drittstaatsangehörigen, die außerhalb des Asylwesens zuzogen.1

Mit anderen Worten, Flüchtlinge stellen insgesamt einen eher kleinen Teil des Zuzugs von ausländischen Staatsangehörigen dar, der aber, anders als der übrige Zuzug, durch ein starkes Auf und Ab geprägt ist. Er verläuft in Wellen und die Wellenkämme und Wellentäler treten seit 1945 mit erstaunlicher Regelmäßigkeit auf. Daran haben auch die seit 1968 regelmäßig folgenden Asylrechtsverschärfungen bisher nichts geändert.

Zum Jahreswechsel 2015-2016 dürften rund 201.000 Personen in Österreich gelebt haben, deren Aufenthaltstitel nach dem Asylgesetz erteilt wurde (2,3 Prozent der Bevölkerung). Ein Jahr davor waren es Schätzungen zufolge rund 147.000 (1,7 Prozent). Davor dürften es seit dem Jahreswechsel 2006–2007 stets zwischen 80.000 und 105.000 Personen gewesen sein (2013–2014 1,1 Prozent).

Die Aufteilung nach Bundesländern ist seit der Schaffung des Bundesamts für Asyl- und Fremdenwesen unbekannt. Sie stand zuletzt für den Jahreswechsel 2013–2014 zur Verfügung. Von damals insgesamt 94.470 Personen mit Aufenthaltstitel nach dem Asylgesetz lebten Anfang 2014 rund 46 Prozent in Wien, 13 Prozent in der Steiermark, elf Prozent in Oberösterreich, zehn Prozent in Niederösterreich (trotz des Lagers in Traiskirchen!), acht Prozent in Salzburg, vier Prozent in Kärnten, je 3,5 Prozent in Tirol und in Vorarlberg und 1,4 Prozent im Burgenland. Als Anteil an der Landesbevölkerung machten sie in Wien 2,5 Prozent, in Salzburg 1,4 Prozent, in der Steiermark ein Prozent und in Vorarlberg 0,9 Prozent aus, sowie in allen anderen Bundesländern zwischen 0,5 Prozent und 0,7 Prozent. Zum Jahreswechsel 2015–2016 dürften die Anteile überall höher gewesen sein (in manchen Bundesländern waren sie doppelt so hoch, in anderen höher bzw. niederer), und seither ist es zu weiteren Verschiebungen gekommen. Aber darüber liegen, wie gesagt, keine Daten mehr vor. Genaueres wird man erst wissen, wenn wieder aktuelle fremdenrechtliche Daten für die Bundesländer vom Innenministerium publiziert werden.

Die Fluchtereignisse wiederholen sich nicht nur mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, sie verlaufen auch immer wieder gleich. Zu Beginn ist die Regierung nicht auf das Ereignis vorbereitet, weil sie aus verschiedenen Gründen warten muss, bis sich tatsächlich im Inland ein regerer Zustrom als gewöhnlich bemerkbar macht. In diesem Moment greift aber bereits die Bevölkerung ein: ein Teil, indem er die Flüchtlinge unterstützt, ein anderer, indem er beginnt, Befürchtungen zu äußern. Sowohl die Hilfsbereitschaft als auch die Befürchtungen werden von einer medialen Bilderflut gefördert, die mit der Realität wenig zu tun hat, sondern der Vermarktungslogik der Medienwirtschaft folgt.

Bei den Befürchtungen handelt es sich jedes Mal – nicht immer in der genauen Wortwahl, aber dem Inhalt nach – um dieselben fünf oder sechs Vorurteile. Nach einiger Zeit ergibt sich für die Regierung ein Vorwand, einen Zuzugsstopp zu verkünden und durchzusetzen. Gleichzeitig oder kurz danach wird verkündet, dass sich nun alle Maßnahmen auf die Integration der Flüchtlinge konzentrieren.

Um den Asylzuzug auch in Zukunft stärker zu regulieren, kommt als Nächstes eine Asylrechtsverschärfung. Diese kann auch Bestimmungen enthalten, die einen Teil des Zuzugs noch rückgängig machen können bzw. zumindest diesen Anschein erwecken. Der Stopp wird mit den Befürchtungen der Bevölkerung gerechtfertigt, also mit den negativen Konnotationen des zum jeweiligen Zeitpunkt geläufigsten Wortes für „Flüchtlinge.“ Daraufhin beginnt eine breite Distanzierung von dem negativ besetzten Wort und ein neuer Begriff wird eingeführt. 2016 kann das sehr eindrücklich am Wechsel vom Begriff „Flüchtlinge“ zu „Geflüchtete“ nachvollzogen werden.

Wie das Amen im Gebet kommt zuletzt die Erklärung, in Hinkunft vor allem die Fluchtursachen bekämpfen zu wollen. 2015–2016 lief dieser Film in hohem Tempo ab, zwischen 1990 und 1995 sowie zwischen 2000 und 2005 scheint der Prozess aus heutiger Sicht eher in Zeitlupe abgelaufen zu sein. Aber das Skript war jedes Mal dasselbe.

Folgerungen

Aus den dargestellten Sachverhalten lassen sich diverse Folgerungen ziehen. Eine ist, dass die Integration der Flüchtlinge zwar aus verschiedenen Gründen (auf die ich gleich eingehen werde), besondere Aufmerksamkeit verdient, dass man sich aber nicht exklusiv auf sie konzentrieren sollte und auch gar nicht kann.

Die Anzahl der Flüchtlinge ist großen Schwankungen unterworfen, sodass auch die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse sowie die benötigte Infrastruktur immer wieder angeglichen werden müssen. Die Einwanderung außerhalb des Asylwesens verläuft viel gleichmäßiger. Es stehen auch für die Integration der Flüchtlinge immer nur für kurze Zeit Mittel zur Verfügung (in der Regel, solange die Alarmstimmung anhält und noch kurz darüber hinaus). Danach müssen sie stets in den regulären Maßnahmen untergebracht werden. Es kann aber geschehen, dass man sich, um die regulären Maßnahmen aufrechterhalten zu können, während der Alarmphase auf Flüchtlinge konzentrieren muss, weil die Mittel umgeleitet werden.

Eine zweite Folgerung besteht darin, dass es sinnvoll wäre, aus den Experimenten mit den Flüchtlingen eine dokumentierte und evaluierte Lernerfahrung zu machen und das Gelernte sogleich auf den Umgang mit dem Hauptteil der Einwanderung zu übertragen. Die OECD kritisierte 2011, dass Österreich als einer der wenigen OECD-Mitgliedsstaaten mit bedeutendem Zuzug kein Integrationssystem geschaffen hat, das Ankommende abholt und ihnen einen möglichst reibungsfreien Übergang in das gesellschaftliche und das Erwerbsleben ermöglicht (Krause & Liebig: 2011). Stattdessen besteht ein Flickwerk von Zuständigkeiten und Unzuständigkeiten zwischen Ministerien, zwischen Regierung und Sozialpartnern und zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, dessen Lücken von diversen nichtstaatlichen Organisationen aller Größenklassen mehr oder weniger notdürftig und mit erheblicher Unsicherheit gestopft werden. Für die meisten Organisationen ist es riskant, sich in diesen Dschungel zu wagen.

Es läge daher nahe, dass jede der beteiligten Behörden und Organisationen aus dem diesmaligen Fluchtereignis für das nächste und für den Normalbetrieb in den Jahren dazwischen lernen sollte, auch wenn das völlig illusorisch erscheint. Realistischerweise müssten nichtstaatliche Organisationen etwa für die Gemeinden mitlernen, damit sie in der nächsten Krise der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister anhand von Dokumenten und Berichten zeigen könnte: „Schau, letztes Mal habt Ihr es so gemacht, und das hat sich so und so ausgewirkt“. In der Gemeinde werden die Fakten nicht mehr präsent sein, und die eigene Erinnerung ist ja auch höchst unzuverlässig. Das menschliche Gehirn ist beim Erinnern nämlich leider sehr kreativ.

Eine dritte Folgerung aus dem oben Dargestellten könnte eventuell in einer breit angelegten Reflexion der beschriebenen Abläufe bestehen, um vom reinen Verstandes- zu einem Vernunfthandeln zu gelangen. Auf informelle Lernprozesse ist dabei offenkundig kein Verlass, und die private Erkenntnis erscheint nicht zielführend (so befriedigend sie für die betreffenden Einzelpersonen und Kursgruppen sein mag). Wenn vernünftiges Handeln zulässig und mehrheitlich zustimmungsfähig sein soll, dann ist ernsthafte Auseinandersetzung und auch die Bereitschaft zum Konflikt erforderlich. Das gilt im Privaten genauso wie im Öffentlichen. Konfliktvermeidung ist eine Facette der Kontaktvermeidung und führt zu einer gespaltenen Gesellschaft.

Flüchtlinge sind in einer nachteiligeren Ausgangslage als anderer Zuzug

Die Situation der Flüchtlinge unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von jener des übrigen Zuzugs. Seit Mitte der 1970er-Jahre besteht der größte Teil des Zuzugs üblicherweise aus Familiennachzug, der in einen bestehenden Haushalt und in bestehende Netzwerke erfolgt. Das heißt, es gibt eine komplett eingerichtete Wohnung und Information über die örtlichen Verhältnisse sowie Anschluss an eine Gruppe und möglicherweise sogar Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten. Familiennachzug kann auch sorgfältig vorbereitet und zu einem günstigen Zeitpunkt durchgeführt werden.

All das trifft bei Flüchtlingen nicht zu, sodass zu Beginn eine besondere Hilfsbedürftigkeit besteht, von der schwer vorherzusehen ist, wie lange sie beim Einzelnen anhalten wird. Sie kann auch wegfallen und später wieder aufbrechen (etwa im Moment des Familiennachzugs, in einer Wirtschaftskrise oder wenn aus irgendeinem Anlass ein Trauma aufbricht). Es ist vielleicht sonderbar, das anführen zu müssen, aber diese besondere Hilfsbedürftigkeit rechtfertigt besondere Unterstützung, die bei anderen EinwanderInnen oder gar bei der im Inland aufgewachsenen Bevölkerung so nicht erforderlich ist und wohl auch nicht zielführend wäre.

In der Arbeitskräfteerhebung 2014, in deren Daten ausnahmsweise Flüchtlinge von anderen Arten der Einwanderung unterschieden werden können, in denen aber die BewohnerInnen von Anstaltshaushalten nicht enthalten sind, zeigte sich, dass Flüchtlinge der Jahre 2009 bis 2014 besonders den Rechtsstatus und die Deutschkenntnisse als Hindernisse am Arbeitsmarkt erleben.

Daraus erschließt sich, dass rechtlicher Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. ein Aufenthaltsstatus, der sicherer ist als der jeweils nur einjährige subsidiäre Schutz, sowie bessere Deutschkenntnisse neben Freundlichkeit und Wohnraum zu den dringendsten Bedürfnissen der Menschen mit Fluchterfahrung gehören. Diesem subjektiven Erleben kann man andere Beobachtungen zur Seite stellen. Eine davon betrifft das Ausbildungsniveau. So zeigen dieselben Daten von 2014, dass von den Flüchtlingen der Jahre 2009 bis 2014 etwa 30 Prozent Abschlüsse von der Matura aufwärts mitgebracht haben, was genau dem Prozentsatz an der in Österreich geborenen Bevölkerung in erwerbsfähigem Alter entspricht, dass aber zugleich rund 60 Prozent nur höchstens Pflichtschule absolviert haben. Letzteres liegt auch daran, dass viele zu jung sind, um einen Abschluss nach der Pflichtschule haben zu können. Die Kompetenzchecks des AMS scheinen diese Resultate mehr oder minder zu bestätigen.

Nur die verbleibenden rund zehn Prozent haben eine berufliche Ausbildung zwischen diesen beiden Polen. Genau diese Art der Ausbildung wäre aber in Österreich am meisten gefragt, und deshalb können Betriebe, AMS, Sozialpartner und alle anderen am Arbeitsmarkt Beteiligten damit am besten umgehen. Mit dieser Bildungsstruktur stehen die Flüchtlinge der Jahre 2009–2014 in markantem Kontrast zum zeitgleichen Familiennachzug und zur Arbeitsmigration, gleich ob von innerhalb oder von außerhalb der EU, die zu mehr als 30 Prozent mittlere berufliche Ausbildungen mitbrachten und zu 50 Prozent Ausbildungen von der Matura aufwärts. Flüchtlinge früherer Perioden kamen in größerem Maß aus europäischen Staaten und hatten deshalb häufiger eine mittlere berufliche Bildung. In Summe hat Österreich seit Mitte der 2000er-Jahre die am höchsten gebildete Einwanderung seit Menschengedenken erlebt. Der Anteil der neu Zuziehenden mit höchstens Pflichtschulabschluss ging nach und nach auf nur mehr 20 Prozent zurück, der Anteil mit mindestens Matura-Niveau erreichte 55 Prozent bis 60 Prozent (aber eben nicht in erster Linie durch die Flüchtlinge).

Viele junge, in Österreich gestrandete Flüchtlinge begreifen relativ rasch, dass sie einen inländischen Hauptschulabschluss brauchen, und sie begreifen auch, dass sie danach einen weiteren Abschluss benötigen. Unter einer formalen Lehre können sie sich in der Regel gar nichts vorstellen. Es braucht hier vermutlich mehreres: Angebote für Hauptschulabschlüsse scheint es vielfach zu geben, ob ausreichend lässt sich nicht sagen. Die Kurse scheinen aber die Realität der Flüchtlinge wenig zu berücksichtigen, da es unrealistisch erscheint, eine neunjährige Pflichtschulkarriere effektiv in einen Hauptschulabschlusskurs zu verpacken. In der Regel wird viel Wissen von den Eltern und Großeltern sowie von den MitschülerInnen (und nicht nur von den Lehrkräften) vermittelt.

Es wäre daher ein vertiefendes Angebot erforderlich, welches allerdings oft erst im Verlauf der Jobsuche und eventuell erst im Berufsalltag erfahrbar wird. Das Angebot sollte daher begleitend zur Stellensuche bzw. zur Berufstätigkeit nutzbar sein. Die Teilnahme daran könnte vertrauensbildend gegenüber Arbeitgebern wirken. Sie würden sich dann mit Bildungs- und Verständnislücken bei neuen oder künftigen Beschäftigten nicht mehr so auf sich allein gestellt fühlen. Das Angebot sollte daher auch über die Wirtschaftskammer und andere Arbeitgeberverbände bzw. arbeitgebernahe Vereine beworben werden. Wenn TeilnehmerInnen beschäftigt oder in Lehre sind, sollte auch mit ihren Vorgesetzten Rücksprache gehalten werden, um deren Bedarfswahrnehmung berücksichtigen zu können, und allenfalls auch, um vermitteln zu können und zur Geduld anzuhalten.

Eine eminente Gefahr für Flüchtlinge – mehr als für andere EinwanderInnen – besteht darin, zwar beschäftigt zu werden, aber in Tätigkeiten, die niedrig bezahlt und krisenanfällig sind. Solche Tätigkeiten entstehen vor allem in Aufschwungphasen. Sieht man sich die Beschäftigungsintegration früherer Flüchtlinge an, etwa der Rumänen, die 1989 bis 1991 zuzogen, der 1992 bis 1995 aus Bosnien oder der ab 2002 aus Russland (vorwiegend Tschetschenien) zugezogenen Bevölkerung, dann ist auffällig, wie sehr sie jeweils von einem wirtschaftlichen Aufschwung abhängig war. So stieg bei den Tschetschenen in den Aufschwungjahren 2006 und 2007 die bereinigte Erwerbstätigenrate von etwa 10 Prozent auf rund 45 Prozent und im Aufschwung 2011 auf 50 Prozent, was als Zunahme zwar viel, auf Dauer aber völlig unzureichend ist, denn von da hat sie sich seither nicht mehr wegbewegt. Die Rumänen hatten insofern Glück, als sie mitten im Aufschwung eintrafen und sofort in Beschäftigung kamen, die Bosnier dagegen trafen in der Krise ein, und es dauerte bis zum Aufschwung von 1998 bis 2000, bis ihre Erwerbstätigenrate ein befriedigendes Niveau erreichte. Bei den Rumänen wurden seinerzeit die Asylverfahren abgebrochen und Beschäftigung als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter veranlasst, weil das billiger war und schneller ging und die Nachfrage nach Arbeitskräften da war. Bei den Bosniern wurden erstmals die Gemeinden aktiv, um sie in Beschäftigung zu bringen. Weil aber sowohl die Rumänen als auch die Bosnier sehr oft in Hilfs- bzw. Anlerntätigkeiten beschäftigt wurden, waren sie noch 15 Jahre später, in der Rezession 2009, außerordentlich stark von Beschäftigungsverlusten betroffen. Gegenwärtig steht kein Aufschwung in Aussicht. Das heißt, einerseits ist die Gefahr nicht so groß, dass die Flüchtlinge in Hilfstätigkeiten aufgenommen werden, andererseits werden sie genau deshalb überhaupt nur in Beschäftigung kommen, wenn sie anerkannte Qualifikationen vorweisen können, die sie zu mittleren oder höheren Tätigkeiten befähigen. Diese Qualifikationen wird man ihnen in Österreich aber nur anerkennen und nur vermitteln, wenn sie in der Lage sind, in relativ leicht verständlichem Deutsch zu kommunizieren. Wenn das nicht stattfindet, werden sie nur sehr langsam in reguläre Beschäftigung kommen.

Mitunter wurde 2016 die Willigkeit von Flüchtlingen, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, in Zweifel gezogen. Da es keine belastbaren Informationen gibt, die zu solchen Spekulationen Anlass geben oder ihnen widersprechen können, ist es leicht, hier Meinung gegen Meinung stehen zu lassen. Es gab aber im Jahr 2016 Landesregierungen, die Ausbildungsschritte nicht als Zeichen des Willens zum eigenen Lebensunterhalt gelten ließen, sondern über die Handhabung der Mindestsicherung Druck auf Flüchtlinge und andere Ausländer in Richtung sofortiger Arbeitsaufnahme ausübten, dem man faktisch nicht ausweichen konnte, es sei denn, man hatte Gönner. Das heißt aber, dass eine Architektin oder ein Arzt keine effektiven, zeitaufwändigen Schritte zur Anerkennung der Ausbildung und zum Wiedererwerb des Berufszugangs unternehmen kann, wie etwa einen intensiven, halbjährigen Deutschkurs, sondern irgendeine Hilfstätigkeit ausüben muss, um schlecht und recht leben zu können. Es wird also mancherorts in Österreich eine völlig widersinnige Arbeitswilligkeit eingefordert, denn die Hilfstätigkeit von heute ist die Arbeitslosigkeit und der Mindestsicherungsbezug von morgen.

Innovationen dringend nötig

Die polarisierte Bildungsstruktur der Flüchtlinge hat ihre Ursache darin, dass mittlere Ausbildungen (besonders auch beruflich orientierte) außerhalb Europas kaum angeboten werden. Auch künftige Flüchtlinge werden das nicht mitbringen. Es wäre daher nötig, die Voraussetzungen für derartige Ausbildungen in Österreich zu schaffen.

Die Erwachsenenbildung kann hier eine bedeutsame Rolle spielen, und zwar in der Vorbereitung und Begleitung. So werden flankierende Deutschkursangebote in vielen Varianten nötig sein, die mit den Arbeitszeiten abgestimmt sind und betriebliche Inhalte berücksichtigen, vor allem aber soziale Kompetenz in einem betrieblichen Umfeld vermitteln. Man denke als Beispiel nur daran, wie häufig von Betriebsleitungen zu hören ist, dass sie bei BewerberInnen vor allem Motivation (Arbeitswilligkeit) suchen. Wie aber signalisieren Arbeitsuchende in Österreich, dass sie motiviert sind, und vermitteln sie es in Tirol auf dieselbe Weise wie in Wien? Die Betriebe selbst und auch die Sozialpartner besitzen in diesem Bereich keine Kompetenz, was ja auch der Grund dafür ist, warum sie sich vom Pflichtschulwesen die Bereitstellung fertig einsetzbarer Arbeitskräfte erwarten. Im Fall des Zuzugs aus dem Ausland steht das Pflichtschulwesen für diese Zwecke nicht mehr zur Verfügung. Die Betriebe und Sozialpartner selbst sind aber in keiner Weise in der Lage, etwas Gleichwertiges zu organisieren und es noch dazu in die betrieblichen Erfordernisse zu integrieren. Auch die Erwachsenenbildung ist dazu nicht für sich allein in der Lage. Vielmehr wird es nötig sein, gemeinsam mit den Sozialpartnern Lösungen zu kreieren. Pilotprojekte mit Einzelbetrieben müssen sehr sorgfältig vorbereitet werden. Sinnvoll wäre es, die Erfahrungen größerer Unternehmen zu nutzen, die in diesem Bereich bereits aktiv sind, auch wenn Erfahrungen aus einer Branche (wie etwa dem Einzelhandel) nicht immer leicht auf andere umzulegen sind.

Wie erwähnt bringen rund 30 Prozent der Flüchtlinge (aber 50 Prozent des Familiennachzugs) höhere Bildung mit. Es wäre daher wichtig, diese Ausbildungen in Österreich nutzbar zu machen, indem Bildungsabschlüsse anerkannt und Berufszugänge geschaffen werden. Das Anerkennungsgesetz leistet dazu kaum einen Beitrag, kann aber als Handhabe dienen, um in diesem Bereich mehr Aktivität zu entfalten. Unter den Sozialpartnern scheint Konsens über das Problem zu herrschen, doch es gibt nur wenige ExpertInnen auf diesem Gebiet. Dazu zählen vor allem die MitarbeiterInnen der 2012 geschaffenen Anlaufstellen (AST), wo Beratungen angeboten und Übersetzungen finanziert werden. Anerkennungen sind in der Praxis von Deutschkenntnissen abhängig. In Kooperation mit den AST ließe sich vielleicht ein Begleitangebot aufbauen, das jene Kenntnisse vermittelt, die Anerkennungen beschleunigen können.

Im Weiteren könnten Flüchtlinge mit höheren Bildungsabschlüssen in Erwachsenenbildungseinrichtungen eingebunden werden, um ihre Fachkenntnisse in ihrer eigenen Bildungssprache weiter zu vermitteln. Das Zielpublikum könnte die eingewanderte Bevölkerung sein (gleich ob Flüchtlinge oder nicht), aber auch Studierende aus anderen Ländern. Kurse in russischer, arabischer oder persischer Literatur, die in der jeweiligen Sprache angeboten werden, könnten auch für fortgeschrittene Studierende aus reichen Ländern interessant sein, die auch durchaus zahlungswillig sein könnten, vielleicht besonders während der Sommerferien. Österreich ist im Export von Bildungsdienstleistungen bisher eine vernachlässigbare Größe, was aber keinesfalls so bleiben sollte, und was auf diese Weise in Ansätzen geändert werden könnte.

Fazit: Verbesserung der Aufnahmekompetenz gefragt

Obwohl größere Fluchtereignisse mit hoher Regelmäßigkeit auftreten, blieb in den meisten Organisationen die Beschäftigung mit Einwanderung anlassbezogen und es wurden keine dauerhaften Kompetenzen aufgebaut. Gefragt wäre eine Kompetenz zur Aufnahme neu zuziehender Menschen, vor allem wenn diese bereits in erwerbsfähigem Alter sind. Das ist nicht automatisch Teil von Diversitätskompetenz, sondern muss separat erarbeitet werden, liefe aber ohne sie ins Leere.

Ein derartiger Kompetenzerwerb braucht organisiertes Lernen, etwa in Form von strukturierter Reflexion über die gewonnenen Erfahrungen und ihre Alternativen anhand von Lektüre, Seminaren und Debatten. Und er ist eng mit Zuständigkeit verbunden: Nur wenn es eine klar benannte, persönliche Zuständigkeit gibt, kann es in einer Organisation eine Zunahme an Kompetenz geben. Als weitere unabdingliche Voraussetzung müssten die Entscheidungsträger an der Spitze der Organisation von Beginn an voll hinter der neuen Zuständigkeit stehen und den Erwerb der neuen Kompetenz klar als ihren Auftrag deklarieren. Erwachsenenbildungseinrichtungen können hier flankierende und unterstützende Angebote machen, sofern sie am Beispiel der eigenen Organisation entsprechende Kompetenz beweisen können.

Letztlich bleibt festzuhalten, dass der weiterhin bestehende Mangel an Aufnahme- und Diversitätskompetenz Teil eines breiteren Phänomens ist. Es ist nämlich viel leichter, sich um die materielle Not anderer Menschen zu kümmern als ihre mentalen Nöte zu erkennen, die Ursachen zu verstehen, zu lindern und Selbsthilfekompetenz zu fördern. Es ist wichtig, bei diesem Schlussgedanken die Beschränkung auf die Einwanderung abzulegen und die Erweiterung auf die ganze Gesellschaft zu vollziehen, denn für die Bearbeitung von Zukunftsängsten, von Ungewissheit und Orientierungslosigkeit als Massenphänomen unserer Zeit existieren keine Konzepte, und das macht den Aufbau von Aufnahmekompetenz umso schwerer. //

  Deren Zahl belief sich 2015 auf nur 18.700, was außerordentlich wenig ist, denn 2012 bis 2014 waren es stets um die 30.000 gewesen und von 2006 bis 2011 zwischen 20.000 und 26.000 pro Jahr, also mehr – und teils deutlich mehr – als die jeweiligen Asylzahlen.

Gächter, August (2016): Die Regelmäßigkeit der Fluchtereignisse. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2016, Heft 260/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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