Michael Girkinger: Alles. Immer. Besser. Licht und Schatten der Selbstoptimierung.

Michael Girkinger: Alles. Immer. Besser. Licht und Schatten der Selbstoptimierung.
Wien: Promedia 2023, 176 Seiten.

Im pädagogischen Denkgebäude ist er seit langem beheimatet: der Wunsch, besser zu werden, etwas Besseres zu werden, sich optimal in viele Richtungen zu entfalten. Der pädagogische Grundgedanke – im Rohzustand geboren, sollen sich Menschen durch Bildung, durch Erziehung und Lernen, veredeln.

Dieser, auf religiösen Fundamenten errichtete, in der Aufklärung für die ganze Menschheit propagierte Gedanke, zeigt noch heute Wirkung. Eine zweite Antriebskraft sich ständig zu verbessern, leitet sich aus dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, aktuell dem Neoliberalismus, ab.

Michael Girkinger, Absolvent philosophischer Studien und Publizist, findet Selbstoptimierung von diesen beiden gesellschaftlichen Strömungen getragen. Mit seinem Buch will der Autor nicht für oder gegen Selbstoptimierung auftreten, geschweige denn sie abwerten. Deshalb bezieht Girkinger den kulturellen Kontext mit ein, in dem Selbstoptimierung gesucht, angeboten und umfangreich vermarktet wird. Außerdem fragt der Autor nach dem „guten Leben“ und unterschiedlichen Lebenskonzepten, die es versprechen.

Methodisch beruhen die Aussagen auf interdisziplinären Erkenntnissen, die in etwas eklektischer Weise vorgestellt werden, sowie auf Anleihen bei der Belletristik. Letzteres eröffnet, erklärt der Autor, den Zugang zu einer Gedankenwelt, die zeigt, „wie sehr wir mit sozialen und historischen Prozessen verwoben sind, die wir weder ganz erkennen noch beherrschen können“ (S. 9).

Eine Definition des Begriffs Selbstoptimierung bietet der Autor im engeren und weiteren Sinne an. Im engeren Sinne spricht er von „enhancement“, womit eher dem Zwang und Bedürfnis nach „Verbesserung“ menschlicher Funktionen entsprochen wird. Im weiteren Sinn werden alle Formen umfasst, die sich letztlich mit dem Streben nach dem „guten Leben“ verknüpfen lassen. Mit diesen begrifflichen Grundlagen vermag der Autor Ambivalenzen und Widersprüche aufzuzeigen, die mit Selbstoptimierung und der zunehmenden Quantifizierung körperlicher Aktivitäten und Reaktionen (Puls, Atmung, Schrittzahl) verbunden sind.

Mit Hilfe einiger „Blitzlichter“ beleuchtet Michael Girkinger historische Dimensionen der Selbstoptimierung. Menschen als „Kulturwesen“ mit hoher „Plastizität“ unterliegen eben schon seit langer Zeit Einwirkungen ihrer Umwelt bis hin zu gezielten technologischen Interventionen (z. B. Gentechnik) in ihre „Natur“. Die Eingriffe technologischer Art sind auch als eine Auflehnung der Menschen gegen die „Macht des Schicksals“ zu interpretieren.

Für die Gegenwart diagnostiziert Girkinger schließlich auch einen dominierenden Trend der „positiven Gefühle“. Er spricht von einer „toxischen Positivität“, die die Widerstandskraft gegen Enttäuschungen verringert. Sie beruht auf einem naiven Optimismus, der besagt, alle können alles, wenn sie nur wollen. Damit wird allerdings übersehen, dass unser Handeln immer auch von Faktoren bestimmt wird, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. So stellt sich als Frage: Wann sollen wir die Umstände und wann sollen wir unsere Ansprüche verändern? Der Autor empfiehlt, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass in unserem Leben Unerfülltes bestehen bleibt und auch Widrigkeiten als Quelle der Erkenntnis nützlich sein können. Warnend gibt der Autor zu bedenken, dass wir nicht nur von unseren Potenzialen, sondern auch von unseren Grenzen bestimmt werden – da können wir noch einiges lernen!

Das Buch bietet einen Rundgang mit unterschiedlichen Ausblicken auf eine vielfältig changierende Praxis der Selbstverbesserung. Die Möglichkeiten der Beeinflussung von Menschen scheinen sogar zuzunehmen.

Insofern liest sich das Buch als gute Basis für Diskussionen und Erfahrungsaustausch in Veranstaltungen über Erziehung, Lebensführung und Beurteilung gesellschaftlicher Erwartungen an Arbeitskraft und Leistung. Für Kurse und Veranstaltungen zum Thema Persönlichkeitsentwicklung sowie in den Bereichen Gesundheit, Kinder und Eltern aber auch Politik, Gesellschaft und Kultur sicherlich praxisnah einzusetzen. //

Lenz, Werner (2023): Michael Girkinger: Alles. Immer. Besser. Licht und Schatten der Selbstoptimierung. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2023, Heft 280/74. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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