Markus Hengstschläger: Die Lösungsbegabung. Gene sind nur unser Werkzeug, die Nuss knacken wir selbst.

Markus Hengstschläger: Die Lösungsbegabung. Gene sind nur unser Werkzeug, die Nuss knacken wir selbst.
Salzburg – München: Ecowin 2020, 255 Seiten.

Die Welt ist VUKA – volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Menschen verkörpern die Wechselwirkung zwischen ihren Genen und ihrer Umwelt. Auch die Lösungsbegabung beruht auf genetischen Komponenten sowie auf ihrer Entfaltung und Umsetzung in sozialer Umwelt. Wie können Menschen „Ermöglicher“ – Possibilisten – werden? Wie sind Menschen zu ermutigen, ihre Lösungsbegabung kreativ und kooperativ zur Geltung zu bringen?

Solche Fragen will Markus Hengstschläger, Genetiker mit internationaler Reputation an der Medizinischen Universität Wien, mit seinem Buch beantworten.

Ein Leben lang mutig und innovativ sein, neugierig und kreativ bleiben sowie sich immer wieder „einbringen“, lautet der Appell des Autors. Das Bild eines lebenslang lernenden und eines gesellschaftspolitisch aktiven Menschen wird von ihm vertreten. Ein „Ermöglicher“, der seine Lösungsbegabung für „mehr oder weniger vorhersagbare Zukünfte“ einsetzt, ist der anvisierte Idealtypus.

In fünf Kapitel unterteilt, präsentiert der Autor sein zukunftsorientiertes Menschen- und Gesellschaftsbild. Am Ausgangspunkt stehen das Wollen und die Wünsche der Menschen. Da der Blick in die Zukunft bescheiden bleiben wird, sollten wir dem Unvorhergesehenen mehr Beachtung schenken! Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass wir eine Zukunft entstehen lassen, die es ohne unsere Entdeckungen, Erkenntnisse und Technologien nie gegeben hätte. Das zweite Kapitel behandelt das Potenzial von Wissenschaft im Hinblick auf die Verbesserung der Menschen. Diese, als „enhancement“ im Fachjargon diskutiert, hält sich aber nach Ansicht des Genetikers in Grenzen. Zu viel ist noch unbekannt, die Einwirkung auf Keimbahnen, die auch kommende Generationen beeinflussen würde, riskant und unethisch.

Seine zentrale These, Menschen sind von Natur aus lösungsbegabt, unterstützt der Autor mit Verweis auf die vielen Innovationen, wie z. B. Rad, Buchdruck, Dampfmaschine, Pockenimpfstoff, Auto, Flugzeug, Internet und Google. Er empfiehlt „Gegenwartskompetenz“, divergentes Denken und mutig in Bewegung zu bleiben, um Inspiration und kreative Prozesse in Gang zu bringen. Er bekräftigt, um unsere Lösungsbegabung positiv zu nutzen, uns dieser gegebenen Möglichkeit zu bedienen. Menschen sind nicht von Genen determiniert, sondern Produkte der Wechselwirkung von Genetik, Epigenetik und Umwelt – wir haben Freiheit und Verantwortung. Gerade die COVID-19-Pandemie, meint der Autor ermutigend, zeige die individuelle und kooperative Lösungsbegabung der Menschen. Sie zeige auch, was das „Sich-einbringen“ von Individuen Positives bewirken kann.

Der Duktus des Buches entspricht dem eloquenten Vortragsstil des Autors. Viel Information, weltweite Kontaktnetze, lockere Zusammenhänge, extensives Namedropping, kein wissenschaftlicher Selbstzweifel an der Utopie „Ermöglicher“. Frauen sind, wie es gemäß Widmung zu Beginn des Buches heißt, wegen der besseren Lesbarkeit nicht in weiblicher Form angeführt, aber „gedanklich selbstverständlich miteinzubeziehen“ – also denke frau/man sich ihren/seinen Teil!

Das Buch, ein Produkt aus der Gelehrtenrepublik, spricht sicherlich alle Leserinnen (Leser sind mitgemeint) an, die bewundernd auf die Start-ups aus dem Silicon Valley schauen und kostenintensive Vorbereitungen für Flüge auf den Mars gutheißen.

Leserinnen und Leser, die wegen der sozialen Realität auf unserem Planeten besorgt sind, könnten allerdings über eine Erkenntnis aus der Managementwissenschaft stolpern: Die Lösungen sind das Problem! Sie könnten, bewegt von den bestehenden und sich ausweitenden sozialen Differenzen, nach einem anderen menschlichen Begabungspotenzial fragen: Social responsibility – wie kann man Verantwortung und Problembewusstsein für soziale Fragen stärken?

Vielleicht würden, mit etwas mehr sozialem Mitgefühl und etwas mehr sozialer Verantwortung, viele Energien der aufwändigen wissenschaftlichen Forschungsvorhaben, über die dieses Buch berichtet, dann rasch der notwendigen Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen auf unserer Erde zugutekommen? //

Lenz, Werner (2020): Markus Hengstschläger: Die Lösungsbegabung. Gene sind nur unser Werkzeug, die Nuss knacken wir selbst. Salzburg – München: Ecowin 2020, 255 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2020, Heft 272/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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