Bei der Erwachsenenbildung handelt es sich noch immer um eine jener sozialen Praktiken, deren Struktur, Ansätze, Methoden und Standpunkte durch die bestehenden „neutralen“ Grundthesen geschaffen, erhalten und reproduziert werden; die Wurzeln dieser Thesen liegen in der Antwort zur Frage „Was ist Wissen?“ Bildungsaktivitäten sind von epistemologischen Annahmen über Lernen und Entwicklung geprägt, welche sich aus historisch gewachsenen Machtverhältnissen und im Kontext dualistischen Denkens sowie binärer Standpunkte entwickeln.
Newman und Holzman (1997) verwenden den Begriff „epistemologisches Metanarrativ“ und verstehen darunter die „story or myth that the human life or development require understanding of the world“1. Als Beispiel dient ihnen eine Kritik von Lyotards Werk „Das postmoderne Wissen. Ein Bericht“ (1984), die bemängelt, dass Lyotard den sozioökonomischen Kontext in der Kritik der Moderne ausspare: „he ‘limits himself’ to a critique of modern epistemology rather than addressing ‘modernity as historical process“2 […] „abstract and distanced from the social realities and problems of the present age“3. (Best & Kellner: 1997, S. 10). Dennoch stellen Newman und Holzman folgende Frage: Was, wenn die heutigen Probleme tatsächlich innerhalb der modernen Epistemologie zu orten sind? Die Autoren/innen glauben sogar, dass die Postmodernisten/innen die Epistemologie noch nicht ausreichend kritisiert haben und der revolutionäre Wendepunkt, der über den Modernismus hinausgeht, überwunden werden muss.
Eine der innerhalb des sozial-konstruktivistischen Paradigmas entstandenen philosophischen Bewegungen ist die „feministische Epistemologie“. Sie tauchte in den frühen 1970er-Jahren auf und stellte die Basis der traditionellen Epistemologie in Frage. Diese galt lange Zeit als verbrieft und stand unter dem Diktat der selbstgewählten Neutralität, die angeblich alle Besonderheiten überwinden half und die Dinge so präsentierte, wie sie sind. (Code: 2007). „The very beginning of the feminist critique of epistemology was primarily referred to the critique of the enlightenment conception of human mind, rationality, objectivity and scientific neutrality“4. (Lučić: 2008, S. 12). Diese Richtung der Erkenntnistheorie stützt sich auf Foucaults Annahme, dass das menschliche Subjekt sowie die sozialen Praktiken und Institutionen das Produkt eines historisch geprägten Diskurses sind (Luke: 1996). Laut Brickhouse (2001) beginnt die Arbeit der feministischen Epistemologinnen mit der Analyse dessen, was als Wahrheit angenommen wird und der Art und Weise, wie diese gerechtfertigt wird, sowie mit der Frage, wie Rechte auf die Formulierung von Wahrheitsbehauptungen geltend gemacht werden können (Lučić: 2008).
Konzept und Kritik dieser philosophischen Bewegung sind wichtig für die Erziehungswissenschaften, und zwar aufgrund der Diskussion über die Annahmen, die in den Grundlagen der Lerntheorien und des Bildungsprozesses selbst verankert sind. Beim feministischen Ansatz handelt es sich tatsächlich um die Dekonstruktion der Art und Weise, in der normative, a priori festgelegte Prinzipien den Androzentrismus fördern. (Code: 2007).
Eine der wegbereitenden feministischen Studien, die sich mit verschiedenen Arten von Erkenntnis beschäftigt, wurde von Belenky, Clinchy, Goldberger und Tara (1986) durchgeführt. 135 Frauen wurden hinsichtlich ihrer Erfahrungen bezüglich Kognition und Lernen befragt – mit kritischem Blick auf das Vorhandensein von objektivem Wissen und Dualismus. Folgende Fragen wurden in dieser Studie gestellt: Was ist ‚die‘ (eine) Wahrheit? Was ist ‚die‘ Autorität? Wem höre ich zu? Was sehe ich als Beweis an? Wie weiß ich, was ich weiß? Die Autorinnen gingen von der Annahme aus, dass „the conceptions of knowledge and truth which are accepted today and shaped throughout history, were created in a culture dominated by men“5. (Belenky, Clinchy, Goldberger & Tarui: 1986, S. 5). Als Argument führten sie dabei die Tatsache an, dass die wichtigsten Bildungsinstitutionen in der Vergangenheit von Männern für Männer gegründet wurden und dass es sich bei den Wissenschaftern, ja sogar bei den befragten Personen in den unterschiedlichen Studien hauptsächlich um Männer handelte. Als Folge haben allgemein akzeptierte Stereotype über weibliches Denken – das als emotional, intuitiv und persönlich angesehen wird – zur Abwertung beigetragen, vor allem in den westlichen, technologieorientierten Kulturen, welche Objektivismus und Rationalität schätzen. (Sampson: 1978). Mentale Prozesse, die in die Diskussion des Abstrakten und Nicht-Persönlichen eingebunden sind, werden als Meinung eingestuft und den Männern zugeschrieben, während solche, die persönliche und zwischenmenschliche Prozesse betreffen, als Emotionen bezeichnet und Frauen zugeschrieben werden. Aus dieser Dichotomie ergibt sich, dass der Rationalität und Objektivität eine höhere Wertigkeit beigemessen wird als dem Emotionalen und Intuitiven. Letztere bilden wiederum das Herzstück der meisten akademischen Disziplinen, Methodologien und Theorien, wie manche Autoren/innen (Keller: 1985; Harding & Hintikka: 1983) befinden.
Das Interessante dieses Ansatzes ist die Kategorisierung von Wissen, die sich aus diesen Forschungen zu weiblichen Wissenformen ergibt, indem Autonomiestufen im Kognitionsprozess miteinbezogen werden, die sich auf „äußere Autorität“ stützen:
- Am Anfang dieser Liste steht das Wissen, das symbolisch als „die Stille“ bezeichnet wird – jene Position, in der sich Frauen ohne Verstand und Stimme wahrnehmen und als Subjekte den Launen der äußeren Autorität ausgeliefert sind;
- „empfangenes Wissen“: jene Perspektive, in der sich Frauen fähig fühlen, Wissen zu empfangen und es auch wiederzugeben – jenes Wissen, das der allwissenden äußeren Autorität gehört. Sie können aber kein Wissen kreieren;
- „subjektives Wissen“: jene Perspektiven, von denen aus Wahrheit und Wissen als persönlich, privat und subjektiv erlernt verstanden werden;
- „prozedurales Wissen“: jene Position, von der aus eine Frau in ihr Lernen investiert und objektive Methoden zur Wissenserlangung und -vermittlung anwendet;
- „konstruiertes Wissen“: jene Position, von der aus Frauen alles Wissen als kontextabhängig und sich selbst als die Erschafferinnen von Wissen ansehen und dabei sowohl subjektiven als auch objektiven Erkenntnisstrategien Beachtung schenken.
Aus oben Genanntem ist die Zunahme der Autonomie und der persönlichen Stärke erkennbar: von „der Stille“, in der alle Stärke von einer äußeren Autorität abhängt, zur Erkenntnis, dass wir selbständig Wissen schaffen können, welches kontextabhängig ist (Belenky, Clinchy, Goldberger & Tarui: 1986, S. 15).
Der hier genannte Forschungsfokus ist ein Prozess der weiblichen Erkenntnis und deren Diskriminierung im Gegensatz zur „männlichen“ Objektivität und Rationalität – und so handelte es sich bei den Befragten in diesem Forschungsprozess auch zur Gänze um Frauen. Es wurde kein Vergleich mit der männlichen Erfahrung von Wissen und Kognition angestellt. Es kann sein, dass die Forschungsergebnisse nicht anders ausgefallen wären, hätte es sich um männliche Interviewpartner gehandelt, und dass die Kategorisierung von Wissen, die eine Bewegung weg von der Dominanz der „äußeren Autorität“ hin zur Erfahrung von persönlicher Stärke beinhaltet, dieselbe wäre. Die Sichtweise, dass die weibliche Erkenntnis qualitativ von der männlichen abweicht, wurde kritisiert, weil sie dem Diskurs, der Frauen formt und sie dazu bringt, sich gemäß bestimmter Grundthesen und Stereotypen zu verhalten, zu wenig Aufmerksamkeit schenkte. (English: 2006). Hayes und Flannery (2000) betonen, dass wir uns bemühen sollten, die scheinbar weibliche Art der Erkenntnis möglichst nicht zu sehr zu verallgemeinern. Die Tyrannei der Disziplinierung, Objektivierung und Externalisierung von Wissen, die in Folge zum Verlust der Stimme und persönlichen Stärke führt, betrifft wohl alle Geschlechter.
Moderne feministische Theorien befassen sich zudem mit der Kritik des positivistischen Blicks auf die Welt, des Rationalismus und Dualismus, wie sie im Erkenntnisprozess zu finden sind. Sie gehen aber über die Dichotomie des radikalen Feminismus zwischen männlicher und weiblicher Art der Erkenntnis hinaus. Selbst in den neuen feministischen Theorien wird die traditionelle Epistemologie noch immer kritisiert, vor allem jene Prämisse, die von der Aufklärung und dem Kartesianismus herrührt und die heutige Auffassung vom Prozess des Lernens und der Erkenntnis geformt hat – wie z. B. das unausweichliche „Ich denke, daher bin ich.“ Indem sie sich auf die Machtverhältnisse und deren Auswirkungen auf die Wissensproduktion konzentriert, hat die feministische Epistemologie ihren Horizont über Gender-Fragen hinaus erweitert. So hat sie z. B. die Unterscheidung nach Rasse, Klasse und Sexualität in ihre Analyse aufgenommen und ihr Projekt „befreiende Epistemologie“ genannt. (Grasswick: 2011). Die Autorin glaubt an epistemologische Effekte, wann immer eine soziale Schichtung vorliegt: Wie ist die kognitive Autorität verteilt und welche Annahmen gelten als Ausgangspunkt für die Forschungsarbeiten. (Grasswick: 2011).
Code (2007) behauptet, dass die weiße, westliche Philosophie in ihrer schriftlichen Entstehungsgeschichte die hierarchische Trennung zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen – wo nur jene, die dem rationalen „Zirkel“ angehören, Anerkennung und Respekt erwarten können – als positiv bewertet hat. Aus diesem Grund wurden nicht nur Frauen wegen ihrer angeblichen geistigen Inkompetenz ausgeschlossen, sondern auch andere, die zu folgerichtigem Denken, aus dem allein gültiges Wissen resultiert soll, unfähig angesehen wurden. (Code: 2007). Daraus ergibt sich, dass das Lernen historisch und gesellschaftlich primär als kognitiver Prozess konstruiert wurde und somit als etwas, das ohne Einbeziehung von Emotionen gelingen kann. Erkenntnis ist vom Gedankengut des Positivismus geprägt und auf Gedächtnis und Denken reduziert. Jene, die lernen, repräsentieren den körperlosen Verstand, der Wissen außerhalb des Kontextes der eigenen Subjektivität erlangt. Genau dieser Umstand hatte erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Lerntheorien und die „klinische Beseitigung“ von Emotionalität und Körperlichkeit aus der Bildung.
Wenn wir dies durch die Linse der feministischen Epistemologie betrachten, müssen wir uns über die Bedeutung der Vorherrschaft des Rationalen über das Emotionale und Physische Gedanken machen. Obwohl die Theorie vom erfahrungsbasierten Lernen – die wohl am häufigsten gebrauchte im Diskurs der Erwachsenenbildung – als befreiend angesehen wird, reproduziert sie ungleiche Geschlechterbeziehungen, indem sie das Kognitive, Bewusste und Aktive betont, welches dem männlichen Prinzip zugeordnet wird, und dieses über das Emotionale und Physische – das weibliche Prinzip – stellt. In der Mainstream-Bildung existiert Erfahrung nicht, wenn sie nicht kategorisiert, erklärt, evaluiert, formuliert und in den Rahmen der durch starre rationale Analyse gewonnenen, universellen Wahrheit gespannt wird. Das Physische und Emotionale wird am häufigsten von der Bildung ausgeschlossen oder zumindest als unzureichend für „ernsthaftes“ Lernen abgestempelt.
In ihrer Analyse der Anerkennung von bisherigem Lernen hat Michelson (1996) den postmodernen und feministischen Zugang angewendet. Unter anderem richtete sich ihre Kritik an Kolbs Theorie des erfahrungsbasierten Lernens, laut derer es sich beim Lernen um einen kontinuierlichen Prozess handle, in dem Wissen durch die Transformation von Erfahrung generiert werde. Sie zeigt auf, dass Kolb implizit Wissen und Erfahrung voneinander trennt und dadurch eine Trennung zwischen abstrakter Erkenntnis und Aktion, d. h. zwischen Lerninhalt und dessen Kontext, vornimmt. Michelson (1996) betont, dass die Dichotomie von Autorität und Erfahrung einen jener berüchtigten westlichen Dualismen darstellt, der aus der Ungleichheit der Geschlechter entsteht. Feministische Autoren/innen sind der Ansicht, dass Frauen Wissen aus tagtäglicher Erfahrung und relationalen Kategorien generieren und dadurch der Erfahrung Autorität zusprechen, indem sie Subjektivität und Vorlieben als Basis für legitimes Wissen festlegen. Diese Betonung der Erfahrung ist jedoch zur gleichen Zeit Stärke und Schwäche der feministischen Theorien, da die Ablehnung des sogenannten männlichen „transzendenten Fundamentalismus“ den – wie Harding (2001) ihn nennt – „erfahrungsbasierten Fundamentalismus“ gefördert hat. Und zwar beharren diese Theorien darauf, dass die epistemologische Basis aus spontaner Erfahrung besteht. Die Einsicht, dass es keinen direkten Zugang zur Realität gibt, bringt uns zurück zur positivistischen Auffassung von Wissen und humanistischem Selbst, welche diskursive Subjektivität ablehnt. Die feministischen Autoren/innen sind der Meinung, dass es weder unbeeinflusste Erfahrung noch Einblick in die echte Wirklichkeit gibt. „How we are encouraged to tell our stories determines, to a large degree, both the selves we construct within narratives and the stories we are able to tell“6. (Michelson: 1996, S. 645).
Der rationalistische Diskurs ergibt sich unweigerlich aus den Auswirkungen der epistemologischen Grundthesen und repräsentiert auf eine Art die Konstitutionalität der Machtverhältnisse in der Erwachsenenbildung und auf andere Art die Form ihres Ausdruckes – vor allem wenn wir dieses Konzept mit der Foucaultschen These verbinden, dass „[…] nothing is more material, physical, corporal than the exercise of power. What mode of investment of the body is necessary and adequate for the functioning of a capitalist society like ours?”7 (Foucault: 1980, S. 58). Foucault stellt eine sehr provokative und interessante Frage: „[…] what kind of body the current society needs?8“ (Foucault: 1980, S. 58). Die Antwort auf diese Frage könnte der denkende, produktive Körper sein, der nicht durch Emotionen „gehemmt“ ist und einen direkten Einfluss auf das Funktionieren des Bildungsprozesses hat. Impliziert ist die Frage, welche Art von Erwachsenenbildung die Gesellschaft braucht. Im europäischen Diskurs gibt es einen Bedarf an produktiven, brauchbaren und rationalen Subjektivitäten. Wie können wir den Ratschlägen der feministischen Autoren/innen Gehöhr schenken und Lerntheorien neu lesen und umschreiben, um die Praxis der Erwachsenenbildung integrativer zu gestalten – nicht nur, was die Gender-Thematik anbelangt, sondern auch was die Öffnung hin zu einem Anderssein betrifft, was Mainstream momentan ausgeschlossen wird? Ich bin der Meinung, dass uns die feministische Epistemologie eine Art „Kaleidoskop“ der Bildung vorsetzt, das multiple Realitäten und eine Vielzahl an Geschichten und Verbindungen widerspiegelt. Ich bin mir einer Sache sicher, nämlich dass es gefährlich ist, nur eine Antwort zu geben und nach ‚der Wahrheit‘ zu suchen, die gelernt werden muss. //
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