1. Das Projekt OED
Das Projekt Outreach-Empowerment-Diversity wurde von der EAEA, dem Europäischen Verband der Erwachsenenbildung, koordiniert und bestand aus einem Konsortium von 17 Institutionen, darunter NIACE (England und Wales), das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn, FOLAC (Schweden), La Ligue de l´enseignement (Frankreich), Roma Association Women Drom Kotar Mestipen (Spanien), Dafni Kentro Epaggelmatikis Katartisis (DAFNI KEK, Griechenland), die Internationale Organisation für Migration (IOM, Österreich) und der lernraum.wien (VHS Wien). Es waren 14 Länder beteiligt, angefangen von Griechenland, der Türkei und Spanien im Süden bis zu Finnland, Schweden und Estland im Norden.
Ziel des Projektes war es, Konzepte und Methoden für das Erreichen von Gruppen zu identifizieren, die gesellschaftlich wenig Chancen bekommen, sich aktiv an Bildung – und damit auch an gesellschaftlichen Prozessen – zu beteiligen. Das große und übergeordnete Ziel war es, Menschen die Chance zu geben, „aktive Europäer/innen“ zu werden, ein Ziel, das meines Erachtens jedoch nicht nur über Bildung erreicht werden kann, sondern über eine offenere und mehr teilhabeorientierte Gesellschaft. Das Projekt wendet sich mit seinen Ergebnissen an Unterrichtende, Trainer/innen, Organisator/innen in Erwachsenenbildungseinrichtungen und an sogenannte Stake Holder in der Bildungs- und Sozialpolitik.
Im Rahmen des Projekts wurden drei aufeinander aufbauende Teilschritte erarbeitet: eine internationale „Sammlung, Darstellung und Analyse von Beispielen „guter Praxis“ auf dem Weg zu einer teilhabeorientierten Gesellschaft“, ein „Leitfaden für Trainerinnen und Trainer und Programmplanende in der Erwachsenenbildung“ sowie „Politische Empfehlungen“
2. Die Ergebnisse
Alle Ergebnisse des Projekts sind in mehreren Sprachen als Downloads verfügbar. Auf die sehr umfangreichen Darstellungen kann im Folgenden nur kursorisch eingegangen werden; für weitere wichtige und interessante Informationen empfiehlt es sich, die Dokumente selbst zu konsultieren.
Sammlung, Darstellung und Analyse von Beispielen „guter Praxis“ auf dem Weg zu einer teilhabeorientierten Gesellschaft
(Englisch, Französisch, Deutsch, http://www.oed-network.eu/index.php?k=118637)
Das DIE (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung) stellte einen Rahmen für die vergleichbare Darstellung einzelner Initiativen und Projekte zur Verfügung, dem die Partnerinstitutionen in den Ländern jeweils zwei Beispiele beisteuerten. Ziel dieser Darstellung war es, neben der bloßen Sammlung, spezifische Strategien des Outreach darzustellen und diese in einem ersten Schritt den Partnerinstitutionen, und mit der Veröffentlichung der Sammlung, der Erwachsenenbildung europaweit zur Verfügung zu stellen. In einem Forschungs-, Erhebungs- und Bewertungszyklus wurden die einzelnen Projekte nicht nur dargestellt, sondern einer grundlegenden Analyse unterzogen:
Ein Ergebnis – neben der an sich schon beeindruckenden Sammlung von Beispielen – war die Identifizierung von fünf Prinzipien für die Outreach-Arbeit:
1. Die „Stimme der Lernenden“ hören und respektieren.
2. Kohärente Didaktik konzeptualisieren.
3. Professionalitätswechsel zulassen: Lehrende mit der Expertise von Lernenden.
4. Kohärente Lernräume kreieren.
5. Vollständige Angebote ermöglichen.
In der Sammlung werden zu jedem der Prinzipien konkrete Beispiele genannt. So zum Beispiel zu Prinzip 2 (mit dem Zusatz „räumliche Alternativen setzen neue Lernpotenziale und -optionen frei“) das Projekt „Deutsch im Park“ der VHS Wien.
Zu Prinzip 3 findet sich ein Projekt aus Griechenland (mit dem Zusatz „Peers verantworten Lerninfrastrukturen selbst“).
Leitfaden für Trainerinnen und Trainer und Programmplanende in der Erwachsenenbildung
(Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Bulgarisch / http://www.oed-network.eu/index.php?k=118638)
Basierend auf der Analyse und Kategorisierung der Praxisbeispiele wurde in Zusammenarbeit eines Teams aus Mitarbeiter/innen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, von FOLAC und des lernraum.wien ein Leitfaden entwickelt. Dieser wurde anlässlich eines Workshops mit Trainer/innen und Programmplaner/innen diskutiert und weiterentwickelt. Eine Konsultation von Bildungs- und Erwachsenenbildungsexpert/innen in allen Partnerländern bildete eine weitere Feedbackschleife.
Die programmatische Kernaussage des Leitfadens lautet:
Erwachsenenbildung kann ein Schlüssel für gesellschaftliche Veränderung sein: sie trägt dazu bei, ungerechte Machtstrukturen aufzubrechen, hilft aktive Teilhabe zu ermöglichen und Marginalisierung zu überwinden. Das OED-Netzwerk setzt sich für mehr Vielfalt in der Erwachsenenbildung ein und unterstützt aktive Bürgerschaft, indem die Mitbestimmung der Lernenden in Erwachsenenbildungsinstitutionen und während des Lernprozesses gefördert wird.
Die fünf Kapitel des Leitfadens entsprechen fünf verschiedenen Phasen des Miteinanders von Bildungsanbietern und (potenziellen) Lernenden. Als Erstes geht es um die Kontaktaufnahme, um Outreach-Aktivitäten des Bildungsanbieters, und damit zusammenhängend, um potenzielle Zugangsschranken und Strategien – hier vor allem auch darum, wie diese überwunden werden können. Anschließend veranschaulicht der Leitfaden, wie Lernende in der konkreten Unterrichtssituation miteinbezogen werden können, um Beteiligung zu fördern. Davon ausgehend, dass die Mitwirkung von Lernenden die Erwachsenenbildung insgesamt zum Positiven verändern kann, beschäftigt sich das folgende Kapitel mit der Einbeziehung Lernender auf struktureller Ebene, wie zum Beispiel durch eine Vertretung in der Organisation von Erwachsenenbildungsinstitutionen. Das letzte Kapitel stellt schließlich einige Prinzipien vor, mit denen am Ende eines Programms Übergänge geschaffen werden können.
1. Kontaktaufnahme: Lernende informieren und anwerben.
2. Einführung und Beratung: Bedürfnisse und Stärken der Lernenden ermitteln und abwägen.
3. Die Lernsituation: Lernende in den Unterricht einbeziehen.
4. Die Lernsituation: Lernende auf struktureller Ebene einbeziehen.
5. Vor und nach Kursabschluss Übergänge schaffen.
Jedes Kapitel enthält Beschreibungen von Einzelschritten, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Beispielhaft sollen die Komponenten der „Kontaktaufnahme“ hier besprochen werden.
Als Erstes bedeutet Outreach das Entwickeln einer Strategie. Wichtig sind persönliche Kontakte, das Aufbauen von Kooperationen und Synergien. Eine langfristige Planung hat sich in den gesammelten Projekten ebenfalls als unabdingbar notwendig erwiesen.
Im Rahmen der Einführung und Beratung ist es wesentlich, sich Zeit zu nehmen und vor allem, die Lernenden und ihre Kontexte kennen und verstehen zu lernen; das Senken von real existierenden oder wahrgenommenen Schwellen und das Überwinden dieser Hindernisse ist von großer Bedeutung.
Das Einbeziehen der Lernenden in den Unterricht, indem eine einladende Umgebung geschaffen wird, neue Lernräume entdeckt werden, den Lernenden zugehört wird, die Kontrolle abgegeben wird, und Lernen und Lehren als wechselseitige Beziehung wahrgenommen wird, hat sich bewährt und ist, wie die vorhergehenden Schritte, ebenso wesentlich für das Gelingen von Outreach-Bildung, wie ganz allgemein das Anerkennen des Wertes der Vielfalt.
Die Lernenden auf einer strukturellen Ebene einzubeziehen erscheint innerhalb der Erwachsenenbildung oftmals als der Schritt, der nicht mehr getan werden kann. Die Praxis zeigt jedoch, dass ein gemeinsames Planen der Angebote, die Institutionalisierung der Mitbestimmung, das nachhaltige Einsetzen der von den Lernenden erworbenen Fähigkeiten im weiterführenden Bildungsprozess positive Auswirkungen zeigen.
Wichtig erscheint aber vor allem das Schaffen von Übergängen nach Beendigen eines Bildungsangebots. Dies kann durch durchgehende Evaluation und insbesondere durch kollektive Reflexion geschehen, durch einen genaueren Blick auf die Lernergebnisse, das Miteinbeziehen von „Absolvent/innen“ als „role models“. Wesentlich erscheint in diesem Kontext aber auch, dass die Bildungseinrichtungen nicht zwischen Outreach und „normalem Programm“ scharf trennen, sondern die Türen in beide Richtungen öffnen und damit Zugänge schaffen und Zusammenhalt und Vertrauen fördern.
Die Beschreibungen im Leitfaden werden mit sehr konkreten Beispielen illustriert.
Politische Empfehlungen
(Englisch, Französisch, Deutsch, Griechisch, Bulgarisch, Spanisch und Türkisch / http://www.oed-network.eu/index.php?k=118639)
Die politischen Empfehlungen sind in Empfehlungen auf der europäischen und der nationalen Ebene geteilt, enthalten konkrete Empfehlungen für Institutionen der Erwachsenenbildung und einen sehr konkreten Fahrplan für die Implementierung von Outreach-Aktivitäten (siehe ÖVH 254). Grundsätzlich stellen die politischen Empfehlungen eine kurze und auf sehr konkrete Ziele abgestimmte Zusammenfassung der beiden anderen Dokumente dar.
3. Perspektiven
Die OED-Materialien erweisen sich beim Wiederlesen, auch wenn ich sie aus dem Prozess der Erarbeitung und Diskussion gut kannte, als beeindruckendes Produkt, das für einen wesentlichen Teil der Erwachsenenbildung, nämlich den, der auf Deutsch „aufsuchend“ genannt wird, wegweisend sein kann. Die Vielfalt der dokumentierten Projekte und Initiativen zeigt, was alles möglich ist, und sie zeigt auch, dass das „Aufsuchen“, der „Outreach“ – zumindest in diesem Bereich – ein Umdenken verlangt, das die beiden Begriffe letztendlich obsolet machen sollte. Erwachsenenbildung, die sich dem Empowerment verschreibt, und dies weder im Sinne eines „wir empowern euch“ versteht, noch im Sinne eines „wir holen euch in einen reglementierten Bildungsprozess, in dem wir euch eine Rolle in einem vorgegebenen Rahmen zuweisen“, also im Sinne Freires oder Illichs ohne Schwellen, Hindernisse und dem sehr sparsamen Einsatz von Zertifikaten und Bescheinigungen arbeitet, muss zwangsläufig die Paradigmen wechseln.
Ein Folgeprojekt könnte die systematische Implementierung der OED-Konzepte in die Institutionen der Erwachsenenbildung sein, was einen weiteren spannenden Prozess darstellen würde. //
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