Finanzierung der Erwachsenenbildung – verdrängt oder stützt der wirtschaftlich-berufliche Fokus die allgemeine Erwachsenenbildung?

Im Bereich der Erwachsenenbildung bestehen hier deutliche Ungleichgewichte zwischen der politischen Rhetorik über Prioritäten und behauptete Notwendigkeiten einerseits und der Bedeckung mit finanziellen öffentlichen Mitteln andererseits. Abgesehen vom Engagement der Arbeitsmarktpolitik und des AMS drückt sich in der Budgetierung der öffentlichen Haushalte für Erwachsenenbildung offensichtlich keine politische Priorität aus. Seit 2011 wird die LLL-Strategie umgesetzt, die das gesamte Bildungswesen umfasst und insgesamt nur eine geringe finanzielle Bedeckung hat. Innerhalb der Strategie liegt der Schwerpunkt klar bei der Förderung von Jugendlichen – der Bereich der Erwachsenenbildung ist sowohl konzeptionell als auch finanziell schwach entwickelt. Da die Erwachsenenbildung keinen Schwerpunkt im Rahmen der LLL-Strategie darstellt, wird diese auch in der jüngsten EU-weiten Bestandsaufnahme und Analyse zur EB-Politik gar nicht erwähnt, obwohl Österreich als Fallstudie ausgewählt wurde, und die österreichische Strategie doch viele bemerkenswerte Vorzüge (z. B. Systematik, Kooperationsstrukturen, Monitoring et cetera) aufweist.

Ein lange bekanntes Problem ist die Intransparenz der Finanzierung der EB und der zugrundeliegende Mangel an Informationen. Das in der EU-Analyse als Vorzeige-Projekt hervorgehobene Programm ‚Initiative-Erwachsenenbildung‘ ist weit unter den Erfordernissen budgetiert, und kam auch immer wieder in politische Turbulenzen.

Die politische Rhetorik zur Prioritätensetzung im Bildungswesen ist mit den engen finanzpolitischen Spielräumen im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 konfrontiert. Gegebene und verbriefte Ansprüche setzen sich im engen Spielraum durch, und trotz des allgemeinen Konsenses, dass ‚an der Bildung nicht gespart werden soll‘, haben erste intensivere Auswertungen der geplanten Finanzpolitik (Finanzrahmen 2013 bis 2018; Lassnigg: 2015; Lassnigg & Vogtenhuber: 2015)1 das Gegenteil ergeben – und bei der (Erwachsenen)-Bildung ist es offensichtlich leicht möglich.

Intransparenz, Vernebelung und Marktrhetorik

Fragt man, warum dies so ohne weiteres möglich ist, stößt man auf eine komplexe Situation aus sehr gemischten Ingredienzien.

1. Die politischen Auseinandersetzungen um die Bildungsfinanzen werden sehr pauschal geführt, und es werden bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit mehr Mittel gefordert, was nach dem Motto des gruseligen Kinderbuches ‚Der Wolf kommt‘ so lange wiederholt werden kann, bis es niemand mehr glaubt, wenn der Wolf dann wirklich kommt; es werden keine ausreichenden Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Bereichen und Aspekten getroffen, was beispielsweise im pauschalen Finanzindikator der LLL-Strategie zum Ausdruck kommt.2

2. Trotz der ständigen Forderung nach mehr Mitteln ist nicht klar, ob für das Bildungswesen viel oder wenig ausgegeben wird. Internationale Vergleichsindikatoren weisen teilweise auf hohe Ausgaben im formalen Bildungswesen hin (im Schulwesen ist das seit langem bekannt, auch im Hochschulwesen sind die vergleichenden Finanzindikatoren eher unauffällig), auch wenn hierzulande der Eindruck vorherrscht, dass eine mehr oder weniger gravierende Unterfinanzierung vorliegt. Im Bereich der Erwachsenenbildung ergab die IHS-Vergleichsstudie für die Arbeiterkammer Wien3 völlig überraschend, dass Österreich unter den – teilweise als ‚Best-Practice‘ – ausgewählten Vergleichsländern (Finnland, Schweden, GB/Schottland, Australien) im Durchschnitt pro Kopf am meisten ausgibt, mit dem bei Weitem höchsten Anteil an privaten/individuellen Ausgaben der Bevölkerung. Diese Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen sind Ausdruck der Intransparenz der österreichischen Bildungsausgaben, die sich nicht nur auf die Gesamtsummen, sondern vor allem auch auf die Verwendung der Mittel beziehen: Wie soll es eine vernünftige Politik bzw. eine politische Auseinandersetzung geben, wenn nicht einmal die fundamentalsten Grundinformationen vorhanden sind.

Abb.1 Ausgaben für Erwachsenenbildung und Weiterbildung pro Kopf (25–64-jährige Bevölkerung)

a. Absolut in kaufkraftstandardisierten US-Dollar (KKD)

ausgaben_eb_usd_w

b. Verteilung der Ausgaben auf die ausgebenden Stellen

ausgaben_verteilung_w

3. Es besteht unter den Spielern keine Einigkeit darüber, dass eine verbesserte Informationsbasis die Lage verbessern könnte, im Gegenteil, nicht selten wird die Meinung geäußert, es wäre besser, es nicht zu genau zu wissen (ansonsten würden ohnehin nur die Mittel – noch mehr – gekürzt). Bernd Schilcher (1994) hat die Situation – bezogen auf das Schulwesen – vor zwei Jahrzehnten in einem internationalen Seminar ‚nestbeschmutzerisch‘ charakterisiert: „Wenn […] die Zahl derer, die es sich klammheimlich gerichtet haben, einmal grösser ist als die Zahl der Verlierer, fehlt der entscheidende Druck zur Veränderung“ (ebd., S. 143), und „[…] dieses ‚gemischte System‘ lebt nach der cartesischen Maxime: ‚incognito ergo sum‘. Würde es wirklich in allen Details aufgedeckt, wäre das wahrscheinlich sein Ende.“ (Ebd., S. 144)4. Die Intransparenz schützt kurzfristig jene, die von den vorhandenen Mitteln ‚inkognito‘ profitieren – ob dies gerecht und/oder effizient ist, muss aufgrund des Informationsmangels klarerweise unbestimmt bleiben –, aber mittel- und langfristig ‚verrückt‘ dieser Zustand die politischen Auseinandersetzungen, die zum kleinlichen Kampf um Vorteile werden, der mit allen Mitteln geführt wird. Die österreichische Governance-Struktur mit den gemischten und teilweise ungeklärten Zuständigkeiten und dem Kampf zwischen Bund und Ländern fördert diese Situation, in der es eben zehn Jahre für die Formulierung der LLL-Strategie braucht – die drei Jahre bis zum Beschluss der ‚Initiative Erwachsenenbildung‘ waren ja eine Rekordzeit. In diesen Prozessen wurde immer wieder das Interesse an einer verbesserten Informationsbasis geäußert, dies ist aber bis heute an den verschiedenen Formen des Widerstandes der Beteiligten gescheitert.5 Auf dem Hintergrund der gegebenen politisierten verteilungs-föderalistischen Bund-Länder-Konstellation wurde in der Initiative Erwachsenenbildung (https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/) zwischen den österreichischen Gebietskörperschaften eine ähnliche Methode der ‚offenen Koordination‘ (OMK) entwickelt, wie sie in Europa zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten in manchen Politik-Bereichen entwickelt wurde – diese ‚Lösung‘ der föderalen Probleme zeigt zwar die Ingenuität des EU-Ansatzes, dass seine Anwendung im Kleinstaat nötig ist, muss jedoch als einigermaßen absurd gewertet werden. Ein Nebenprodukt sind bestimmte Anforderungen der Transparenz (Akkreditierung, Monitoring, Evaluierung), die sich unter den Durchführenden nicht der allerhöchsten Beliebtheit erfreuen (nur der Finanzierungsrahmen wird weniger positiv eingeschätzt als das Monitoring).

4. Eine wichtige Ursache für die Intransparenz ist die dominierende Marktrhetorik im Bereich der Erwachsenenbildung, die die teilweise marktmäßige Bereitstellung der Leistungen überhöht und (indirekt) zum Prinzip erhebt. Es gibt einerseits keine klaren gesetzlichen Zuständigkeiten, so dass verschiedene Bundesministerien wie auch die Gebietskörperschaften (Länder und Gemeinden) und auch andere Institutionen (Arbeitsmarktservice, Sozialpartner, KEBÖ) Aufgaben übernehmen. Die marktförmigen Strukturen sind stark institutionell und kollektiv überformt, aber eine Berichtspflicht analog zum Schul- oder Hochschulwesen ist nicht oder schwer durchsetzbar. Aufgrund der marktwirtschaftlichen Form der Bereitstellung bestehen die bekannten Kollektivgutprobleme bei der Herstellung einer Wissensbasis, da die Institutionen im Wettbewerb stehen, in dem Information ein knappes Gut ist, und sich niemand ‚in die Karten schauen‘ lassen will. Teilweise besteht diese Problematik auch zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften, die auf ihre Autonomie bedacht sind, und ihre Informationen gerne für sich behalten. Um die finanziellen Implikationen der Entwicklung und Förderung der Erwachsenenbildung zu konkretisieren, sind aber nähere Informationen über den Status quo erforderlich. Trotz gewisser Fortschritte im Aufbau einer regulären statistischen Informationsbasis7 ist man von einer laufenden regulären statistischen Gesamterfassung der Aktivitäten wie auch der Finanzierung sehr weit entfernt.

Marktlogik, Finanzierung und Politik: ‚Die im Dunkeln sieht man nicht‘

Die Marktrhetorik wirkt sich direkt und indirekt auf die Politik und Finanzierung der Erwachsenenbildung aus, indem sie das Investitionskalkül gewissermaßen zu einer zentralen politischen Benchmark macht und damit auch die wirtschaftlichen Zielsetzungen ins Zentrum der Politik stellt. Dies gilt in verschiedener Hinsicht:

  • Bildung muss möglichst wirtschaftliche Erträge für die Gebildeten bringen, direkt in Form von höherem Einkommen oder durch den Zugang zu Einkommensmöglichkeiten, oder auch indirekt über verbesserte ‚Beschäftigungsfähigkeit‘, für die alle möglichen dem Wirtschaftsleben näher oder ferner liegenden Kompetenzen auch instrumentalisiert werden.
  • Bildung muss vermarktet werden und im Falle der marktförmigen Bereitstellung Einkommen für die Institutionen und Beschäftigten generieren, was wiederum die Richtung der Angebote und die Suche nach dieser Richtung beeinflusst (und andere nicht nachfrageträchtige Richtungen ausschließt).
  • Das Investitionskalkül wirkt auf die Finanzierungslogik zurück, indem die (zu erwartenden) Renditen auch die Begründung zur individuellen Investition abgeben und damit spiegelbildlich auch das öffentliche Engagement reduzieren, was in weitere Folge auch zu Auseinandersetzungen über die Verteilung der finanziellen Risiken führt: Das Versprechen von (unsicheren) finanziellen Vorteilen (die ‚Information‘) soll zur (möglichst selbst finanzierten) Teilnahme an Erwachsenenbildung führen, enthält aber neben der ‚Information‘ eine mehr oder weniger starke ‚Überredungs‘-Komponente im ‚Marketing‘ – empirisch ist eine beträchtliche Diskrepanz zwischen den Versprechungen von ökonomischen Vorteilen und tatsächlichen Erträgen festzustellen.8
  • Das direkte wirtschaftlich-finanzielle Investitionskalkül strahlt auch auf weitere Aspekte, die rhetorisch oder ideologisch ‚kapitalisiert‘ werden, insbesondere das ‚Sozialkapital‘, und dahinter die ‚sozialen Kompetenzen‘, oder auch die verschiedenen anderen Formen von ‚wider benefits‘. Die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Betätigungen und Beziehungen werden damit – durchaus auch von ‚fortschrittlicher‘ oder ‚kritischer‘ Seite – der ‚ökonomischen Basis‘ als Vermittlungsinstanz gesellschaftlicher Beziehungen einverleibt – was dabei mit den nicht verwertungsaffinen Aspekten passiert, wird dann nicht mehr unbedingt hinterfragt.
  • Auch die Konsumseite von Bildung wird (indirekt) durch das dominierende Investitionskalkül beeinflusst, indem es einerseits durch den fehlenden (erwarteten) Ertrag abgewertet wird (‚nur Konsum‘), was anderseits (potenziell) durch die Verkaufserträge kompensiert werden kann (‚ordentlich Kasse machen‘, wenn die Leute es schon wollen).
  • Schließlich kann man hier auch den Bogen zur eingangs diskutierten ‚politischen Prioritätsrhetorik‘ schließen (auch ‚Education Gospel‘ genannt), die auf dem Investitionskalkül aufgebaut ist und nicht nur individuelle Erträge, sondern auch volkswirtschaftliche Erträge, industrielle Innovation und Produktivität, und insbesondere Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit etwa im Ausmaß von Finanzinvestitionen verspricht – oft wird Bildung ja bekanntlich zum wichtigsten Faktor oder Rohstoff geadelt; paradoxerweise kommen die zu dieser Rhetorik passenden Investitionen nicht so recht in Gang, wie eingangs am Beispiel Österreichs argumentiert wurde (was aber keine Ausnahme ist). Wie auf individueller Ebene das Versprechen der Erträge kann die ‚Education Gospel‘ auch auf aggregierter Ebene als mehr oder weniger sanfte bis dringliche Überredungs-Rhetorik genutzt werden, die so nebenbei auch den Einsatz von (öffentlichen) Mitteln zur Förderung und Unterstützung ersetzen soll.

Angesichts dieser Entwicklung fragt sich, wie sich die Marktrhetorik auf die Bereiche auswirkt, die außerhalb des Marktes stehen und auch nicht vermarktbar sind, da den (potenziellen) TeilnehmerInnen mehr oder weniger die Mittel fehlen, oder diese auch nicht bereit sind, sich überreden zu lassen, diese für Bildungszwecke auszugeben. Hier sind jene Angebote betroffen, die sich eben nicht vermarkten lassen, und deren Wirkungen sich auch nicht – oder nur über sehr viele Vermittlungsschritte – in wirtschaftliche Erträge übersetzen lassen, aber dennoch unverzichtbare Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten.

In der politischen Rhetorik der EU geht es hier um die Aspekte der demokratischen Teilhabe und des sozialen Zusammenhalts, die zwar gleichgewichtig mit den wirtschaftlichen Funktionen als Zielsetzungen von Bildung genannt werden, aber in der Realität deutlich hinter Letzteren zurückstehen. Diese politischen und sozialen Ziele können sehr leicht der allgemeinen (nicht beruflichen) Erwachsenenbildung zugeordnet werden und man kann auch aufgrund einer europäischen Erhebung gut zeigen, dass diese im Bereich dieser Ziele arbeitet. (Abb. 2). Die hauptsächlichen Themen und Aufgabenstellungen der nicht beruflichen EB betreffen vorwiegend ‚problematische‘ oder ‚subversive‘ Aspekte des Gesellschaftslebens, die vielfach auch mit den Schattenseiten zu tun haben, die gerne beschönigt oder aus dem politischen ‚Mainstream‘ verdrängt werden, aber nichtsdestoweniger fundamentale gesellschaftliche Überlebensfragen betreffen. Es geht also auch um konfliktgeladene Auseinandersetzungen. Hier geht es um die gesellschaftlichen Bereiche, die sich ‚im Dunklen‘ befinden und durch das Licht der Wettbewerbsfähigkeit nicht erreicht werden, auch wenn es noch so hell strahlt – um Bereiche, in denen sich zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen engagieren, wo das informelle Lernen eine große Rolle spielt, wo aber auch die Erwachsenenbildung eine wichtige Rolle spielt und spielen kann.

Abb. 2: Themen und Aufgabenbereiche der nicht-beruflichen EB in den 2000er-Jahren

Overarching topics

  • social issues (including ageing, crime, environment, health, heritage, parenting and poverty)
  • cultural matters (arts, crafts, cuisine, dance, languages, literature, media, music, theatre)
  • political matters (community development, current affairs, democratic participation, history, international relations, law)
  • Further fundamental topics
    Literacy learning
    Language learning: general foreign language learning; Language learning for immigrants
    Information and communication technology (ICTs)

Key competences 6 and 8

  • 6 KC: ‘interpersonal, intercultural and social competences, civic competence’: ‘all forms of behaviour that equip individuals to participate in an effective and constructive way in social and working life, and particularly in increasingly diverse societies, and to resolve conflict where necessary.’ Civic competence ‘equips individuals to fully participate in civic life, based on knowledge of social and political concepts and structures and a commitment to active and democratic participation’.
  • 8 KC: ‘cultural expression’ ‘appreciation of the importance of the creative expression of ideas, experiences and emotions in a range of media, including music, performing arts, literature, and the visual arts’.

Initiatives (examples)

  • 2001, adult learning for active citizenship
  • 2004 ‘Citizenship in Action’: funding of civil society, faith based, youth and cultural organisations, trade unions and family associations that promote active citizenship (learning for interculturalism, civic participation), significance for community-based non-governmental and civil society groups and organisations throughout Europe.

Non-governmental organisations (types and services)

  • education providers;
  • campaigning NGOs promote ideological aims (environmental protection; multiculturalism; social justice; women’s empowerment)
  • services to NGO- members or targeted education service delivery (individuals with a disability; literacy provision; cultural development; community development)

Country practices mentioned

  • Nordic countries, Germany: explicitly recognise the role of non-formal NVAE in developing active and participatory citizenship and social capital and strengthening social inclusion and social cohesion; study circles: challenges of the local communities in which the study circles are located
  • Finland, liberal education: the main mission of non-formal NVAE is to promote democratic values, active citizenship and social cohesion; achievement of personal growth, maturity and independence, understanding of social and human relations
  • France: movement inspired by Christian, working-class and/or social principles: making education available to all, promoting citizenship and emancipating people through access to knowledge and culture
  • Greece: parenting skills and volunteer responses to emergencies
  • United Kingdom (Scotland), Community Learning and Development (CLD): community-based adult learning, community capacity building and youth worth outside of formal institutions. Community education encompasses formal and informal learning opportunities, core skills including adult literacy, numeracy, information and communication technology.

Quelle
EURYDICE (2007): S. 35–36.9

Es stellt sich die ernste Frage, wie sich die immer weitere Durchsetzung der Marktrhetorik auf diese anderen Bereiche auswirkt, und wie die Politik und Finanzierung sowie der Sektor der Erwachsenenbildung auf diese Entwicklungen reagieren. Die Antwort geht in die Richtung, dass es beträchtlicher Gegenbewegungen bedarf, um ‚die im Dunkeln‘ sichtbar zu machen.

Empirisch lässt sich mit verfügbaren quantitativen Vergleichsdaten weder eine definitive Verdrängung der nicht beruflichen durch die berufliche Erwachsenenbildung noch eine Stützung durch ausgeprägte Institutionalisierung finden. Aber eine stärkere berufliche Erwachsenenbildung unterstützt auch nicht nennenswert die nicht-berufliche; die verschiedenen Dimensionen von Erwachsenenbildung sind im EU-Querschnittsvergleich eher unabhängig voneinander.10 Die Entwicklung in Österreich deutet auf dem Hintergrund der schwach ausgeprägten öffentlichen Förderung der Erwachsenenbildung außerhalb der Arbeitsmarktpolitik auf eine tendenzielle Verdrängung der allgemeinen Erwachsenenbildung hin. Genau genommen, hat sie in der LLL-Strategie keinen definitiven Platz, was bisher kaum jemanden aufgefallen ist. Eine gewisse Ausnahme ist die Basisbildung, aber darauf kann sich die allgemeine Erwachsenenbildung nicht beschränken. Die dominierende Strömung der letzten Jahrzehnte in Richtung einer Subsumption der allgemeinen Erwachsenenbildung in einen Gesamtsektor gemeinsam mit der beruflichen Erwachsenenbildung kann tendenziell als Entwicklung in Richtung einer Selbstaufgabe interpretiert werden.11 Demgegenüber sollte die Entwicklung einer eigenen Mission, auf dieser Grundlage die Stärkung der institutionellen Basis, und vor allem die definitive Allokation von Finanzmitteln für die allgemeine, nicht-berufliche Erwachsenenbildung vorgesehen werden. Bei den Funktionen der allgemeinen Erwachsenenbildung handelt es sich um öffentliches Gut und dieses bedarf der öffentlichen Finanzierung, die beispielsweise in einem bestimmten Verhältnis proportional zur Förderung der beruflichen Erwachsenenbildung festgesetzt, und nach sinnvollen Kriterien geleistet werden sollte. Die Entwicklung der Kriterien wäre guter Ansatz zur Auseinandersetzung mit den nötigen Aufgaben und Funktionen. Eine wichtige Voraussetzung wäre die Transparenz der bisher verfügbaren Mittel.

1   Lassnigg, Lorenz; Vogtenhuber, Stefan (2015) Zukunftsausgaben Unterricht, Wissenschaft und Forschung im Finanzrahmen bis 2018 – einige deskriptive Ergebnisse und Darstellungen. IHS-Forschungsbericht für AK. Dezember 2015.
Lassnigg, Lorenz (2015)  Analyse der Datengrundlage zum künftigen Qualifikationsangebot und -bedarf in Österreich: Zusammenfassung der Ergebnisse Teil IHS. Präsentation zur Veranstaltung Qualifikationsbedarf der Zukunft, AK-Wien, 14. Januar 2015 , Wien http://www.equi.at/dateien/AK_Daten_IHS_pdf.pdf [7.12.2015]

2   „Erhöhung der Ausgaben für Bildung gemäß OECD-Indikator von 5,4 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf 6 Prozent des BIP im Jahr 2020“. Zitiert nach: Republik Österreich (2011): LLL:2020 – Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich, Wien: bmuk u.a., 4). Online verfügbar unter: http://www.esf.at/esf/wp-content/uploads/LLL-Strategiepapier_20111.pdf [7.12.2015].

3   Lassnigg, Lorenz, Vogtenhuber, Stefan & Osterhaus , Ingrid (2012): Finanzierung von Erwachsenen- und Weiterbildung in Österreich und in ausgewählten Vergleichsländern. Strategische Überlegungen. IHS-Forschungsbericht (Oktober), Wien: IHS. Online verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/AK-IHS-EB-Kovgl.pdf [7.12.2015]. Siehe weiters: Lassnigg, Lorenz (2012): Finanzierung der Erwachsenenbildung. Österreich im Vergleich. Workshop-Paper, Wien: IHS. Online verfügbar unter: http://www.equi.at/material/ak-fin-ae-mai012-pres-pdf.pdf [7.12.2015].

4   Schilcher, Bernd (1994): Zur Schulentwicklung aus verwaltungspolitischer und rechtlicher Sicht. In: OECD/CERI-Seminar: Was können Schulen für die Schulentwicklung leisten? Einsiedeln 26.9–1.10.1993. Schulentwicklung Bd. 25, Wien: ÖBV, 39–148.

5   Lassnigg, Lorenz (2013): Governance in der Erwachsenenbildung. Besseres Regieren durch Aushöhlung der Demokratie? In: Magazin erwachsenenbildung.at, (18), 05-1–05–9. Online verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/meb13-18_05_lassnigg.pdf [7.12.2015]. Langfassung online verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/EBWB-gov.pdf [7.12.2015].
Lassnigg, Lorenz (2014): Die österreichische LLL-Strategie im Prozess ihrer Umsetzung. „Gut Ding braucht Weile…“. In: Weiterbildung. Zeitschrift für Grundlagen, Praxis und Trends, (2), 38–43. Langfassung online verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/LLL-2014.pdf [7.12.2015].

6    Peter Stoppacher, Marina Edler, Mitarbeit Karin Reinbacher-Fahrner (2014) Evaluation der ersten Periode der Initiative Erwachsenenbildung. Graz. IFA https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/Evaluation_Abschlussbericht.pdf, S.74. 

7    Es gibt sehr grobe Informationen über Teilnahmen und Personal seitens der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ). Online verfügbar unter: http://www.adulteducation.at/de/struktur/keboe/ [7.12.2015]. Der Verband Österreichischer Volkshochschulen hat seine Informationsbasis in den letzten Jahren sehr stark ausgebaut (siehe: http://www.vhs.or.at/109/), und es gibt Ansätze, auf regionaler Ebene umfassende Bestandsaufnahmen durchzuführen. Siehe: Gruber et al. 2009 und die daran anschließenden Projekte, z.B. jüngst in Tirol. Gruber, Elke, Brünner, Anita & Huss, Susanne (2009): Perspektiven der Erwachsenenbildung im Rahmen des lebenslanges Lernens in der Steiermark. Ergebnisse der Studie PERLS (Perspektiven der Erwachsenenbildung im Rahmen des lebenslangen Lernens in der Steiermark). Online verfügbar unter: http://wwwg.uni-klu.ac.at/ifeb/eb/PERLS_Ergebnisse_Endfassung_Nov2009.pdf [7.12.2015].

8    Lassnigg, Lorenz (2013): ‚Zuerst das Fressen…?‘ Politische Probleme mit ökonomischen Annahmen in der Erwachsenenbildung. In: Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung, 22 (1-4), 24–45. Online verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/urania-LANG.pdf [7.12.2015]. Siehe weiters die Präsentation: http://www.equi.at/dateien/urania-fressen.pdf [7.12.2015].

9   EURYDICE (2007): Non-Vocational Adult Education in Europe. Executive Summary of National Information on Eurybase. Working Document (January). Brussels.

10   Lassnigg, Lorenz (2015): Neue Entfaltungsräume für die Wissensproduktion. Die berufliche und allgemeine, nicht berufliche Erwachsenenbildung in Europa. In: Weiterbildung. Zeitschrift für Grundlagen, Praxis und Trends, (4), 38–41. Langfassung verfügbar unter: http://www.equi.at/dateien/WB-beruf-allg-pdf.pdf [7.12.2015].

11   Lassnigg, Lorenz (2015): Modernisierung, Reflexivität, Globalisierung. Überlegungen zur Zukunft der Theorie und Praxis von Erwachsenenbildung. In: Magazin erwachsenenbildung.at, (25), 03-1–03-12. http://erwachsenenbildung.at/magazin/15-25/03_lassnigg.pdf 

Lassnigg, Lorenz (2015): Finanzierung der Erwachsenenbildung – verdrängt oder stützt der wirtschaftlich-berufliche Fokus die allgemeine Erwachsenenbildung? In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2015, Heft 257/66. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien