Dieser Artikel widmet sich dem Umgang der Organisationsform „Volkshochschule“ mit der Kategorie „Geschlecht“, wie ich sie als Akteurin und Beobachterin in den vergangenen 25 Jahren beobachtet und mitgestaltet habe.
Dabei liegt der Fokus auf dem – bewussten und unbewussten – Umgang, auf den Ermöglichungs- und Verhinderungsstrukturen, wie sie sich aus der spezifischen Geschichte der Wiener Volkshochschulen in den vergangenen 25 Jahren in Bezug auf experimentelle, auch subversive, feministische Angebote ableiten lassen.
Der Fokus liegt dabei auf der Angebotsstruktur, nicht auf der Mitarbeiter/innenperspektive.
Beobachtungskategorien
Dazu nutze ich folgende Beobachtungskategorien zur gesellschaftlichen Konstruktion des Geschlechterverhältnisses:
Menschliches Handeln findet in einem sozialen Rahmen statt, in einem jeweils momentanen Prozess von Wechselwirkungen. Der Rahmen strukturiert (nicht determiniert) dieses Handeln insofern, als Verhaltenserwartungen dazu führen, dass jede/r ständig versucht, die Umwelt im Sinne dieser Verhaltenserwartungen zu beeinflussen. Perspektiven erhalten sich dann, wenn die daraus folgernden Verhaltensweisen über die Rückkoppelung mit der Umwelt diese Perspektive bestätigen.
Menschliches/kollektives Handeln entfaltet sich innerhalb von Beziehungen, in denen Einfluss, Interessen, Gefolgschaften, Kooperationen und Konkurrenzen in eine gemeinsame Struktur übergeführt werden. Je offener und demokratischer diese Beziehungen sind, desto mehr muss immer wieder verhandelt werden. Die (Macht-)Beziehungen werden dadurch vielfältiger und gestaltbarer, es vervielfältigen sich aber auch die Konfliktpotenziale.
Jede Interaktion beinhaltet Zuschreibungen. Strukturen werden in hohem Maße durch diese Zuschreibungen prozessiert. Jede Zuschreibung hat Wirkungen und strukturiert das weitere Geschehen mit. (Macht-)Beziehungen werden daher in hohem Maße durch implizite Werte und (Selbst-)Beschreibungen bestätigt und erhalten sich so aufrecht. Welche Werte und (Selbst-)Beschreibungen (von) Frauen und Männern vermittelt werden, schafft daher soziale Wirklichkeit.
Sexualisierung, sexuelle Zuschreibungen und Normen sind wirksame Methoden, um Ängste, Wünsche und Ansprüche zu kanalisieren, und um ihre Komplexität zu verringern.
Eine der wirksamsten Normen besteht immer noch in der Annahme geschlechtsspezifischer Verhaltens- und Rollenerwartungen, die komplementär angelegt sind, d.h. „das Weibliche“ wird als Ergänzung und Gegenstück zum „Männlichen“ wahrgenommen.
Normen und Werte erzeugen einerseits Berechenbarkeit und Orientierungsrahmen für individuelles Verhalten, andererseits Einengungen, Unbehagen und (politische) Konflikte.
Frauen geraten notwendig in Konflikte, wenn sie in „männlich“ besetzten Feldern Raum für sich beanspruchen, ohne sich dabei selbst als „Ergänzung“ zu sehen, d.h. Männer nicht stets mitzudenken. Die traditionelle Domäne der Frau, die physische und psychische Reproduktion der Familie, darf, den Geschlechternormen entsprechend, der offenen Teilhabe an Entscheidungs- und Machtfragen nicht geopfert werden. Es geht stets um „Vereinbarkeit“. Die außen- und handlungsorientierte Aggressivität, die Wünschen nach dieser Teilhabe innewohnt, wird dann leicht zu Aggression, wenn andere – üblicherweise Männer und Kinder – sie stellvertretend wahrnehmen sollen, oder wenn frau an der Unvereinbarkeit der beiden Anforderungen scheitert.
Umgekehrt stehen für Männer kaum Identitätsmuster zur Verfügung, die es ermöglichen, Erfahrungen von Bedürftigkeit, Machtlosigkeit und Schwäche positiv zu integrieren. Diese Erfahrungen werden mit Scham belegt, d.h. niemand darf es merken. Das scheint am besten durch forcierte Aggressivität nach außen zu gelingen – mag sie sich nun als Erfolgs- und Aufstiegsorientierung, Kontrollbedürfnis, Abwertung von Schwäche oder Gewalttätigkeit zeigen.
Daher unterscheiden sich die Funktionalisierung und Selbstfunktionalisierung von Frauen und Männern im Dienste des Herstellens und Aufrechterhaltens von gesellschaftlichen Strukturen insofern, als Sozialisation konstante Verarbeitungsmuster erzeugt, die als (Selbst-)Konstruktionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen stets reproduziert werden. Wir rekurrieren damit auf einen Genderbegriff, der nicht auf Identifizierung von Männlichkeit und Weiblichkeit zielt, sondern Konstruktionsweisen von Differenz und Diskriminierung erfasst. (Bruchhagen & Koall: 2005). Diese interaktive und situative Herstellung von Geschlecht („Doing Gender“) ist an gesellschaftliche Makro-Strukturen, d. h. Prozesse der Macht- und Ressourcenverteilung gebunden.
Die Organisationsformen von Volkshochschule
Die „Organisationsform Volkshochschule“ hat in den vergangenen 6 Jahren einen tiefgreifenden Wandel erfahren: bis 2007 arbeiteten die Wiener Volkshochschulen in der Rechtsform von 18 eigenständigen Vereinen mit einer gemeinsamen Dachorganisation, seit 2008 nun im Rahmen einer gemeinnützigen GmbH.
Meine These ist nun, dass dieser Wandel für feministische Bildungsangebote bedeutete, dass sie aus einer hochgradig selbstorganisierten, experimentieroffenen, aber ökonomisch wie sozial marginalisierten Nischenexistenz in den Vereinsvolkshochschulen übergeführt wurden in eine linienhierarchische GmbH. In dieser können Angebote zwar weitaus stabiler und professioneller gesetzt werden, durch die Hierarchisierung der Organisation ist der Einfluss der unbewussten Spielarten des „doing gender“, der Funktionalisierungen und Selbstfunktionalisierungen von Frauen und Männern jedoch gestiegen.
Historisch entfaltete sich die Positionierung des „Unternehmens Volkshochschule“ zwischen ökonomischem Druck einerseits und dem Anspruch auf emanzipatorische Bildung.
Der Anspruch nach Aufklärung kollidierte oftmals mit den Legitimationsanforderungen der wichtigen Einflussgruppen (Träger, Geldgeber, Multiplikatoren/innen), den Bedürfnissen der Teilnehmer/innen und der Anforderung an ökonomische Absicherung, d.h. alles dies entweder mit weniger Geld zu machen oder so zu verkaufen, dass höhere Kosten als Einsparungen wahrgenommen werden.
Wir haben andernorts Diversifizierung & Feminisierung als Strukturelemente der Wiener Volkshochschulen in den vergangenen Jahrzehnten beschrieben. (Judy & Wagner-Staritz: 2010).
Diversifizierung meint Prozesse der Spezialisierung auf spezifische Produkt-/Angebotsgruppen. In den Wiener Volkshochschulen liefen diese Prozesse nicht als gemeinsame Unternehmenspolitik, sondern gesteuert durch 18 Unternehmenspolitiken, die sich miteinander in einer diffizilen Konkurrenz-Kooperationsbeziehung befanden.
Feminisierung zeigt sich nicht bloß im hohen Frauenanteil (zirka 70 Prozent) bei Unterrichtenden wie Teilnehmenden. Sie spiegelt sich als Diskriminierungspraxis wider im Anspruch auf „Niederschwelligkeit“ bei gleichzeitiger Ressourcenknappheit und Fokussierung auf „Problemgruppen“ (Alleinerzieherinnen, Migrant/innen, etc.) – was diese Menschen zugleich pauschal abqualifiziert.
Zugleich haben diese strukturellen Konfliktfelder emanzipatorische (Frauen-)Bildungsarbeit ermöglicht, haben Nischen zur Verfügung gestellt, innerhalb derer Frauen hohe Gestaltungsspielräume für eigene Setzungen vorfanden, zumeist „bezahlt“ im wörtlichsten Sinne mit Selbstausbeutung, da die Honorargestaltung den Aufwand so gut wie nie abgelten konnte.
Dieser Freiheit, zu tun was frau will und zu sehen, wo sie bleibt, lag ein struktureller Schlüsselkonflikt von Volkshochschulen zugrunde: die Trennung in haupt- und nebenberufliche Mitarbeiter/innen als dynamisches Strukturmoment. Didaktische bzw. organisatorische Handlungsebenen blieben im Sinne von Selbstorganisation/ Selbstbestimmung den Unterrichtenden weitgehend überlassen, umgekehrt blieben dadurch die Unternehmensziele und die Organisation „Volkshochschule“ weitestgehend unbeeinflusst. Strukturelle Ankoppelung fand kaum statt.
Allerdings reproduzieren sich Geschlechterkonstrukte bekanntlich in enger Koppelung mit Macht- und Verteilungsfragen in ihren strukturellen, historischen und politischen Kontexten und sind daher über individuelle Handlungsstrategien allein nicht lösbar, sondern nur über Partizipation an kollektiven Gestaltungsprozessen. Erst strukturelle Verankerung ermöglicht curriculare Professionalisierung und strukturelle Nachhaltigkeit.
Im Folgenden sollen diese Aussagen exemplarisch anhand einer Substruktur der Wiener Volkshochschulen, dem Rosa-Mayreder-College verdeutlicht werden.
In den Wiener Volkshochschulen konnte sich über 15 Jahre ein feministisches Bildungsangebot strukturell etablieren und halten, durch die Verankerung des Rosa-Mayreder-Colleges in den Wiener Volkshochschulen.
Das Rosa-Mayreder-College
1996 als EU-Sokrates-Projekt „Feministisches Grundstudium und Genderforschung“ gegründet, arbeitete das Rosa-Mayreder-College ab dem Jahr 2000 auf Vereinsbasis mit eigenem Statut als Zweigverein der VHS Ottakring, 2008-2012 war es Teil der Wiener Volkshochschulen GmbH.
Es wurden zwei Lehrgänge und drei Abschlüsse entwickelt:
- das Feministische Grundstudium mit den Abschlüssen Diplom und Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik,
- der Master-Lehrgang Internationale Genderforschung & feministische Politik mit dem Abschluss Master of Arts (Women´s Studies & Feminist Research).
Das Rosa-Mayreder-College folgte mit diesem Fokus auf abschlussorientierte, wissenschaftlich basierte berufliche Weiterbildung, Bildungsdurchlässigkeit sowie mehrstufige Zertifizierungsformen Modellen von britischen Open Universities.
Die Lehrgänge dauerten je zwei Jahre, was kohärente Entwicklungen der einzelnen Frauen wie auch der Lehrgangsgruppen ermöglichte.
Diese Entwicklung wurde von zwei Frauen getragen: Ursula Kubes-Hofmann, Gründerin und Leiterin des Rosa-Mayreder-Colleges von 1999-2012, die für die grundlegenden Konzepte und deren Umsetzung verantwortlich zeichnete. Ich selbst konnte über die Volkshochschule Ottakring, deren Direktorin ich bis 2011 war, den strukturellen und institutionellen Rahmen schaffen, innerhalb dessen sich das Rosa-Mayreder-College etablieren konnte.
Die Erfolgsgeschichte des Rosa-Mayreder-Colleges war eng verknüpft mit Kompromisslosigkeit in Bezug auf die inhaltlich-konzeptionelle Gestaltung einerseits, und der professionellen Nutzung institutioneller Strukturen für diese Ziele andererseits.
Das Konzept versuchte die Teilnehmerinnen auf drei Ebenen anzusprechen:
- Entwicklung eines politischen Bewusstseins, das auf das Verstehen der Zusammenhänge von ökonomischen und politischen Prozessen sowie Mentalitätstraditionen abzielt;
- Persönliches Empowerment durch Nutzung und Stabilisierung bereits vorhandener Bildungsressourcen;
- Kollektives Empowerment durch Entwicklung von Kooperationsstrukturen, die auf einem solidarischen statt einem harmonischen Verständnis von Gemeinsamkeit fußen.
Der Anspruch an feministische Bildung, Selbstverständnisse in Frage zu stellen, Denkverbote zu lockern, Perspektivenwechsel zu fördern, zum Spiel mit Geschlechterrollen zu ermutigen, führt in die Widersprüche und Unebenheiten konkreter Alltagspraxen. Dieser Anspruch verfolgt damit insofern eine genuin feministische Perspektive als er – ich zitierte hier V. Bruchhagen – „auf persönliche und kategoriale Betroffenheiten“, auf „eine Durchdringung von Selbst- und Gesellschaftsveränderung“, auf „Strukturen, Kulturen, Personen, Organisationen, Einstellungen und Verhalten“ zielt.
Mit diesem Konzept eines bildungspolitischen Empowerment unter Nutzung und Stabilisierung bereits vorhandener Bildungsressourcen hat das Rosa-Mayreder-College auch spätere Strategien des lebenslangen Lernens vorweggenommen.
Die Absolventinnen tragen seit zehn Jahren durch ihre dokumentierten und veröffentlichten Projektergebnisse als Multiplikatorinnen und Netzwerkerinnen zur Verbesserung der bisherigen Umsetzungspraxis von Antidiskriminierung und Gleichstellung in den jeweiligen Praxisfeldern bei. Die Kontakte und Vernetzungsstrukturen ermöglichen Weiterentwicklung und geben damit dem Konzept Recht.
Trotz dieser Erfolgsgeschichte war es nicht möglich, sie weiterzuführen.
Obwohl es die Bereitschaft der Geschäftsführung der Die Wiener Volkshochschulen GmbH zur Weiterführung des Rosa-Mayreder-Colleges gab, sogar Hearings für die Nachfolge der Leiterin durchgeführt wurden, konnte letztlich zwischen der alten und der designierten Leiterin sowie der Geschäftsführung der GmbH keine Einigung über die strukturelle Einbindung des Rosa-Mayreder-Colleges in die Wiener Volkshochschulen GmbH erzielt werden.
Das Rosa-Mayreder-College wurde mit Jahresende 2012 geschlossen.
Resümee
Die Organisationsform von eigenständigen Vereinsvolkshochschulen:
- ließ hohe Gestaltungsspielräume für eigene Setzungen zu;
- erlaubte die Besetzung von Nischen in unterschiedlichen Professionalisierungsgraden,
- hing in hohem Maße von der Fähigkeit und Bereitschaft der Handelnden, strukturelle und finanzielle Ressourcen zu akquirieren, ab;
- wurden ausschließlich durch die Initiative einzelner Frauen in Leitungspositionen zu Einzel-VHS-internen „Unternehmenszielen“;
- war hochgradig personenabhängig und stand mit dem Weggehen von Schlüsselpersonen in Frage.
- Die Organisationsform der Die Wiener Volkshochschulen GmbH:
- konnte das Rosa-Mayreder-College für vier Jahre aus der Prekarität, d.h. der ständigen Notwendigkeit der Finanzakquise führen;
- ermöglichte damit eine bessere Konzentration der MitarbeiterInnen auf die Bildungsaufgaben;
- forcierte aber auch die Einbindung in die Unternehmenspolitik, was zu unklaren, bzw. kontroversen Zielvorstellungen führte;
- erwies sich in der Balance dieser institutionellen Verankerung letztlich wieder als hochgradig personenabhängig und wurde nach der Pensionierung der Leiterin nicht mehr weiter geführt.
Die fehlende institutionelle Verankerung feministischer Bildung in den Unternehmenszielen der Wiener Volkshochschulen erwies sich angesichts der Schließung des Rosa-Mayreder-College als folgenschwerer Schwachpunkt.
Sozioökonomisch gesehen ist Geschlechtergerechtigkeit an strukturelle Macht- und Verteilungsfragen gebunden; sie sind über individuelle Handlungsstrategien allein nicht lösbar, sondern nur über die Fähigkeit zur Partizipation an kollektiven Gestaltungsprozessen.
Geschlechtstypisierende Verhaltenserwartungen und Verhaltensweisen sind auf der Strukturebene der gesellschaftlichen Regelungsinstanzen verallgemeinerbar.
Auf der Mikroebene des Aushandelns von Beziehungen sind Wechselwirkungen von Verhaltensweisen offen, unsicher und uneindeutig, das „doing gender“ wirkt in den unterschiedlichsten Inszenierungen.
Das Rosa-Mayreder-College war über viele Jahre hochgelobtes und auch ernsthaft gefördertes Vorzeigeprojekt der Wiener Volkshochschulen.
Die Wirkung richtete sich jedoch hauptsächlich nach außen, innerhalb der Organisation Volkshochschule wurde das Know-how kaum genützt. Feministisches Wissensmanagement fand nicht statt. Damit blieb feministische Bildung ein Angebotssegment, das zwar gefördert wurde, aber in der Organisation keine Lücke hinterließ, als es beendet wurde.
Auf der anderen Seite stehen Veränderungen, die auch das Ende des Rosa-Mayreder-Colleges dauerhaft zu überleben scheinen. Im Fokus seiner Angebote stand stets der demokratiepolitische Dialog und das konstruktive themen- und berufsbezogene, gemeinsame Handeln von Frauen aus unterschiedlicher Altersgruppen, Herkunfts- und Sozialisationsbedingungen. Damit wurden wesentliche Voraussetzungen feministischen Handelns erfahrbar gemacht und individuelle wie kollektive Verhaltensroutinen im Umgang mit Auseinandersetzungskulturen unter Frauen eingeübt.
Die Absolventinnen des Rosa-Mayreder-College werden in erwachsenenbildnerischen wie politischen Kontexten immer wieder sichtbar. Als politisch Handelnde, Multiplikatorinnen und Netzwerkerinnen tragen sie zur Verbesserung der bisherigen Umsetzungspraxis von Antidiskriminierung und Gleichstellung in ihren jeweiligen Praxisfeldern bei. //
Kommentare