Vererbungslehre des Bildungssystems
Durch die frühe Selektion im österreichischen Schulsystem wird Bildung in Österreich immer noch „vererbt“. Rund drei Prozent der Kinder, deren Eltern maximal die Pflichtschule abgeschlossen besucht haben, treten in die AHS-Unterstufe über.1 Nur sieben Prozent der 25 bis 44-Jährigen, die Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss sind, erreichen einen Hochschulabschluss, während das auf 57 Prozent aus AkademikerInnenhaushalten zutrifft.2 Ein Ausbrechen aus der durch systemische Hürden geschaffenen Situation ist ohne Unterstützung kaum leistbar, fehlt es doch oft an Information, Know-how und finanziellen Ressourcen. Erwachsenenbildung erfüllt eine zentrale Funktion im Überwinden dieser Bildungsschranken.
ERFOLGSERLEBNIS
Foto: Schedl
Mohammed: Absolvent von Basisbildungskursen und ePSA
Ich bin 2016 aus Syrien über die Türkei nach Österreich gekommen. Ich sprach damals kein Deutsch und konnte mich kaum verständigen. Von der VHS bekam ich die Möglichkeit, einen Basisbildungskurs zu besuchen und auch Dinge wie Mathematik zu erlernen, was sehr wichtig für meine weitere Entwicklung war.
Nach erfolgreichem Kursabschluss und der Suche nach einer Lehrstelle empfahl mir mein Jugendcoach, mich als Lehrling bei den Wiener Volkshochschulen zu bewerben. Ich habe die Aufnahmetests bestanden und bin sehr dankbar dafür, nun als Mitarbeiter ein Teil der VHS sein zu dürfen!
Wen schließt der Lockdown aus?
Die Corona-Krise hat viele neue Herausforderungen mit sich gebracht – sowohl was die Aufrechterhaltung laufender Angebote betrifft, aber hinsichtlich der Information und Kontaktaufnahme mit potenziellen TeilnehmerInnen. Als entscheidend hat sich dabei die Frage herauskristallisiert: Wie ermöglicht man Menschen, die mit weniger Ressourcen ausgestattet sind, auch in Krisenzeiten den Besuch virtueller Angebote?
ERFOLGSERLEBNIS
Gabriel: Schüler in der VHS Gratis Lernhilfe
Ich besuche seit 2019 die Gratis Lernhilfe. Anfänglich habe ich nur einen Englischkurs besucht. Ich hatte in meiner vorhergehenden Schule Französisch und fühlte mich sehr unsicher in Englisch. Durch die Gratis Lernhilfe konnte ich Englisch soweit aufholen und verbessern, dass ich mich nun auch bei Referaten traue, vor der Klasse Englisch zu sprechen und auch mitzuarbeiten im Unterricht. Durch den Lockdown im letzten Jahr hatte ich mehr Zeit und konnte Nachhilfe auch in Mathematik und Deutsch zusätzlich besuchen, was nicht möglich gewesen wäre ohne kostenlose Nachhilfe. Wir sprechen zu Hause nicht Deutsch, weshalb die Nachhilfe auch für mein Deutsch sehr wichtig ist. In Mathematik bekomme ich gute Tipps und mehrere Lösungswege von meinen LernbetreuerInnen, wodurch ich es besser verstehe. Ich mag meine LernbetreuerInnen in allen Fächern sehr und sie helfen mir auch immer bei Fragen. Im letzten Jahr haben sie mir auch viel dabei geholfen, meine Hausaufgaben von der Schule zu organisieren. Ich bin sehr froh, dass ich die Gratis Lernhilfe besuchen kann und kann sie allen Kindern empfehlen, die Hilfe in den Hauptfächern brauchen.
Ermäßigungen und Förderungen sind ein wichtiges Instrument, um ungleiche Startbedingungen zumindest auf finanzieller Ebene zu nivellieren und den Zugang zu Weiterbildung zu erleichtern. Die Wiener Volkshochschulen bieten etwa für BesitzerInnen des „Wiener Mobilpass“ die Möglichkeit, eine Unterrichtseinheit um nur einen Euro zu besuchen. Eine soziale Ermäßigung kann auch das noch unterschreiten. Im Zuge der Corona-Krise zeigte sich jedoch deutlich: Seit dem Beginn von Corona haben die Wiener Volkshochschulen nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch prozentuell viele der FörderbezieherInnen verloren. Die Nachfrage nach Ermäßigungen sank binnen eines Semesters um rund 50 Prozent. Einer der Hauptgründe ist ein Mangel an Infrastruktur – weitere Motive werden aktuell im Rahmen einer telefonischen Befragung ehemaliger FörderbezieherInnen evaluiert.
ERFOLGSERLEBNIS
David: Teilnehmer des Jugendcoachings
Derzeit besuche ich die vierte Klasse einer Neuen Mittelschule. MitarbeiterInnen vom Jugendcoaching sind in unsere Schule gekommen, um den SchülerInnen der Abschlussklassen bei der Wahl der passenden Ausbildung zu helfen.
Bis dahin dachte ich immer, dass ich einmal in der Gastronomie im Service arbeiten würde. Aber meine Oma hat mir einmal den Tipp gegeben, Tischler wäre eine gute Idee. Weil ich wenig über den Beruf wusste, hat mich mein Jugendcoach über das Berufsbild beraten und die verschiedenen Arbeitsfelder aufgeklärt. Danach wusste ich: Das will ich werden! Besonders die Arbeit mit verschiedenen Maschinen und Techniken interessiert mich sehr. Nachdem die Entscheidung gefallen war, haben wir gemeinsam Bewerbungen geschrieben und abgeschickt.
Das Jugendcoaching hat mir sehr geholfen, denn ich wurde gleich zu einem Vorstellungsgespräch in eine Bautischlerei eingeladen. Hoffentlich bekomme ich die Stelle!
Ansetzen, wo es wirkt
Der neu eingeführte „VHS Digitalvorteil“ setzt genau bei der Ressourcenfrage an, die so oft über Bildungschancen entscheidet. In Kooperation mit A1 haben die Wiener Volkshochschulen Pakete geschnürt, die den Online-Kursbesuch für alle möglich machen: Mobiles Internet von A1 und Leih-Laptops der VHS sind für 20 Euro im Monat erhältlich, bei Bedarf übernimmt die Kosten ein Fonds.
Die Wiener Volkshochschulen sind auch als Trägerin vieler Projekte breit aufgestellt, was die Erfüllung des Bildungsauftrages der Stadt Wien betrifft. Durch die Treffsicherheit zielgruppenspezifischer Projekte wird dadurch sehr effektiv ein täglicher Beitrag zum Abbau von Bildungsbenachteiligungen geleistet. Einige der hier erzählten Bildungserfolge stammen daher aus diesem Bereich.
ERFOLGSERLEBNIS
Claudia: Teilnehmerin der Bildungsberatung in Wien
„Auf die Idee mit der Bildungsberatung bin ich gekommen, weil ich unschlüssig war, was ich nach der Elternkarenz weiter tun wollte. Ich habe überlegt, ob ich wieder arbeiten gehen oder in Bildungskarenz gehen soll. Als Weiterbildung in der Bildungskarenz hat mich eine Ausbildung in Grafik und Webdesign interessiert.
Mein Bildungsberater hat mich schon vor dem Gespräch kontaktiert, um meine Ideen und Vorstellungen zu besprechen.
Beim Gespräch haben wir dann sehr vieles klären können rund um Bildungskarenz, Weiterbildung und eventuell Jobsuche, für den Fall, dass ich mich doch gegen eine Bildungskarenz entschieden hätte. Mein Berater hat einen für mich perfekten Studiengang – ein Fernstudium – gefunden und mir Tipps für die Bildungskarenz und Fördermittel gegeben.
Mittlerweile habe ich das Fernstudium „Grafik und Webdesign“ erfolgreich in zwei Semestern abgeschlossen. Als Glück habe ich es empfunden, dass ich daneben noch etwas mehr Zeit mit meinem Kind verbringen konnte. Und mit dem Abschluss kann ich mich jetzt in diesem Berufsfeld bewerben.“
Geschichten erzählen
Diesen Beitrag begleiten fünf Erfolgserlebnisse – fünf völlig unterschiedliche Menschen, unterschiedlicher Altersstufen und mit diversen Bildungsbiografien. Denn „echte Geschichten“ können Scham oder Angst abbauen und dazu motivieren, selbst aktiv zu werden. Die aktuelle Kampagne der Wiener Volkshochschulen greift diesen Gedanken auf: Unter dem Hashtag #meinerfolgserlebnis werden Geschichten von TeilnehmerInnen veröffentlicht, die ihre ganz persönlichen Erfolge beschreiben. Denn jede dieser Geschichten leistet einen kleinen Beitrag, Menschen darin zu bestärken, ihre Chancen zu ergreifen. //
ERFOLGSERLEBNIS
Foto: Derya G.
Derya:
Teilnehmerin von BOK & BOKgastro
Nach der Pflichtschule habe ich nicht gleich eine Lehrstelle gefunden und mich bei BOK & BOKgastro (damals Berufsvorbereitungskurs, heute AusbildungsFit) beworben. Einen Platz bei BOK, trotz sehr vieler BewerberInnen, bekommen zu haben, war für mich damals ein großer Erfolg.
Ich wusste nicht, in welche Richtung mein beruflicher Weg gehen soll. Mit der Unterstützung der BOK MitarbeiterInnen konnte ich meine Talente und Stärken entdecken und meine Selbstständigkeit entwickeln.
Nach ein paar Monaten wusste ich schon, was ich werden möchte. Für mich war wichtig, dass mein Beruf ein Teil von mir wird und zu meinem Lifestyle passt. Ich fing an, selbständig eine Lehre als Kosmetikerin zu suchen, die ich auch rasch fand.
Während meiner Lehrzeit habe ich mit Begeisterung gelernt und in meinem Lehrbetrieb mein Bestes gegeben. Die Lehrabschlussprüfung konnte ich schließlich mit Auszeichnung ablegen.
Ich bin schon seit vier Jahren begeisterte Kosmetikerin, habe treue KundInnen und lerne gerne in vielen Lebensbereichen weiter. Mein nächstes Ziel ist, im Herbst meine Meisterprüfung abzulegen, und ich bin mir sicher, dass ich auch das schaffen werde.
Meine Botschaft an alle jungen Menschen, die noch nicht ihren Weg gefunden haben: Glaube an dich, finde deinen Weg, vergleiche dich mit niemanden und gib nie auf! bewerben.“
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