Flucht weltweit

2015 waren über 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, eine Zahl vergleichbar mit der Bevölkerung Frankreichs. Die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Aufgrund der ungeheuren Eskalation schon bestehender und neuer Konflikte sowie fortwährender Verfolgungshandlungen und Menschenrechtsverletzungen war die weltweite Vertreibung damit auf einem Rekordhoch. Die größten Flüchtlingskrisen gab es 2015 in und um Syrien, im Irak, in Libyen, und Nigeria, sowie in Afghanistan, der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan und im Jemen.

Genfer Flüchtlingskonvention

Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28. Juli 1951 ist das wichtigste Rechtsdokument und die völkerrechtliche Grundlage für den Schutz von Flüchtlingen. Sie wurde als Antwort auf die Vertreibung von Millionen Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Die Konvention legt fest, wer ein Flüchtling ist. Sie beruht vor allem auf dem Grundkonzept der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Diesem Grundsatz zufolge sollten Flüchtlinge nicht an Orte zurückgeschickt werden, wo sie schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind oder wo ihnen Verfolgung droht. Demgegenüber schließt sie bestimmte Gruppen – wie z.B. Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus. Die Konvention definiert, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte (z.B. Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen) ein Flüchtling von den Vertragsstaaten erhalten, und welche Pflichten ein Flüchtling, dem Aufnahmeland gegenüber, erfüllen sollte. Keine Bestimmungen hingegen enthält die GFK zur Frage, wie ein Verfahren zur Feststellung, ob eine Person Flüchtling ist (Asylverfahren), ausgestaltet sein soll.

Wer ist Flüchtling?

Aus dieser Definition der GFK ergeben sich folgende Elemente des völkerrechtlichen Flüchtlingsbegriffes:

  • Aufenthalt außerhalb des Herkunftsstaates;
  • wohlbegründete Furcht vor Verfolgung;
  • aufgrund eines der Konventionsgründe: Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung;
  • Fehlen der Möglichkeit oder der Zumutbarkeit, dass Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch genommen wird;
  • kein Vorliegen eines Ausschlussgrundes (z.B. Kriegsverbrechen).

Flucht versus (legale oder illegale) Migration

Der wesentliche Unterschied zwischen Flucht und (illegaler) Migration besteht darin, dass MigrantInnen in ihrem Herkunftsland keine Verfolgung droht und sie grundsätzlich jederzeit wieder dorthin zurückkehren können. MigrantInnen kommen aus vielfältigen Gründen, etwa aus ökonomischen Erwägungen oder wegen besserer Bildungschancen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben zu uns. Mitunter nutzen Flüchtlinge und MigrantInnen dieselben – zumeist illegalen – Wege, um andere Länder zu erreichen. Dabei riskieren viele ihr Leben, unter anderem auf oftmals seeuntüchtigen Booten. Allein im Mittelmeer haben 2015 mehr als 3.700 Menschen ihr Leben verloren, die Dunkelziffer ist vermutlich um Vieles höher. Österreich und andere Länder sind aber durch internationale Abkommen, wie etwa die GFK, verpflichtet, Flüchtlingen Schutz vor Verfolgung zu garantieren. Ob und wie viele MigrantInnen einwandern dürfen, können die einzelnen Staaten hingegen frei entscheiden. Die Steuerung von kombinierten Flucht- und Migrationsbewegungen darf jedoch keinesfalls zu Lasten derer gehen, die Schutz und Hilfe suchen.

Asyl in Österreich

Aufgrund der dramatischen Situation in Syrien sowie zahlreicher Krisen, die seit Jahren oder Jahrzehnten andauern, sind 2015 die Asylantragszahlen in Österreich gestiegen. Insgesamt haben 2015 88.340 Menschen um Asyl in Österreich angesucht. Antragsstärkste Nationen (Herkunftsländer) waren die Krisenländer Afghanistan (25.563), Syrien (24.547) und der Irak (13.633). Mehr als zwei Drittel der eingebrachten Anträge wurden hierbei von Männern gestellt (63.862). 8.277 Asylanträge wurden 2015 von unbegleiteten Minderjährigen gestellt; 743 Asylsuchende waren hierbei unter 14 Jahre alt.

2015 wurde insgesamt 14.413 Menschen in Österreich Asyl zuerkannt; die meisten stammten aus Syrien (8.114), Afghanistan (2.083). Personen ohne Staatszugehörigkeit, so genannte „Staatenlose“ waren 2015 die drittgrößte Gruppe, die Asyl erhalten hat (1.333). Diese Entscheidungen beziehen sich sowohl auf Anträge aus 2015 aber auch aus den Vorjahren.

Im Jahr 2016 war die Zahl der Asylanträge in Österreich wieder stark rückläufig. Bis Oktober 2016 wurden 37.256 Asylanträge in Österreich gestellt.1

Geschichte und Zahlen – Asyl in Österreich

Aufgrund seiner geografischen Lage zwischen den Blöcken war Österreich jahrzehntelang das wichtigste Land für die Erstaufnahme von Flüchtlingen in Europa. Seit 1945 sind mehr als zwei Millionen Flüchtlinge nach Österreich gekommen, fast 700.000 Menschen sind geblieben. So kamen Flüchtlinge 1956/57 aus Ungarn, 1968 aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen oder in den 1990er-Jahren nach kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien nach Österreich.

Im Verhältnis zur Einwohnerzahl Österreichs machten AsylwerberInnen im Jahr 2015 etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die größten Flüchtlingskrisen fanden aber fernab von Europa und Österreich statt: 86 Prozent aller Flüchtlinge weltweit lebten in Entwicklungsländern und Ländern mit mittleren/niedrigen Einkommen.2 So hielten sich Ende 2015 etwa 4,6 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens auf.3  Allein im Libanon lebten 2015 über eine Million syrische Flüchtlinge. 

Rechtsgrundlagen des Asylverfahrens

Alle Mitgliedstaaten der EU, inklusive Österreich, haben sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, Menschen, die in ihrer Heimat aus den in der GFK vorgesehenen Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung) verfolgt werden, Asyl zu gewähren. Alle EU-Mitgliedstaaten sind zudem Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Zudem sind in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Grund- und Menschenrechte kodifiziert.

Darüber hinaus bilden europäische Richtlinien (EU-Aufnahmerichtlinie zur Regelung von allgemeinen und materiellen Aufnahmebedingungen für AsylwerberInnen; EU-Asylverfahrensrichtlinie zur Regelung gemeinsamer Mindestnormen für Asylverfahren; EU-Statusrichtlinie über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz) und Verordnungen (z.B. Dublin-III-Verordnung) sowie einschlägige österreichische Gesetze (z.B. Asylgesetz – AsylG, Fremdenpolizeigesetz – FPG, BFA-Einrichtungsgesetz – BFA-G, BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG) die Grundlage für das Asylverfahren in Österreich. Das österreichische Asylgesetz etwa nimmt hierbei direkt Bezug auf die Definition des Flüchtlingsbegriffs nach der GFK.

Vulnerabilität und Flucht

Der Begriff Vulnerabilität (lateinisch vulnus, d.h. Wunde) bedeutet Verwundbarkeit oder Verletzbarkeit. Das Konzept der Vulnerabilität beschreibt ein komplexes Phänomen, das nicht direkt beobachtet werden kann. Zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit diesem Konstrukt, wobei sich das jeweilige Verständnis des Begriffs stark voneinander unterscheidet. In der Psychologie wird Verwundbarkeit bzw. Verletzbarkeit mit herabgesetzter Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen der Person-Umwelt-Beziehungen erklärt. Sie ist biologisch und psychologisch zu verstehen, kann angeboren oder erworben sein und bedeutet ein Risiko für die lebenslange Persönlichkeitsentwicklung. Jeder Mensch durchläuft in seinem Leben mehrere vulnerable Phasen – vorhersehbare oder auch unvorhersehbare Krisen.

Die Mehrzahl geht aus diesen Krisen jedoch unbeschadet hervor. Während Vulnerabilität die Verwundbarkeit beschreibt, ist Resilienz (lateinisch resilire, d.h. zurückspringen‚ abprallen) die Fähigkeit, Krisen durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Auch Flüchtlinge gehören zu den vulnerabelsten Gruppen unserer Zeit. Denn Flüchtlinge sind oftmals Menschen, die Folter, Misshandlung oder Gewalt erleiden mussten. Sie sind besonders vulnerabel, weil sie aus ihren Herkunftsländern, die sie nicht mehr schützen wollen oder können, flüchten mussten. Da es zumeist keine legalen Einreisemöglichkeiten gibt, müssen Flüchtlinge zudem die oftmals gefährliche, irreguläre Einreise in Aufnahmestaaten auf sich nehmen. In Aufnahmeländern leben sie zunächst in unsicheren Situationen, welche teilweise durch ungünstige Rahmenbedingungen (inklusive eingeschränkter medizinischer Behandlungsmöglichkeiten, fehlenden Zugangs zum Arbeitsmarkt) erschwert werden. Des Weiteren sind ihnen oftmals Kultur und Sprache der Aufnahmeländer fremd. //

1   http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Asylwesen/statistik/files/2016/Asylstatistik_Oktober_2016.pdf [6.12.2016].

2   http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html [6.12.2016].

3   http://data.unhcr.org/syrianrefugees/regional.php [6.12.2016].

4   UNHCR Österreich (Hrsg.) (2015): Traningshandbuch für DolmetscherInnen im Asylverfahren. Linz: Trauner.

Quelle

Auszug (adaptiert) aus dem Trainingshandbuch für DolmetscherInnen im Asylverfahren4, das im Rahmen des vom Europäischen Flüchtlingsfonds und dem Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Projekts des UNHCR „Qualitätsvolles Dolmetschen im Asylverfahren – QUADA“ entstand; versehen mit aktualisierten Zahlen durch das UNHCR-Pressereferat.

UNHCR (2016): Flucht weltweit. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2016, Heft 260/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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