Klaus Ahlheim & Rose Ahlheim: Autonomie statt Gehorsam. Zu einer Erziehung nach Auschwitz.

Klaus Ahlheim & Rose Ahlheim: Autonomie statt Gehorsam. Zu einer Erziehung nach Auschwitz.
Ulm: Edition pyrrhus 1 2018, 40 Seiten

Wie sollen wir „richtig“ erziehen?, fragen sich viele Eltern. Wie viel Gehorsam sollen wir einfordern?, fragen sie sich in einer Optionsgesellschaft, in der so vieles möglich geworden ist – mehr als in ihrer eigenen Jugend.

Wenn die Kinder dann zur Schule gehen, stellt sich ein neues Thema: Welchen Einfluss auf die Werthaltungen unserer Kinder sollen und dürfen Lehrende nehmen? Inwieweit sollen Lehrende ihre persönlichen Meinungen zum politischen – das Gemeinwesen betreffende – Geschehen äußern oder besser für sich behalten?

Zu beiden Themen legt Klaus Ahlheim – zum ersten gemeinsam mit Rose Ahlheim – jeweils ein schmales, ansprechendes, angenehm lesbares Bändchen vor. In beiden Publikationen gelingt es, Verbindungen zwischen Diskussionen aus der jüngeren Geschichte mit aktuellen Anliegen aus der Gegenwart herzustellen.

In „Autonomie und Gehorsam“ zeigen Rose Ahlheim, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin, und Klaus Ahlheim, Professor für Politische Erwachsenenbildung, welche Herausforderungen im Erziehungsverhalten bestehen. Mit Bezug auf Aussagen und Schriften von Theodor W. Adorno (1903–1969), dessen Meisterschaft ökonomische Realität und psychische Disposition in wenigen Begriffen zu kombinieren sie schätzen, wird festgestellt, woran es heute fehlt: an Empathie, an der Fähigkeit mitzuleiden und sich einzufühlen! Wegsehen, weghören, schweigen, Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer, eigene Interessen für wichtiger als die anderer halten, waren Voraussetzungen, so Adorno, „für das widerstandslose Funktionieren der Nazibarbarei“. (S. 34).

Aufgezeigt wird, wie in Deutschland (und wohl auch in Österreich) nach dem Zweiten Weltkrieg Erziehungsideologie und -formen aus der Zeit des Nationalsozialismus weiterhin wirksam waren. Das individualistisch verbrämte Menschenbild „Ich zuerst – alle anderen sind Konkurrenz“ wird ja inzwischen „erfolgreich“ durch Adepten des Neoliberalismus propagiert.

Die Lektüre regt an, über gegenwärtiges Erziehungsverhalten nachzudenken, das Verhalten von Eltern/Großeltern/Erziehungsberechtigten sowie die Erwartungen an Kinder und Jugendliche – vermittelt als Perspektiven einer von Erwachsenen konstruierten Zukunft – zu reflektieren und zu diskutieren.

Im zweiten Essay greift Klaus Ahlheim mit Bezug auf den „Beutelsbacher Konsens“ von 1976 die Frage auf: „Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?“ Der „Konsens“, der wie Ahlheim anmerkt, nie „vereinbart“, sondern nur besprochen und diskutiert wurde, umfasst drei „Grundprinzipien Politischer Bildung“:

– Überwältigungsverbot: Lernende nicht zu indoktrinieren, nicht am Erringen eines selbständigen Urteils hindern, ihre Mündigkeit nicht beeinträchtigen;

– Kontroversität: unterschiedliche Standpunkte sind durch Lehrende zu erwähnen, hervorzuheben, zu thematisieren;

– Interessenlage: politische Situationen sollen durch Lernende im Hinblick auf ihre eigene Interessenlage analysiert und beeinflusst werden können.

Ahlheim hat ein klares Programm gegen den „grassierenden rechten Populismus: Fakten gegen Vorurteile“. (S. 35). Er plädiert für Wissen und Erkenntnisse, die erklären, ordnen und Zusammenhänge herstellen – keine „Anhäufung“ von Wissen, sondern Weitergabe von strukturiertem Wissen durch verantwortungsvolle, zurückhaltende, respektvolle, professionelle Lehrende. Lernenden bleibt es überlassen, was sie mit dem Wissen machen, weitgehend unbeeinflusst von den Lehrenden: „Genau das unterscheidet Bildung von Indoktrination“. (S. 37).

Was die Produktion von Wissen und Erkenntnissen betrifft, vergisst Ahlheim nicht auf die Verantwortung von kritischer Wissenschaft: Offen zu legen, was sie in welchem Interesse betreibt „ist näher an der Wahrheit als jene Wissenschaft, die ihre Objektivität beteuert und durch (empirische) Methoden gesichert glaubt, sich faktisch aber dem Zeitgeist hingibt, gar instrumentalisierbar ist“. (S. 39).

Beide Bände eignen sich besonders für politische Bildung, für LehrerInnenaus- und -fortbildung, für Elternbildung sowie für alle an Bildungs- und Erziehungsfragen Interessierte. //

Lenz, Werner (2019): Klaus Ahlheim & Rose Ahlheim: Autonomie statt Gehorsam. Zu einer Erziehung nach Auschwitz. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Frühjahr/Sommer 2019, Heft 267/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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