Vor allem auf das Weglassen kommt es dem vielgefragten Unternehmensberater und Bestseller-Autor, Reinhard K. Sprenger, an. Er bezieht Position gegen die intensiven Kontrollmaßnahmen, wie z. B. Evaluationen, und misstraut den diversen „Führungsstilen“. Er plädiert dafür, die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zu achten und wahrzunehmen. Dann können sie gemäß ihrer Individualität im Unternehmen eingesetzt werden. Zumindest „anständigen“ Unternehmen würde das entsprechen.
Sein Eintreten für „Anstand“ erläutert der Autor zu Beginn des Buches. Er findet, dass Unternehmen aufgrund von Arbeitsverdichtung einen „psychischen Dichtestress“ und einen „Überschuss an Zudringlichkeit“ erzeugen. Deshalb fordert Sprenger „Anstand durch Abstand“. Seine „Ökonomie der Zurückhaltung“ will vor allem darauf aufmerksam machen, was zu unterlassen ist. Z. B. sollte angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung sollte von Seiten des Managements nicht schon wieder etwas dazukommen! Sprenger schlägt unterdessen vor (S. 25): „Anstatt Instrumente und Prozesse zu verbessern, sollten wir darüber nachdenken, ob wir sie überhaupt noch brauchen.“ Der Autor erklärt damit seine Absicht: Er will mitteilen, worauf anständige Unternehmen verzichten könnten.
Unternehmen definiert Sprenger als Zweckgemeinschaften, die Bedürfnisse von Kunden befriedigen und dadurch Geld verdienen wollen (vgl. S. 62). Sie sind „Kooperationsarenen“, die nicht aus einer Addition von Einzelleistungen bestehen, sondern um die Idee der Zusammenarbeit organisiert sind. Individuelle Leistung ist schwer zu isolieren und persönlich zurechenbar, weil Ergebnisse nur arbeitsteilig und gemeinsam erzielt werden. Deshalb, meint Sprenger, sind extreme Einkommensunterschiede in anständigen Unternehmen abzulehnen. Sie betonen das hierarchische Prinzip und bevorzugen den Einzelnen vor dem Ensemble.
Für „anständige Unternehmen“ empfiehlt der Autor fünf, von ihm festgelegte Prinzipien zu beachten:
1. Betrachte Mitarbeiter nicht als bloße Mittel.
2. Behandle Mitarbeiter nicht wie Kinder.
3. Versuche nicht Menschen zu verbessern.
4. Verletze nicht die Autonomie der Mitarbeiter.
5. Bezeichne nichts als alternativlos.
Die Prinzipien werden in jeweils einem Kapitel abgehandelt. Deren Schlussaussagen münden darin, was ein anständiges Unternehmen unterlassen soll. Gesellschaftliche Bedeutung habe sein Buch insofern, urteilt der Autor, dass Unternehmen, die gute Produkte oder soziale Dienstleistungen verkaufen, ihre Wirkungen auf die Menschen am Arbeitsplatz, also die MitarbeiterInnen, kennen sollten. Im Sinne seiner Prinzipien sollten Unternehmen auf Zielvorgaben und Identifikation der MitarbeiterInnen mit dem Betrieb verzichten, nicht den ganzen Menschen vereinnahmen und ihn nicht als Mängelwesen sehen, das ständig zu motivieren ist. Dem entspricht das Menschenbild des Autors: Er wendet sich gegen alle Trends, die infantilisierend, erziehend oder therapierend gegenüber Mitarbeiter/innen auftreten. Dies widerspreche einer Sicht auf Erwachsene, für die eigene Selbstentwicklung verantwortliche Menschen.
In diesem Sinn lehnt Sprenger anonyme Befragungen oder eine Haltung der Fürsorglichkeit ab, geißelt den Druck der Selbstoptimierung und hinsichtlich des neuen Trends „Gesundheit am Arbeitsplatz“ die Preisgabe von einschlägigen Daten über den eigenen Körper.
Kritisiert wird die „Pädagogisierung der Unternehmensführung“, die sich in der Personalentwicklung, verstanden als Korrektur der Personalauswahl, äußert. Personalauswahl, für Sprenger die wichtigste Entscheidung des Managements (vgl. S. 167), soll nicht durch Verhaltensoptimierung korrigiert werden. Dies ist ebenso abzulehnen wie Rankings oder institutionalisiertes Feedback, denn sie transportieren die Botschaft (S. 164): „Sie wären ein sehr viel besserer Mensch, wenn Sie ein anderer wären.“
Wenn verändern, dann Strukturen! Wie ein Wasserbauer den Lauf des Wassers beeinflussen, nicht aber das Wasser ändern kann!
Aus dieser zurückhaltenden Sichtweise erklärt Sprenger auch Freiheit aus negativer Sicht, nämlich als „Reduzierung von Fremdbestimmung“. Er präferiert eine „Ökonomie des Lassens“ und meint, dass im Wortsinn „ökonomisch“ ja die Suche nach dem geringsten möglichen Aufwand liege. Für das Management ist es kein „passives Unterlassen“, sondern erst durch Zurückhaltung entstehen Chancen die Perspektive zu wechseln und Übersicht zu gewinnen – woraus sich Freiräume für Entscheidungen ergeben.
Sprengers Aussagen sind durchaus auf den Bildungsbereich, insbesondere auf sich als Bildungsunternehmen verstehende Einrichtungen – welche sind das nicht mehr? – zu übertragen. Bemerkenswert ist sein Vorschlag, MitarbeiterInnen als KundenInnen zu betrachten und das Unternehmen (sprich die Schule, das Institut, die Einrichtung der Weiterbildung) nicht als Familie anzusehen. Dann wird nämlich auf eine übertriebene emotionale Bindung von MitarbeiterInnen verzichtet und es lässt sich sachlicher über befristete Arbeitsverträge, Fluktuationen, unterschiedliche Interessen, Wunsch nach anderen Aufgaben oder über interne Macht- und Beziehungsstrukturen diskutieren. So gewinne man ein Selbstverständnis, meint Sprenger, dass man in einem (Bildungs-) Unternehmen gemeinsame Interessen eben nur auf Zeit verfolge – und bleibe für Neues und dessen Konsequenzen offen.
Nicht zuletzt ist die „Ökonomie der Zurückhaltung“ auch für das pädagogische Handlungsfeld selbst interessant, um das Ausmaß von Erziehung, Belehrung, Bevormundung, Steuerung und Lenkung von Kindern und Erwachsenen zu reduzieren. Doch diesbezüglich könnte ein eigenes Buch geschrieben werden. //