„Der Maßstab unseres Tuns muss alltäglich und überall die Sorge für das Leben sein, dafür, dass es weitergeht. Die Ereignisse in Japan 2011 und die Kriege im Nahen Osten (und unseren westlichen Städten) hingegen führen uns vor Augen, dass der andere, herkömmliche Weg todbringend ist.“
Veronika Bennholdt-Thomsen
In meinen feministischen Kursen nehme ich Bezug auf die von Maria Gimbutas festgestellte Langlebigkeit von Frauenkultur: Es ist notwendig, dass die Kultur von Frauen, wie sie Gimbutas in ihrer jahrtausendelangen Kontinuität erforscht hat, und die mit dieser Kultur verbundenen Handlungen von Frauen immer wieder aufs Neue gemacht werden. Es ist klar, dass die Handlungen und das Wissen von Frauen lebendig sind, auch wenn patriarchale Herrschaft mit ihren unterschiedlichen Instrumentarien und Institutionen dieses Wissen bis zur Unkenntlichkeit verdreht, weglässt und/oder leugnet. Es gibt keine Akzeptanz dieses Wissens im Konzept der herrschenden Bildungs- und anderen Wissenschaften. Die Langlebigkeit von Wissen beschreibt Susan Hawthorne (Australien) als Wissensvermittlung, die aus 200 Jahren Kolonialgeschichte besteht anstelle von 70.000 Jahre Geschichte der Aborigines. Marija Gimbutas zeigt auf, dass 30.000 Jahre Frauengeschichte und Frauenwissen durch 2000 Jahre her(r)kömmlicher patriarchaler Geschichte verdrängt wird.
1. Feministische Bildung bedeutet, den Mut zu haben, etwas anzugreifen, um notwendige Veränderungen herbeizuführen.
Anzugreifen im Sinne von „in die Hand nehmen“, aber auch im Sinne von kritisieren bzw. abschaffen von destruktiven, lebensfeindlichen Strukturen. Mut, sich nicht an die herrschenden Ordnungen zu halten – die großen Veränderungen in der Gesellschaft wurden und werden von mutigen Frauen (Menschen) getragen, die sich nicht mit den Herrschenden arrangieren! Die gesellschaftlichen Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten werden von Menschen getragen sein, die das gute Leben aller ins Zentrum stellen, oder das Leben wird sich für alle drastisch verschlechtern!
Siehe: „Küchengespräche mit Rebellinnen“ vimeo.com/24659835 [15.1.2015].
Pussy Riot pussy-riot.livejournal.com/ [15.1.2015].
In russischer Sprache, aber Bilder sagen oft mehr als Worte! Chipkobewegung www.youtube.com/watch?v=i3EDEqr7haU [15.1.2015].
2. Die Meinung von nicht feministisch gebildeten Menschen ist KEINE Grundlage, um feministische Ideen zu diskutieren bzw. neu zu organisieren.
Vielmehr ist es notwendig, dass wir uns von patriarchalen Argumenten, die uns täglich begegnen nicht mehr beeindrucken lassen, dass wir den geistigen Ballast immer wieder durchschauend, abwerfen und eigenes feministisches Denken entgegen setzen. Der Feminismus hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Analysen und Forschungen – vor allen in außereuropäischen Ländern – auf dem Gebiet der Geschlechterdifferenz(en) hervorgebracht. Fundiertes Mitreden beim Thema ist deshalb nur möglich, wenn frau/man die Ergebnisse der feministischen Frauenbewegung verstanden hat, sich fundiertes Wissen dazu angeeignet hat und dieses auch mit der feministischen Bewegung in Beziehung setzt. Alles andere ist Kommerz und die unpolitische Beliebigkeit einer privaten, möglicherweise her(r)kömmlichen Meinung. Es ist wichtig, nicht auf jede Empörungsblase im öffentlichen medialen Diskurs aufzuspringen, sondern den eigenen Interessen und Themen zu folgen. Mediale Diskurswellen können zwar manchmal genutzt werden, um bei entsprechender Gelegenheit die eigenen Einsichten wirksamer zu vermitteln, aber wichtiger ist, dass Feministinnen die Themen bestimmen, die öffentlich diskutiert werden. Es ist nicht egal, ob sich eine Frau Feministin nennt oder nicht. Es kommt darauf an, welche Inhalte eine Frau in Bezug auf die Geschlechterdifferenzen vertritt, wobei es nicht möglich ist, keine Position zu feministischer Bildungspolitik zu haben. Notwendige Kritik an feministischer (Bildungs-)Politik sollte nicht aus falsch verstandener Solidarität zurückgehalten werden. Hier kommt es auf die Beziehungen und die Abgrenzungen an: Feministinnen, die sich streiten, geben den Ton an, bestimmen die Themen, diskutieren über Fragen, die für die Welt wichtig sind, und sie sind interessant für einander und für andere. Zitat aus dem Frauenfußball: „Nur die, die den Ball hat, wird angegriffen!“
Ursula Beiler cba.fro.at/277320 [15.1.2015].
3. Feministische Bildung bedeutet, dass keine Frau an spezielle Bedingungen gebunden ist, um lebendig zu handeln und zu sein.
Es ist nicht notwendig, sich an die Strukturen und Methoden des herrschenden Patriarchats zu halten, um politische Veränderungen herbeizuführen. Im Gegenteil: Es ist wichtig, diese Strukturen zu unterwandern und/oder feministische Ideen und Erkenntnisse einfach einmal nicht zur Verfügung zu stellen. Patriarchale Institutionen, ihre Bewertungs- und Glaubenssysteme, z.B. wirtschaftlicher Erfolg, akademische Anerkennung und Fortschrittsglaube, sind keine Beurteilungsmöglichkeiten der feministischen (Erwachsenen)Bildung. Die patriarchale Norm kann niemals eine Bezugsgröße für das gute Leben für alle sein. Erwachsenenbildung ist vom Denken des stetigen Wachstums vereinnahmt und hat, abgesehen von der Gleichstellung, keine feministischen Theorien, – und hat somit die Anpassung der Frauen an die herrschenden Normen des Patriarchats und der herrschenden Wissenschaft, in den allgemeinen öffentlichen Bildungsdiskurs übernommen. Zum Beispiel war Feminismus schon immer eine Politik der Freundinnenschaften. Diese Einsicht ist heute zentraler denn je. Der akademische Diskurs um die Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht in den Bildungswissenschaften hat im globalen Kontext und in den einzelnen Klassenzimmern und Schulungsräumen faktisch keine Relevanz. Wichtiger als inhaltliche Standpunkte weiter zu schärfen ist es, politische Beziehungen zu anderen feministischen Aktivistinnen zu pflegen und zu stärken. Dies beinhaltet gleichzeitig, Freundinnenschaften auch bewusst zu vermeiden oder zu beenden.
In der Wachstumsgesellschaft hat keine andere Meinung als die zu Fortschritt und Wachstum einen Platz, alles andere wird lächerlich gemacht! Was sind dies für politische Verhältnisse?
Audre Lorde: “The master’s tools will never dismantle the master’s house.“
Angela Davis on Audre Lorde youtube.com/watch?v=EpYdfcvYPEQ [15.1.2015].
4. Feministische Bildung heißt, dass Vielfalt nicht mit „alles zur Verfügung haben und ausprobieren“ zu verwechseln ist.
Feministische (Bildungs-)Politik ist die Suche nach einem guten Zusammenleben aller Menschen und nicht einfach Lobbyismus für die eigenen Interessen. Feministinnen mit einem politischen Bewusstsein, mit Liebe zur Welt und mit einem Gespür für Gerechtigkeit, geben sich nicht damit zufrieden, auf dieser Welt nur ihre eigenen Vorteile zu verfolgen. Anstelle dessen suchen internationalistische Feministinnen – im Unterschied zu multi- oder transnationalen – nach einem Sinn im Ganzen, der über ihre eigene kleine Nasenspitze hinausreicht und das gute Leben für alle ermöglicht. Dass eine Welt ohne Wettbewerb und Konkurrenz langweilig sein könnte, ist nicht zu befürchten. Die Lebenslust und die Liebe zu Lebendigem, die Steigerung der Lebensfreude in Kunst und Festen und das behutsame Erforschen der Wunder der Natur, lässt genug Raum für Atemberaubendes.
Claire Pentecost publicamateur.org/?p=85 [15.1.2015].
Heide Göttner-Abendroth zu Gesellschaft in Balance
n-tv.de/wissen/Frauenherrschaft-Das-ist-Unfug-article3974511.html [15.1.2015].
5. Feministische Bildung entwickelt keine Gewohnheiten, Strukturen und Programme, die nicht jederzeit auf Grund der Änderung der Lebensverhältnisse und neuer Erkenntnisse aufgeben werden können.
Feministin zu sein bedeutet nicht, bestimmte Meinungen zu haben oder Programme zu vertreten (oder vertreten zu müssen), sondern frei zu sein, dem eigenen Begehren zu folgen. Die Liebe der Frauen zur Freiheit und zur Welt ist es, die bewegt und inspiriert und mit überraschenden Ideen, die aus dem gemeinsamen Denken und Handeln von Frauen entstehen bzw. entstanden sind, den patriarchalen Alltag praktisch auf den Kopf stellen und den Weg frei machen für vielfältige, selbstbestimmte Frauenleben.
35000 Biographien von Frauen fembio.org [15.1.2015].
7. Feministische Bildung geht dem Mythos der Qualifikation von Frauen nicht ins Netz.
Feministinnen zweifeln an Schlagwörtern wie Gleichstellungspolitik oder Frauenförderung, da sie Machtverhältnisse ändern wollen! Das Ziel, Frauen all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die in dieser Gesellschaft (angeblich) Lebens- und Berufschancen sichern, ist nämlich (zumindest) in zweifacher Hinsicht problematisch: Es suggeriert zum einen das „Märchen der Qualifikation“ (Frigga Haug), wonach (weibliche) Lebenschancen und Berufsmöglichkeiten wirklich von Qualifikationen abhängig wären und sitzt zum anderen dem (politischen) Missverständnis auf, dass gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse durch – auf männlichem Durchsetzungsvermögen, auf Leistungsdenken und Konkurrenzverhalten – getrimmte Frauen zu verändern wären. Die Rechnung (auf Veränderung) kann auch deshalb nicht aufgehen, weil die hier gemeinten Qualifikationen sowohl an den Normen des männlichen Lebenszusammenhanges als auch an den Erfordernissen kapitalistischer Arbeitsverhältnisse gemessen werden.
Frigga Haug: „Die Köchin soll den Staat regieren“
youtube.com/watch?v=KuRllw993yI&feature=youtu.be [15.1.2015].
8. Feministische Bildung gibt es nur, wenn sie von autonomen Feministinnen, weltweit, (der Anteil der weißen patriarchal gebildeten Frauen ist dabei sehr gering) praktiziert wird!
Alles andere ist ein Abklatsch von der möglichen Freiheit der Frauen. Feministische Bildung staatlich verordnet, erreicht weder die Frauen noch bringt sie eine Veränderung der Machtverhältnisse zum Vorteil aller! Frauen sind nicht von Natur aus Feministinnen, sie müssen es werden, in einem bewussten Akt der Entscheidung, die alte symbolische Ordnung der Vorherrschaft des Männlichen nicht mehr zu akzeptieren. Eine Feministin erkennt frau (andere Geschlechter sind mitgemeint!) nicht an den Inhalten ihrer politischen Forderungen und Ansichten, sondern daran, ob sie aufgehört hat, ihr eigenes Leben (und das Leben anderer Frauen) als eines zweiter Ordnung zu verstehen. Daran, ob sie direkt in der Welt wirken möchte, oder ob sie Männer verbessern möchte, in der Hoffnung, dass die es dann regeln. Daran, ob sie ihre eigenen Regeln aufstellt und ihnen entsprechend lebt, oder ob sie die Gesetze des Patriarchats aufrecht erhält und einfordert, speziell anderen Frauen gegenüber. Malala Jousafzai: „Wieso ist es so leicht Waffen zu geben, aber so schwer, Bücher zu geben? Wieso ist es so einfach Panzer zu bauen, aber so schwer Schulen zu errichten?“
Malala Jousafzai malala.org/ [15.1.2015].
9. Feministische Bildung bedeutet, das gute Leben für alle als Grundlage anzustreben.
Weiß noch eine/r was die Subsistenzperspektive ist? Noch immer das einzige politische Konzept, dass das Überleben und das gute Leben „BUEN VIVIR“ aller zur Grundlage hat und nicht auf Ausbeutung und Kolonialisierung basiert. (Was heißt schon postkolonial, wenn jetzt statt der europäischen Staaten die Konzerne ausbeuten!) Im Hinblick auf die herrschende Ökonomie und unser Geldsystem, dem wir uns nicht so einfach entziehen können, da wir ja hier und jetzt von Kapitalismus umgeben sind, tritt die Bewegung BUEN VIVIR für die Verantwortung einer jeden, eines jeden Einzelnen für sich selbst und ihr/sein Umfeld ein. Wir sollten nachdenken, was die Faktoren für ein „gutes Leben“ und nicht für ein besseres Leben sind. Das gute Leben beinhaltet gutes Essen, ein Dach über dem Kopf und gelebte Gemeinschaft mit anderen Menschen und der Natur und es spielt sich in der Gegenwart ab. Das bessere Leben ist im Patriarchat die Verheißung des Wachstums. Diese „bessere“ Zukunft macht unser Leben und das Leben unserer Erde kaputt! Frau kann nicht warten bis sich etwas ändert, sondern muss es selbst in die Hand nehmen. „Der Maßstab unseres Tuns muss alltäglich und überall die Sorge für das Leben sein, dafür dass es weitergeht.“ //
Veronika Bennholdt-Thomsen youtube.com/watch?v=zlffwTpv9Ds [15.1.2015].
social-innovation.org/?p=3307 [15.1.2015].
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