Über die Ursachen dieser Entwicklung wird heftig debattiert und eine Vielzahl an Erklärungsmodellen angeführt. Während beispielsweise Wendy Brown die Konzeption des Neoliberalismus „als primären Demokratiezerstörer“ identifiziert (Brown: 2015, S. 15 f.), hat der englische Politologe Colin Crouch den für unsere Gegenwart sehr wirksamen Begriff der „Postdemokratie“ geprägt: Ein System in dem sich „Langeweile, Frustration und Desillusionierung breitgemacht haben; in denen die Repräsentanten mächtiger Interessengruppen, die nur für eine kleine Minderheit sprechen, weit aktiver sind als die Mehrheit der Bürger, wenn es darum geht, das politische System für die eigenen Ziele einzuspannen; in denen politische Eliten gelernt haben, die Forderungen der Menschen zu lenken und zu manipulieren; in denen man die Bürger durch Werbekampagnen ‚von oben‘ dazu überreden muss, überhaupt zur Wahl zu gehen.“ (Crouch: 2015, S. 30)
So komplex die Gründe für den sukzessiven Vertrauensverlust in das demokratische Gemeinwesen sind, so vielfältig müssen auch jene Strategien sein, die diesem Prozess entgegenwirken. Eine Lehre aus der Geschichte sollte dabei besonders beachtet werden, die „res publica amissa“, also eine vernachlässigte Demokratie – „so der an Cicero angelehnte Titel eines Buches des Altphilologen Christian Meier – wird am Ende untergehen“, denn „das vernachlässigte Gemeinwesen hat keine Zukunft.“ (Augstein: 2013, S. 18)
Demokratiepolitische Bildung
Diesen Grundgedanken folgend hat die „demokratiepolitische Bildung“ die Funktion, den Wert und die Bedeutung des demokratischen Gemeinwesens für die Wahrung und Förderung der Menschenrechte zu fokussieren und jene Werkzeuge bereitzustellen, die dies ermöglichen. Demokratiepolitische Bildung fasst dabei Politik nicht ausschließlich als eine Staatsräson auf, sondern orientiert sich an der lebensweltlichen Realität der Menschen und dem Umstand, dass demokratieförderndes Handeln Teil unseres Alltags ist bzw. sein sollte. Daher sollen – Sigrid Steininger folgend – unter demokratiepolitischer Bildung „alle Maßnahmen und Aktivitäten“ verstanden werden, „die geeignet sind, Menschen jeden Alters auf die Ausübung ihrer Rechte und Pflichten in der Gesellschaft und eine informierte, aktive und verantwortungsbewusste Partizipation in der Demokratie vorzubereiten. Dies inkludiert Menschenrechtsbildung, globales Lernen, interkulturelle Bildung, Friedenspädagogik sowie verwandte Bildungsziele.“ (Steininger: 2010, S. 13)
Als besonders wichtiges Merkmal der demokratiepolitischen Bildung ist dabei die „Verfertigung politischer Mündigkeit“, wie es in der Tagungsunterlage der „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung 2016“ heißt, hervorzuheben. Diese wird auf Basis von demokratischen Rahmenbedingungen ermöglicht, als kritischer Reflexionsprozess vertieft, und durch einen kontinuierlichen Diskurs verdeutlicht. Die Stärkung dieser politischen Mündigkeit, die de facto das Fundament eines jeden demokratischen Gemeinwesens darstellt, gehört dabei auch zu den wesentlichen Aufgaben der Erwachsenenbildung. Um diesen Auftrag in zunehmend schwieriger werdenden Zeiten erfüllen zu können, wird eine Erweiterung des klassischen Vermittlungskanons und die Suche nach innovativen Zugängen zur politischen Bildung unabdingbar sein. Einen hierfür stellvertretenden Ansatz verfolgen die „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“.
Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung
Als Leitgedanke dieser Tagungsreihe steht und stand eine berühmte Prämisse von Oskar Negt:
„Demokratie ist die einzige staatlich verfasste Gesellschaftsordnung, die in ständig erneuerter Kraftanstrengung gelernt werden muss; eine solche politische Verfassung der Gesellschaft ist auf Dauer nur haltbar, wenn die im Wesenskern einer solchen Ordnung enthaltene Idee der tendenziellen Überwindung nicht-legitimer Ungleichheit, der Herrschaft der Menschen über Menschen, für eine Bevölkerung Überzeugungskraft behält.“ (Negt: 2010, S. 495)
Ausgehend von diesem Leitgedanken und anknüpfend an die Gesprächsreihe „Panoptikum Politische Bildung“, die zwischen April und Dezember 2011 realisiert wurde und vier Abendveranstaltungen umfasste (vgl. Klemenjak: 2012, S. 31 f.), erfolgte im Jahr 2012 die Konzeption der „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“ und im Jahr 2013 der Entschluss, diese in Form von Fachtagungen zu organisieren (vgl. Klemenjak/Pichler: 2014, S. 99 f.). Diese sollten einmal jährlich, wenige Tage vor dem österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober, im Konferenzsaal der Arbeiterkammer Kärnten und im ÖGB/AK Bildungsforum in Klagenfurt realisiert werden (vgl. Klemenjak: 2016, S. 218).
Das Konzept sieht vor, dass sich jede Fachtagung mit einem anderen Schwerpunktthema beschäftigt. So fokussierten die „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“ in den vergangenen Jahren folgende Themenbereiche: „Der politische Mensch – Demokratie als Lebensform“ (2012), „Populismus und Rassismus im Vormarsch?“ (2013), „Demokratie vererbt sich nicht – Partizipation RELOADED“ (2014), „Demokratie in der KRISE, Krise in der Demokratie?!“ (2015) und „Die SOZIALEN FRAGEN im 21. Jahrhundert. Erkennen – benennen – verändern“ (2016). (Vgl. Klemenjak: 2016, S. 218)
Über die Jahre hinweg, erweiterte sich auch die Anzahl der KooperationspartnerInnen kontinuierlich, die sich für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes verantwortlich zeigen. Waren es zu Beginn drei Institutionen, besteht die VeranstalterInnen-Gemeinschaft mittlerweile aus insgesamt acht PartnerInnen.1 Der besondere Mehrwert dieser Gemeinschaft ist, dass das gemeinsame Denken und Reflektieren sowie die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der einzelnen PartnerInnen zu einer prozesshaften Weiterentwicklung der Veranstaltung führen und damit nicht nur die Qualität des Projektes laufend verbessert wird, sondern auch immer mehr Menschen unterschiedlicher Zielgruppen, für die „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“ begeistert werden können.
Um die Ergebnisse der Veranstaltungen auch längerfristig zu sichern, wurden und werden diese jährlich – in Form eines Sammelbandes – in der Schriftenreihe „Arbeit & Bildung“ der Arbeiterkammer Kärnten publiziert und stehen kostenlos online zur Verfügung.2
Doch welches zentrale Ziel lag bzw. liegt den „Kärntner Gesprächen zur demokratiepolitischen Bildung“ zugrunde? – Die Menschen zum kritischen Denken, zur Meinungsbildung zu animieren, sie darauf aufmerksam zu machen, dass das Recht zur Mitsprache und Mitgestaltung jedem Menschen zusteht und dass das Gebrauchmachen dieses Rechts das Fundament der Gesellschaftsform darstellt in der wir alle gemeinsam leben dürfen. Ein durchaus ambitioniertes Ziel, wie sich im Laufe der letzten fünf Jahre gezeigt hat.3 Vor allem da – wie einleitend bereits erwähnt – eine zunehmende Demokratieverdrossenheit zu vernehmen ist und demokratiepolitische Bildung daher kein Thema ist, dass ohne weiteres ganze Vortragssäle füllt.
Um das Interesse der Menschen zu wecken und zur aktiven Beteiligung zu motivieren, wurde daher ein spezielles pädagogisch-didaktisches Konzept entwickelt. Dieses basiert u.a. auf einem organisatorischen Rahmen, der gekennzeichnet ist durch eine Vielfalt an Methoden und Inhalten, sowie durch ein hohes Ausmaß an Heterogenität im Publikum. Durch Vorträge, Diskussionen mit politischen EntscheidungsträgerInnen, Gespräche im Plenum und moderierte Workshops wird ein ausbalanciertes Angebot geschaffen, dass sowohl fundierte Fachinformation bietet als auch aktive Partizipation aller Anwesenden fördert und fordert. Als besonderes Kapital erweist sich das überaus heterogene Zielpublikum, was zum integralen Bestandteil der Veranstaltung gehört. Neben Studierenden der Universität, der Fachhochschule und der Pädagogischen Hochschule, werden die „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“ auch von BetriebsrätInnen, TeilnehmerInnen von Basisbildungskursen, MitarbeiterInnen aus dem öffentlichen Dienst sowie von MitarbeiterInnen von NGOs usw. besucht. Durch diese Vielfalt ergeben sich unterschiedlichste Perspektiven und Diskussionsgrundlagen, die sich in den Gesprächen als besonders wertvoll erweisen. Gleiches gilt auch für die eingeladenen ReferentInnen. So debattierte beispielsweise der ehemalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer mit der deutschen Aktivistin Cesy Leonard vom Zentrum für Politische Schönheit oder Landeshauptmann Peter Kaiser, mit dem ehemaligen Caritas-Präsidenten Franz Küberl und der Kabarettistin Lisa Eckhart. Dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher Betrachtungsweisen und Meinungen in Gesprächen, die durchaus kontrovers, aber immer fair, geführt werden, erwiesen sich in die Vergangenheit immer als besonders fruchtbar, um kritische Denkprozesse anzustoßen.
Begleitet und motiviert werden alle diese Bemühungen jedoch stetig von dem Wunsch den BesucherInnen ein Verständnis von sich selbst als gestaltende, verändernde, gesellschaftliche AkteurInnen zu vermitteln. Die „Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung“ leisten so einen kleinen Beitrag zur demokratiepolitischen Bildung, der es vermag das Vertrauen in die Demokratie zu stärken. //
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