Gegen die liberale Demokratie formiert sich die illiberale – die Demokratie der Antidemokraten. Letztere subsumiert der Autor, Ökonom, Journalist, langjähriger Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ sowie Generaldirektor der schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, unter dem Begriff „Neue Rechte“. Diese repräsentieren eine reaktionäre Haltung, sind im unterschiedlichen Ausmaß antiliberal, marktfundamental und national. Dem entgegen positioniert der Autor liberale Demokraten, die dem Denken der Aufklärung verpflichtet, selbstkritisch sich in Frage stellen, suchen, zweifeln und wissenschaftliche Einsichten achten. Aber ihre Schwäche liegt darin, die liberale Demokratie nicht modernisiert und sich keine neuen Machtmittel angeeignet zu haben, um sich den Primat über die Ökonomie in einer digitalisierten und globalisierten Welt zu sichern.
Roger de Weck diagnostiziert, was er für verkehrt hält: Aus der liberalen wurde die neoliberale Demokratie, die Ökonomie lenkt die Demokratie, die Wirtschaft reguliert den Staat. In der Freiheit des Kapitalverkehrs, der Autor spricht von der „Mutter aller Deregulierungen“, sieht er Machtgewinn für die Wirtschaft und Machtverlust für nationale Demokratien. Diese sind erpressbar geworden und müssen um die Gunst der Unternehmen buhlen.
Ultrakapitalismus erweist sich stärker als liberale Demokratie – dieser fehle es an Diskussion über ihre dringenden Reformen. Um solche anzuregen und um konkrete Vorschläge zu lancieren, publiziert Roger de Weck sein in drei Teile gegliedertes Buch. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Ursachen für das parallele Aufkommen von Ultrakapitalisten und der neuen Rechten sowie deren Ablehnung des Umweltthemas, das offensichtlich zu komplex ist und nicht für einfache Lösungen taugt. Roger de Weck beschreibt den Weg von der Markt- zur Machtwirtschaft, der allerdings vom liberalen Establishment zumindest geebnet wurde. Hervorgehoben wird auch die Ökonomisierung des Denkens, ein Ökonomismus, der soziale, ökologische und kulturelle Werte in den Hintergrund rückt. Verloren geht die ursprüngliche Idee der liberalen Demokratie, Konflikte zu mindern und das Zusammenleben verträglich zu gestalten.
Im zweiten Teil schildert der Autor Gegenbewegungen und Angriffe auf die liberale Demokratie, mit denen auch Selbstschwächung durch das demokratische Lager einhergeht. Roger de Weck zählt kundig und detailreich den Kulturkampf für nationale Identität, gegen Andersdenkende und vor allem gegen Migration und Zuwanderung auf. Allerdings hält er die „Neue Rechte“ als Neinsager in konkreten Situationen für nicht besonders regierungsfähig und vorwiegend im Hass gefangen.
Auf die Stärke von Demokratien zu vertrauen, ist Anliegen des dritten Teils. Roger de Weck verweist auf „die Seele“ der Demokratie: Sie befriedet drei elementare Bedürfnisse von Menschen, nämlich: geachtet zu werden, in Frieden zu leben und sich in verschiedenen Formen frei auszudrücken. Er erinnert, dass jede Demokratie als konkrete Staatsform unterschiedliche Ausprägungen hat und im Rahmen der jeweiligen nationalen Geschichte geformt wurde. Da Demokratie nicht alle Erwartungen an sie einlösen kann, scheint ein gelassener Umgang mit Widersprüchen und Uneindeutigkeiten angebracht. Bildung zu einer „Ambivalenz-Toleranz“ wird als Mittel gegen Autoritarismus empfohlen. Roger de Weck bedauert die Schwäche und den Unwillen, Demokratien zu modernisieren und sie auf die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft einzustellen.
Abschließend stellt er zwölf kurz- oder längerfristig umzusetzende Maßnahmen vor, um Demokratie zu modernisieren. Dazu gehören u. a. ein Rat von Umweltweisen, analog zum Finanzminister ein Vetorecht für den Umweltminister, Stimmrecht für Jugendliche, mehr direkte Demokratie, öffentliche Finanzierung von gutem Journalismus für gute Information. Er plädiert für eine lebendige Demokratie, die aber auf unser aller Engagement angewiesen ist.
Das detailreiche Buch vermittelt Kenntnisse, Zusammenhänge und Hintergründe zur aktuellen politischen Situation. Es regt an, die staatsbürgerliche Erziehung – „liberal education“ – zu überdenken. Demokratische Bildung inklusive der Modernisierung von Demokratie im Sinne der Aufklärung sollten neu konzipiert und nicht zuletzt das Übergewicht der Ökonomie über die Politik bekämpft werden.
Roger de Weck greift zum Abschluss eine Botschaft von Greta Thunberg für Leserin und Leser auf: „Wir selbst sind die, auf die wir gewartet haben.“ //
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