Es schien und scheint weiterhin schwierig, ErwachsenenbildnerInnen in befriedigendem Ausmaß zu erfassen und zu beschreiben. ErwachsenenbildnerInnen finden sich in vielen Bereichen der Gesellschaft, die zudem meist nicht als Erwachsenenbildung oder Weiterbildung deklariert sind. Die Erfahrungen mit KandidatInnen im Rahmen der Weiterbildungsakademie Österreich (wba) zeigen, dass ErwachsenenbildnerInnen mit unterschiedlichsten Selbstverständnissen, kulturellen Mustern, Werthaltungen und Einsatzbereichen existieren. Darin liegt eine Herausforderung für Professionalisierungseinrichtungen. Die Herausforderung der Anerkennungsarbeit der wba liegt in einem guten Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Mustern innerhalb der Erwachsenenbildung sowie auch in der Abgrenzung dessen, was als Erwachsenenbildung gelten kann (Steiner: 2010, S. 14–15).
Eine derartige „gesellschaftlich dislozierte“ Struktur des Wirkens der ErwachsenenbildnerInnen kann als eine Chance für Gesellschaften gesehen werden, die Lernen über die ganze Lebensspanne hinweg erhöhen wollen.
Wissenschaftliche Erfassung und Beschreibung der ErwachsenenbildnerInnen
Die Erwachsenenbildungsforschung muss der gesellschaftlichen „Versprengtheit“ erwachsenenbildnerischer Tätigkeit Rechnung tragen, indem sie diese mit verschiedenen Zugängen erfasst und dabei viele Gesellschaftsbereiche erfasst, welche zudem selbst meist in Entwicklung und Veränderung sind. Die wissenschaftliche Erfassung von ErwachsenenbildnerInnen ist mittlerweile sehr weit gediehen und umfasst unter anderem demographische Beschreibungen, Tätigkeitsbeschreibungen und, eher präskriptiv als deskriptiv, Kompetenzkataloge (etwa Martin, Lencer & Schrader et al.: 2016, Schlögl & Gläser: 2015, Research voor Beleid: 2010, Gruber & Wiesner: 2012). Interessant und bislang weniger beleuchtet ist, welche unterschiedlichen theoretischen Zugänge es gibt, die Berufsgruppe zu erfassen. Eine in der vorliegenden Dissertation vorgeschlagene Typologie von Forschungszugängen zur Erfassung von ErwachsenenbildnerInnen (Steiner: 2016. S. 114 ff.) sieht folgendermaßen aus:
- Beschreibungen der Institutionen, in die beruflich ausgeübte Erwachsenenbildung eingebettet ist (von Organisationstypologien bis zu Governance-Zugängen).
- Arbeitsmarktspezifische, soziodemographische Erfassung von ErwachsenenbildnerInnen.
- Beschreibung von Kompetenzen, Qualifikationen und Tätigkeitsbereichen.
- „Weichere“ Beschreibung beruflich ausgeübter Erwachsenenbildung als Kultur und Kollektivbildungen.
Die in der Dissertation vorwiegend fokussierte Form, beruflich ausgeübte Erwachsenenbildung zu erfassen, ist unter Typ 4 einzuordnen. Es geht bei diesem Typ um kulturwissenschaftliche Zugänge, welche Kollektivbildungen und kulturelle Erscheinungsformen der Erwachsenenbildung analysieren.
Ein Einblick in den bislang erarbeiteten Forschungsstand zu berufskulturellen Elementen brachte ein erstes grobes Bild von berufskulturellen Elementen der ErwachsenenbildnerInnen (vgl. ebd.: S. 124 ff. bzw. S. 157):
- ErwachsenenbildnerInnen zeichnen sich häufig durch hohen Idealismus aus und sind mitunter „missionarisch“.
- Für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit sind biographische und Bezüge abseits Berufstätigkeit relevant und weniger eine berufliche Sozialisation im Rahmen einer beruflichen oder professionsspezifischen Ausbildung.
- ErwachsenenbildnerInnen scheinen kommunikativ und kommunikationskompetent.
- Selbstverwirklichung ist ein Wert bei ErwachsenenbildnerInnen, sowohl die eigene Berufstätigkeit als auch die Lernenden betreffend.
- Innere Gespaltenheit bzw. Frustration zeigt sich im Verhältnis zu den organisatorischen und managementnahen Bereichen der eigenen Tätigkeit.
- Die Heterogenität der ErwachsenenbildnerInnen und der Erwachsenenbildung ist das Merkmal, welches in fast allen Forschungsarbeiten bestätigt wird. Dies wird erkennbar sowohl in unterschiedlichsten wertgebundenen Ausrichtungen der ErwachsenenbildnerInnen als auch in vielen Berufsbezeichnungen.
- Die ErwachsenenbildnerInnen haben Schwierigkeiten, das Spezifische ihrer erwachsenenbildnerischen Arbeit in Worte zu fassen.
Basierend auf diesem Forschungsstand wurde in der Dissertation nach passenden Erhebungsmodellen gesucht, welche der Dynamisierung und Veränderbarkeit beruflicher Arbeit und der Diversität der ErwachsenenbildnerInnen Rechnung tragen. Zusätzlich und dem ein Stück weit entgegenlaufend sollten diese Modelle auch das Potenzial haben, kohäsive Elemente zwischen ErwachsenenbildnerInnen aufzuzeigen. Würde man Letzteres nicht tun, könnte man weder von (einer) Erwachsenenbildung sprechen, noch von der Professionalisierung derselben. Eine empirische Erhebung wurde bislang nicht geleistet und ist eine Aufgabe für die Zukunft.
Beruflich ausgeübte Erwachsenenbildung als Professionsspezifische Subkulturen und als Soziale Welten in Arenen
Auf der Suche nach Modellen, die relevanten Erscheinungsformen der Erwachsenenbildung gerecht werden, wurde ich mit den Konzepten Professionsspezifische Subkulturen sowie mit dem Konzept Soziale Welten in Arenen fündig. Das Modell Professionsspezifische Subkulturen baut auf vorhandener Literatur zu „Berufskultur“ der Erwachsenenbildung auf, ebenso das Modell Soziale Welten in Arenen (Nittel: 2000, S. 145, Nittel & Schütz: 2013), wobei diese AutorInnen von einer Berufskultur und einer Sozialen Welt, und nicht von mehreren sprechen. Was den kulturwissenschaftlichen Zugang wertvoll macht, ist, dass kulturelle Elemente einen starken verbindenden Faktor innerhalb von Gruppen darstellen. Je höher der Anteil geteilter kultureller Elemente (Werte, Symbole, Sprachverwendung, Mythen, bekannte Figuren), umso stärker ist auch die Autonomie einer beruflichen Gruppe (Trice: 1993). Angehörige eines Berufs oder einer Profession können sich über geographische Grenzen hinweg „automatisch“ verstehen, weil sie diese kulturellen Elemente teilen. Ein kurzes Beispiel, das der Veranschaulichung dient, ist die folgende Gegenüberstellung zweier ErwachsenenbildnerInnen mit ihren unterschiedlichen sprachlichen und wertegebundenen Zugängen (vgl. Steiner: 2016, S. 164):
Zusätzlich zum soeben beschriebenen Konzept Professionsspezifische Subkulturen wird in der Dissertation vorgeschlagen, ErwachsenenbildnerInnen als „Soziale Welten in Arenen“ zu beschreiben. Anleitend sind Zugänge aus der Grounded Theory, v.a. die gegenwärtige Adaption durch Clarke (2012).1 Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei ErwachsenenbildnerInnen um mehrere Soziale Welten, also um mehrere Kommunikations-, Orientierungs-, Arbeitszusammenhänge von sich bezüglich ihrer Anliegen engagierenden AkteurInnen (Schütze: 2016, S. 75), handelt. Soziale Welten zeichnen sich dadurch aus, dass sie fluide sind, sich permanent neu ausrichten und quer zu herkömmlichen Institutionen und Organisationen liegen. Diese plurale und fluide Konzeption bietet mehr Offenheit und ermöglicht es, darzustellen, wie ErwachsenenbildnerInnen in ihrer Arbeit an gesellschaftlich permanent in neuer Erscheinungsform auftretende „Problembetroffenheiten und Erleidensprobleme“ (Schütze: 2016, S. 76) anschließen. Soziale Welten zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie in gesellschaftlichen Arenen verortet sind. Arenen sind Sozialräume, in denen strittige Fragen „verhandelt“ werden. Clarke zeichnet in ihrem Buch als Beispiel die Arena der Berufstätigen, der öffentlichen Institutionen und der selbstorganisierten Interessensgruppen im Bereich der cardiovaskulären Erkrankungen in den USA nach. Ersichtlich wird, wie die Sozialen Welten und die Organisationen innerhalb dieser Arena strittige Fragen verhandeln und unterschiedliche Positionen beziehen (Steiner: 2016,198). Im Anschluss daran kann man sich für die Erwachsenenbildung etwa eine Arena vorstellen, welche sich mit Fragen der Immigration und Integration beschäftigt, oder eine Arena, welche Arbeitsmarktverwaltung im weitesten Sinne umfasst oder eine Arena, welche strittige Fragen der Gestaltung von Weiterbildung mit starkem Bezug zur Privatwirtschaft verhandelt.
Hier eine hypothetische Ad-hoc-Karte verschiedener Sozialer Welten (in den Kreisen) innerhalb der Arena Immigration und Integration:
Ersichtlich wird, dass erwachsenenbildnerische Soziale Welten neben Sozialen Welten aus der öffentlichen Verwaltung und aus dem privatwirtschaftlichen Bereich Teil dieser Arena sind. Alle Soziale Welten einer Arena müssen sich direkt oder indirekt mit den Anforderungen aller anderen Teilhabenden der Arena auseinandersetzen. Ein derartiges Gefüge ist permanent in Aushandlungsprozessen begriffen und in ständigem Wandel.
Spannend ist auch, dass die „Theoriebrille“ Soziale Welten in Arenen hilft, neue Muster neben den etablierten zu erkennen. Anhand der eingehenden Untersuchung des Umgangs mit bestimmten Krankheiten konnte die Grounded Theory z. B. herausarbeiten, dass PatientInnen nicht notwendigerweise nur als solche konstruiert werden müssen, PatientInnen haben abseits des dominanten Blicks auf sie als Kranke oder SpitalsinsassInnen auch andere Rollen, etwa von ExpertInnen für ihre eigene Krankheit. Ähnlich kann man sich vorstellen, dass eine derartige Zugangsweise auf Erwachsenenbildung den Blick darauf verschieben kann, wer hier der/die Lernende ist: Wer gestaltet, wer gestaltet mit, wer wird gestaltet? Kollektivbildungen innerhalb der Erwachsenenbildung können quer zu Grenzen der Organisationen liegen. Vorstellbar wäre etwa, um ein spontanes Beispiel zu nennen, dass die soziale Welt rund um den Theoriezugang „Emanzipatorische und feministische Bildungsarbeit“ von VertreterInnen unterschiedlicher Institutionen und Organisationen bevölkert ist, sowohl von Lernenden, als auch von Lehrenden oder von WissenschaftlerInnen.
Diskussion und Entwicklung
Obwohl eine empirische Erhebung aussteht, erlauben die erarbeiteten Konzepte laut einem Gutachten des FWF den stockenden gesellschaftlichen Prozess zur Neuplatzierung des lebenslangen Lernens für einen kulturtheoretisch angelegten Forschungsprozess zu öffnen (Quelle: unveröffentlichtes Gutachten). Mit den vorgeschlagenen Konzepten werden fluide Mechanismen der Konstituierung des lebenslangen Lernens in verschiedensten Feldern der Gesellschaft bezogen auf Professionalisierung der Erwachsenenbildung fokussiert. Der besondere Wert des „Soziale-Welten-in-Arenen-Konzepts“ liegt darin, dass mit Arenen, zu denen Soziale Welten immer gehören, die multiplen Bezüge der Erwachsenenbildung zu verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen (etwa Gesundheitswesen, Sozialwesen, Bildungswesen) „konzeptiv eingefangen“ werden können. Mit dem Fokus auf Professionsspezifische Subkulturen wiederum fokussiert die Forschung auf etwas, was bislang zu wenig Beachtung erfuhr: kohäsive Elemente und die Ausbildung von kulturell homogenen Gruppen innerhalb der Erwachsenenbildung. //
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