ECVision: Professionalisierungs-impulse für Supervision und Coaching

Doch auch die Professionen selbst gerieten unter den Druck schneller Entwicklungen: Die freien Berufe Supervision und Coaching verfügten über keine gemeinsame und konsistente Beschreibung auf europäischer Ebene, es gibt vielfältige und nicht selten widersprüchliche Begriffsverständnisse.

Nationale wie europäische Berufsverbände bieten zwar Standards für die berufliche Aus-und Weiterbildung. Die Regelungen für die Mitgliedschaft und Akkreditierung geben Orientierung, doch sie unterscheiden sich in Fokus, Umfang und Begründungen oft beträchtlich.

Das waren die Ausgangsüberlegungen des LEONARDO-Innovationsentwicklungs-Projektes „ECVision. Ein Europäisches System der Vergleichbarkeit und Validierung supervisorischer Kompetenzen“.

Zentrales Anliegen war es, für die Professionen Supervision und Coaching in Ausbildung wie Anwendung auf europäischer Ebene eine Basis für Vergleichbarkeit und Transparenz zu schaffen.

Im November 2012 traf sich ein transnationales ExpertInnen-Team für Supervision und Coaching zum ersten Mal im Rahmen des Projektes: Marina Ajdukovic (Kroatien), Lilja Cajvert (Schweden), Michaela Judy (Österreich), Wolfgang Knopf (EU/Österreich), Hubert Kuhn (Deutschland), Krisztina Madai (Ungarn) und Mieke Voogd (Die Niederlande) haben die Projektergebnisse entwickelt und ausgearbeitet. Im September 2015 wurden die Ergebnisse im Rahmen einer Abschlusskonferenz in der Urania Wien der professionellen Community präsentiert.

Die beiden Hauptergebnisse sind:

  • ein europäisches Glossar für Supervision und Coaching, und
  • ein europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching.

Die Grundprinzipien

Die ECVision-Ergebnisse gründen dabei auf drei Prinzipien.

Generischer Zugang

Statt auf spezifische Theorien, Instrumente oder Techniken von Beratung zu rekurrieren, entschied sich das Projektteam für eine Klassifikation von Merkmalen, die allen Beratungsprozessen gemeinsam sind, und die darüber hinaus die Interaktion von Personen, beruflichen Anforderungen und Organisationen im Fokus haben.

Dazu wurden Schlüsselwörter und Kompetenzen auf der Grundlage der europäischen Basisliteratur beschrieben. Diese generischen Grundlagen erwiesen sich als weit konsistenter als erwartet. Differenzen zeigen sich v. a. in unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten, „Schulen“ oder nationalen oder institutionellen Traditionen. Dennoch war es nicht schwierig, aus der Literatur Schlüsselbegriffe und -kompetenzen zu identifizieren, die in fast allen europäischen Diskursen aufscheinen.

Fokus auf die Interaktion von Personen, beruflichen Anforderungen und Organisation

Der Geltungsbereich von ECVision bezieht sich strikt auf Supervision und Coaching, d.h. auf die Interaktion von Personen, beruflichen Anforderungen und Organisation.

Feedbackschleifen mit der professionellen Community

Obwohl ECVision sich vor allem an den Standards des Projektpartners ANSE (Association of National Organisations for Supervision in Europe) orientiert, konnten wir Kontakt mit der anderen großen europäischen Dachorganisation herstellen. Zwei Konferenzen gaben Gelegenheit zur Diskussion und ermöglichten, die ECVision Ergebnisse als Grundlage eines europäischen Verstehensrahmens für Supervision und Coaching zu nutzen.

Die Produkte

Das Glossar

Das Glossar zielt darauf ab:

  • Orientierung und Beschreibung zu liefern, wie die aktuellen professionellen Diskurse in Europa die Begriffe Supervision und Coaching verwenden.
  • Eine Struktur anzubieten, die als Grundlage für eine gemeinsame Terminologie dienen kann, aber flexibel genug ist, um an neue Bedingungen im Feld angepasst werden zu können.
  • Transparenz und Vergleichbarkeit – aber nicht Harmonisierung – unterschiedlicher Anforderungen, Verantwortlichkeiten und professionellen Standards zu ermöglichen.

Eine Beschreibung der Schlüsselbegriffe von Supervision und Coaching, die nicht bloß formale Faktoren in den Blick nehmen will, steht vor mehreren Herausforderungen.

Supervision und Coaching zielen auf Interaktion, auf die Unterstützung individueller und organisatorischer Veränderungen oder auf die Lösung von Spannungen und Konflikten in der täglichen Arbeit.

Damit befinden sich Supervision und Coaching, wie alle Beratungsberufe, in einer produktiven Spannung von beschreibbarer Kompetenz und konkreter, je unterschiedlicher Beziehungsdynamik. Diese Beziehungsdynamik fördert einen selbstorganisierten Prozess, in dem Supervisorin/Coach und SupervisandInnen/Coachees einen sicheren Reflexionsraum co-kreieren.

Dadurch wird es möglich, mehr von der Komplexität einer konkreten Situation zu begreifen, Ambiguitätstoleranz zu entwickeln, Organisationsdynamiken zu verstehen und sie in persönliche Ziele zu integrieren lernen, und nicht zuletzt, Entscheidungen zunehmend auf Reflexion zu gründen.

Lerntheoretisch schließt dieses Supervisions- und Coachingverständnis an Heyse/Erpenbeck an: „Kompetenzen kann man nicht »lernen«, so wie man das Einmaleins (…) oder die Abfolge historischer Ereignisse lernt. Das hängt damit zusammen, dass Kompetenzen von Werten fundiert und von Erfahrungen konsolidiert werden. Werte kann man aber nur selbst verinnerlichen, Erfahrungen nur selbst machen. (…) Deshalb gilt: Wissen im engeren Sinne lässt sich prinzipiell … durch Lehrprozesse vermitteln. Erfahrungen, Werte, Kompetenzen lassen sich nur durch emotions- und motivationsaktivierende Lernprozesse aneignen. (…) Kompetenzen sind folglich nur in Trainings- und Coachingformen vermittelbar.“

Dies bedenkend, stand das – selbst multilinguale und multiprofessionelle –Projektteam vor der Herausforderung, sowohl Kriterien für relevante Begriffe wie auch eine sinnvolle Struktur für ihre Darstellung entwickeln zu müssen.

In den vielen Diskussionen wurde sehr deutlich, dass zwar Widerspruchsfreiheit eine Illusion ist, aber erst Definitionen einen Rahmen schaffen, um gemeinsame Bedeutungen in Kommunikation bringen zu können.

Die schließlich gefundene Struktur differenziert in einem ersten Schritt die Formate Supervision und Coaching aus.

Der Begriff Supervision wird in Europa für folgende Beratungsformate verwendet:

  • Qualitätssicherung für in psychosozialen Arbeitsfeldern mit KlientInnen Tätige;
  • Aus- und Weiterbildung: Lehrsupervision für AusbildungskandidatInnen;
  • Beratung beruflichen Handelns in allen Arbeitsfeldern;
  • Organisationssupervision.

Zentrale Begriffe sind Interaktion und Reflexion.

Coaching lässt sich beschreiben als eine Form professioneller Beratung, die:

  • Coachees unterstützt, ihr persönliches und professionelles Potenzial zu maximieren.
  • Auf das professionelle und persönliche Wachstum der Coachees fokussiert.
  • Vorrangig auf Manager abzielt, und mit themenspezifischer Unterstützung sowie dem Einüben von Fertigkeiten arbeitet.

Der zentrale Fokus liegt bei den Coachees, ihren Zielen und Bedürfnissen.

Supervisions- und Coaching-Konzepte, die jenseits des Geltungsbereichs von ECVision (Interaktion von Personen, beruflichen Anforderungen und Organisationen) stehen, wurden nicht einbezogen.

Die Meta-Struktur des Glossars folgt den Dimensionen Akteure, Kernqualitäten, Typen, Settings, Methoden und Ergebnisse.

Akteure sind Personen oder Institutionen, die in den Prozess von Supervision oder Coaching einbezogen bzw. dafür verantwortlich sind. Also z. B. Supervisorinnen, Coachees, Auftraggeber, etc.

Kerndimensionen sind unverzichtbare fundamentale Charakteristika professioneller Beratung in Supervision und Coaching. Also z. B. Ambiguitätstoleranz, Führung, Management, Funktion und Rolle, Kontrakt, Organisation, Reflexion, etc.

Arten von Supervision und Coaching verweisen auf die verschiedenen Gründe für Supervision- und/oder Coaching. Arten beziehen sich – im Gegensatz zu Settings – auf vordefinierte Ziele. Also z. B. Ausbildungssupervision, Business Coaching, Fallsupervision, Leitungssupervision/-coaching, etc.

Settings beschreiben die Zahl der Teilnehmenden, die Organisationsformen der Teilnahme, die Frequenz sowie verwendete Medien. Also z. B. Einzelne, Team, Gruppe, etc.

Methoden sind spezifische Techniken, die Prozesse fördern; Fokus ist dabei stets die Verbesserung der Interaktion von Person, beruflicher Anforderung und Organisation. Also z. B. Arbeiten mit dem Gruppenprozess, Auftragsklärung, Dialog, Feedback, Evaluation, Prozessmoderation, etc.

Ergebnisse beschreiben die Effekte von Supervision/Coaching auf die SupervisandInnen/Coachees. Also z. B. effektive Handhabung von Konflikten und Widersprüchen, Klärung von Rollen und Funktionen in Organisationen, Professionalisierung, Qualitätsmanagement, Stressprävention, etc.

Das Kompetenzprofil

Das ECVision-Kompetenzprofil bietet lernergebnisorientierte Beschreibungen der Lernschritte, die jemand beobachtbar vollzogen haben muss, um als qualifizierte/r SupervisorIn gelten zu können.

Lernergebnisse verstehen wir in Übereinstimmung mit der Definition des EQF als Aussagen darüber, was Lernende wissen, verstehen und in der Lage sind zu tun, nachdem sie einen Lernprozess abgeschlossen haben.

Lernergebnisorientierte Beschreibung steht in Bezug auf Beratungsberufe vor besonderen Herausforderungen:

  • Fast alle relevante Forschung beschreibt die Arbeitsbeziehung als hauptsächlichen Wirkfaktor. Damit kommt der professionellen Haltung der/des SupervisorIn/Coaches besondere Bedeutung zu.
  • Daher ist es nicht damit getan, die persönlichen Fähigkeiten von SupervisorInnen/Coachees zu beschreiben, es geht in hohem Maße darum, diese Beziehungen zu charakterisieren.
  • Lernergebnisorientierte Beschreibung von Supervision und Coaching muss also Beziehungen nachvollziehbar machen, die an den Schnittstellen intervenieren, wo Menschen in ihren spezifischen funktionalen und sozialen Rollen und ihren Arbeitsfeldern sichtbar werden.

Die inhaltliche Struktur des Kompetenzprofils folgt dabei den beiden Kompetenzsträngen professionelle Identität sowie professionelles Verhalten:

  • Professionelle Identität umfasst die Kompetenzfelder professionelle Haltung, Ethik, Qualitätsentwicklung, Perspektive auf Person, Arbeit und Organisation.
  • Professionelles Verhalten beschreibt Arbeitsbeziehung gestalten, Entwicklung fördern, komplexe Kommunikation steuern, Umgang mit Vielfalt sowie Handwerkszeug, Techniken und Methoden gezielt einsetzen.

ECVision-Glossar und ECVision Kompetenzprofil sind ohne einander nicht denkbar, das Kompetenzprofil baut auf der Definition der Schlüsselbegriffe auf.

Für das Kompetenzprofil haben wir drei Konzepte als methodologische Richtlinien gewählt:

  • Das ECVision Glossar: Die Kernqualitäten und Methoden des Glossars wurden als Ausgangspunkt genommen. Daher findet sich zu allen Kompetenzen auch eine entsprechende Definition.
  • Die Taxonomie von Bloom: In einer Kombination sowohl von Blooms kognitiver wie auch emotionaler Taxonomie werden die Kompetenzen entlang der Tätigkeitsfelder Anwenden – Analysieren – Evaluieren – Ermöglichen – Kreieren beschrieben.
  • Den Europäischen Qualifikationsrahmen: Die Beschreibungslogik folgt den Deskriptoren des EQR in der Beschreibung supervisorischer Kompetenz über Kenntnisse, Fertigkeiten und Performance.

Das Herzstück des Kompetenzprofils ist die Beschreibung der Performance. Ohne die Nachvollziehbarkeit, worüber Kompetenz wahrnehmbar wird, sind Kompetenzbeschreibungen wenig sinnvoll. Mit dem Fokus auf Performance-Kriterien wurden darüber hinaus auch bereits Lernergebnisse formuliert, die am Ende einer qualifizierten Ausbildung zu Supervision und Coaching im Verhalten der AusbildungskandidatInnen beobachtbar sein sollten.

Der dezidierte Fokus auf die Beschreibung beobachtbaren Verhaltens ermöglicht eine Lernergebnisorientierung, die Fremd- wie Selbsteinschätzung kommunizierbar und damit transparent macht.

Professionalisierungsimpulse

Das Projektteam hat sich darauf konzentriert, die Kompetenzen quer über die verschiedenen Schulen und Ansätze hinweg zu formulieren.

Zweifellos variiert die methodische Umsetzung der Kompetenzen, zweifellos setzen Schulen und Ausbildungsanbieter eigene Akzente, die vielfach über das Beschriebene hinausgehen.

Dennoch: Ob jemand die eigene „Voreingenommenheit“ zur Beobachtung von Wechselwirkungen nutzt oder mit dem psychoanalytischen Konzept von Übertragung und Gegenübertragung arbeitet – die Kompetenz besteht in beiden Konzepten darin, dem Prozess der Beziehungsgestaltung theoriegeleitet Sinn zu verleihen und ihn damit überprüfbar zu gestalten.

Auf dieser Ebene wird es möglich zu definieren, welche Haltungen und Qualitäten, bzw. welches Handwerkszeug ein/e SupervisorIn/Coach braucht, um professionell zu arbeiten.

Die AutorInnen haben sich auch nicht auf Methoden im Detail eingelassen, sondern stets danach gefragt, woran man merken kann, dass ein/e SupervisorIn/Coach über ein klares und reflektiertes Verständnis und ein solides Handwerkszeug verfügt.

Das ermöglicht sowohl klare Beobachtungskriterien zur Bewertung supervisorischer Kompetenz als auch weite und vielfältige Spielräume in der konkreten Umsetzung.

Glossar und Kompetenzprofil stellen der Fachwelt Praxis und Theorie von Supervision und Coaching transparent und vergleichbar zur Verfügung und geben damit Professionalisierungsimpulse, die es ermöglichen:

  • Eine europäische Terminologie von Supervision und Coaching weiter zu entwickeln.
  • Den europäischen Ansatz der Lernergebnisorientierung in der Fachwelt von Supervision und Coaching umzusetzen.
  • Bilaterale Partnerschaftsvereinbarungen zwischen Ausbildungsanbietern für Supervision und Coaching auf der Ebene von Programmen, Modulen und Kursniveau zu erarbeiten.
  • Generische Kompetenzen von SupervisorInnen und Coachees zu beschreiben.

Wir sind uns der Grenzen unseres Unterfangens bewusst: Um Kompetenz- und Lernergebnisorientierung sinnvoll zu nutzen, braucht es einen ständigen kritischen wie auch fachlichen Dialog. Die ECVision-Produkte sind kein „Kanon“ für alle Zeiten, vielmehr ein Work-in-Progress-Projekt, dessen Nutzen sich nur in der Nutzung durch die professionelle Community entfalten wird. //

Literatur

CEDEFOP et al. (2011): Using learning outcomes. European Qualifications Framework Series: Note 4. Luxembourg: Publications Office of the European Union.

Heyse, Volker & Erpenbeck, John (2007): Kompetenzmanagement: Methoden, Vorgehen, KODE(R) und KODE(R)X im Praxistest. Münster: Waxmann.

Judy, Michaela & Knopf, Wolfgang (Hrsg.) (2011): ECVision. Supervision und Coaching in Europe: Konzepte und Kompetenzen.  Wien: Die Wiener Volkshochschulen GmbH. Online verfügbar unter www.anse.eu/ecvision.start.html/products [19.4.2016].

Kennedy, Declan, Hyland, Áine & Ryan,Norma (2007): Writing and Using Learning Outcomes: a Practical Guide. University College Cork. Online verfügbar unter: https://www.dcu.ie/afi/docs/bologna/writing_and_using_learning_outcomes.pdf [19.4.2016].

Judy, Michaela (2016): ECVision: Professionalisierungs-impulse für Supervision und Coaching. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2016, Heft 258/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

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