Bildung ist ein komplexes und schwer fassbares Konzept, das tief im europäischen Denken und in der europäischen Vorstellung von Erziehung und Ausbildung verwurzelt ist. Die Griechen der Antike bezeichneten sie als Paideia, und im 16. Jahrhundert erforschten die protestantischen Pietisten das persönliche religiöse, spirituelle und moralische Wachstum nach dem (Vor-)Bild Christi. Von 1774 bis etwa 1810 untersuchten Denker wie Herder, Schiller und von Humboldt Bildung als ein säkulares Phänomen und setzten sie in Bezug zur emotionalen, moralischen und intellektuellen Entwicklung, zur Enkulturation und Erziehung, sowie zur Rolle als StaatsbürgerIn. Dieses säkulare, deutsche Verständnis von Bildung inspirierte die dänische „Erfindung“ der Volksbildung in den 1840er- und 1850er-Jahren. Darunter verstand man in Dänemark Bildung nicht nur für das Bürgertum, sondern auch für die Landjugend. Volksbildung stärkte die Unterschicht und ermöglichte Dänemark eine friedliche Transformation von einer armen, agrar-kulturellen, absoluten Monarchie zu einer wohlhabenden, industrialisierten Demokratie.
Heute befindet sich unsere Zivilisation in einem Transformationsprozess. Aus industrialisierten Nationalstaaten entsteht eine digitalisierte Welt, in der prinzipiell alle erfolgreich sein können. Damit dies friedlich geschehen kann, müssen wir jede/n Einzelne/n dazu befähigen. Das heißt, wir brauchen eine spezielle Volksbildung für das 21. Jahrhundert.
Es gibt viele Definitionen von Bildung; das Europäische Bildungsnetzwerk („European Bildung Network“) definiert sie so:
„Bildung ist sowohl die Kombination aus Ausbildung und Wissen, welche notwendig sind, um in einer Gesellschaft zu bestehen, als auch die moralische und emotionale Reife, um ein Teamplayer zu sein und persönliche Autonomie zu wahren.
Bildung ist auch das Wissen um die eigenen Wurzeln und die Fähigkeit, sich die Zukunft vorstellen zu können.“
Im Folgenden werde ich vier Aspekte von Bildung vorschlagen, die relativ greifbar sind, und die uns, wenn sie verbunden werden, helfen können, die Komplexität des Begriffs zu erfassen und in der Erwachsenenbildung zu diskutieren. Die vier Aspekte sind:
- übertragbares Wissen und Verstehen,
- nicht übertragbares Wissen und Verstehen,
- Erweiterung des Verantwortungsbewusstseins,
- sowie Teilhabe und politische Ermächtigung (civic empowerment).
Übertragbares Wissen / Erweiterung des eigenen Horizonts
Der erste Aspekt von Bildung betrifft die Fähigkeit, die Welt, in der man lebt, zu verstehen, und das Wissen, das wir uns aneignen können, um dieses Verständnis zu erlangen. Zum übertragbaren Wissen gehören Naturwissenschaften, Mathematik, Handwerk, Sprache, Erzählungen, Philosophie, politische Ideologie, religiöse Dogmen, Geschichte, das Lesen einer Landkarte, wie man ein Fahrrad repariert, Verkehrsregeln, wie man ein Zugticket online bucht, wie man kocht, was man nicht auf Social Media postet usw., also nicht nur akademisches Wissen, sondern auch Alltagswissen – das, was wir im Deutschen unter Allgemeinbildung verstehen. Dieses Wissen erhalten wir über Bücher, Fernsehen, YouTube-Videos, LehrerInnen, FreundInnen, etc. Da wir diese Art von Wissen von einer Person zur nächsten weitergeben und wir damit fortlaufend unseren Horizont erweitern können, können wir dies auch als horizontales Wissen und Verstehen bezeichnen.
Die Bildungsrose ist ein Modell, dass die Gesellschaft in sieben Bereiche unterteilt: Produktion, Technologie, Ästhetik, (politische) Macht, Wissenschaft, Narrative und Ethik. Wie bei allen Modellen handelt es sich um eine Vereinfachung, die es uns erlaubt, ein Muster zu sehen, das sonst schwer zu erklären ist.
Der Grund, warum es Bildungsrose und nicht „Gesellschaftsrose“ genannt wird, ist, dass wir alle sieben Bereiche unserer Gesellschaft verstehen müssen, damit wir als Gesellschaft erfolgreich sein können. Unsere innere Welt muss sozusagen die äußere Welt repräsentieren. Unser Verstand muss in der Lage sein, so viel wie möglich von allen sieben Bereichen zu erfassen, damit wir uns in unserer Gesellschaft sicher bewegen und fundierte Entscheidungen treffen können.
Da die Gesellschaften immer größer und komplexer werden und auch die einzelnen Domänen immer vielschichtiger werden, müssen wir noch mehr Wissen untereinander austauschen, damit jede/r in der Lage ist, die Gesellschaft zu verstehen und in ihr zu bestehen. Die Bildungsrose zeigt, dass wir, um uns weiterzuentwickeln zu können, und um entschlüsseln zu können, was in unserer Umgebung vor sich geht, viele Arten von übertragbarem Wissen brauchen. Dann sind wir jederzeit in der Lage, das Wissen in einem bestimmten Bereich zu vertiefen und uns zu spezialisieren, oder unseren Horizont zu erweitern und weitere Zusammenhänge zu erfassen.
Für übertragbares Wissen gibt es eine Vielzahl von Institutionen und Programmen, von der Primar-, Sekundar- und Hochschulbildung bis hin zur informellen Bildung und den vielen Formen des lebenslangen Lernens. Wir verfügen über die unterschiedlichsten pädagogischen Methoden, und alle modernen Gesellschaften wissen, wie ein derartiges Vorhaben umgesetzt werden kann. Wir müssen es nur priorisieren. Damit dieses übertragbare Wissen zum allgemeinen Verständnis wird, müssen wir unser Wissen in der realen Welt ausprobieren und/oder darüber reflektieren – entweder allein oder im Gespräch mit anderen.
Nicht-übertragbares Wissen / emotionale Tiefe und Moral
Der zweite Aspekt von Bildung betrifft unsere moralische und emotionale Entwicklung. Das ist die Art von Wissen, die aus dem Leben selbst kommt: Enttäuschungen erleben, sich verlieben, Liebeskummer haben, Eltern werden, ein Spiel verlieren oder gewinnen, Freundschaften knüpfen, Verantwortung übernehmen, versagen, Erfolg haben, sich um einen kranken Elternteil kümmern, einen Ehepartner verlieren, Erfolg bei der Arbeit haben usw. Wenn wir diese vielen verschiedenen Erfahrungen machen, können wir aus ihnen lernen, und wir können aus ihnen etwas über uns selbst und andere Menschen erfahren. Aber es ist eine Art von Wissen, die nicht direkt übertragbar ist. Ich kann anderen zwar von meinem Herzschmerz erzählen, aber ohne jemandem tatsächlich das Herz zu brechen, ist dies kein Wissen, das ich direkt weitergeben kann.
Indem wir uns auf andere Menschen einlassen, ihre Erwartungen erfüllen oder enttäuschen, indem wir Fehler machen oder Erfolg haben, und indem wir auf alle Arten von Gegenwehr stoßen, erwerben wir eine andere Art von Verständnis und wachsen auf eine andere Weise, als wenn wir nur aus Büchern lernen. Wir erlangen emotionale Tiefe und hoffentlich auch höhere moralische Ansprüche, wenn wir erkennen, dass wir andere (oder uns selbst) nicht im Stich lassen wollen. Wir können uns das als vertikale Entwicklung oder vertikales Wissen und Verstehen vorstellen.
Im 20. Jahrhundert wurde vertikale Entwicklung in der Entwicklungspsychologie unter anderen von Jean Piaget, Lawrence Kohlberg und Robert Kegan erforscht. Es ist aber auch das, was Jean-Jaques Rousseau in Émile (1762) als „éducation“ erforschte, was Johann Gottfried Herder in „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“ (1774) und Friedrich Schiller in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“ (1795) als Bildung bezeichneten.
Nach Schiller gibt es drei Arten von Menschen, die jeweils durch eine Phase der Bildung definiert sind:
- Der körperlich-emotionale Mensch, der seinen Emotionen ausgeliefert ist, und diese nicht transzendieren kann.
- Um unsere Emotionen zu transzendieren, brauchen wir, nach Schiller, beruhigende Schönheit und Ästhetik, welche unsere Emotionen mit den Normen der Gesellschaft in Einklang bringen können. Erst dann können wir uns wandeln und zu Folgendem werden:
- zum Vernunftmenschen, der sich an den moralischen Normen der Gesellschaft ausrichtet und sich diese zu eigen macht. Der Vernunftmensch kann sich allerdings noch nicht von den Normen und Erwartungen der Gesellschaft lösen.
- Um die Normen zu transzendieren, brauchen wir, nach Schiller, etwas das er belebende Schönheit und Ästhetik nennt. Diese können uns auf- und wachrütteln und uns unsere Emotionen wieder spüren lassen, was uns wiederum erlaubt, die Erwartungen der anderen abzuhängen. Und so können wir:
- zum freien, moralischen Menschen werden, der sowohl seine eigenen Emotionen als auch das, was nach den gemeinsamen moralischen Normen richtig und falsch ist, empfinden kann. Weil dieser Mensch sowohl seine eigenen Emotionen als auch die Erwartungen der anderen transzendiert hat, kann er nun für sich selbst denken und ist daher frei
Was Schiller vorschlägt, ist, dass wir dieses vertikale Wissen und diese Entwicklung stellvertretend durch die Künste erwerben können. Indem man schöne Musik hört und sich mitreißen lässt, kann man „den Gefühlsmuskel dehnen“ und Emotionen erleben, denen man sonst vielleicht nicht begegnet. Das Gleiche gilt für große Literatur, in der/die AutorIn uns dazu bringt, uns mit seinen/ihren Figuren zu identifizieren, sodass wir fühlen, was sie fühlen. Durch Kunst können wir demnach indirekt das nicht übertragbare Wissen weitergeben.
Eine andere Art, Schillers drei Phasen der Bildung oder Arten, in der Welt zu sein, zu formulieren ist:
- Ist mein Leben ein Streben nach körperlicher Befriedigung?
- Ist mein Leben ein Streben nach Anerkennung und sozialem Status?
- Ist mein Leben ein Streben nach dem, was richtig ist und wie ich es erreichen kann, auch wenn es einigen Menschen, die mir am nächsten stehen, vielleicht nicht gefällt?
Darüber hinaus gibt es noch eine vierte Phase, die Schiller nicht erwähnt:
- Lasse ich andere wachsen?
Durch unsere Kultureinrichtungen wie Theater, Bibliotheken, Kinos, Konzertsäle usw. und durch DramatikerInnen, SchauspielerInnen, RegisseurInnen, Orchester usw. haben wir Möglichkeiten, vertikales, nicht übertragbares Wissen zu fördern. Damit diese Erfahrungen zu einem vertikalen Verständnis werden, müssen wir allerdings über sie reflektieren, entweder allein oder in Gesprächen mit anderen. Heute gibt es in allen modernen Gesellschaften KünstlerInnen, die nicht übertragbares Wissen und Verstehen in Kunst verwandeln können – es muss nur gefördert werden.
Erweiterung des Verantwortungsbewusstseins
Der dritte Aspekt von Bildung betrifft die Frage, mit welchen gesellschaftlichen Gruppen wir uns identifizieren und wofür wir in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Am einfachsten lässt sich dies anhand des Modells „Circles of Belonging“ (Zirkel der Zugehörigkeit) veranschaulichen:
Dieses Modell hat zehn Kreise. Wichtig dabei ist allerdings nicht die Anzahl der Kreise, sondern, dass diese in ihrer Komplexität nach außen hin zunehmen.
Der erste Kreis, über den wir Kontrolle gewinnen und Verantwortung übernehmen können, ist unser eigener Körper und wir selbst – unser Ego. Von dort aus erweitern wir unsere Welt. Familie eins ist die Familie, in die man hineingeboren wird. Peer-Groups beginnen wir etwa im Alter von fünf Jahren zu etablieren. Familie zwei wiederum ist die Familie, welche man im Erwachsenenalter gründet.
Kreis fünf – Gemeinschaft – kann mehrere Gemeinschaften enthalten, zum Beispiel den Arbeitsplatz, eine Religionsgemeinde, den Sportverein usw. Die Kreise zwei bis fünf sind die realen Gemeinschaften, in denen wir entweder jede/n persönlich kennen oder zumindest wissen, dass bestimmte Personen zu dieser Gemeinschaft gehören, ohne diese jedoch persönlich kennen zu müssen.
Der sechste Kreis der Zugehörigkeit ist die Nation, eine imaginäre Gemeinschaft, die sich dadurch radikal von den inneren Kreisen unterscheidet. Im Nationalstaat gibt es Millionen von Menschen, denen wir nie begegnen werden, und dennoch müssen wir uns mit ihnen identifizieren, um bereit zu sein, beispielsweise Steuern zu zahlen und um sie bzw. das Land als Ganzes wichtig zu nehmen.
In den meisten funktionierenden Demokratien ist der sechste Kreis durch eine gemeinsame Sprache, ein öffentliches Schulsystem, gemeinsame Feiertage und Traditionen, Literatur und das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen verbunden. Im Westen haben wir die letzten 200 Jahre damit verbracht und viel investiert, jede/n dazu zu erziehen, diesen sechsten Kreis als wichtig zu erachten und gute, loyale BürgerInnen zu werden.
Auch im 21. Jahrhundert brauchen wir noch funktionierende, demokratische Nationalstaaten. Als Individuen müssen wir Verantwortung für diese Staaten übernehmen, indem wir aktive BürgerInnen sind. Darüber hinaus müssen wir aber auch Verantwortung für unseren Kulturkreis (d.h. Europa), die Menschheit weltweit, das Wohlergehen allen Lebens und aller Biotope rund um den Globus und das Wohlergehen des Lebens in der Zukunft übernehmen. Sich der Kreise sieben bis zehn bewusst zu sein, sich ihnen zugehörig zu fühlen und Verantwortung zu übernehmen, stellt neue Anforderungen an uns.
Durch nationale Kultureinrichtungen und das lokale und nationale Kulturerbe haben wir es geschafft, ein starkes Gefühl der nationalen Identität zu schaffen. Die meisten Bildungssysteme wurden dementsprechend auch um diesen Gedanken herum etabliert. Ein Gefühl der Identifikation mit der Welt jenseits des eigenen Landes zu schaffen, stößt allerdings an den meisten Orten auf eine Sprachbarriere. Auch kann es recht entmutigend sein, den ersten Schritt außerhalb der eigenen kulturellen Komfortzone zu setzen. Glücklicherweise ermöglicht uns die Technologie, in Echtzeit zu sehen, was im Rest der Welt vor sich geht, und wir können uns mit Menschen rund um den Globus verbinden. In allen Ländern gibt es EinwanderInnen aus allen Teilen der Welt. Bisher haben wir allerdings noch nicht herausgefunden, wie wir dies zu einer Bildungsmöglichkeit für alle machen können und zu einer Möglichkeit, in allen zehn Kreisen der Zugehörigkeit ein Gefühl von Identität und Verantwortung zu entwickeln.
Teilhabe und politische Bildung / Volksbildung
Man fühlt sich in der Lage und ist dazu motiviert, sich als BürgerIn zu engagieren. Es bedeutet, dass man einen inneren Antrieb und das Selbstvertrauen hat, seine Meinung zu sagen und sich zu engagieren. Volksbildung bietet das Übungsterrain dafür.
Die dänischen Volkshochschulen haben es vor 175 Jahren geschafft, „Folk“-Bildung zu initiieren und Generationen junger Däninnen und Dänen für bürgerliches Engagement zu motivieren (und tun es zum Teil immer noch), und die Highlander Folk School in Tennessee hat von den dänischen Volkshochschulen gelernt und hatte großen Erfolg (aber das ist der Teil von Bildung, der wahrscheinlich am wenigsten erforscht ist). Es gibt die unterschiedlichsten, individuell variierenden Methoden, um Schüchterne zu ermutigen und bei den Uninteressierten Interesse zu wecken. Aber Wut, Frustration, ein Gefühl der Ungerechtigkeit oder ein persönliches Interesse an einer bestimmten Agenda können gute Ausgangspunkte für Aktivismus sein, und Aktivismus, der von einem Ruf nach Veränderung getragen wird, ist ein großartiger Ausgangspunkt für Bildung.
Die vier Aspekte zusammenbringen
Bildung ist sowohl der Prozess als auch das Ergebnis. Um sich in den hochkomplexen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts positiv weiterzuentwickeln, brauchen Menschen eine sehr komplexe Bildung. Daher sollten wir es als unseren Auftrag sehen, bessere Bildungsmöglichkeiten für alle und für verschiedene Lebensphasen zu entwickeln. Das 21. Jahrhundert bedeutet für die/den Einzelne/n einen Entwicklungs- und Lernprozess, der sich über das ganze Erwachsenenalter, über das ganze Leben hinweg fortsetzen wird.
Die Art und Weise, Bildung in Bezug auf jedes Individuum zu betrachten, besteht also nicht darin, sich auf den Abschluss oder darauf, „wie viel formelles Wissen hat diese Person“ zu konzentrieren. Stattdessen sollte die Frage lauten, ob das Individuum ein erhöhtes horizontales und vertikales Verständnis erfährt, das Leben mit dem Alter zunehmend sinnvoller findet, sich zunehmend befähigt fühlt, sich als BürgerIn zu engagieren, und sich neugierig und motiviert fühlt, die Kreise der Zugehörigkeit zu erweitern, anstatt sich aus den größeren Kreisen zurückzuziehen, um sich wohl und sicher zu fühlen. Wenn jemand im Laufe der Jahre keine zunehmende existenzielle Tiefe und Bedeutung erfährt und sich unter Gleichaltrigen nicht verstanden, respektiert und vertraut fühlt, oder wenn diese Person mit Burnout oder Ängsten zu kämpfen hat, kann es sich lohnen, darüber nachzudenken, ob das Problem darin liegt, dass man in diesen Kontexten unzureichend gebildet ist.
Wie dies mit dem Lernen Erwachsener zusammenhängt
Erwachsenenbildung hat sich viele Jahre lang an vielen Orten hauptsächlich darauf konzentriert, die Fähigkeiten der Menschen für den Arbeitsmarkt zu verbessern. Dies bedeutet, dass sich Erwachsenenbildung hauptsächlich auf zwei Bereiche der Bildungsrose konzentriert hat: Produktion und Technik. Wohingegen Ästhetik (die Künste), politische Macht (Staatsbürgerkunde), Wissenschaft (um der Wissenschaft willen), Erzählung (sei es Religion, Geschichte und/oder politische Ideologie) und Ethik (z. B. Philosophie) alle unter die Kategorie „nettes Hobby“ gefasst wurden. Anstatt ein Ort für persönliche Bildung und Befähigung zu sein, wurde Erwachsenenbildung ein Diener des Marktes. Als SteuerzahlerInnen, Gewerkschaften, Unternehmen und andere Bezuschusser von Erwachsenenbildung haben wir indirekt in Bildung investiert um bessere ArbeiterInnen, nicht jedoch um bessere BürgerInnen zu schaffen.
Diese einseitige Fokussierung und Investition ist nicht nur aus einer allgemeinen Bildungsperspektive für das Individuum problematisch. Sie bedeutet auch, dass wir als Gesellschaft kollektiv die Fähigkeit verlieren, Probleme in allen Bereichen und deren Zusammenspiel durch eine informierte und reichhaltige Konversation in der Öffentlichkeit anzugehen. Wir diskutieren über das BIP und die Beschäftigung, als ob es das wäre, worum es in der Politik gehen sollte. (Die meisten Menschen in der westlichen Welt würden darauf wahrscheinlich mit dem Gedanken reagieren: „Aber das IST es doch, worum es in der Politik geht!“, was diesen Punkt nur bestätigt.)
Die Bildungsrose zeigt, warum dieses begrenzte Verständnis von dem, worauf es ankommt, problematisch ist:
Die beiden oberen Bereiche, Produktion und Technologie, repräsentieren das, was hier und jetzt physisch möglich ist. Der mittlere Bereich repräsentiert, was möglich sein könnte, und der untere, was sein sollte.
Indem wir uns dazu erziehen, nur das anzusprechen, was hier und jetzt physisch möglich ist, und uns davon entfernen, anzusprechen und zu ergründen, was möglich sein könnte und was sein sollte, können wir uns Folgendem nicht auf produktive Weise widmen:
-
Demokratie: wie man ein/e aktive/r BürgerIn sein kann und welche Art von Politik und neuen Institutionen wir brauchen, um beispielsweise die Herausforderungen zu bewältigen, die unsere Nationalstaaten nicht alleine bewältigen können, darunter:
– Digitalisierung und die Herausforderungen, die sie an die Demokratie und die bestehende Wirtschaft stellt,
– Nachhaltigkeit und Lösungen für Umweltprobleme, inklusive Klimawandel,
– Bildung für alle, inklusive MigrantInnen aus anderen Kulturen und Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wer behauptet, dass der einzige Weg, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, darin besteht, Arbeitsplätze zu schaffen, die zum BIP-Wachstum beitragen?
Indem wir Bildung (wie oben ausgeführt) in den Mittelpunkt von Erwachsenenbildung stellen, kann Erwachsenenbildung:
- für das Individuum ein Ort der persönlichen Befähigung sein, zu mündigen BürgerInnen und ganzheitlichen Menschen zu werden;
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für die Gemeinschaft ein Treffpunkt für gemeinschaftliches Zusammensein und Problemlösungen und sehr wahrscheinlich auch ein Faktor zur Verbesserung der psychischen Gesundheit sein;
- für Arbeitgeber eine Ressource sein, um motivierte MitarbeiterInnen auszubilden, die ein tieferes Verständnis für Nachhaltigkeit, für das Zusammenspiel der Stakeholder des Unternehmens und für die Übernahme von Verantwortung für nachhaltige Entwicklung, Inklusion etc. am Arbeitsplatz einbringen;
- für die Gesellschaft eine Basis sein für eine qualifizierte demokratische Diskussion über die wichtigsten und komplexen Themen, die die Menschheit, unsere Zukunft und den einzigen Planeten, den wir haben, betreffen. //
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